Arzneimittel und Therapie

„DHL-Prüfsiegel garantiert Qualität“

Empfohlene Blutdruckmessgeräte – ein Interview zur Kritik am Prüfsiegel

Vor wenigen Wochen haben wir die verschiedenen Arten der Blutdruckmessung vorgestellt und auch auf Blutdruckmessgeräte mit dem Prüfsiegel der Deutschen Hochdruckliga (DHL) verwiesen (DAZ 2014, Nr. 19, S. 46). Hierzu erreichte uns ein Leserbrief von Dr. Klaus Fehske und Dr. Christian Fehske, in dem der Redaktion eine kritiklose Werbung für das Prüfsiegel der Deutschen Hochdruckliga als scheinbaren Garanten für eine unbedingt verlässliche oszillometrische Messung vorgeworfen wurde (s. Kasten S. 27). Wir haben dies zum Anlass genommen, mit Prof. Dr. Bernd Sanner über die Probleme einer Blutdruckselbstmessung zu sprechen. Professor Sanner ist in der Deutschen Hochdruckliga zuständiger Sektionsvorsitzender Hochdruckdiagnostik und damit mitverantwortlich für die Vergabe des Prüfsiegels.
Prof. Dr. Bernd Sanner, Vorstandsmitglied der Deutschen Hochdruckliga.

DAZ: Herr Professor Sanner, welchen Stellenwert hat die oszillometrische Selbstmessung für die Diagnosestellung und auch die Therapie des Bluthochdrucks? Und: Ist sie in ihrer Aussagekraft gleichwertig wie eine auskultatorische Messung?

Sanner: Die oszillometrische Selbstmessung ersetzt natürlich nicht die auskultatorische Methode. Letztere ist immer noch der Standard der Blutdruckmessung und findet sowohl in Praxen als auch in Kliniken eine breite Anwendung, da sie auch bei Herz-Rhythmusstörungen verlässliche Werte ermitteln kann. Für einen Großteil von ansonsten gesunden Patienten mit erhöhtem Blutdruck eignet sich die oszillometrische Messung und kann verlässliche Werte erbringen. Gerade aber bei Patienten mit sehr hoher Gefäßsteifigkeit oder Herz-Rhythmusstörungen können die Werte ungenau werden, so dass unbedingt durch einen Fachkundigen die individuelle Genauigkeit beider Verfahren bei einem Betroffenen zu überprüfen ist. Es sollten also auch immer Vergleichsmessungen stattfinden. Ist die Vergleichbarkeit jedoch nachgewiesen, so stellen oszillometrische Geräte zur Blutdruckselbstmessung eine deutliche Bereicherung dar und können somit die Qualität der Therapie-Einstellung erhöhen.

 

DAZ: Es steht demnach außer Frage, dass eine oszillometrische Selbstmessung nicht für jeden geeignet ist. Welchen Patienten raten Sie dringend ab?

Sanner: Die oszillometrische Selbstmessung ist natürlich für diejenigen nicht geeignet, die mit dem Handling der Geräte nicht zurechtkommen. Außerdem nicht für diejenigen, bei denen die auskultatorische Messung beim Arzt und die gleichzeitige Messung mit einem oszillometrischen Gerät zu uneinheitlichen Ergebnissen geführt haben. Dies kann der Fall sein bei Patienten mit Herz-Rhythmusstörungen, also z.B. Arrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern, aber auch bei Patienten mit einem Morbus Parkinson, bei denen der Ruhetremor Oszillationen induziert, die fälschlicherweise als Blutdruckschwingungen gewertet werden. Diese Patienten mit Bluthochdruck-Erkrankung sollten dann engmaschig durch ihre Hausärzte überwacht werden.

DAZ: Ein unverzichtbarer Pfeiler für die Hochdruckdiagnostik ist die ambulante 24-Stunden-Langzeit-Blutdruckmessung (ABDM). Auch hier findet man Geräte, die sich der oszillometrischen Methode bedienen, und solche, die nach dem auskultatorischen Prinzip messen. Welche Geräte bevorzugen Sie?

Sanner: Die heute zur Verfügung stehenden Langzeit-Blutdruckmessgeräte setzen überwiegend die oszillometrische Messtechnik ein. Auch für die Langzeit-Blutdruckmessung gilt, dass bei Messungen der ersten Werte Vergleichsmessungen mit der auskultatorischen Methode erfolgen sollten. Die auf dem Markt befindlichen Langzeit-Blutdruckmessgeräte müssen zur Erlangung der CE-Kennzeichnung eine klinische Messgenauigkeitsprüfung nachweisen. Die Messgenauigkeit ist deshalb als hoch anzusehen.

DAZ: Was ist in Ihren Augen der Goldstandard für die Blutdruckbeurteilung? Die ambulante 24-Stunden-Langzeitmessung, Einzelmessungen durch den Arzt oder doch eher Mehrfachmessungen durch den Patienten? Wie gravierend ist das Problem der Weißkittelhypertonie?

