Arzneimittel und Therapie

Ziele setzen, Mangelernährung vermeiden

Diabetes-Behandlung im Alter

Etwa jede dritte Frau und jeder vierte Mann im Alter zwischen 75 und 80 Jahren sind an einem Diabetes erkrankt, in Deutschland leben schätzungsweise zwei bis drei Millionen betagte und hochbetagte Diabetiker. Diese geriatrischen Patienten leiden häufig an weiteren Erkrankungen, hinzu kommen Einschränkungen wie körperlicher und geistiger Abbau, Depressionen und ein vermindertes Sehvermögen. Wie diese Patienten betreut werden sollten, erläuterte Dr. Andrej Zeyfang, Stuttgart, beim diesjährigen Heidelberger Fortbildungskongress der LAK Baden-Württemberg.

Der betagte Mensch erfährt im fortgeschrittenen Alter unabhängig von weiteren Erkrankungen funktionelle Einschränkungen und Behinderungen, die unter der Bezeichnung „geriatrisches Syndrom“ zusammengefasst werden. Darunter fallen Immobilität, Inkontinenz, intellektueller Abbau, Instabilität (Sturzneigungen) und eine Suszeptibilität für iatrogene Schäden – Beschwerden, die unter der plakativen Bezeichnung „die fünf geriatrischen I`s“ subsummiert werden. Zu dem geriatrischen Syndrom gesellen sich meist weitere Begleit- und Folgeerkrankungen, die sich beeinflussen und verstärken können. Für den Betroffenen sind die Auswirkungen des geriatrischen Syndroms oft schwerwiegender als die Folgen einer kardiovaskulären oder diabetischen Erkrankung. Das heißt, die Behandlung und Betreuung dieser Patienten hat neben der Therapie der Grunderkrankung stets eine Verbesserung des geriatrischen Syndroms und der Lebensqualität zum Ziel.

Zielwerte bei betagten Diabetikern Liegt normalerweise der Zielwert unter 6,5%, so muss bei Älteren, für die eine Unterzuckerung eine besondere Gefahr darstellt, nicht dogmatisch unter 6,5% eingestellt werden. Ein Wert von 7 bis 8% kann bei Älteren oft sinnvoller sein.

Risikofaktor Diabetes

Beim betagten Diabetiker ist das Risiko, ein kardiovaskuläres Ereignis zu erfahren, doppelt so hoch wie bei Nicht-Diabetikern. Der Einfluss eines Diabetes auf kardiovaskuläre Erkrankungen ist komplex und hängt unter anderem von der Art der Blutzuckereinstellung und der Dauer der Erkrankung ab. Im Hinblick auf die kardiovaskuläre Mortalität zeigt bei kurzer Diabetes-Dauer eine intensivierte Therapie mit guter Blutzuckereinstellung deutliche Vorteile. Bei sehr langer Diabetes-Dauer mit vorhergehend langzeitig schlechter Blutzuckereinstellung kann sich eine spät begonnene niedrige Blutzuckereinstellung ungünstig auswirken. Auch das Demenz-Risiko ist bei Diabetikern erhöht. So weisen Typ-2-Diabetiker ein bis zu vierfach erhöhtes Risiko für eine gefäßbedingte Demenz auf. Das Risiko für eine Alzheimer Demenz ist anderthalb bis zweimal so hoch. Die Gedächtnisschwäche erschwert es wiederum, die Blutzuckerwerte zu überwachen. Umgekehrt zeigen sich bei einer verbesserten Blutzuckereinstellung bessere kognitive Leistungen. Aber: Eine zu straffe bzw. falsche Blutzuckereinstellung, die eine starke Hypoglykämie zur Folge hat, erhöht wiederum das Risiko für eine Demenz. Das heißt, sowohl Hypo- wie auch Hyperglykämien erhöhen das Demenz-Risiko.

Individuelle Ziele: Safety first!

