Europawahl

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Europawahl 2014: Gesundheitspolitische Positionen im Überblick

BERLIN (daz) | Am 25. Mai ist es so weit: Die Wahl des Europäischen Parlamentes steht an. Auch mehrere kleine Parteien könnten erstmals den Einzug ins Europäische Parlament schaffen, nachdem die im deutschen Wahlgesetz verankerte Drei-Prozent-Sperrklausel durch das Bundesverfassungsgericht aufgehoben wurde. Zur Wahl haben sich außerdem neu gegründete Parteien wie die AfD gestellt. Die DAZ hat die Wahlprogramme der bekanntesten Parteien nach Gesundheitsthemen „durchforstet“ und die Parteien darüber hinaus zu apothekenspezifischen Aspekten befragt.

Grundsätzlich sind die einzelnen Mitgliedstaaten für die Gesundheitssysteme sowie die medizinische Versorgung zuständig. Gleichwohl wird die Politik in diesem Bereich auf europäischer Ebene ergänzt und beeinflusst die nationale Gesundheitspolitik – und damit die Rahmenbedingungen für Apotheken – durchaus: So bestätigte etwa der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2009 das Fremdbesitzverbot (siehe DAZ 2009, Nr. 21, S. 17). Das Europäische Parlament überarbeitet derzeit den Rechtsrahmen für Medizinprodukte und zog damit Konsequenzen aus den Skandalen um schadhafte Brustimplantate (siehe DAZ 2012, Nr. 40, S. 26). Des Weiteren wurden auf europäischer Ebene einheitliche Regeln für klinische Studien in der EU verabschiedet, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu erleichtern (siehe DAZ 2014, Nr. 16, S. 16).

8. Europawahl

  • EU-Parlament wird gewählt für fünf Jahre
  • 64,4 Mio. Wahlberechtigte in Deutschland
  • 25 Parteien stehen zur Wahl (CDU und CSU einzeln gezählt)
  • 751 Sitze insgesamt – 96 für Deutschland

Parteipositionen in der Europawahl

In den meisten Wahlprogrammen der bekannten deutschen Parteien finden sich Positionen zur jeweiligen gesundheitspolitischen Ausrichtung auf EU-Ebene. Es gibt jedoch einige aktuelle Themen, die die Apotheker derzeit umtreiben. Besonders die in Griechenland von der Troika eingeforderten Sparmaßnahmen im Gesundheitsbereich und der daraus erwachsene Umbruch im Apothekenmarkt, gibt Anlass zur Sorge: Unter anderem sind dort nun Apothekenketten zugelassen – und nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel soll es auch im Supermarkt geben. Es stellt sich die Frage, ob dieses „griechische Modell“ Auswirkungen auf weitere EU-Länder haben könnte und der Trend wieder zu mehr Liberalisierung geht. In diesem Zuge stehen zudem auch die reglementierten – freien – Berufe auf dem Prüfstand. Weil diese Themen in den Wahlprogrammen unerwähnt bleiben, hat die DAZ näher nachgefragt.

Fraktionen im Europäischen Parlament

Die Abgeordneten der Parteien schließen sich je nach politischer Ausrichtung zu Fraktionen im Europäischen Parlament zusammen.

Derzeit befinden sich folgende Fraktionen im Europäischen Parlament:

  • EVP: Europäische Volkspartei (CDU/CSU)
  • S&D: Progressive Allianz der Sozialdemokraten (SPD)
  • ALDE: Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (FDP)
  • Grüne/EFA: Grüne/Europäische Freie Allianz (Bündnis 90/Die Grünen)
  • GUE/NGL: Vereinigte Europäische Linke/Nordische Grüne Linke (Die Linke)
  • ECR: Europäische Konservative und Reformisten
  • EFD: Europa der Freiheit und der Demokratie

Zudem gibt es einige fraktionslose Parlamentsmitglieder.