Sanner: Definiert ist die arterielle Hypertonie bei Nachweis von Blutdruckwerten in der Gelegenheitsmessung (Arztmessung) zu mindestens zwei verschiedenen Zeitpunkten mit einem Wert von systolisch mindestens 140 mmHg oder diastolisch mindestens 90 mmHg. Nicht zu unterschätzen ist jedoch die sogenannte Praxishypertonie („Weißkittelhypertonie“). Man kann davon ausgehen, dass ein Drittel der als Hypertoniker klassifizierten Menschen und sogar die Hälfte derjenigen, bei denen man eine arterielle Hypertonie im Schweregrad 1 diagnostiziert hat, „nur“ eine Weißkittelhypertonie haben. Dies birgt die Gefahr der Übertherapie. Gerade diese Patienten können besonders gut mit der ambulanten Langzeit-Blutdruckmessung erfasst werden. Daher ist aus meiner Sicht bei jeder Erstbeurteilung des Schweregrades einer arteriellen Hypertonie eine Langzeit-Blutdruckmessung zu empfehlen. Weitere Indikationen für die Langzeit-Blutdruckmessung sind der Tabelle zu entnehmen.

DAZ: Wann sollte ein Patient, der seinen Blutdruck selbst kontrolliert, seinen Arzt aufsuchen? Schon bei einmaligem Überschreiten eines Grenzwertes?

Sanner: Das einmalige Überschreiten eines Grenzwertes ist nicht als tragisch einzustufen. Kommt es aber wiederholt zur Dokumentation hypertensiver Blutdruckwerte (bei der Blutdruckselbstmessung gilt als pathologisch ein Wert von ≥ 135 mmHg systolisch oder ≥ 85 mmHg diastolisch), ist mit dem behandelnden Arzt Rücksprache zu halten.

„Kritiklose Werbung für das Prüfsiegel der Deutschen Hochdruckliga“

Leserbrief zu Borsch J: Von Riva-Rocci und Korotkoff: Wissenswertes zum Blutdruckmessen. DAZ 2014, Nr. 19, S. 46 ff.

Ein Verständnis der methodischen Unterschiede verschiedener Arten der Blutdruckmessung, wie es der Artikel von Frau Borsch vermittelt, ist für die Beratung in der Apotheke von großer Bedeutung. Mit Bedauern mussten wir jedoch feststellen, dass in dem obigen Artikel erneut kritiklos für das Prüfsiegel der Hochdruckliga geworben wird als scheinbare Garantie für unbedingt verlässliche OZ-Messgeräte.

Da wir uns schon länger mit dieser Thematik beschäftigen, halten wir dies für unangemessen und im Einzelfall sogar für gefährlich - zumindest bei der Diagnose der Hypertonie. Denn es sind außer Arrhythmie-Patienten noch weitere Patientengruppen bekannt (u.a. Menschen mit erhöhter Arteriensteifigkeit, Diabetes, Tremor ...), für die oszillometrische Messungen (OZ-Messungen) unter Umständen ungeeignet sein können [1, 2]. Die Europäische Leitlinie zur Behandlung der arteriellen Hypertonie betont daher ausdrücklich, dass die Ergebnisse von OZ-Messungen nicht als Ersatz für eine konventionelle (= auskultatorische) Messung angesehen werden sollen [3]! Die beiden Methoden verwenden einfach unterschiedliche Parameter! Die Ergebnisse der getrennt erfassten Systole und Diastole bei der auskultatorischen Messung stimmen zwar häufig mit den Werten überein, die aus der maximalen Gefäßschwingung bei der OZ-Methode abgeleitet (!) werden, dies kann für den einzelnen (!) Patienten aber durchaus erhebliche Differenzen ergeben!

Wer sich die Mühe macht, das Prüfprotokoll für den Erhalt des Prüfsiegels der Hochdruckliga genau anzuschauen [4], kann darin nachlesen:

  • dass im Schnitt (!) 5 mmHg Abweichung von der auskultatorischen Messung erlaubt sind, wobei die Abweichungen bei einzelnen Patienten erheblich größer sein können, ohne dass die Prüfung als „nicht bestanden“ gewertet wird,
  • dass unter bestimmten Voraussetzungen (bei schwankenden Werten) sogar das Streichen von Ausreißer-Werten erlaubt ist,
  • dass die Prüfung an 96 Probanden stattfindet, von denen nur acht eine eindeutige Hypertonie mit Werten über 161/101 mmHg aufweisen müssen.

Wer sich also bei Hypertonie-Patienten auf eine OZ-Messung verlassen will, für den ist das Prüfsiegel im Einzelfall bzw. Zweifelsfall leider zunächst wertlos. Dringend zu empfehlen wäre hingegen eine (besser: mehrere!) auskultatorische Vergleichsmessung durch einen geübten Untersucher. Erst wenn die individuelle Anwendbarkeit der „Mehrheits-Algorithmen“ eines OZ-Geräts bei dem betreffenden Patienten bestätigt ist, sollte man diesen Werten vertrauen.