Betagte Diabetiker sollten unter Berücksichtigung ihrer Begleiterkrankungen und ihrer individuellen Möglichkeiten behandelt werden. Die Einschätzung der Funktionsstörungen erfolgt mithilfe eines geriatrischen Basisassessments. Darunter versteht man standardisierte Verfahren, die Selbsthilfefähigkeit, Ernährung, Sozialstatus, Mobilität und die kognitive Leistungsfähigkeit einschätzen. Eine praxisbezogene Einteilung unterscheidet nach gutem funktionellem Status („go-go“), eingeschränktem funktionellem Status („slow-go“) und extrem eingeschränktem funktionellem Status („no-go“). Das heißt, vor der Festlegung einer Therapie wird ermittelt, welche Interventionen überhaupt möglich sind, um die vorrangigen Ziele – Vermeiden eines geriatrischen Syndroms, Prävention iatrogener und makrovaskulärer Schäden, Verbesserung der Lebensqualität und Vermeiden einer Überforderung – zu erreichen. Des Weiteren müssen Können und Wollen des Patienten berücksichtigt werden.

Ernährung des betagten Diabetikers

  • angepasste Kalorienaufnahme, ausgewogene Mischkost
  • leichtes Übergewicht kann toleriert werden (BMI 25 bis 30 kg/m²)
  • Unter- und Mangelernährung vermeiden
  • bei Untergewicht oder Mangelernährung energie- und nährstoffreiche Nahrung
  • eventuell Supplementation von Proteinen, da der Eiweißbedarf im Alter zunimmt
  • bei Schluckstörungen die Konsistenz der Nahrung anpassen, um Aspirationen zu verhindern

Hypoglykämien vermeiden

Mittel der Wahl zur oralen antidiabetischen Therapie ist Metformin. Sulfonylharnstoffe gelten als zweite Wahl. Wird Metformin eingesetzt, ist die Nierenfunktion zu überprüfen, da Metformin renal verstoffwechselt wird. Bei ungenügendem Ansprechen der oralen Therapie sollte ein frühzeitiger Wechsel auf Insulin erfolgen. Vor allem normal- und untergewichtige Patienten profitieren von den anabolen Insulin-Wirkungen. Allerdings können kognitive oder körperliche Einschränkungen die eigenständige Insulinapplikation erschweren. Bei der Einstellung des Blutzuckerspiegels gelten folgende Empfehlungen: Glucosespiegel unter 90 mg/dl (< 5,0 mmol/l) sollten unbedingt vermieden werden. Der Nüchternblutzucker sollte nicht unter 108 mg/dl (< 6,0 mmol/l) liegen, um Hypoglykämien zu vermeiden. Bei einem Nüchternblutzucker, der 126 mg/dl (< 7 mmol/l) nicht überschreitet, sollte keine medikamentöse antidiabetische Therapie begonnen werden. Bei geriatrischen Diabetespatienten müssen Hypoglykämien unbedingt vermieden werden, in der Regel liegen die angestrebten HbA1c-Werte zwischen 7 und 8%.

Malnutrition verhindern

Da ungefähr ab dem 75. Lebensjahr eine Gewichtsabnahme einsetzt, sind auch viele betagte Diabetiker von einer Änderung des Ernährungszustandes betroffen. Die Ursachen hierfür sind vielfältig, neben sozialen und psychischen Faktoren können auch Arzneistoffe (Metformin, Laxanzien, Zytostatika, Diuretika), kognitive Beeinträchtigungen und ein schlechtes Kau- und Schluckvermögen zur Gewichtsabnahme führen. Der Ernährungsstatus älterer Diabetiker ist im Allgemeinen schlechter als der von Nicht-Diabetikern. Dies ist unter anderem durch die bei Diabetikern häufiger auftretende Frailty (Gebrechlichkeit) bedingt. Mangelernährung und eine physiologisch bedingte Abnahme der Muskelmasse fördern die Entstehung einer Sarkope-nie (übermäßige Abnahme von Muskelkraft und Muskelmasse) und verschlechtern die Funktionalität. Um dem vorzubeugen, muss rechtzeitig eine Mangelernährung erkannt werden. 

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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