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INTERPHARM 2014 - ApothekenRechtTag
Haftungsfalle Apotheke?
Was bei der Verletzung der Informations- und Beratungspflichten droht
Wie sich Apotheker bei der Arzneimittelabgabe grundsätzlich zu verhalten haben, bestimmt insbesondere die Apothekenbetriebsordnung. So dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel nicht im Wege der Selbstbedienung in den Verkehr gebracht werden und verschreibungspflichtige Arzneimittel müssen den Verschreibungen entsprechen (§ 17 ApBetrO). Enthält die Verschreibung einen „erkennbaren Irrtum“, muss der Apotheker den Sachverhalt aufklären, ebenso wenn das Rezept unleserlich ist. Auch „sonstigen Bedenken“ – etwa bei Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten – muss er nachgehen und diese – in erster Linie durch Rücksprache mit dem Arzt – ausräumen. Ferner benennt § 20 ApBetrO recht detailliert vorgeschriebene Informations- und Beratungspflichten. Während die Information eine wertungsfreie und meist knappe Weitergabe von pharmazeutischem Wissen bedeutet, geht es bei der Beratung um die individuelle Situation des Patienten. In der Regel handelt es sich um höchstpersönliche Pflichten des Apothekers. Doch er kann diese schriftlich auf sein – gut ausgewähltes! – pharmazeutisches Personal übertragen. Festzulegen ist dabei auch, in welchen Fällen das nicht approbierte pharmazeutische Personal einen Apotheker hinzuzuziehen hat.
Zivilrechtliche Folgen
Was geschieht nun, wenn eine dieser Pflichten verletzt wird? Wigge verwies zunächst auf das 2013 neu ins Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) implementierte Patientenrechtegesetz (§§ 630a bis 630h BGB). Hier geht es um den Behandlungsvertrag, der für Patienten mehr Sicherheit und für Ärzte mehr Klarheit schaffen soll. Dieser trifft die Situation in der Apotheke allerdings nicht. Viel besser passt in der Regel der Kaufvertrag – so sieht es auch die Rechtsprechung. Allerdings geht es nicht nur darum, dem Kunden Eigentum am Arzneimittel zu verschaffen. Geschuldet ist auch die fachgerechte Information und Beratung. Für den Pharmazeuten kann sich eine zivilrechtliche Haftung ergeben, wenn er eine seiner Vertragspflichten verletzt. Kommt es infolge einer von ihm zu verantwortenden falschen Arzneimittelanwendung zu einem Personenschaden, ist der Apotheker verpflichtet, den vor dem schädigenden Ereignis bestehenden Zustand wiederherzustellen – jedenfalls für die Kosten hierzu aufzukommen. Gegebenenfalls muss er auch ein Schmerzensgeld zahlen.
Daneben gibt es die deliktische Haftung: Sie tritt bei eigenem schuldhaften Handeln ein – aber auch, wenn dem „Verrichtungsgehilfen“, etwa der PTA, ein Fehler unterläuft. Problematisch ist hier die Darlegungs- und Beweislast. Grundsätzlich gilt im Zivilprozess: Der Kläger muss die für ihn günstigen anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen. Die Schadensersatzpflicht des Verletzers kommt nur dann zum Tragen, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat, ihm also ein Schuldvorwurf zu machen ist – so sieht es das allgemeine Schuldrecht vor (§ 280 BGB). Dazu muss er zumindest grob fahrlässig bzw. vorsätzlich gehandelt haben. Liegt also etwa eine Verletzung von § 20 ApBetrO vor, so muss der Patient diese ebenso darlegen wie den daraus folgenden Schaden und die Kausalität zwischen beidem. Der Apotheker muss beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft. Das ist kein leichtes Unterfangen – für beide. Im Arzthaftungsrecht sagt die Rechtsprechung allerdings schon immer, dass dies so nicht gehe, da der Patient eine schwächere Position habe. § 280 BGB könne daher keine Anwendung finden. Es gibt vielmehr Beweiserleichterungen – bis hin zur Beweislastumkehr bei einem groben Behandlungsfehler. Diese Praxis auf Apotheker zu übertragen, habe noch nie jemand erwogen, so Wigge. Mittlerweile ist das Richterrecht zur Ärztehaftung ins Patientenrechtegesetz eingeflossen. Es fragt sich, ob die für Ärzte geltenden Regelungen möglicherweise doch auch im Verhältnis Patient-Apotheker anzuwenden sind.
