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Ernährung
Salz oder kein Salz?
Ernährungsmedizinische Aspekte zur Hypertonie
Die hohe Prävalenz der Hypertonie in westlichen Gesellschaften ist ein gravierender Risikofaktor für koronare Herzkrankheit, Herzinfarkt und Schlaganfall. Die aktuellen Hypertonie-Leitlinien sind inzwischen von den früher für allgemeingültig erklärten Normwerten abgerückt und beziehen die Hypertonie-Definition auch auf das individuelle kardiovaskuläre Risiko des jeweiligen Patienten [1]: Demnach ist ein Hypertonus diejenige Blutdruckhöhe, ab der Diagnostik und Therapie für den Betroffenen von Vorteil sind [2]. Patienten erinnern sich nach Diagnosestellung häufig an die – neben der Blutdruckmedikation – vermeintlich wirksamste Möglichkeit, den zu hohen Blutdruck mit salzarmem oder gar „salzlosem“ Essen senken zu können. Dies ist nicht verwunderlich, sprechen doch alle nationalen und internationalen Empfehlungen zum Thema effektiver Blutdrucksenkung gebetsmühlenartig von der sogenannten „Lifestyle-Modifikation“, gerade auch im Hinblick auf die Kochsalz-Restriktion [1–3].
Das Konzept eines kausalen Zusammenhangs zwischen der täglich verzehrten Menge an Natriumchlorid und dem Blutdruck geht auf tierexperimentelle Daten in den 50er Jahren zurück [4]. Dass dieser Zusammenhang grundsätzlich besteht, ist weithin unstrittig [5–7]; allerdings wird nach wie vor kontrovers darüber diskutiert, wie quantitativ bedeutsam der Kochsalz-Effekt ist [8]. Zwar ist bereits lange bekannt, dass die Höhe des Blutdrucks zunimmt, je mehr Kochsalz verzehrt wird [5]; in früheren Jahrzehnten diente Kochsalz jedoch überwiegend als Konservierungsmittel, während es heutzutage von der Lebensmittelindustrie im Zuge des Convenience-Food-Trends fast ausschließlich als Würzmittel und Geschmacksträger genutzt wird. Der zunehmend hohe Konsum von industriell hergestellten Lebensmitteln führt heute zu einer mittleren täglichen Kochsalz-Zufuhr von bis zu 10 g Kochsalz pro Person [5, 9]. Im Gegensatz zu dieser aktuellen Realität empfiehlt die WHO eine Reduktion der täglichen Kochsalzzufuhr auf <5 g/Tag als eines der wichtigsten Ziele zur Reduktion nichtinfektiöser Erkrankungen [10].
Pathophysiologie. Die pathophysiologisch relevante Wirkung des Kochsalzes wird im multifaktoriellen Geschehen der Hypertonie eher dem Natrium zugeschrieben, weshalb sich die meisten Referenzwerte auch auf die tägliche Natrium- und nicht auf die NaCl-Menge beziehen. Als einer von zahlreichen Pathomechanismen wird diskutiert, dass eine erhöhte intrazelluläre Natrium-Konzentration über einen dadurch gesteigerten Natrium-Calcium-Austausch zu ebenfalls erhöhten intrazellulären Calcium-Spiegeln führt; diese bewirkten dann eine verstärkte Kontraktion der glatten Gefäßmuskulatur – mit dem Ergebnis eines Blutdruckanstiegs [11]. Eine mögliche Rolle spielen auch individuelle genetische Prädispositionen hinsichtlich der Aktivität des Na+-/H+-Antiporters, was zu einer erhöhten Reaktionsbereitschaft der glatten Gefäßmuskelzellen gegenüber Katecholaminen und anderen vasoaktiven Substanzen führt [12]. Alimentäre Kochsalzreduktion könnte diesen Pathomechanismus theoretisch entlasten [13–16].
Die Kochsalz-Kontroverse. Die klinische Bedeutung dieser Zusammenhänge wird jedoch unterschiedlich interpretiert: Während für einige Wissenschaftler der hohe Kochsalzkonsum eine der Hauptursachen für die Hypertonie-Entstehung ist, sehen andere die Auswirkungen einer Kochsalzbeschränkung im Gesamtgeschehen der Krankheit als eher marginalen Effekt und sprechen ihr so die klinische Relevanz ab [17, 18]. Nach Jahrzehnten der kardiologischen Kochsalzforschung gibt es mittlerweile für beide Positionen zahlreiche Untersuchungen und Meta-Studien [8, 19]; problematisch hierbei ist leider, dass sowohl bei den Salzgegnern als auch bei den Befürwortern der Kochsalzrestriktion die herangezogenen Studien teilweise sehr willkürlich gewählt werden. Jede Art der Pauschalaussage zu dem Thema „Kochsalzkonsum und Hypertonie“ erscheint also schwierig und wenig valide [20].
