Leitbild

Expedition zu neuen Ufern ...

... oder alter Wein in neuen Schläuchen? – Ein Meinungsbeitrag zur Leitbild-Diskussion

Von Kerstin Kemmritz | Die offizielle Leitbild-Debatte ist vorerst beendet, die Plattformen sind geschlossen, der Konvent hat die Ergebnisse der einzelnen Bundesländer bewertet. Alle sind gespannt (oder vielleicht auch nicht?), was als Ergebnis kurz nach der Osterzeit quasi in das Nest des Berufsstandes gelegt werden wird: Ein paar schön klingende Worte zur Wichtigkeit des Apothekerberufs, eine „große strategische Vision“ oder „nur“ eine Legitimation des Medikationsmanagements, das uns bereits in der Apothekenbetriebsordnung als apothekerliche Aufgabe anvertraut wurde und nun als ARMIN mit Leben erfüllt werden soll? Egal, wie die Antwort ausfällt, alle drei Ziele sind durchaus eine Diskussion wert. Bemerkenswert ist allerdings, dass Struktur und Ziel des Leitbilds selbst nach monatelanger Beschäftigung mit der Thematik weiterhin in einem sich nur langsam lichtenden Nebel liegen. Man weiß nur, was es nicht ist, denn die Apotheker haben bereits ein Berufsbild, eine Apothekenbetriebsordnung, 17 Berufsordnungen und etwa 20.000 Unternehmensleitbilder der Apothekenbetriebe, die den Beruf beschreiben und strukturieren. Was also soll dann DAS Leitbild der deutschen Apothekerschaft, das nicht mehr Leitbild heißen soll, zusätzlich beinhalten?

„Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind ein günstiger.“ (Seneca)

Und so wird die Diskussion von einer riesengroßen Skepsis vieler Kollegen überlagert, dass mit dem Ergebnis möglicherweise neue bürokratische Hürden aufgebaut oder un- oder nicht ausreichend vergütete Leistungen erbracht werden müssen, um unsere Daseinsberechtigung uns selbst und der Gesellschaft gegenüber zu verdeutlichen, obwohl die Grenze der Leidensfähigkeit hinsichtlich zusätzlicher Anforderungen bereits jetzt bei vielen Kollegen erreicht ist. Es ist daher zu hoffen (oder zu fordern), dass außer dem dann mit viel Aufwand erarbeiteten Leitbild als Ideal auch Wege aufgezeigt werden, damit dieses Idealbild für alle Apotheken zur Realität werden kann.

Keine Zukunft ohne Gegenwart!

Dies setzt jedoch zwingend eine ernsthafte Analyse der gegenwärtigen Situation voraus, denn je länger eine Entbürokratisierung und Vereinfachung der administrativen Abläufe auf sich warten lässt, desto größer ist die Gefahr, dass immer weniger Apotheken in der Lage sein werden, sich an zusätzlichen pharmazeutischen Dienstleistungen zu beteiligen. Als Berufsstand muss uns jedoch unbedingt daran gelegen sein, große und kleine Apotheken in eine Weiterentwicklung einzubinden, denn wenn wir pharmazeutische Dienstleistungen nicht in jeder Apotheke anbieten können, werden alle egal wie gut gemeinten pharmazeutischen Modelle nur potemkinsche Dörfer bleiben! Und von denen haben wir schon mehr als genug!

Das Honorar: Neue Säule oder neues Fundament?

Keine Frage: die Abhängigkeit des Apothekenhonorars von der (eher rückläufigen) Rx-Packungsanzahl, dem Wohlwollen(?) der Politik, wenn es um die Anpassung des Fixums geht, der Verhandlungsführung mit der GKV bis zum Schiedsspruch, wenn es um den Kassenzwangsrabatt geht sowie dem Rabatttropf des Großhandels, an dem alle hängen, ist alles andere als das, was man unter einer unabhängigen Unternehmensführung versteht. Der Gedanke, die Honorarbasis z.B. durch ein vergütetes Medikationsmanagement zu stärken, ist also ebenso richtig wie notwendig und bei einem Haus, das auf derart dünnem Untergrund gebaut ist, mehr als naheliegend. Ebenso wie die Idee, diese Verstärkung mit dem Material zu bauen, das anderswo nur schwer zu finden ist: pharmazeutische Sachkompetenz.

ARMIN: Zum Erfolg verdammt

Dumm nur, dass in der Vergangenheit versäumt wurde, neue bürokratische Belastungen des Apothekenbetriebs (Hilfsmittelchaos, Rabattverträge, Arbeitsschutz, QMS, Sonder-PZNs, Packungsgrößenverordnung usw. usf.) sofort öffentlich zu machen und dafür eine Erhöhung der Vergütung zu fordern! Inzwischen sind die Apotheken personell und finanziell derart ausgeblutet, dass vielerorts kaum mehr Luft für eine Vorleistung bei der Entwicklung neuer Angebote vorhanden ist, obwohl die Sinnhaftigkeit eines qualifizierten Medikationsmanagements wahrscheinlich nirgendwo infrage gestellt wird. Und so ist ARMIN ein Projekt, das zum Erfolg verdammt ist, um damit eine weitere Säule für die Honorierung und qualifizierte Tätigkeit der Apotheker zu werden, koste es fast, was es wolle, weil wir eine zweite Chance für die Etablierung neuer pharmazeutischer Leistungen so schnell nicht wieder bekommen werden!

Dabei sollten wir jedoch nicht vergessen, dass ARMIN ein Modellprojekt ist, das auch dazu dient, Erfahrungen zu sammeln und Problemfelder aufzudecken, bevor es auf andere Bundesländer ausgedehnt werden sollte.

