Arzneimittel und Therapie

Neuer Integrase-Inhibitor Dolutegravir gegen HIV-Infektion

ck | Dolutegravir (Tivcay®) erweitert als dritter Integrase-Inhibitor das Spektrum der Behandlungsmöglichkeiten einer Infektion mit HI-Viren. Seine Vorteile: Es ist keine Boosterung wie bei den anderen Integrase-Inhibitoren notwendig, und es kann einmal täglich eingenommen werden.

Die Integrase ist ein zentraler Bestandteil von Retroviren. Sie katalysiert den Einbau der viralen DNA in die Chromosomen der Wirtszelle. Dolutegravir hemmt die HIV-Integrase, indem es an das aktive Zentrum bindet und den für den Replikationszyklus essenziellen Strangtransfer und damit die Integration der retroviralen Desoxyribonukleinsäure (DNA) hemmt. Integrase-Inhibitoren sind eine relativ junge Wirkstoffgruppe. Der erste Vertreter war Raltegravir (Isentress®), das 2008 in Deutschland eingeführt wurde. Raltegravir hat eine relativ kurze Wirkdauer und muss deshalb zweimal täglich eingenommen werden. Der zweite Integrase-Inhibitor Elvitegravir wurde 2013 als Bestandteil einer fixen Kombination (Stribild®) eingeführt, die noch den nicht antiviral wirksamen Booster Cobicistat, der den Elvitegravir-Abbau hemmt, den nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor Emtricitabin und den nukleotidanalogen Hemmstoff der Reversen Transkriptase Tenofovir-Disoproxilfumarat enthält. Das neue Dolutegravir kommt ohne einen Booster aus. Die Wirksamkeit von Dolutegravir wurde in zulassungsrelevanten Studien mit mehr als 2500 therapienaiven und vorbehandelten Patienten belegt, sowohl im Vergleich mit dem Integrase-Inhibitor Raltegravir als auch verglichen mit der fixen Kombination aus Emtricitabin, Tenofovir und Efavirenz. Die Wirksamkeit von Dolutegravir war in zwei Phase-III-Studien statistisch überlegen und zeigte nicht unterlegene Wirksamkeit in einer dritten Zulassungsstudie. In den klinischen Studien wurde eine nur niedrige Therapieabbruchrate aufgrund von Nebenwirkungen sowohl bei nicht-vorbehandelten als auch bei vorbehandelten Patienten beobachtet.

Antiretrovirale Therapie Nur eine hohe antivirale Aktivität der Kombinationstherapie und eine dauerhafte Reduktion der Viruslast können Resistenzentwicklung und Therapieversagen nachhaltig verhindern.

Einmal täglich reicht

Nach heutigem Wissensstand muss eine antiretrovirale Therapie (ART) lebenslang ohne Unterbrechungen eingenommen werden. Je häufiger eine Therapie unterbrochen wird, desto größer ist das Risiko einer Resistenzentwicklung, insbesondere bei bestehenden Resistenzen und Kombination von Wirkstoffen mit unterschiedlicher Halbwertszeit. Die Verfügbarkeit einfach einzunehmender und gut verträglicher Kombinationen, die Einnahmefehler verringern, ermöglicht heute einen früheren Therapiebeginn. Dolutegravir muss nur einmal täglich eingenommen werden, es wird nach oraler Anwendung rasch resorbiert, mit einer mittleren Tmax von zwei bis drei Stunden nach der Einnahme. Nahrungsmittel führten zu einer höheren und verzögerten Resorption von Dolutegravir. Die Bioverfügbarkeit ist von der Zusammensetzung der Mahlzeit abhängig: Mahlzeiten mit niedrigem, mittlerem oder hohem Fettgehalt erhöhten die AUC(0 – ∞) von Dolutegravir um 33%, 41% bzw. 66%, erhöhten die Cmax um 46% bzw. 67% und verlängerten Tmax von 2 Stunden bei Anwendung im Nüchternzustand auf 3, 4 bzw. 5 Stunden. Diese Anstiege können von klinischer Relevanz sein. Als Vorsichtsmaßnahme wird deshalb empfohlen, Dolutegravir zusammen mit einer Mahlzeit einzunehmen.

Steckbrief

Handelsname: Tivicay

Hersteller: ViiV Healthcare GmbH, München

Einführungsdatum: 15. Februar 2014

Zusammensetzung: jede Filmtablette enthält Dolutegravir-Natrium, entsprechend 50 mg Dolutegravir

Stoffklasse: antivirale Mittel zur systemischen Anwendung, andere antivirale Mittel, ATC-Code: J05AX12

Indikation: in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln zur Behandlung von Infektionen mit dem humanen Immundefizienz-Virus (HIV) bei Erwachsenen und bei Jugendlichen im Alter von über zwölf Jahren.

Dosierung: Die empfohlene Dosis beträgt 50 mg Dolutegravir (eine Tablette) einmal täglich. Liegt eine Integrase-Inhibitor-Resistenz vor bzw. wird diese klinisch vermutet, so beträgt die empfohlene Dosis 50 mg Dolutegravir (eine Tablette) zweimal täglich.

Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile; die gleichzeitige Anwendung mit Dofetilid

Nebenwirkungen: Die am häufigsten aufgetretenen Nebenwirkungen waren Übelkeit, Durchfall und Kopfschmerzen.

