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Es geht um Therapieoptimierung
Interview zur „Leitlinie zur Guten Substitutionspraxis“
Bereits vor zwölf Jahren hatte die DPhG die erste Fassung einer GSP-Leitlinie veröffentlicht. Wenngleich die wesentlichen Aussagen dieser Fassung nach wie vor Gültigkeit haben, sind im Lauf der Jahre doch weitere Aspekte, hinzugekommen, die im Fall einer Substitution beachtet werden sollten. Aus Sicht der DPhG durchaus nachvollziehbare Beschwerden von Patienten und Fachverbänden bewirkten, dass auch die Politik parteiübergreifend Handlungsbedarf sah. 2012 wurde über eine Änderung des SGB V festgelegt, dass die Kassen- und Apothekerseite in ihrem Rahmenvertrag zur Arzneimittelversorgung zur Arzneimittelversorgung vereinbaren „können“, in welchen Fällen unter ihrem Handelsnamen verordnete Arzneimittel „nicht ersetzt werden dürfen“. Da sich die Vertragspartner sehr zögerlich und nur unvollständig einigen konnten, beauftragte die Politik über das 14. SGB V-Änderungsgesetz vom 1. April 2014 den Gemeinsamen Bundesausschuss damit, ein Substitutionsausschussliste zu erstellen.
Die Ende Februar 2014 vorgestellte neue Fassung der Leitlinie erscheint also in einer Situation, in der wissenschaftlich untermauerte Argumente durchaus Wirkung zeigen können und sollten. Die DPhG-Leitlinie konkretisiert einige Punkte der früheren Leitlinie und setzt neue Schwerpunkte. Die Autoren entschieden sich bewusst für eine Version, die die pharmazeutische Praxis in den Mittelpunkt stellt und hier auch als Argumentationsgrundlage verwendet werden kann, wo pharmazeutische Bedenken anzumelden sind. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, dass mit der Durchsetzung der Rabattverträge sich die Rahmenbedingungen gegenüber 2002 (als die erste Fassung der Leitlinie erschien) grundlegend geändert haben. Die Substitutionsdiskussion nahm an Fahrt auf, als auch die Politik erkannte, dass es beim Aut-idem-Austausch zu Problemen kommen kann. Die DPhG hofft, mit der Leitlinie einen konstruktiven Beitrag im Hinblick auf die Ausrichtung der Substitutionsausschlussliste nehmen und pharmazeutischen Sachverstand einbringen zu können. Die Autoren setzen darauf, dass die Leitlinie den G-BA motiviert, sich mit der guten Substitutionspraxis auseinanderzusetzen. Wie sie dafür sorgen wollen, dass die Leitlinie die notwendige Aufmerksamkeit bekommt und Aspekte der guten Substitutionspraxis in die Substitutionsregelungen einfließen, haben Prof. Dr. Dieter Steinhilber, Prof. Dr. Henning Blume und Dr. Klaus G. Brauer, Mitautoren der GSP-Leitlinie, im Gespräch mit der DAZ dargelegt.
DAZ: Die erste Leitlinie zur guten Substitutionspraxis erschien vor zwölf Jahren. Haben Sie das Gefühl, dass sie bisher in der Praxis ausreichend berücksichtigt wurde?
Brauer: Die Apotheker haben sehr wenig von ihrer Möglichkeit Gebrauch gemacht, pharmazeutische Bedenken anzumelden, weit weniger als das die Krankenkassen erwarteten. Nach meiner Auffassung hätten die Apotheker deutlich offensiver davon Gebrauch machen können, wenn sie sich auf die Leitlinie gestützt hätten. Die Leitlinie ist eine Argumentationshilfe, Retaxationen zu vermeiden. Das Gleiche gilt für die Ärzte, die in kritischen Fällen ein Kreuzchen aufs Rezept hätten machen können, um eine Substitution auszuschließen. Dann hätten wir uns die heutige Diskussion um eine Substitutionsausschlussliste ersparen können.
Blume: Hätten also Apotheker und Ärzte im Sinne ihrer Verantwortung für den Patienten sich häufiger gegen eine Substitution entschieden, wäre es zu dem jetzigen Zustand gar nicht gekommen. Bei dem Teil der Apotheker und Ärzte, die sich mit pharmazeutischen bzw. therapeutischen Bedenken im Zusammenhang mit einem Präparatewechsel befasst und sich im Zweifel gegen einen Austausch entschieden hat, ist allerdings die Akzeptanz der Leitlinie groß. Ich glaube aber, dass dieser Anteil bei Apothekern und Ärzten relativ klein ist.