CDU/CSU: Liberalisierung nur mit Bedacht

Die CDU – im europäischen Parlament der EVP-Fraktion zugehörig – will sich laut ihrem Wahlprogramm für eine endgültige Verabschiedung einer neuen Verordnung zu Medizinprodukten einsetzen. „Die Skandale im Bereich von Brustimplantaten und Hüftimplantaten müssen unbedingt Folgen haben“, bekräftigt Dr. Peter Liese (CDU), gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion. Ein weiteres zentrales Thema für die CDU sind die steigenden Antibiotikaresistenzen, deren Ursachen in europäischer Zusammenarbeit bekämpft werden müssen. Zugleich sollte eine wirksame Kontrolle des Antibiotikaeinsatzes in der Tiermedizin erfolgen. Bestehende und bewährte Regelungen müssen nach Meinung der CDU dahingehend überprüft werden, ob sie den aktuellen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen. Im Wahlprogramm wird zudem darauf verwiesen, dass in der grenzübergreifenden Zusammenarbeit – wie der medizinischen Forschung – noch große Reserven stecken. Die Schwesterpartei CSU macht in ihrem Wahlprogramm deutlich, dass es im Bereich des Gesundheitsschutzes keine Absenkung der „bewährten und hohen“ Standards durch das Freihandelsabkommen geben darf. Darüber hinaus setzt die Partei sich dafür ein, dass der Patientenschutz weiter verbessert wird – „ohne allerdings unnötige Bürokratie aufzubauen“, betont Dr. Angelika Niebler. „Wir wollen leistungsfähige Gesundheitssysteme in den Mitgliedstaaten, bei denen der Patient im Mittelpunkt steht.“

Die Aktivitäten der Troika in Griechenland im Gesundheitsbereich hält Liese für „übertrieben“. Zwar seien bestimmte Maßnahmen sicherlich notwendig – etwa die geforderte Erhöhung des bislang nur sehr geringen Generikaanteils im Pharmamarkt. „Ein Eingriff in die Besitzstrukturen von Apotheken ist aber sicherlich nicht der Schlüssel zur Lösung der Krise“, macht der Christdemokrat deutlich. In Bezug auf die freien Berufe, sollte die Kommission sich nicht in die Tradition der Mitgliedstaaten einmischen, findet er – „nicht in Griechenland und auch nicht in Deutschland“. Niebler hält das deutsche System ebenfalls für „ein ausgesprochen gutes“. Sie will keine Apothekenketten nach amerikanischem Vorbild und verweist auf das DocMorris-Urteil des EuGH zum deutschen Fremdbesitzverbot. Dennoch ist sich die CSU-Politikerin sicher, dass die EU-Kommission insbesondere aufgrund der OECD-Empfehlung für Griechenland sowie der Entwicklung in anderen EU-Ländern einen erneuten Vorstoß unternehmen wird, die Liberalisierung im Apothekenmarkt voranzutreiben.

SPD: Veränderungen in Griechenland keine Gefahr für deutsches Gesundheitssystem

Nationale, regionale und lokale Besonderheiten der öffentlichen Daseinsvorsorge, zu denen auch Dienstleistungen im Gesundheitsbereich gehören, müssen nach Ansicht der SPD erhalten und geschützt werden. „Auch auf europäischer Ebene muss sichergestellt werden, dass Kommunen selber entscheiden können, wie sie ihre öffentlichen Aufgaben erbringen“, heißt es dazu im Wahlprogramm. Alle Menschen sollen den gleichen Zugang zu Gütern und Leistungen der Daseinsvorsorge haben. Deshalb werde sich die SPD den Vorhaben, die einen Zwang zur Privatisierung beinhalten, „entschlossen entgegenstellen“.

„Wir wollen hohe Standards in der Gesundheitspolitik und ein transparentes System, in dem die Bürgerinnen und Bürger so gut wie möglich informiert und versorgt sind“, bestätigt Dagmar Roth-Behrendt (SPD), die in der S&D-Fraktion bislang gesundheitspolitische Sprecherin im Europaparlament war. Anders als bei Arzneimitteln seien die Standards in der Versorgungssicherheit in den Mitgliedstaaten noch sehr unterschiedlich, meint sie. „Hier müssten einige Mitgliedstaaten mehr in die Versorgung investieren.“ Weitere Ziele für die nächste Wahlperiode sind bei der SPD die endgültige Verabschiedung der schon lange diskutierten Regelungen zur Patienteninformation sowie jene zu Medizinprodukten. Im Bereich der Arzneimittelsicherheit müsse zudem sichergestellt werden, dass die bestehende Gesetzgebung zur Anwendung komme und Risiken durch auf den Markt kommende gefälschte Arzneimittel möglichst ausgeschaltet werden.

