Leitbild

Ein Leitbild für die ABDA!

Apotheken-Bürokratie begrenzen und den Markenkern stärken – Ein Meinungsbeitrag von Wolfgang Müller

Seit geraumer Zeit wird von der ABDA das Projekt „Leitbild zur Weiterentwicklung der öffentlichen Apotheke“ betrieben. Hierzu hat die ABDA von Anfang an klare eigene Wünsche erkennen lassen, auch wenn immer von einem „offenen Prozess“ mit einem „offenen Ergebnis“ die Rede ist. Praktisch alle Veröffentlichungen der ABDA und ihres näheren Umfeldes sprechen eine andere Sprache: Der Grund für den Leitbild-Prozess ist ganz offensichtlich das Ziel der ABDA, unbedingt eine sehr starke Ausrichtung der öffentlichen Apotheken auf die „Qualitätssicherung“ und Patientenbetreuung im Nachgang der ärztlichen Verordnung von verschreibungspflichtigen (Rx-)Arzneimitteln festzulegen. Als Stichworte seien hierzu das „intermediäre“ bzw. sogar das „klinische“ Medikationsmanagement genannt. Es besteht die Gefahr, dass diese zwar interessante, aber nur vermeintlich höherwertige Ergänzung unserer Berufstätigkeit (letztlich bleibt es eine vor allem EDV-gestützte Folgetätigkeit der ärztlichen Verordnung) bezüglich der allgemeinen Wertschätzung, der politischen Förderung und der Honorierung zu sehr in den Vordergrund gestellt wird. Zulasten der bisherigen, selbstständigeren Arbeit in der Apotheke, die man im Vergleich dazu bisweilen völlig zu Unrecht schon als „eher Logistik“ herabqualifiziert.

Überweisungsschein statt Einschreibe-System

Die Vermutung liegt daher leider auch nahe, dass der Leitbildprozess im Wesentlichen eine flankierende Maßnahme ist, um zu dem oben genannten Zweck unter dem Dach der gesetzlichen Krankenkassen ein Einschreibepatienten-System (Modell „ARMIN“) recht kurzfristig unumkehrbar zu institutionalisieren, keineswegs erst 2030. Vergleichbar dem Barmer-Hausapothekenmodell (über dessen Ableben eigentlich jeder froh war), aber mit verstärkter kontinuierlicher Abstimmungspflicht des Hausarztes mit allen Hausapotheken seiner Patienten zur mehr oder weniger unerwünschten Einflussnahme auf seine Arzneitherapie.

Der sehr viel bessere, einzige für das Medikationsmanagement im besten Konsens mit den Ärzten und ohne größere bürokratische und betriebswirtschaftlich-strategische Verwerfungen durchführbare Ansatz wurde in der Leitbilddiskussion zugunsten ARMIN bisher praktisch ignoriert: Die kollegiale Beauftragung der Apotheke von einem Arzt durch Überweisungsschein, wie für eine fachärztliche Praxis, bei freier Apothekenwahl durch den Patienten (Vorschlag von Thomas Müller-Bohn, DAZ 2013, Nr. 10, S. 24). Aus Angst, dass die Ärzte ohne GKV-gestützten System-Zwang die Apotheken nicht beauftragen würden?

Der Patient im Mittelpunkt? Wer denn sonst?

Verheißen wird in diesem Zusammenhang trotzdem das Erreichen der kollegialen „Augenhöhe mit den Ärzten“, und damit eine ganz besonders interessante und lukrative Neuausrichtung der Tätigkeit in den öffentlichen Apotheken. Die bisherige Berufspraxis wird im Gegensatz dazu wenig selbstbewusst als eher insuffizient, unmodern und den allgemeinen gesellschaftlichen und internationalen pharmazeutischen Entwicklungen hinterherhinkend dargestellt. Seltsam: Ähnlich argumentieren Fremdbesitz-Befürworter.

Der inzwischen vorliegende Leitbild-Entwurf bestätigt auf erschreckende Weise diese ABDA-Strategie: Den Rahmen bilden allerlei pathetische, suggestive Berater-sprachliche Einleitungsworte (Motto etwa: „Enormer gesellschaftlicher Wandel erfordert noch enormere Anstrengungen und Neuausrichtungen“) und allerlei Selbstverständlichkeiten. Vor Allem, mit geringstem Neuigkeitswert: „Das Patientenwohl steht im Mittelpunkt“! Was denn sonst? Welche schrulligen Kolleginnen und Kollegen sollen das denn gewesen sein, für die bisher „das Arzneimittel“ wichtiger war als „der Kunde“ bzw. „Patient“? Oder soll das etwa – nunmehr amtlich – heißen, es war bisher „das Geld“? Des Weiteren schulmeisterliche Verpflichtungen bzw. Vorschriften. Davon einzig wirklich neu: „Nachweisliche“ Fortbildung; etwa nach Kammer-Punkten, weil die träge Basis inzwischen gar keine Eigenverantwortung mehr verdient?