Die aktualisierte GSP-Leitlinie der DPhG– die wesentlichen Änderungen
Biologicals: Ein Abschnitt über Biologicals bzw. die Austauschbarkeit von Inovator-Produkten, Biosimilars und Bioidenticals sowie die sogenannten Non-Biological Complex Drugs (z.B. Heparine) wurde hinzugefügt.
Ersteinsatz von Generika: Vor 12 Jahren waren bei der Entscheidung für ein generisches Präparat „eigene Erfahrung bei dessen Verwendung sowie seine nachgewiesene therapeutische Effizienz im Vergleich zu einem bekannten Präparat (Erstanbieter)“ ausschlaggebend. Heute, mit mehr Erfahrung beim Generika-Einsatz, „kann davon ausgegangen werden, dass alle wirkstoffgleichen Präparate (Einschränkung: Arzneimittel mit modifizierter Wirkstofffreisetzung) problemlos in der betreffenden Indikation eingesetzt werden können“.
Arzneimittelgruppen, bei denen eine Substitution kritisch sein kann: ergänzt wurde die Liste um Lithium und Schilddrüsenhormone, dafür wurden Antidementiva, Antiparkinsonmittel, hormonale Kontrazeptiva und Thrombozytenfunktionshemmer gestrichen. Interferone, die in der alten Version noch an dieser Stelle gelistet waren, finden jetzt im Biologicals-Kapitel Beachtung. Die Kriterien für einen Austausch sind ausführlicher und beispielhafter.
Mehr Darreichungsform weniger Wirkstoff: Die neue Version fokussiert stärker auf die Darreichungsform als Austausch-Kriterium. Zwar spielen Wirkstoffe-bezogene Kriterien wie Löslichkeit in den „allgemeinen Grundlagen für einen sachgerechten Einsatz wirkstoffgleicher Arzneimittel“ noch eine Rolle, sie stellen aber kein eigenes Kapitel mehr (vorher Kap. 5). Das Kapitel zu den Darreichungsformen, bei denen eine Substitution nur unter speziellen Voraussetzungen erfolgen sollte, ist dagegen deutlich ausführlicher und praxisnäher.
Rabattverträge/Pharmazeutische Bedenken: Rabattverträgeund die daraus resultierende Substitutionsverpflichtung existierten bei der ersten Version der Leitlinie noch nicht. In der neuen Fassung ist diese Problematik berücksichtigt.
DAZ: Wenn man die Zusammensetzung des G-BA betrachtet, in dem die Apotheker als Institution bekanntlich nicht vertreten sind – sehen Sie dort den notwendigen Sachverstand, diese Leitlinie umzusetzen?
Brauer: Durch die Anlage VII der Arzneimittelrichtlinie, in der es um die Austauschbarkeit von Darreichungsformen geht, hat der G-BA den Eindruck verfestigt, dass er von Darreichungsformen wenig versteht, dass er Einsparziele höher gewichtet als therapeutisch relevante Unterschiede. Das muss man so deutlich sagen. Das Beispiel von Diclofenac – hier dürfen verschiedene Formulierungen mit unterschiedlicher therapeutischer Intention und mit unterschiedlichen Zielgruppen gegeneinander ausgetauscht werden – kann einen pessimistisch stimmen, ob der G-BA die Kraft hat, seine Grundsatzpolitik zu ändern. Auch mit der Leitlinie.
Blume: Man sollte meines Erachtens nach alles dafür tun, mit dem G-BA in einen konstruktiven Dialog zu treten. Die bisherige Substitutionspraxis war sicherlich nicht optimal und geht jetzt mit einer Substitutionsausschlussliste in eine Richtung, die wissenschaftlich nicht in Ordnung ist und das aufgeworfene Problem, das Anlass für die politische Entscheidung war, auch nicht löst. Möglicherweise ist dies auf eine „Schieflage“ in der Diskussion zwischen den ursprünglichen Verhandlungspartnern zurückzuführen. Es geht doch darum, dass bei chronisch Kranken, die eine Kontinuität in ihrer Therapie brauchen, wiederholte Präparatewechsel, die jedes Mal mit einem Risiko für den Patienten verbunden sind, vermieden werden. Die Liste müsste daher vielmehr eine Aufstellung von Indikationen und Arzneimittelgruppen sein, bei denen nicht die Substitution als solche verboten wird, sondern vielmehr die Verpflichtung zur Substitution aufgehoben werden sollte.
