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- DAZ 19/2014
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Arzneimittel und Therapie
Krankhaft müde
Fatigue ist therapierbar
Der Begriff Fatigue ist dem englischen und französischen Sprachgebrauch entlehnt und beschreibt Müdigkeit, Kraftlosigkeit, verminderte Leistungsfähigkeit und Erschöpfung im Zusammenhang mit chronischen Erkrankungen, meist Tumorerkrankungen. Müdigkeit als Ausdruck einer Erkrankung kann aber auch bei zahlreichen weiteren Krankheiten wie etwa Anämie, Hepatitis, multipler Sklerose, Fibromyalgie, arterieller Hypotonie, Schlafstörungen und Suchterkrankungen auftreten oder auf endokrinologischen oder psychischen Störungen sowie auf Umwelteinflüssen beruhen. Eine Abgrenzung der unterschiedlichen Erscheinungsarten der Fatigue ist schwierig. Ein charakteristisches Merkmal ist die Persistenz der Müdigkeit – das heißt, auch Erholung und ausreichend Schlaf führen zu keiner Besserung der Beschwerden. Eine mögliche Definition der Fatigue ist folgende: „Fatigue ist eine in Ausprägung und Charakteristik ungewöhnliche Form der Müdigkeit, die nicht in Zusammenhang mit körperlicher Anstrengung steht, mit einem subjektiv empfundenen Mangel an Energie und Antrieb einhergeht und nicht durch Schlaf oder Ausruhen zu beheben ist.“ Ein weiteres Charakteristikum ist die Vielschichtigkeit der Erkrankung, die den Patienten in seinen normalen Tagesaktivitäten enorm einschränkt. Teilweise bedingen und verstärken sich Ursachen und Auswirkungen einer Fatigue. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf die Fatigue im Rahmen einer Krebserkrankung, die auch als Tumor-assoziierte Fatigue CrF (Cancer-related Fatigue) bezeichnet wird.
Wechselbeziehungen zwischen Risikofaktoren und Beschwerden
Das Erscheinungsbild einer Fatigue wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst (s. Abb.) und reicht von Abgeschlagen- und Energielosigkeit, bleierner Müdigkeit und Mattigkeit, über fehlenden Antrieb bis hin zu Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Die Beschwerden treten auf emotionalen, kognitiven und körperlichen Ebenen auf und stehen in keinem Verhältnis zu vorangehenden Aktivitäten; Erholungsphasen führen zu keiner Besserung. Listet man die Beschwerden, die im Rahmen einer Tumorerkrankung und Krebstherapie auftreten können – z.B. Emesis, Schmerzen, Appetitlosigkeit, verminderte Lebensqualität – auf, so nimmt die Fatigue einen der ersten Ränge ein. Die Fatigue kann zu jedem Zeitpunkt der Erkrankung auftreten, häufig bereits vor der Diagnosestellung, aber auch noch lange Zeit nach Abschluss der Behandlung. Je stärker die Beschwerden während der Behandlung sind, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit einer länger anhaltenden Dauer der Fatigue. Rund ein Drittel der Krebspatienten zeigt bereits vor der Diagnose Zeichen einer Fatigue, 40% bei der Entlassung, und ein weiteres Drittel leidet noch ein halbes Jahr später unter Müdigkeitssymptomen. Ein Zusammenhang zwischen der Ausprägung einer Fatigue-Symptomatik und einer schlechteren Prognose wird diskutiert. Neueren Untersuchungen zufolge ist die Tumor-assoziierte Fatigue zudem mit einer kürzeren Überlebenszeit assoziiert. Risikofaktoren für eine Fatigue sind Schmerzen, Übelkeit, Komorbiditäten, Übergewicht, kognitive Einschränkungen, Medikation (SSRI, Corticosteroide), bereits bestehende depressive Störungen und psychosoziale Belastungen sowie die Art der Tumortherapie.
Multifaktorielle Pathogenese
Einer Fatigue können mehrere Ursachen zugrunde liegen. Somatische, affektive, kognitive und psychosoziale Faktoren spielen dabei eine wichtige Rolle. Ferner beeinflussen pathophysiologische Vorgänge das Ausmaß einer Fatigue. Hierunter fallen eine Dysregulation inflammatorischer Zytokine, die Störung hypothalamischer Regelkreise, Veränderungen im serotoninergen System, Störungen der zirkadianen Melatoninsekretion oder Genpolymorphismen für Regulationsproteine.