Ein Hauptgrund für die zum Teil sehr widersprüchlichen Studien ist vermutlich, dass der Zusammenhang zwischen Kochsalzkonsum und kardiovaskulärer Morbidität nicht direkt linear ist: je nachdem, in welchem Dosisbereich man sich bewegt, kommt man also zu unterschiedlichen Aussagen. Deutlich wird das in dem von Alderman 2007 postulierten Modell zum Zusammenhang zwischen Kochsalzzufuhr, kardiovaskulärer Morbidität und systolischem Blutdruck (Abb. 1). Bei dem als J-förmig bezeichneten Phänomen wird deutlich, dass es eine optimale Menge der täglichen Natriumzufuhr gibt (ca. 2 bis 3 g/Tag). Bei höherem Konsum steigen Blutdruck und kardiovaskuläre Morbidität. Besonders bedeutend ist aber auch: Bei niedrigerer Natriumzufuhr sinkt zwar der Blutdruck, aber die Morbidität nimmt ebenfalls zu [21].
Kochsalzkonsum einschränken – ungefährlich und realisierbar?
Die kontroverse Diskussion über eine alimentäre Kochsalzrestriktion ist wichtig, denn sie fördert Studien zutage, in denen auch eine zu niedrige Salzzufuhr sowohl für Gesunde als auch für Hypertoniker als nicht ungefährlich angesehen wird [18]. Wie bereits 2007 von Alderman postuliert, so konnte auch in epidemiologischen Studien gezeigt werden, dass in Populationen mit besonders niedrigem Salzverzehr nicht nur die kardiovaskuläre Morbidität (insbesondere die Herzinfarkt-Rate), sondern auch die Gesamtsterblichkeit erhöht ist [15, 22]. Ursache dieses negativen Effektes einer zu niedrigen Kochsalzzufuhr ist vermutlich der reaktive Anstieg von Adrenalin, Noradrenalin und LDL-Cholesterin mit entsprechenden kardiovaskulären Folgen [23]. Tabelle 1 zeigt verschiedene Empfehlungen für die tägliche Kochsalz- bzw. Natriumzufuhr. Der minimalen kardiovaskulären Morbidität nach Alderman kommt die mäßig natriumarme Ernährung mit ca. 5 bis 6 g NaCl/Tag (entspricht ca. 2 Teelöffeln Kochsalz) am nächsten.
Problem Grundnahrungsmittel. Die Masse des aufgenommenen Kochsalzes wird allerdings nicht so gut sichtbar wie beim Frühstücksei oder beim Salzen der Suppe zugeführt. Wie schnell selbst die niedrige NaCl-Menge der nur mäßig natriumarmen Ernährung (5 bis 6 g NaCl/Tag) erreicht wird, zeigt folgendes Beispiel:
4 Scheiben Vollkornbrot 680 mg Natrium bzw. 1,7 g NaCl
+ 1 Scheibe Kochschinken 290 mg Natrium bzw. 0,7 g NaCl
+ 2 Scheiben Lyoner Käse 586 mg Natrium bzw. 1,4 g NaCl
+ 2 Scheiben Gouda 360 mg Natrium bzw. 0,9 g NaCl
+ 1,5 l Mineralwasser 177 mg Natrium bzw. 0,5 g NaCl
Summe: 5,2 g NaCl
Anders als also häufig vermutet wird die Masse an Kochsalz nicht über Knabbereien oder Fisch aufgenommen, sondern über die Grundnahrungsmittel Brot, Fleisch- und Milchprodukte (Abb. 2); eine weitere Hauptquelle sind Fertigprodukte und das individuelle Nachsalzen bzw. Würzen der Speisen [24]. Die Reduktion der täglichen Kochsalzzufuhr verspräche nicht nur für Hypertoniker, sondern sogar für die Gesamtbevölkerung einen großen Nutzen, und zwar sowohl hinsichtlich kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität, als auch in Bezug auf gesundheitsökonomische Aspekte [25]. Hierfür wäre allerdings eine generalisierte Kochsalzreduktion notwendig, die weit über individuelle Beratungen und Informationskampagnen hinausgeht. Insbesondere betrifft das auch die Grundnahrungsmittel, industriell hergestellte Lebensmittel und das Essen in Kantinen [25].