DAZ: Aber lässt sich hierauf überhaupt noch Einfluss nehmen? Ist dieser Zug nicht schon abgefahren?
Brauer: Nein, das ist noch nicht verloren. Die Ausgestaltung liegt jetzt in der Hand des G-BA und wir sollten nicht frühzeitig aufgeben, klarzumachen, dass die ganze Intention des Verfahrens war, den Präparatewechsel bei problematischen Arzneimitteln zu vermeiden. Eine Ausschlussverbotsliste führt allerdings dazu, dass das Problem sogar verschärft wird.
DAZ: Dadurch, dass dem Apotheker mit einer Substitutionsverbotsliste die Hände gebunden sind?
Brauer: Ja. Der Arzt verordnet ein Präparat und der Apotheker muss exakt das verordnete abgeben. Auch wenn vorher etwas anderes verordnet war oder aufgrund von Rabattverträgen etwas anderes abgegeben wurde. Der Apotheker darf dann nicht mehr intervenieren und den Austausch verhindern. Das führt dann zu Präparatewechseln, die durch pharmazeutische Bedenken vermeidbar gewesen wären.
DAZ: Könnte es nicht Apotheker geben, die froh sein werden, jegliche Verantwortung an den Arzt abzugeben?
Blume: Auch solche wird es natürlich geben. Die Liste verlagert in der Tat das Problem vom Apotheker wieder zurück zum Arzt.
Brauer: Und das ist die falsche Richtung. Da muss man die Ärzte auch in Schutz nehmen. Die Frage des Vergleichs von Darreichungsformen – und es geht oft um Darreichungsformen, nicht um Wirkstoffe –, ist eine typisch pharmazeutische Aufgabe. Ein Arzt hat hierfür keine Ausbildung. Daher kann man es ihm nicht übelnehmen, dass er an dieser Stelle keine Sensibilität entwickelt. Die Austauschverbotsliste hingegen verlangt ihm diese ab. Von daher führt die Verbotsliste in ihrer sich derzeit abzeichnenden Ausgestaltung in ein Desaster für den Patienten.
Blume: Das, was mit der Petition (Anmerkung d. Red: die deutsche Schmerzliga hatte eine Petition gegen die Substitution von Opioiden eingereicht, aus der letztendlich die Idee der Verbotsliste resultierte) ursprünglich erreicht werden sollte, wird so auf den Kopf gestellt. Wenn in Zukunft eine häufigere Substitution nun beim Arzt stattfindet, ohne dass dafür medizinische Gründe sprechen wie etwa bei einer bewussten „Opioid-Rotation“, ist das für den betroffenen Patienten keinen Deut besser.
Brauer: Wenn der Arzt aus irgendeinem Grund einen Austausch bewusst will, hat er heute schon und auch in Zukunft die Möglichkeit, das Aut-idem-Kreuz zu machen. Er weiß dann, dass er seinen Patienten wie bei einer Ersteinstellung beobachten muss.
DAZ: Was will die DPhG tun, um die neue GSP-Leitlinie beim G-BA bekanntzumachen?
Steinhilber: Wir werden den G-BA auf verschiedenen Ebenen anschreiben. Zudem werden wir versuchen über die gesundheitspolitischen Sprecher der Parteien die Leitlinie bekannt zu machen. Es ist wichtig, dass diese Diskussion von einer Institution geführt wird, die keine kommerziellen Interessen verfolgt, sondern deren Hintergrund rein wissenschaftlich ist.
DAZ: Planen Sie eine gemeinsame Strategie mit der ABDA?
Steinhilber: Die DPhG sieht sich als wissenschaftliche Vereinigung, die eine Leitlinie veröffentlicht und die wissenschaftlichen Grundlagen darlegt. Wir sehen uns nicht als Interessenvertreter für einen bestimmten Bereich. Von daher würden wir von Seiten der Wissenschaft an den gemeinsamen Bundesausschuss herantreten.
DAZ: Ist der GKV-Spitzenverband auch ein Ansprechpartner? Und welche Reaktionen erwarten Sie von den Krankenkassen?
Steinhilber: Auf jeden Fall. Wir werden ihn ebenfalls anschreiben.