Angesichts der Veränderungen in Griechenland, verweist Roth-Behrendt auf die verschiedenen Traditionen im Bereich der Apotheken innerhalb der EU: „Ich bin mit meiner deutschen Kulturidentität groß geworden und immer eine Befürworterin unseres Apothekenwesens gewesen.“ Andere Mitgliedstaaten hätten aber eine andere Kultur und Organisation – Griechenland ist ihrer Meinung nach allerdings ein „besonderer Fall“: Dort habe es bislang die höchste Apothekendichte in der EU gegeben, erklärt sie. Den Apotheken sei zudem der Verkauf von Arzneien oder Nahrungsergänzungsmitteln vorbehalten, die selbst in Deutschland freiverkäuflich sind — etwa Säuglingsnahrung. „Das ist sicher zu weitgehend“, findet die Sozialdemokratin. Dass dies nun anders werden soll, müsse die deutschen Apotheken nicht beunruhigen. Was Apothekenketten im Fremdbesitz betreffe, sehe sie ebenfalls keine Gefahr für das deutsche System. In Bezug auf die derzeit auf EU-Ebene diskutierte Angleichung der Regelungen zu freien Berufen, stellt Roth-Behrendt klar: „Ich sehe hier keinen weiteren Handlungsbedarf für die EU – außer dass wir ihren Bestand gewährleisten und ihnen einen gewissen Grundschutz geben, der aber natürlich die Niederlassungsfreiheit als Grundwert des Binnenmarktes nicht beeinträchtigen darf.“ Fest stehe jedenfalls, dass die freien Berufe „eine Stütze unseres Gesellschaftssystems“ seien.

„Wen würden Sie wählen?“: Bei unserer Umfrage auf DAZ.online stimmten bis zum Redaktionsschluss dieser DAZ 462 Teilnehmer ab.

Grüne für ein gemeinsames Verständnis der freien Berufe

Die Grünen setzen sich auf EU-Ebene insbesondere für Prävention ein – durch eine stärkere Verbindung von Gesundheitsschutz und Umweltschutz. Um den Zusatznutzen von Medikamenten zu Referenztherapien besser zu untersuchen, fordert die Partei unabhängige und vergleichende Bewertungen. Außerdem fordern sie strengere Regelungen gegen die Einflussnahme der Pharmafirmen im Gesundheitswesen ein. Nicht zuletzt müssten Arzneimittel- und Medizinproduktstudien den „anerkannten Schutzstandards der Forschung am Menschen genügen, geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigen und einer Veröffentlichungspflicht unterliegen“. Zudem soll der weltweite Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten verbessert werden. In ihrem Wahlprogramm macht die Partei zudem deutlich, dass sie sich für eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit einsetzt, um dem „ausufernden Einsatz von Antibiotika bei Mensch und Tier“ entgegenzuwirken.

Eine mit Griechenland vergleichbare Entwicklung sieht Rebecca Harms, Grünen-Spitzenkandidatin zur Europawahl, für deutsche Apotheken nicht. „Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum Fremd- und Mehrbesitzverbot haben die EU-Mitgliedstaaten ausreichend Gestaltungsspielräume erhalten, um ihre jeweils eigene nationale Regelung zu finden.“ Zudem habe sich das deutsche System der freien Heilberufe bewährt. Gleichwohl unterstützen die Grünen den Ansatz, in Europa ein gemeinsames Verständnis der freien Berufe zu entwickeln, denn dies könne dabei helfen, vergleichbare Anforderungen für die Ausbildung zu schaffen, erklärt Harms, die auch Fraktionsvorsitzende der Grüne/EFA-Fraktion im Europäischen Parlament ist. „Dabei muss sichergestellt werden, dass die Qualität der Ausbildung erhalten bleibt und weiterentwickelt wird.“

Linke: Verheerende Auswirkungen durch Sparpolitik

Die Linke erklärt in ihrem Wahlprogramm zur Europawahl, dass die Rolle der europäischen Arzneimittelbehörde gestärkt werden sollte. Zu einem Register für alle Arzneimittelstudien soll ein „uneingeschränkter Zugang“ bestehen. Außerdem sollen Technologien im Gesundheitsbereich für ärmere Länder freigegeben werden. Die Partei will sich in Europa für ein für alle zugängliches und erschwingliches Gesundheitssystem und gegen Privatisierungen im Gesundheitsbereich stark machen. „Wir wollen die öffentliche Daseinsvorsorge stärken und vor weiteren Privatisierungen schützen“, heißt es im Programm. Bei Schwangerschaft und Krankheit müsse ambulante und stationäre medizinische Versorgung, Vor- und Nachsorge allen in der EU lebenden Menschen zugänglich sein. Auch eine Krankenversicherungspflicht sei unverzichtbar. In Sachen Prävention schlägt die Linke vor, EU-weite Förderprogramme – etwa zur gesundheitlichen Aufklärung – aufzulegen.

Thomas Händel von der GUE/NGL-Fraktion, im EU-Parlament unter anderem Mitglied des Verbraucherschutz-Ausschusses, befürchtet allerdings, dass das „griechische Modell“ in Europa Schule machen soll – „ganz im Sinne neoliberaler Doktrin von sich selbst regulierenden Märkten“. Jedoch sollten seiner Meinung nach die Traditionen in den Mitgliedstaaten respektiert werden und – wenn überhaupt – auf höchstem Niveau harmonisiert werden. Eine Angleichung der freien Berufe auf europäischer Ebene stünde Händel zufolge nicht im Gegensatz zu den Standards der deutschen Heilberufe. Angleichungen seien immer dann wünschenswert, wenn „sie nicht zu schlechteren Standards und Ergebnissen führen“.