In der Apothekenpraxis erklären diese ganz unterschiedlichen Messmethoden natürlich u.a. auch, warum Patienten sich häufig in der Apotheke beklagen, dass die von ihnen gekauften Blutdruckmessgeräte (auch mit dem Hochdruckliga-Siegel) zum Teil deutlich andere Werte zeigen als die (auskultatorische) Messung beim Arzt.

Die Problematik der vorgetäuschten Sicherheit des Prüfsiegels der Hochdruckliga ist zwar nicht neu [5], solange jedoch immer wieder kritiklos selbst in Fachkreisen indirekt Werbung dafür gemacht wird, wird die Unwissenheit über dessen Limitationen auch unter Ärzten und Apothekern weiter betoniert. Wir fordern dringend dazu auf, insbesondere Risikopatienten zunächst zu auskultatorischen Vergleichsmessungen zu raten, statt auf das Prüfsiegel der Hochdruckliga zu verweisen.

Dres. Klaus und Christian Fehske, Rathaus Apotheke, Internationale Apotheke, Hagen

 

Quelle

[1] Richtig Blutdruck messen. Fehske, Fehske et al. DAZ (2005) 145(18): 2149-2155.

[2] Fehske CJ et al. Gut hinschauen bei Patientenselbstmessung! Der Hausarzt (2007) 4/07: 2-4.

[3] Klinische Prüfung von Blutdruckmessgeräten zur Erlangung eines Prüfsiegels der Deutschen Liga Hochdruckliga e.V. DHL® - Deutschen Gesellschaft für Hypertonie und Prävention.

[4] ESH-ESC guidelines for the management of arterial hypertension. J Hyperten (2003) 21: 1011–1053.

[5] Fehske. Nicht in falscher Sicherheit wiegen! (Leserbrief). Med Mo Pharm (2013) 36: 428.

DAZ: Kritik wird an den Vergabekriterien für das Prüfsiegel der Hochdruckliga geübt. Unter anderem daran, dass eine durchschnittliche Abweichung von 5 mmHg zur auskultatorischen Messung erlaubt ist und Ausreißerwerte gestrichen werden können. Auch die Prüfung an nur 96 Probanden wird kritisiert, ebenso, dass sich darunter nur 8 mit einer eindeutigen Hypertonie befinden müssen. Täuscht das Siegel eine falsche Sicherheit vor? Wo sind die Limitationen?

Sanner: Das Prüfsiegel der Deutschen Hochdruckliga täuscht keine falsche Sicherheit vor, im Gegenteil, es ist zum Teil sehr viel genauer als andere international validierte Protokolle zur Überprüfung der Messgenauigkeit von Blutdruckmessgeräten. So prüft das Protokoll der Europäischen Hypertoniegesellschaft nur 33 Probanden, für das Prüfsiegel der Deutschen Hochdruckliga werden 96 Probanden untersucht, 50% hiervon haben eine arterielle Hypertonie. Naturgemäß ist die Zahl der Probanden mit einer Grad-2- oder Grad-3-Hypertonie geringer. Die auf dem Markt befindlichen Geräte dienen ja primär nicht der Kontrolle extrem erhöhter Blutdruckwerte, sondern müssen insbesondere im Bereich des Grenzwertes genau messen können. Der Wert der durchschnittlichen Abweichung von 5 mmHg zur auskultatorischen Messung ist realistisch, da dies den regulären Blutdruckschwankungen in kurzen Zeiteinheiten entspricht. Daher findet sich dieses Kriterium auch in anderen internationalen Validierungsprotokollen. Das Prüfsiegel beurteilt die am Markt befindlichen Geräte sehr gut und zeigt deren Qualität an.

DAZ: Richtig Blutdruck messen bzw. aussagekräftige Messergebnisse zu erlangen, ist nicht trivial. Wie wird in klinischen Studien vorgegangen? Lassen sich Ergebnisse basierend auf 24-Stunden-Messungen mit denen aus Einzelmessungen überhaupt vergleichen? Wenn nein, welches Vorgehen ist anzustreben?

Sanner: Natürlich sind Studien, die sich nur auf einzelne Blutdruckmessungen verlassen und damit die Gefahr der Praxishypertonie beinhalten, weniger aussagekräftig als Studien, deren Ergebnisse auf Langzeit-Blutdruckmessergebnissen basieren. Aus Genauigkeitsgründen ist es daher anzustreben, dass in klinischen Studien, in denen der Blutdruck eine relevante Bedeutung hat, validierte und geprüfte Langzeit-Blutdruckmessgeräte zum Einsatz kommen.

DAZ: Herr Professor Sanner, wir danken Ihnen für das Gespräch! 

 

Interview Dr. Doris Uhl, Stuttgart

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