Brauer: Krankenkassen werden sich wehren, was man bei oberflächlicher Betrachtung nachvollziehen kann – es geht um monetäre Interessen. Sie halten die Leitlinie für ein Instrument, die Rabattverträge zu unterlaufen. Doch davon kann keine Rede sein. Es geht vielmehr darum, bei bestehenden Rabattverträgen für Patienten, die problematische Arzneimittel erhalten sollen, eine akzeptable Lösung zu finden. Bezogen auf den gesamten Markt betrifft das ja auch nur eine Untergruppe und nicht alle Rabattverträge. Man muss deutlich machen, dass über die Leitlinie kein Widerstand gegen die Rabattverträge aufgebaut werden soll. Es geht vielmehr darum, aus einer Situation, die in bestimmten Fällen für den Patienten sehr problematisch sein kann, verantwortungsvoll das Beste zu machen.
DAZ: Das Instrumentarium „Rabattvertrag“ ist also nicht generell das Problem?
Blume: Mit Einschränkung. Wenn Rabattverträge eine Gültigkeit von sagen wir einmal 20 Jahren besäßen, wären sie auch bei den angesprochenen kritischen Arzneimittelgruppen, die bei chronisch Kranken eingesetzt werden und für eine konstante Therapie sorgen sollen kein Problem. Da sie aber immer nur kurze Zeit gültig sind, kommt es nach Ende der Laufzeit zwangsläufig zum Präparatewechsel – und der muss vermieden werden. Rabattverträge dürfen somit nicht in allen Fällen zur Substitution verpflichten.
DAZ: Wie sehen Sie die Chancen, dass die Leitlinie in zukünftige Entscheidungen zur Substitution einfließt? Was glauben Sie: Wie offen ist der G-BA für wissenschaftliche Argumente?
Steinhilber: Wir lassen uns überraschen. Wir haben die Leitlinie jetzt angepasst. Sie ist deutlich einfacher und praxisrelevanter geworden. Wir hoffen daher, dass sie bei den Kollegen in der Praxis zukünftig mehr Beachtung findet. Wir appellieren damit an die Kollegen, auf Basis der Leitlinie öfter pharmazeutische Bedenken anzumelden, damit die guten Argumente die gegen eine Substitution sprechen, auch irgendwann ankommen.
Blume: Es gibt verschiedene Ziele, die wir erreichen müssen. Wir müssen bei allen Marktbeteiligten vermitteln, dass es sich nicht nur um eine Leitlinie für Apotheker handelt. Wir müssen die Ärzte mit ins Boot bekommen, denn bei denen ist Substitution auch ein Thema. Es müssten sich in der Folge Apotheker und Ärzte gemeinsam dafür einsetzen, dass bei den kritischen Indikationen, die also eine konstante Dauertherapie erfordern, und problematischen Arzneimittelgruppen, also in erster Linie die Retardpräparate, bei denen ein Wechsel zu Schwankungen führen kann, die erarbeiteten Kriterien berücksichtigt werden. Das ist für mich ein ganz wesentliches Ziel. Als zweites wichtiges Ziel muss es gelingen, Bedenken beim G-BA zu beseitigen, dass diese Leitlinie eine Initiative ist, die Einsparbemühungen des G-BA zu konterkarieren. Und der vielleicht wichtigste Punkt: Es geht um unser gemeinsames Bemühen einer Therapieoptimierung für den Patienten, gerade bei den Patienten, bei denen eine konstante Therapie Voraussetzung für das Erreichen des gewünschten Erfolges ist. Einem solchen Bemühen werden sich auch der G-BA und die GKV nicht verschließen.
DAZ: Es wird also diplomatisches Geschick notwendig sein?
Blume: Ja, diplomatisches Fingerspitzengefühl und viele persönliche Gespräche. Wir müssen uns auch mit Patientenorganisationen zusammentun, denn wir wollen den Patienten helfen. Diese Organisationen haben auch einen großen Einfluss in Richtung Politik. Neben der Fachdiskussion müssen wir uns auf eine politische Diskussion einlassen, um deutlich zu machen, wie die gesetzlichen Vorgaben im Sinne der Patientenpetition umgesetzt werden sollten. Das geht nicht ohne die Patienten. Gleichzeitig müssen wir in einen konstruktiven Diskurs mit dem G-BA eintreten, zu dem dieser hoffentlich im Interesse der betroffenen Patienten bereit sein wird.
DAZ: Vielen Dank für das Gespräch.
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