Individuelle Salzsensitivität. Aber selbst mit der Reduktion der täglichen Kochsalzaufnahme allein ist es noch nicht getan, denn hinzu kommt die individuelle Salz-Sensitivität: Bei gesunden Menschen hat der übliche Kochsalzkonsum keinen Effekt auf den Blutdruck; aber auch nur ca. 50% der Hypertoniker sind tatsächlich salzsensitiv und profitieren durch eine Kochsalzrestriktion in Form einer Blutdrucksenkung [24]. Je nach untersuchter Subgruppe kommt es daher durch Kochsalzrestriktion bei Hypertonikern hinsichtlich der möglichen Blutdrucksenkung zu unterschiedlichen Effektstärken [26]. Die Ursache dieser überaus unterschiedlichen Salzsensitivität liegt in komplexen exogenen und genetischen Zusammenhängen [27, 28]. Forschungsbedarf besteht nach wie vor darin, jene Patienten zu identifizieren, die von der natriumarmen Kostform besonders profitieren könnten. Eine reduzierte Kochsalzzufuhr bewirkt allerdings ebenfalls ein verbessertes Ansprechen auf die antihypertensive Basismedikation mit ACE-Hemmern oder Sartanen [29, 30].
DASH-Diät. Die besten Ergebnisse hinsichtlich einer diätetisch erzielten Blutdrucksenkung liefert mit einer direkten Dosis-Wirkungsbeziehung die sogenannte DASH-Diät (Dietary Approaches to Stop Hypertension) [31]; Zielgruppe sind allerdings übergewichtige und nicht normalgewichtige Hypertoniker. Diese Diätform ist gekennzeichnet durch fettreduzierte Milchprodukte, viel Fisch, Obst und Gemüse, viele Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Avocados, hochwertige Öle und Nüsse sowie die Konsumeinschränkung von rotem Fleisch und süßen Getränken. Ein Vorteil dieser Diätform ist, dass es sich dabei um keine „klassische“ Kurzzeitdiät handelt, sondern dass sie als dauerhafte Ernährungsumstellung mit langfristigem Nutzen angelegt ist [32]. Interessanterweise geht der Haupteffekt dieser Diätform auf die Blutdrucksenkung nicht auf die Kochsalzreduktion zurück, sondern ist Folge der quasi „nebenbei“ stattfindenden Gewichtsreduktion. Ebenso sind vermutlich auch die relativ hohen Calcium-, Kalium- und Magnesiumgehalte der DASH-Diät für die Blutdrucksenkung mitverantwortlich. Bei genauer Betrachtung der DASH-Diät fällt auf, dass sich die Lebensmittelauswahl nicht wesentlich von den Empfehlungen für Gesunde und Hypertonikern unterscheidet. Allerdings differieren die Vorschläge für die Portionsgrößen bei der DASH-Diät erheblich von denen, die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung publiziert werden [33] (Tab. 2).
Mediterrane Ernährung. Die Bestandteile der DASH-Diät sind dieselben wie in der mediterranen Ernährung, die daher ebenfalls besonders für die Ernährung hypertensiver Patienten geeignet ist. Der Begriff der „mediterranen Ernährung“ ist – anders als die heute übliche Beschränkung auf Olivenöl und Fisch – im Grunde erst dann zutreffend, wenn von einer Kostform gesprochen wird, die vor 1960 im südöstlichen Mittelmeerraum verbreitet war. Hinzu kommt der damals übliche Lebensstil mit harter körperlicher Arbeit und viel Bewegung an frischer Luft, unterbrochen von ausgiebigen Zeiten der Muße und vielen sozialen Kontakten. Die Kostform der mediterranen Ernährung beinhaltet:
- hochwertige und kalt gepresste Öle mit vielen einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren (z.B. Olivenöl, Rapsöl, Hanföl)
- viel Fisch mit hohem Anteil an Omega-3-Fettsäuren (z.B. Makrele, Lachs, Hering)
- viel Obst und Gemüse, möglichst in Rohform
- reichlicher Verzehr von Hülsenfrüchten
- viel Pasta, Reis, Polenta etc.