Als zentrale zukünftige Aufgabe wird aber – als einzig weiterer wirklich neuer Punkt im Leitbild – das Medikationsmanagement in den Kapiteln „Heilberufliches Netzwerk“ bis „Medikationsmanagement“ umfassend herausgearbeitet. Merkwürdig: Ärzte als die Haupt-Kunden bzw. -Kooperationspartner in diesem Bereich werden nicht ein einziges Mal erwähnt, stattdessen die „Kooperation“ mit den gesetzlichen Krankenkassen und die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen herausgestellt. Etwa als listige Maßnahmen zur Einbindung wenig begeisterter Hausärzte?

Im Leitbild-Entwurf eher schamhaft versteckt: „Herkömmliche“ Apotheken-Geschäftsbereiche wie das auch in Zukunft selbstständigste Apotheken-Kerngeschäft „Selbstmedikation“ und mögliche Erweiterungen im Nicht-Arzneimittel-Bereich, nicht ohne den miesepetrigen Hinweis zu vergessen, dass durch sie nicht der vermeintlich höherstehende, eigentliche heilberufliche (Rx-?)Auftrag „gefährdet“ werden darf! Erstaunlich, wie viele Kolleginnen und Kollegen meinen, dies sei eine Basis, auf der man „aufbauen“ könne. Eher ist es die Fortführung des Abbaus der Grundlagen eines noch relativ freien Berufs.

Freie Entfaltung jeder Apotheke ermöglichen ...

Die ABDA-Propaganda zugunsten dieser Neuausrichtung in allen zur Verfügung stehenden Medien ist überwältigend, bis hin zur Bezugnahme auf die wirklich verführerisch ausgearbeiteten und daher nur schwer zu entzaubernden entsprechenden Medikationsmanagement-Positionspapiere anderer Länder (z.B. Kanada und Niederlande). Es wurden redaktionell bisher kaum Gegenpositionen veröffentlicht, so dass der Eindruck entstehen könnte, eine intensive Beschäftigung mit dem Thema könne zwangsläufig nur zu einem uneingeschränkt positiven Ergebnis führen. Es gibt aber gute Gründe, die strategische Fokussierung der ABDA auf ein solches vermeintlich neues und besonders bereicherndes Thema zur „Weiterentwicklung der öffentlichen Apotheke“ als eher bedenklich anzusehen. So unbedingt vernünftig und erstrebenswert eine bessere Kompetenz und wohl abgewogene Einbindung der Apotheken in die Rx-Arzneitherapie auch sein könnte. Nur nicht mit fast schon ideologischem Furor unter andächtiger Bezugnahme auf extrem Controlling-orientierte andere Länder mit Apothekenketten, und frühzeitig festgelegt auf ein starres, besonders bürokratisches System, wie es derzeit bei ARMIN zu erkennen ist.

Es irritiert, in welch Management-mäßiger Weise unsere Standesorganisation quasi als Zentralvorstand Unternehmens-strategisch für die ganze Vielfalt aller öffentlichen Apotheken agiert, als wären das alles der Führung bedürfende Niederlassungen. Insoweit ist die Legitimität eines einheitlichen Leitbildes für alle öffentlichen Apotheken sowieso recht fraglich; im Falle des vorliegenden Entwurfs sogar konkret zu verneinen. Eher wäre ein Leitbild für die unser aller Interessen dienende ABDA zulässig und nötig, um die freie Entfaltungsmöglichkeit jeder einzelnen Apotheke mit ihrem jeweils höchst eigenen Leitbild zu verbessern.

Was nämlich die Wünsche der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen betrifft, sprechen die meisten persönlichen Gespräche, Leserbriefe und dem Autor bekannten Beiträge des ersten Leitbild-Forums eine andere Sprache als die ABDA: Die Kolleginnen und Kollegen wollen als „Leitbild für die Weiterentwicklung der öffentlichen Apotheke“ zuallererst die Sanierung des normalen Apothekenbetriebs, wie sie ihn Tag für Tag zu bewältigen haben, durch Abbau bürokratischer Regulierungen. Aus diesem zur Normalität gewordenen, oft leidvoll klagenden „Apothekenbetrieb zu bewältigen haben“ soll einem offensichtlich mehrheitlichen und eigentlich selbstverständlichen Wunsch folgend zunächst einmal wieder „Gerne, selbstbewusst und motiviert in der Apotheke arbeiten!“ werden.