Partner, aber nicht Erfüllungsgehilfe der Krankenkassen

ARMIN oder das Medikationsmanagement allgemein wird nur dann Erfolg haben können, wenn der Patient (und der Arzt) es als hilfreich erkennen und seinen Nutzen freiwillig akzeptieren. Dabei darf der Patient zu keiner Zeit die Hoheit über seine freiwillige Beteiligung an einem Medikationsmanagement verlieren, ebensowenig wie wir Apotheker zum reinen Erfüllungsgehilfen einer Krankenkassenaufgabe oder zum alleinigen Kontrolleur des Arztes werden dürfen, um das vertrauensvolle Verhältnis zu beiden nicht auf das Spiel zu setzen. Das von Dr. Müller-Bohn vorgeschlagene Überweisungsrezept des Arztes zur konsiliarischen Beratung in der Apotheke kann dabei unterstützend wirken, denn eine derartige Leistung kann man nicht von heute auf morgen verpflichtend einführen. Sie muss sich langsam entwickeln, um Erfahrung und Vertrauen aufzubauen. Die Zeit müssen wir uns nehmen, auch wenn es schon kurz vor Zwölf ist.

Vorhandenes nutzen und umsetzen!

Manchmal, und nicht nur während des Leitbild-Prozesses, hat man den Eindruck, die Pharmazie soll neu erfunden werden. Dabei befindet sie sich „lediglich“ seit der flächendeckenden Überfrachtung des Apothekenbetriebs mit Verordnungen und Bürokratie in einem Dornröschenschlaf, aus dem sie dringend, aber behutsam aufgeweckt werden muss. Statt also das Rad dauernd neu zu erfinden, wäre es schon mehr als genug, die vielen vorhandenen pharmazeutischen Erfahrungen zu nutzen! So gibt es mit dem LeiKa einen Katalog sowie eine Systematik der (pharmazeutischen) Dienstleistungen einschließlich möglicher Honorierungsgrundlagen. Mit den bald ein Vierteljahrhundert alten Grundlagen des damals noch „pharmazeutische Betreuung“ oder „pharmaceutical care“ genannten Medikationsmanagements und den Berufsfelder übergreifenden Erfahrungen z.B. einer Frau Prof. Dr. Schaefer auf diesen Gebieten gibt es eine Expertin im eigenen Berufsstand, deren Erfahrungen für das ABDA-KBV-Modell bzw. ARMIN mehr als hilfreich wären. Warum werden sie nicht erkennbar genutzt?

Auch von den Herren Herzog, Hüsgen und Dr. Müller-Bohn (und wahrscheinlich noch vielen weiteren) gibt es jede Menge guter Vorschläge zur Honorierung, Prozessvereinfachung und Steigerung der Modellakzeptanz. Sieh, das Gute liegt so nah! Manchmal muss man sich nur trauen, zuzugreifen!

Tue Gutes und rede drüber!

Egal, wie sich das Leitbild entwickelt, der Berufsstand insgesamt und die öffentliche Apotheke im Besonderen muss lernen, die auch jetzt schon vorhandenen eigenen Leistungen anzuerkennen und deren Wert und Nutzen nach innen und außen darzustellen. Die Endlich-wieder-Besetzung der Stelle des Pressesprechers ist dafür schon eine wichtige Voraussetzung, denn wir leisten bereits heute jede Menge zwischen Bürokratie und Pharmazie, dessen Dimension, Kosten und Ersparnisse nicht genannt und damit nicht anerkannt werden (z.B. Fehlervermeidung, Umsetzung der Rabattverträge, „Therapie“ kleiner Krankheiten in der Selbstmedikation, Lotse im Gesundheitsdschungel, Übernahme sozialer Verantwortung, Therapiebegleitung, Medikationshelfer, flächendeckende Hochfrequenz-Logistik usw.). Genauso wie wir akzeptieren müssen, dass wir Heilberufler und Kaufmann sind, müssen wir umgekehrt in der Gesundheitswirtschaft nicht nur als Händler, sondern auch als Heilberufler wahrgenommen werden, der niedrigschwellig an 365 Tagen im Jahr und 24 Stunden am Tag erreichbar ist. Nicht immer ist also Schweigen Gold.

Eins nach dem anderen: Den zweiten nicht vor dem ersten Schritt machen!

Wird bei neuen pharmazeutischen Leistungen die falsche Reihenfolge hinsichtlich Erprobung, Honorierung und Entbürokratisierung gewählt, werden nicht nur die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen nicht flächendeckend und qualifiziert angeboten werden können, wir werden auch etliche Apotheken verlieren, die unter der Last weiterer verpflichtender Forderungen zusammenbrechen. Daran kann uns nicht gelegen sein, denn auch wer zu neuen Ufern aufbrechen will (oder muss), tut gut daran, seinen Segeltörn bestens vorzubereiten! Das beginnt beim Abstecken des richtigen Kurses zum neuen Hafen, aber auch bei der Analyse, wie viele Schiffe segeln sollen, wie ihre Ausstattung aussieht, ob sie gemeinsam den gleichen Hafen erreichen sollen, ob es Zwischenziele gibt, ob die Ausrüstung verbessert oder Ballast abgeworfen werden muss. Es gibt viel mehr zu tun, als einen neuen Hafen auszusuchen, wenn es eine große, erfolgreiche Expedition werden soll! Am besten geht man gemeinsam und erst nach guter Vorbereitung auf die Reise! 

Autorin

Dr. Kerstin Kemmritz ist Apothekenleiterin in Berlin, Delegierte der Apothekerkammer Berlin und Beisitzerin im Vorstand des Berliner Apothekervereins. Als Listenführerin der Oppositionsliste AAA - Allianz Aller Apotheker hat sie an der Leitbild-AG teilgenommen.

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