INTERPHARM 2014 - Hormone

Estrogene als „Psychoschutz“?

Wie sich 17β-Estradiol bei schizophrenen Psychosen und Depression nutzen lässt

bf | Estrogene beeinflussen das psychische Befinden. Das zeigen zahlreiche Untersuchungen, die den komplexen Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Sexualhormonen untersucht haben. Da ist es nur folgerichtig, sie auch therapeutisch zu nutzen. Was dabei zu beachten ist, brachte Prof. Dr. Anita Riecher-Rössler, Basel, auf den Punkt.
Foto: DAZ / A. Schelbert / C. Hartlmaier
Prof. Dr. Anita Riecher-Rössler betonte, dass Sexualhormone nicht nur für die Reproduktion wichtig sind, sondern auch für das psychische Befinden.

Estrogene, allen voran 17β-Estradiol, tun der Psyche gut. Dafür sprechen nicht nur experimentelle Daten zu deren neuro- und psychoprotektiven Effekten. Auch klinische Studien untermauern den engen Zusammenhang. Danach verbessern Estrogene affektive Symptome und wirken antipsychotisch. Möglicherweise haben sie auch einen günstigen Effekt auf aggressives und suizidales Verhalten, schützen vor Stress und verbessern kognitive Funktionen.

Sinkt der Estrogen-Spiegel, steigt das Psychoserisiko

Bereits der Blick auf das Alter bei Ersthospitalisation wegen einer schizophrenen Psychose macht einen protektiven Effekt von Estrogenen bei diesem Krankheitsbild wahrscheinlich. Männer erkranken bereits im Alter von Anfang 20 Jahren, Frauen zwei bis fünf Jahre später und in dieser Lebensphase insgesamt weniger häufig. Dafür haben sie einen zweiten Erkrankungsgipfel in der Zeit um die Menopause, also dann, wenn der physiologische Estrogen-Siegel sinkt. Weitere Hinweise sind die zyklusabhängige Häufung von psychotischen Ersterkrankungen und Rezidiven. Bei plötzlichem Estrogen-Entzug werden auch kurze und reversible Psychosen beobachtet, etwa nach einem Abort oder nach Absetzen von Kontrazeptiva. Durchaus kritisch kann auch das plötzliche Absetzen einer postmenopausalen Estrogen-Substitution sein. Besondere Aufmerksamkeit ist bei Schwangeren mit schizophrener Psychose geboten. Nach der Geburt steigt deren Risiko für einen akuten Schub auf das 20-Fache. Sie sollten deshalb nach der Entbindung überwacht werden. Diesen Beobachtungen entsprechend zeigen Estrogen-Interventionsstudien mehrheitlich einen günstigen Effekt auf Psychosen bei Frauen. So konnte bei fertilen Frauen eine schnellere symptomatische Besserung durch adjuvante Estrogen-Gabe zusätzlich zur Standardtherapie mit Neuroleptika gezeigt werden. Bei postmenopausalen Frauen besserte sich unter einer Hormonersatztherapie die Negativ-Symptomatik und sie benötigten weniger Neuroleptika. Damit sinkt auch das Risiko für Nebenwirkungen.

Klimakterium als Stressfaktor

Riecher-Rössler kam angesichts der Datenlage zu dem Schluss, dass Frauen mit schizophrenen Psychosen von einer Estradiol-Substitution im und nach dem Klimakterium mehrfach profitieren. Die Psyche wird positiv beeinflusst, die Tablettenlast gesenkt. Gleichzeitig werden klimakterische Beschwerden reduziert, die als Stressoren einen Rückfall provozieren können. „Bei Frauen mit schizophrenen Psychosen sollten klimakterische Beschwerden deshalb zwingend behandelt werden, betonte sie. Kommt es perimenstruell häufig zu Rückfällen, bietet sich die kontinuierliche Gabe eines monophasischen Ovulationshemmers an. Bei jungen Frauen mit schizophrenen Psychosen und Estrogen-Defizit kann eine Estradiol-Substitution erwogen werden. Wichtig ist dabei, an eine adäquate Kontrazeption zu denken.

Depressionsrisiko bei Estrogen-Mangel erhöht

Zahlreich sind auch die Hinweise zwischen einem Zusammenhang von Estrogenen und Depression. Milde depressive Symptome und emotionale Labilität treten zunehmend mit Abfall oder Fluktuation des Estrogenspiegels auf, etwa in der Pubertät, prämenstruell, postpartal oder perimenopausal. „Perimenopausal und in der Menopause steigen depressive Symptome und Suizidgedanken an, die Inzidenz depressiver Störungen steigt ebenso wie die Rezidivrate“, erläuterte Riecher-Rössler. So zeigte etwa die SWAN-Studie, eine populationsbasierte Kohortenstudie bei Frauen zwischen 42 und 52 Jahren über ein Follow up bis zu zehn Jahren einen signifikanten Anstieg depressiver Symptome und einen zwei- bis vierfachen Anstieg des Risikos für eine Major-Depression in der Perimenopause und frühen Postmenopause.

Allein oder in Kombination mit SSRI

17β-Estradiol lässt sich daher auch zur Therapie der Depression nutzen. In der Perimenopause kann es sogar ausreichen, vor allem wenn die Depression erstmals auftritt und nur mild ausgeprägt ist. Gute Erfolgschancen bestehen auch dann, wenn es anamnestische Hinweise auf eine Estrogen-sensitive Depression gibt, etwa eine PMDD (premenstrual dysphoric disorder) oder eine postpartale Depression. Idealerweise sollte 17β-Estradiol eingesetzt werden, wenn eine zusätzliche Indikation für eine HRT besteht wie etwa Hitzewallungen. Risikofaktoren und Kontraindikationen müssen ausgeschlossen sein. Reicht Estradiol allein nicht aus, kann es unterstützend in Kombination mit einem SSRI (selektiver Serotonine-reuptake-Inhibitor) genutzt werden.

Noch viel zu tun

Insgesamt, so machte Riecher-Rössler deutlich, ist auf diesem Gebiet aber noch viel zu tun. Therapeutische Indikationen für Estradiol im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen seien noch nicht gut untersucht. So fehlen unter anderem Daten zu Kontraindikationen. Auch die Wahl des Gestagens, das bei Frauen, die nicht hysterektomiert, sind unabdingbar ist, muss sorgfältig gewählt werden, denn Gestagene können depressiogen wirken. Progesteron vaginal oder Dydrogesteron könnten hier eine Option sein. 

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