Aktuelle Rechtsprechung
Anlass zu dieser Überlegung gibt nicht zuletzt ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln aus dem letzten Sommer (Az. 5 U 92/12, DAZ 2013, Nr. 34, S. 22). Der hier entschiedene Fall hatte für einiges Aufsehen gesorgt. Eine medizinische Fachangestellte hatte ein Rezept für ein einmonatiges Baby mit Down-Syndrom und Herzfehler ausgestellt. Grundlage hierfür war eine Medikamentenliste des Arztes, auf der unter anderem das digitalishaltige Medikament Lanitop stand – versehen mit der Angabe „2 x 1 gtt“ (Tropfen). Doch die Angestellte schrieb den Zusatz „50 Tbl.“ – Tabletten enthalten gegenüber Tropfen allerdings das Achtfache der normalen Säuglings-Dosierung. Der Arzt unterschrieb das Rezept. Als die Mutter das Rezept in der Apotheke einlöste, bekam sie 50 Tabletten aus einer 100er-Packung. Die Angestellte empfahl, die Tabletten aufzulösen. Es folgten massive Beschwerden bei dem behandelten Baby – bis hin zu Herzstillstand. Ein Teil des Dünndarms musste entfernt werden, es kam zu Hirnschäden und schweren Entwicklungsstörungen. Die Eltern forderten daraufhin vom Kardiologen und dem Apotheker Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 200.000 Euro.
Das OLG bejahte sowohl eine Haftung des Apothekers aus dem Kaufvertrag als auch eine deliktische Haftung. Es sah eine schwere Pflichtverletzung des Apothekers gegeben – welche dieser auch nicht bestritt. Soweit es Zweifel an der Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden gab, löste das Gericht diese mit einer Beweislastumkehr, wie sie aus dem Arzthaftungsrecht bekannt ist: Der Apotheker hätte also beweisen müssen, dass die fehlerhafte Abgabe nicht zu den Schäden geführt hat, die die Eltern des – ohnehin kranken – Kindes beklagen. Dies war ihm unmöglich. Zur Begründung führte das Gericht das damals noch nicht in Kraft getretene Patientenrechtegesetz an: Der Gesetzgeber habe eine entsprechende Anwendbarkeit nicht ausgeschlossen. Ausweislich der Begründung könne die Rechtsprechung die Beweislastnorm (§ 630h BGB) jedenfalls auf Tiermediziner übertragen. Ohnehin sei im Zweifel der Patientenschutz vorrangig. Auch bestehe kein qualitativer Unterschied des Handelns von Arzt und Apotheker – es wäre unbillig, bei einem solchen Zusammenwirken nur den Arzt haften zu lassen. Zudem bestünden Ähnlichkeiten zur Gefährdungshaftung nach § 84 AMG – hier gibt es eine Kausalitätsvermutung, wenn Apotheker als pharmazeutische Unternehmer zulassungspflichtige Arzneimittel in den Verkehr bringen.
„Bedenkliche Übertragung“
Manch einer mag das Urteil für richtig halten, weil es den Apotheker als Heilberufler stärkt. Für Wigge ist die Übertragung der für Ärzte geltenden Regelungen jedoch „sehr bedenklich“. Es bestehe gerade kein Behandlungsverhältnis zwischen Apotheker und Patient – wie das OLG Köln auch selbst festgestellt habe. Die Heilkunde obliege nach dem Heilpraktikergesetz allein dem Arzt – dem Apotheker sei sie nicht zuletzt durch die Berufsordnungen untersagt. Lediglich zu heilkundlichen Verrichtungen wie z.B. dem Messen des Blutdrucks und des Blutzuckers sei er berechtigt. Die Gesetzesbegründung zum Patientenrechtegesetz stelle zudem klar, dass dieses nicht auf Apotheker anwendbar sei. Bereits bei natürlicher Betrachtung bestehe ein Unterschied zur Tätigkeit der anderen medizinischen Heilberufe. Weiterhin, so Wigge, hätten Billigkeitserwägungen hinsichtlich des Zusammenwirkens zwischen Arzt und Apotheker in der Dogmatik des Arzthaftungsrechts keinen Platz. Die Beweislastumkehr sei „keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden“. Überhaupt: Mangels Regelungslücke bestehe gar kein Grund für eine Analogie. Der Gesetzgeber des Patientenrechtegesetzes habe – trotz Kenntnis der Situation des Apothekers – auf dessen Einbeziehung verzichtet.
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