Auf der Grundlage dieser Sanierung wäre es auch sehr viel besser möglich, mit den dadurch freiwerdenden Ressourcen (Zeit und Geld) in jeder einzelnen, auch kleineren und mittelgroßen Apotheke mit unterschiedlichen Schwerpunkten eine wirkungsmächtige Weiterentwicklung der Arbeit in unseren Kernkompetenzen zu erreichen. Was wäre nicht alles z.B. mit mehr Zeit für die Verbesserung der Kompetenz des Apothekenteams in der Selbstmedikation und der Rx-Anwendungs- und Interaktionsberatung statt für zweifelhafte Verwaltungstätigkeiten möglich!

... statt „Pro-Forma-Abhaken“ zu fördern

Dazu müssten zunächst alle, bedauerlicherweise unter maßgeblicher Mitwirkung der eigenen Standesvertretung aufgebauten, übertriebenen und für einen freien, akademisch hochstehenden, selbst-verantwortlichen Beruf eher unwürdigen standesrechtlichen Regelungen auf den Prüfstand. Hier seien als besonders „ambitionierte“ Beispiele die vermutlich nicht einmal verfassungsgemäße Nachrüst-Pflicht der Barrierefreiheit für Bestandsbetriebe genannt (jede Arztpraxis hat im Gegensatz dazu Bestandsschutz, auch bei Besitzerwechsel) und die neben der sinnvollen, grundsätzlichen Forderung nach einem Apothekenbetriebs-gerechten Qualitätsmanagement (QM) viel zu detaillierte Ausformulierung allgemeiner organisatorischer QM-Aspekte teilweise schon in der ApoBetrO (wie z.B. einer ausdrücklichen Pflicht zur formalisierten Selbstinspektion, unabhängig von der Apothekengröße), vor allem aber im Leitlinienwerk der ABDA bzw. der Kammern zum QM. Jeder möge sein eigenes, für ihn besonders kurioses Gängelungs-Beispiel finden. Vieles davon fördert nur das Apotheken-typische „Pro-Forma-Abhaken“ standardisierter Forderungen, anstatt jeden von uns mit sinnvollen eigenen Prioritäten den Betrieb substanziell verbessern zu lassen.

Als besonders eigenartige, im Zuge der Leitbild-Weiterentwicklung dringend abzuwendende und gänzlich von der allgemeinen nicht-apothekerlichen QM-Lehrmeinung abweichende Über-Ambition wird in diesem Kontext die von Teilen der Standesvertetung als Verschärfung für die nächste ApoBetrO geforderte Pflicht zur QM-Zertifizierung durch einen externen Dienstleister (und sei es eine Kammer) empfunden. Dies vor dem Hintergrund, dass die oft als Maßstab für zusätzliche Regulierungen herangezogene pharmazeutische Industrie die externe Zertifizierung weiterhin grundsätzlich ablehnt (klare Verbandsposition des BPI). In diesem Zusammenhang ist es besonders interessant, dass QM-„Experten“ in der Standesorganisation den Apothekern die Industrie bisweilen fälschlicherweise als Vorbild für die Zertifizierung verkaufen.

In ihrer Konsequenz bzw. Konkretheit dürften die existierenden und beabsichtigten berufsgesetzlichen Regelungen zum allgemeinen Qualitätsmanagement (zzgl. der ABDA- und Kammer-Leitlinien zum QM) im Vergleich mit anderen Branchen insgesamt einmalig sein. Besonders wenn man berücksichtigt, dass normale Apotheken eher Klein- als Großunternehmen sind. Jetzt, da die Leitbild-Entwicklung eine bestmögliche Gelegenheit dafür bietet, sollte daher von der offensichtlich höchst problematischen Ansicht Abschied genommen werden, genau diese QM-Verschärfungen müssten immer weiter vorangetrieben werden, um uns vor dem Fremdbesitz zu schützen. Das Gegenteil ist richtig: Je übertrieben komplizierter das normale Tagesgeschäft wird, desto klarer wird es auch der Politik, dass es nur noch von größeren Organisationseinheiten zu bewältigen ist.