Mögliche Ursachen von Fatigue
- Tumorerkrankung
- Folgen der Therapie der Tumorerkrankung (OP, Strahlentherapie, Chemotherapie, Zytokine)
- Hormonmangelerscheinungen (Schilddrüse, Nebenniere, Geschlechtshormone)
- Begleiterkrankungen und Organschäden
- Psychologische Auswirkungen (Angst, Depression, Stress)
- Schlafstörungen
- Mangelernährung
- chronische Infekte
- Mangel an körperlichem Training (Muskelabbau)
Zur Diagnose und Beurteilung einer Fatigue werden die verschiedenen Ebenen der Erkrankung beurteilt. Dazu gehören die Selbsteinschätzung (Screening, Fragebögen), klinische Untersuchungen (somatische Faktoren, Komorbiditäten, körperliche Fitness), psychologische Untersuchungen (Depressionen, Angst, Coping, psychosoziale Belastungen, neuropsychologische Diagnostik) und die Bestimmung von Laborwerten (Anämie, Elektrolyte, Metabolismus etc.). Differenzialdiagnostische Schwierigkeiten bereitet die Unterscheidung zwischen Fatigue und Depressionen, die häufig gemeinsam auftreten. Neben einem anamnestischen Gespräch, in dem Art, Ausprägung und der zeitliche Verlauf der Beschwerden erfragt wird, stehen mehrere Fragebögen (z.B. Fatigue Assessment Questionnaire FAQ, Cancer Fatigue Scale CFS, Brief Fatigue Inventory BFI, EORTC Fatigue Modul) zur Selbsteinschätzung zur Verfügung. Wichtig ist die rechtzeitige Diagnose einer Fatigue. So sieht auch die aktuelle Leitlinie des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) vor, alle Patienten während der Behandlung und in der Nachsorge gezielt nach Müdigkeits- und Erschöpfungssymptomen zu fragen.
Körperliche Aktivität und psychosoziale Interventionen
Ist eine kausale Therapie möglich, wie etwa bei Vorliegen einer Anämie oder bei depressiven Erkrankungen, wird diese eingeleitet. Ist dies nicht möglich oder kann die Ursache der Fatigue nicht konkretisiert werden, ist eine symptomatische Behandlung erforderlich. Diese beruht auf nicht-medikamentösen und medikamentösen Maßnahmen. Vor jeder Therapie steht die ausführliche Information über das Krankheitsbild, da viele Patienten eine Fatigue als ein Fortschreiten der Erkrankung interpretieren. So hilft die Aufklärung bei der Bewältigung von Ängsten und zeigt dem Patienten eine Perspektive auf.
Bei der symptomatischen Therapie haben körperliche Aktivitäten und psychosoziale Interventionen einen anerkannten Stellenwert. Bereits durch moderate körperliche Betätigung lassen sich Fatigue-bedingte Beschwerden verringern. Dies betrifft die Zeit während der Tumortherapie wie auch die nachfolgende Periode. Je nach Konstitution, Interesse und Möglichkeiten des Patienten wird ein mehrmals wöchentliches moderates Ausdauer- und Krafttraining von 30 bis 45 Minuten empfohlen, das langsam bis zu 70 oder 80% der maximalen Belastbarkeit gesteigert werden kann. Eine Überanstrengung ist zu vermeiden, mögliche Kontraindikationen sind zu beachten. Die Besserung der Fatigue durch moderate körperliche Aktivität konnte in mehreren Studien gezeigt werden. So beeinflusst körperliche Bewegung die pathophysiologischen Mechanismen, die einer Fatigue zugrunde liegen und verbessert das seelische Wohlbefinden des Patienten. Zu den psychosozialen Interventionen, die unterstützend eingesetzt werden können, zählen unter anderem Psychoedukation, kognitive Verhaltenstherapie, Mind-Body-Interventionen, Selbstmanagement (wie etwa Einteilung der Aktivitäten und Kräfte, individuelle Alltagsgestaltung, Entspannungstechniken).