Wechselwirkungen: Dolutegravir wird vor allem über die Leber metabolisiert und ausgeschieden, eliminiert wird es hauptsächlich durch die Metabolisierung über UGT1A1. Es ist außerdem Substrat von UGT1A3, UGT1A9, CYP3A4, Pgp und BCRP; deshalb können Arzneimittel, die Induktoren dieser Enzyme sind, zu einer Abnahme der Dolutegravir-Plasmakonzentration und der therapeutischen Wirksamkeit von Dolutegravir führen. Magnesium- oder Aluminium-haltige Antazida, Eisen- und Calcium-haltige Ergänzungsmittel, Multivitaminpräparate und Enzym-induzierende Mittel, Tipranavir/ Ritonavir, Rifampicin und bestimmte Antiepileptika können die Dolutegravir-Exposition reduzieren. Dolutegravir kann die Metformin-Konzentrationen erhöhen.

Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Liegt eine Integrase-Inhibitor-Resistenz vor, muss berücksichtigt werden, dass die Aktivität von Dolutegravir beträchtlich eingeschränkt ist. Es ist nicht bekannt, wie wirksam Dolutegravir bei Vorliegen einer solchen Resistenz ist. Die Patienten müssen darauf hingewiesen werden, dass Dolutegravir nicht zu einer Heilung der HIV-Infektion führt und dass auch weiterhin opportunistische Infektionen oder andere Komplikationen einer HIV-Infektion auftreten können.

Dolutegravir

Vorsicht mit CYP3A4-Induktoren

Häufige Nebenwirkungen von Dolutegravir waren Übelkeit (15%), Durchfall (16%) und Kopfschmerzen (14%). Zu den schweren Komplikationen gehören Überempfindlichkeitsreaktionen sowie Leberfunktionsstörungen bei Patienten, die gleichzeitig mit Hepatitis B oder C infiziert sind. Der Metabolismus von Dolutegravir wird zu wesentlichen Anteilen durch CYP3A4 und UGT1A1 katalysiert, so dass die entsprechenden Induktoren (Carbamazepin, Johanniskraut, Oxcarbazepin, Phenobarbital, Phenytoin, Primidon) die Bioverfügbarkeit und die antiretrovirale Wirksamkeit von Dolutegravir deutlich mindern können. Auch bei gleichzeitiger Behandlung mit den nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Hemmern Etravirin, Efavirenz und Nevirapin muss mit einer verminderten Wirksamkeit von Dolutegravir gerechnet werden, da auch sie CYP3A4 und die Glucuronyltransferase UGT1A1 induzieren. Die Einnahme zusammen mit polyvalenten Kationen (Aluminium, Calcium, Eisen, Magnesium) kann die antiretrovirale Wirksamkeit von Dolutegravir möglicherweise beeinträchtigen, da schwer absorbierbare Komplexe gebildet werden und die Bioverfügbarkeit von Dolutegravir verringert wird. Polyvalente Kationen sollten daher mit deutlichem zeitlichem Abstand zu Dolutegravir eingenommen werden: mindestens zwei Stunden danach oder sechs Stunden davor.

Langzeitschutz vor HIV möglich?

Eine weitere Untersuchung mit Dolutegravir hat die Fachwelt aufhorchen lassen. In Tierversuchen an Affen ist es gelungen, die Tiere vor einer analen oder vaginalen Infektion mit HI-Viren zu schützen. Dazu wurde den Tieren eine spezielle Formulierung von Dolutegravir (GSK744 long-acting, LA) im Abstand von vier Wochen zweimal intramuskulär appliziert. Die Makaken konnten zuverlässig vor einer analen Infektion mit einem Hybridvirus (SHIV, simianes Immundefizienz-Virus) geschützt werden, das bei Affen Aids auslöst. In der Kontrollgruppe ohne die Dolutegravir–Applikation traten dagegen Infektionen auf. In einer anderen Untersuchung wurde einmal die spezielle Dolutegravir-Formulierung intramuskulär injiziert und die Tiere nach einer Woche und danach im wöchentlichen Abstand rektal mit SHI-Viren in Kontakt gebracht. Es zeigte sich, dass der Schutz durch den Integrase-Inhibitor länger anhält: Erst nach sechs bis 17 Expositionen trat eine Infektion auf. Die Autoren spekulieren daher, dass eine intramuskuläre Injektion im Abstand von drei Monaten für eine effektive Präexpositionsprophylaxe ausreichen könnte. Klinische Studien sind geplant. Damit könnte man dem Schutz vor einer HIV-Infektion einen Schritt näher gekommen sein. Denn die bisherige Suche nach einer oralen Präexpositionsprophylaxe, mit der verhindert werden sollte, dass sich das Virus nach dem Eindringen in den Körper vermehren kann, ist auch an der mangelnden Compliance der Teilnehmer gescheitert. So war die Effektivität einer NRTI-haltigen Kombinationstherapie nur gering, weil viele Teilnehmer ihre Tabletten nicht regelmäßig einnahmen. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit der antiretroviralen Wirkstoffe kommt es dann zu Lücken im Infektionsschutz, die dem HI-Virus die Etablierung einer chronischen Infektion ermöglichen.

Quelle: Andrew DC. Long-Acting Integrase Inhibitor Protects Macaques from Intrarectal Simian/Human Immunodeficiency Virus. Science 2014; 1151-1154. doi: 10.1126/science.1248707.

Quelle

Fachinformation Tivicay®, Stand Januar 2014.

Deutsch-Österreichische S2K-Leitlinie zur antiretroviralen Therapie der HIV-Infektion, AWMF-Register-Nr.: 055-001, Stand Februar 2012.

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