- wenig Lebensmittel mit gesättigten Fettsäuren (Wurst, Eier, Fleisch)
- mäßiger Verzehr fettarmer Milchprodukte
- mäßiger Verzehr von Geflügel
- „überschaubarer“ Alkoholkonsum zu den Hauptmahlzeiten
Die in der mediterranen Ernährung besonders häufig eingesetzten Gewürze und Kräuter besitzen eine kardioprotektive Wirkung, der allerdings nicht durch enthaltene „Wirkstoffe“, sondern indirekt zustande kommt: über ihren geschmacksbildenden Effekt bei der Speisenzubereitung tragen sie dazu bei, dass zur Würzung nur sehr wenig Kochsalz verwendet werden muss.
Besonders geeignet zur dauerhaften Gewichtsreduktion ist eine adaptierte mediterrane Ernährungsform:
- mehr Obst und viel Gemüse, möglichst unverarbeitet, in den Alltag integrieren,
- Gerichte mit Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen in den heimischen Speiseplan einführen,
- übliche Speisefette (meist weiße, feste Pflanzenfette) gegen hochwertige Öle austauschen,
- mehr Vollkornprodukte (z.B. beim Brot und Reis) wählen
- Fleischmahlzeiten häufiger in der Woche durch Fischmahlzeiten ersetzen,
- möglichst wenig Wurstprodukte verzehren,
- statt Kochsalz viele Kräuter und Gewürze zur Zubereitung der Speisen einsetzen.
Fazit für die Praxis. Für den Zusammenhang zwischen Kochsalz-Konsum, kardiovaskulären Erkrankungen und Hypertonie gilt: Nicht so wenig wie möglich ist am besten, sondern offensichtlich gibt es eine optimale Zufuhrmenge, die bei 5 bis 6 g NaCl pro Tag liegt. Bei gesunden, nicht-hypertensiven Patienten hat der Salzkonsum keinen Effekt auf den Blutdruck. Innerhalb der ernährungsabhängigen Hypertonie-Ursachen spielen Übergewicht, Alkoholkonsum sowie unzureichende Kalium- und Calciumzufuhr eine quantitativ wichtigere Rolle als der Kochsalz-Konsum.
Die alimentäre Hauptmenge an Kochsalz wird nicht separat, sondern mit den Grundnahrungsmitteln zugeführt; die Kochsalz-Sensitivität ist individuell unterschiedlich und die zur Blutdrucksenkung wirksame DASH-Diät erzielt ihren Effekt über die grundsätzliche Ernährungsumstellung. Daher gilt für Hypertoniker als wichtigste Praxiskonsequenz: Die effektivste Methode, um ernährungstherapeutisch den Blutdruck zu senken, ist nicht die Kochsalzrestriktion, sondern die wirksame und dauerhafte Gewichtsreduktion. Bei den nicht-übergewichtigen Hypertonikern profitieren insbesondere ältere Patienten von einer mäßig salzarmen Kost [1].
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Autoren
Prof. Dr. rer. nat. Martin Smollich, Fachapotheker für Klinische Pharmazie, Antibiotic Stewardship-Experte (DGI). 1998 bis 2004 Studium von Biologie und Pharmazie in Münster und Cambridge (UK), 2005 bis 2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universitätsfrauenklinik Münster und Promotion über ein Thema zur experimentellen Pharmakotherapie des Mammakarzinoms, 2009 bis 2013 klinische Tätigkeit und pharmakologischer Konsildienst. Seit 2013 Professor und Studiengangsleiter des Studiengangs Clinical Nutrition/Ernährungsmanagement an der Mathias Hochschule Rheine.
Wissenschaftliche Schwerpunkte:
Klinische Ernährung, Klinische Pharmakologie, Arzneimitteltherapiesicherheit und rationale Antiinfektiva-Therapie.
Dipl. med. päd. Birgit Blumenschein, Diätassistentin, 1988 bis 1990 Ausbildung zur staatlich anerkannten Diätassistentin, 1996 bis 2002 Lehrassistentin an medizinischer Fachschule, Fachbereich Diätassistenz, 1997 bis 2003 Studium der Medizinpädagogik an der Charité in Berlin. Seit 2003 selbstständig tätig in eigener Praxis, seit 2011 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Mathias Hochschule Rheine, Studiengangskoordinatorin des Studiengangs Clinical Nutrition/Ernährungsmanagement, B.Sc.
Wissenschaftliche Schwerpunkte:
Ernährungsmedizin mit den Schwerpunkten Gastroenterologie, Stoffwechsel und Adipositas; Gesundheitsbildung, Betriebliches Gesundheitsmanagement.
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