Konsequenterweise müsste ebenso von der Vorstellung Abschied genommen werden, dass auch in anderen Bereichen nur durch immer neue, bürokratisch gleichfalls besonders aufwendige zusätzliche Tätigkeiten, vor allem im nur scheinbar besonders anspruchsvollen Rx-Bereich (Medikationsmanagement) die öffentliche Apotheke im Ansehen so hochgehalten werden kann, dass sie mit ihren derzeitigen Privilegien überleben kann.

Nicht den Markenkern entwerten

Insbesondere darf deshalb nicht mehr durch entsprechende Angst-Propaganda (z.B. „Die Deprofessionalisierung droht!“) das derzeitige, insgesamt doch sehr erfolgreiche Geschäftsmodell von der eigenen Standesvertretung zerredet werden. Auch bei uns sind in Wirklichkeit zu 99 Prozent Image-bildend die seit -zig Jahren bewährten Qualitäten in der Beratung zu allen Gesundheitsthemen von Rx-Begleitung über Selbstmedikation und Ernährungsberatung bis hin zu Kosmetik und sportlicher Fitness. Hierbei ist genau das von Vorteil, wofür sich anscheinend einige Kolleginnen und Kollegen inzwischen zu fein zu sein scheinen: Das dies in einem LADEN geschieht, der die idealen Voraussetzungen für die an all diesen Leistungen interessierten Patienten und KUNDEN bietet! Wer sich hochtrabend nur noch um „polypharmazeutische Patienten“ kümmern möchte und die Vorteile der Kombination Heilberufler/Einzelhandel nicht mehr zu schätzen weiß, hat wohl den falschen Beruf ergriffen und ist in der Standesvertretung für die Breite der pharmazeutischen Freiberufler (und gerade für die kleineren Läden) ein durchaus bedrohliches Problem.

Als Grundlage für ein konsensfähiges Leitbild – falls unbedingt gewünscht – sollte somit der aktuelle Markenkern „Freiberuflich geführtes Einzelhandelsunternehmen zum wohnortnahen, heilberuflich beratenden Handel mit Arzneimitteln und anderen Gesundheits-Gütern und -Dienstleistungen“ dienen, der in der Bevölkerung mit dem „Apotheken-A“ hervorragend assoziiert wird. Aus diesem Markenkern resultiert die große Wertschätzung, die den öffentlichen Apotheken von ihren Kunden entgegengebracht wird.

Kein Unternehmen, dessen Führungskräfte halbwegs auf der Höhe der Zeit sind und loyal die Inhaber-Interessen vertreten, wird einen funktionierenden Markenkern durch ein Leitbild entwerten, dass nicht zu mindestens 90% aus genau diesem aktuellen, erfolgreichen Markenkern besteht und die Erträge hieraus bedingungslos absichert und zu steigern anstrebt. Die restlichen Prozente dürften dann ggf. darauf verwendet werden, weitergehende Ziele zu definieren. In unserem Fall z.B. die verantwortungsvollere, Industrie-unabhängigere Selbstmedikations-Beratung und eine stärkere, aber unnötige Bürokratie vermeidende Einbindung in die ärztliche Arzneimitteltherapie.

Für die Zukunft der Patienten und der Apotheken

Die ABDA-Spitze hat zu Leitbildprozess-Beginn schon einmal das Nike-Leitbild „Crush Adidas!“ als Beispiel für ein prägnantes, knackiges Leitbild genannt. Dem entspricht der vorliegende Leitbild-Entwurf redaktionell nun wirklich nicht mehr, ganz im Gegenteil. Er ist aber durchaus ähnlich fokussiert und kämpferisch für eine ganz bestimmte zukünftige, hochbürokratische und GKV-dominierte Apotheken-Struktur (im „ARMIN-System“) und deren politische und wirtschaftliche Bevorzugung ausgerichtet. Auch wenn dies vor allem mit dem selbstverständlichen, allgemein zustimmungsfähigen „Patientenwohl im Mittelpunkt!“ sehr gut verschleiert ist. Stattdessen sollte ein Leitbild dafür sorgen, dass die ABDA professionell ausgewogen Verantwortung für die Zukunft aller vertretenen Apotheken übernimmt: Nicht nur für unsere Kunden/Gäste/Patienten, sondern auch für die fünfstellige Zahl daran hängender selbstständiger Existenzen und die sechsstellige Zahl daran hängender Arbeitsplätze. 

Autor

Dr. Wolfgang Müller ist nach langjähriger Industrietätigkeit in Produktion, QM, Marketing und Technologie heute Apothekenleiter in Berlin.

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