Therapie: Viel Experimentelles, wenig Gesichertes
Wird mithilfe körperlicher Aktivität und psychoonkologischer Maßnahmen keine Besserung der Fatigue erzielt, kann eine Pharmakotherapie erwogen werden. Dabei werden unterschiedliche Wirkstoffe eingesetzt, von denen keiner explizit für diese Indikation zugelassen ist. Zur Anwendung kommen im Wesentlichen Psychostimulanzien, Wachstumsfaktoren, Corticosteroide, Phytotherapeutika sowie Antidepressiva – letztere aber nur bei Vorliegen einer Depression. Der Einsatz von Methylphenidat und Modafinil wird kontrovers diskutiert. Die Einnahme von Methylphenidat kann zu einer Besserung der Beschwerden führen, allerdings nicht bei jedem Patienten; möglicherweise profitieren vor allem Langzeitüberlebende. In der palliativen Situation ist Methylphenidat nicht indiziert, hier können kurzfristig Corticosteroide eingesetzt werden. Bei schwerer Fatigue konnte die Wirksamkeit von Modafinil gezeigt werden. Allerdings ist aufgrund möglicher schwerer Nebenwirkungen der Einsatz von Modafinil auf die Therapie exzessiver Schläfrigkeit begrenzt, das heißt, Modafinil ist nicht zur Behandlung einer Tumor-assoziierten Fatigue zugelassen. Für Armodafinil liegen erste Erfahrungsberichte vor. In einer 2012 auf dem amerikanischen Krebskongress ASCO vorgestellten Studie wurde der Einfluss von Vitamin D bei Frauen unter einer Therapie mit Aromatasehemmern untersucht. Die Zufuhr von Vitamin D führte nicht nur zu einer Abnahme muskuloskelettaler Beschwerden, sondern auch zu einer Linderung der Fatigue.
Zur Wirksamkeit von amerikanischem Ginseng (Panax quinquefolius) bei Tumor-assoziierter Fatigue liegen mehrere Studien vor, in denen eine Abnahme der Beschwerden bestätigt wurde. In einer weiteren Studie konnte ein günstiger Effekt von Guarana nachgewiesen werden, der allerdings in anderen Untersuchungen nicht verifiziert wurde. Positive Studienergebnisse fehlen ebenfalls für Coenzym Q10 und L-Carnitin, deren Einnahme gleichfalls zur Linderung der Fatigue-Symptomatik empfohlen wird.
Infos für Betroffene
Deutsche Fatigue Gesellschaft. www.deutsche-fatigue-gesellschaft.de
Institut für Tumor-Fatigue-Forschung. http://fatigue-forschung.de
Die blauen Ratgeber. Fatigue - chronische Müdigkeit bei Krebs. Hrsg. Deutsche Krebshilfe e.V. Stand 7/2013.
Komplementärmedizin bei Fatigue
In einer aktuellen Übersichtsarbeit von 2013 wurden 20 Studien (davon 15 randomisierte kontrollierte Studien) ausgewertet, um die Wirksamkeit komplementärer und alternativer Methoden bei einer Tumor-assoziierten Fatigue zu beurteilen. Begleitend zu einer Chemo- oder Strahlentherapie zeigten Qi Gong, Hypnose sowie die Einnahme von Ginseng und Guarana günstige Auswirkungen. Nach Beendigung der Therapie hatten Akupunktur, Massage und Qi Gong einen positiven Effekt. Die Einnahme von Multivitaminen beeinflusste die Ausprägung der Fatigue nicht.
Komplementäre und alternative Methoden bei Fatigue
sinnvoll
- Hypnose, Entspannungstechniken
- Akupunktur
- Qi Gong
- Massagen
- Ginseng (unter Berücksichtigung von Wechsel- und Nebenwirkungen)
vertretbar
- L-Carnitin
- Mistel
- Astragalus
[Einteilung nach Eustachi]
Quelle
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DEGAM Leitlinie Nr. 2 Müdigkeit 2011 (entspricht AWMF-Leitlinie 053-002). www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-002.html.
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