FDP: Erfolg der freien Berufe spricht für deutsches Modell

Das Thema Gesundheit taucht im FDP-Wahlprogramm für die Europawahl nur im Zusammenhang mit Freihandelsabkommen auf: In der Entwicklungszusammenarbeit könne sich die FDP auch ein solches mit den am wenigsten entwickelten Ländern Afrikas vorstellen, heißt es dort. Diese sollten nach Meinung der Partei bei besonderen Produktkennzeichnungen auch die strengen Umwelt- und sonstigen Einfuhrvorschriften unterschreiten dürfen – aber nur, „soweit dem nicht Gründe wie der Gesundheitsschutz oder das Patentrecht entgegenstehen“.

Darüber hinaus setzt sich die FDP auf europäischer Ebene dafür ein, dass weiterhin alle Bürger „unabhängig vom Geldbeutel Zugang zu einer bedarfsgerechten, wohnortnahen und qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung haben“, erklärt Axel Heyer, Presseattaché der ALDE- Fraktion im Europäischen Parlament. In der neuen Legislaturperiode strebe die FDP an, Leistungen weiter zu verbessern, die Versorgungsqualität zu erhöhen und stabile Versicherungsbeiträge zu erhalten. Zudem setze sich die Partei „für eine freie, humane und tolerante Herangehensweise an die medizinische Forschung“ ein, bei der Entscheidungen auf einer „wissenschaftlichen Grundlage basieren und die Patientensicherheit sowie die Transparenz gewährleistet werden“.

Das „griechische Modell“ kann nach Meinung Heyers „sicher nicht auf die EU als Ganzes übertragen werden“ – und sollte es auch nicht. Die FDP unterstütze keine Tendenzen in Europa, die das in Deutschland gewachsene Modell ohne Fremdbesitz infrage stellten. Bezüglich der freien Berufe ist sich Heyer sicher, dass „der Erfolg der deutschen Wirtschaft und der deutschen freien Berufe“ gerade für das hiesige Modell spreche. Daher sollten die freien Berufe dem von der Europäischen Kommission eingeleiteten Evaluierungsprozess gelassen entgegensehen.

AfD will deutsches Gesundheitsniveau erhalten

Die AfD (Alternative für Deutschland) erklärt in ihrem Europawahl-Programm, dass die Harmonisierungsbestrebungen der EU im Bereich des Gesundheitswesens weitgehend abzuweisen sind, da sie „zwangsläufig zu einem Absinken des Gesundheitsniveaus in Deutschland auf ein niedrigeres gemeinsames Niveau führen müssen“. Sie sollten auf sinnvolle Maßnahmen bei grenzüberschreitenden Gesundheitsgefahren beschränkt werden, etwa bei der Ausbreitung multiresistenter Erreger oder der europaweiten Arzneimittelzulassung. Die Effektivität und Attraktivität der Gesundheitsberufe sei eigenverantwortlich in jedem Land anzuheben. Zudem muss aus Sicht der AfD ein einheitliches EU-Preisreferenzsystem eingeführt werden, um durch erhöhte Transparenz der Preise Preissenkungen für Arzneimittel erwirken zu können.

Darüber hinaus erläutert Verena Brüdigam, Apothekerin und Beisitzerin im Bundesvorstand der Partei, wie die AfD den Umbruch im griechischen Apothekenmarkt bewertet. „Wir stehen zum Fremdbesitzverbot“, erklärt sie. Der Umbruch sei eine von der Troika befohlene, strukturvernichtende Maßnahme. „Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel im Supermarkt führen bedingt durch Werbung und fehlende Beratung zu einem Mehrverbrauch und falscher Anwendung. Dieses Vorgehen kommt die Solidargemeinschaft letztendlich teurer zu stehen.“ Die freien Berufe, die auf europäischer Ebene ebenfalls auf dem Prüfstand stehen, „entlasten den Staat von vielen Aufgaben“, so Brüdigam – sie stünden für Qualität durch Eigenverantwortung und seien eines der bewährten Systeme für die deutsche Wirtschaft. „Wir stehen zu den freien Berufen.“ 

Ausführlicheres zu den einzelnen Parteien finden Sie außerdem auf DAZ.online unter www.deutsche-apotheker-zeitung.de in der Rubrik „Europawahl“.

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