Arzneimittel und Therapie

Im Zweifel für den Angeklagten

Rosiglitazon in den USA rehabilitiert

Das Tauziehen um Rosiglitazon (Avandia®) hat in den USA nun eine weitere Wendung genommen. Nachdem es einst ein großer Blockbuster war, zerstörten 2007 Studienergebnisse, die ein erhöhtes Herzinfarktrisiko zeigten, alle Hoffnungen, die in das orale Antidiabetikum gesetzt wurden. Neue Ergebnisse haben im Sommer dieses Jahres Zweifel an der damaligen Entscheidung aufkommen lassen, die Verordnung von Rosiglitazon an viele Restriktionen und Vorsichtsmaßnahmen zu knüpfen. Die FDA folgte nun der Empfehlung eines Expertenkomitees und hebt die meisten Anwendungsbeschränkungen von Rosiglitazon auf.

Die FDA berücksichtigt mit ihrer Entscheidung neueste wissenschaftliche Erkenntnisse zum potenziellen kardiovaskulären Risiko von Rosiglitazon, welches schwächer als bisher angenommen zu sein scheint [1]. Rosiglitazon war 2007 in Verruf geraten, nachdem eine viel beachtete Metaanalyse mehrerer klinischer Studien ein um 42% erhöhtes Herzinfarktrisiko identifizierte [2]. Im Gegensatz dazu stellte eine vom Hersteller GlaxoSmithKline gesponsorte Studie (Rosiglitazone Evaluated for Cardiovascular Outcomes and Regulation of Glycemia in Diabetes, RECORD-Studie) fest, dass Rosiglitazon im Vergleich zur Standardtherapie aus Metformin und einem Sulfonylharnstoff nicht das Risiko allgemeiner kardiovaskulärer Morbidität und Mortalität erhöht [3]. Die RECORD-Studie konnte allerdings Zweifel bezüglich eines erhöhten Herzinfarktrisikos nicht widerlegen und somit damals die europäische Arzneimittelagentur EMA nicht davon abhalten, das Ruhen der Zulassung von Rosiglitazon-haltigen Arzneimitteln zu verfügen und auch nicht die amerikanische Arzneimittelagentur FDA, sehr restriktive Anwendungsbeschränkungen zu erlassen.

Die Wirkung der Glitazone Wird der Peroxisomen-Proliferator-aktivierte Rezeptor gamma (PPARγ) durch Glitazone aktiviert, so kommt es zu einer Induzierung der Adipozyten-Differenzierung und der vermehrten Fettspeicherung, die Lipogenese wird ebenso gesteigert wie die Glucose-Aufnahme der Zellen. Die Gluconeogenese nimmt ab. Die Insulin-Wirkung wird verbessert, der Blutzucker sinkt, bei Typ-2-Diabetes wird die Insulin-Resistenz geringer.

Harte Restriktionen

Diese wurden in einem 167 Seiten starken Dokument zur „Risikoevaluation und -abschwächung“ (Risk Evaluation and Mitigation Strategy, REMS) gebündelt. Ziele des REMS-Programms waren, die Verordnung Ärzten vorzubehalten, die um den potenziellen negativen Einfluss von Rosiglitazon auf das Herzinfarktrisiko wissen, und die Verordnung auf Patienten zu beschränken, die über die unerwünschte Arzneimittelwirkung aufgeklärt wurden und schon Rosiglitazon erhielten oder deren Blutzucker-Kontrolle durch andere medikamentöse Maßnahmen nicht erreicht werden konnte. Zu guter Letzt musste man zertifiziert sein, um Rosiglitazon als Arzt verschreiben oder als Apotheker abgeben zu dürfen. Auch die Patienten mussten eine Registrierung und ständige Kontrollen durchlaufen. Insgesamt bedeuteten diese Sicherheitsmaßnahmen einen hohen bürokratischen Aufwand und führten dazu, dass Rosiglitazon in den USA quasi von der Bildfläche verschwand.

RECORD-Neuauswertung

Im Sommer dieses Jahres wurden nun Ergebnisse einer Re-Evaluation der kardiovaskulären Ereignisse der RECORD-Studie veröffentlicht [4]. Das mit der Analyse beauftragte Duke Clinical Research Institute (DCRI) konnte die Erkenntnisse der Original-Publikation nach aufwändiger Überprüfung aller 2200 klinischen Ereignisse (Todesfälle, Herzinfarkte, Schlaganfälle) und unter Einbeziehung von ursprünglich unbekannten Ausgängen bestätigen: Unter Rosiglitazon war eine vergleichbare Zahl kardiovaskulär bedingter Todesfälle und tödlicher Schlaganfälle oder Herzinfarkte zu verzeichnen wie im Vergleichsarm der Standardtherapie aus Metformin plus einem Sulfonylharnstoff. Die Gesamtsterblichkeit und die Rate an nicht-tödlichen Schlaganfällen waren unter Rosiglitazon niedriger, die der nicht-tödlichen Herzinfarkte allerdings höher. Wie in der Original-Publikation konnte für diese Ergebnisse keine statistische Signifikanz gezeigt werden.

Verfügbar für alle

Die Entscheidung der FDA hat nun dreierlei Auswirkungen: Die Kennzeichnung von Rosiglitazon bezüglich der kardiovaskulären Sicherheit wird modifiziert, das REMS-Programm wird verändert, und die Durchführung einer klinischen Studie, welche Rosiglitazon mit Pioglitazon und anderen Antidiabetika vergleichen sollte (Thiazolidinedione Intervention with Vitamin D Evaluation, TIDE-Studie), wurde gestoppt, da sie als nicht mehr erforderlich angesehen wird. Aus Sicht der Patienten sind relevante Auswirkungen, dass Rosiglitazon nicht mehr auf die Anwendung bei bestimmten Patienten beschränkt wird, sondern wieder für alle Typ-2-Diabetiker zuzulassen ist. Zudem werden Patienten Rosiglitazon nicht mehr über das REMS-Programm erhalten, sondern können das Arzneimittel über ihre reguläre Apotheke oder den Versandhandel beziehen.

Im Zweifel für den Angeklagten?

Ob Rosiglitazon in den USA das verspielte Vertrauen wieder zurückgewinnen kann, oder ob der Beigeschmack der alten Erkenntnisse zum erhöhten Herzinfarktrisiko bleiben wird, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Da in der Zwischenzeit neuere Antidiabetika die Marktreife erreicht haben, wird dieses Unterfangen schwer werden. Ob die europäische Arzneimittelagentur EMA das für Rosiglitazon verhängte Ruhen der Zulassung revidieren und ihrem amerikanischen Pendant in seiner modifizierten Risikoeinschätzung folgen wird, bleibt abzuwarten. 

Quelle

[1] FDA News Release: FDA requires removal of certain restrictions on the diabetes drug Avandia. www.fda.gov/NewsEvents/Newsroom/PressAnnouncements/ucm376516.htm (letzter Zugriff am 1. Dezember 2013).

[2] Nissen SE, Wolski K. Effect of Rosiglitazone on the Risk of Myocardial Infarction and Death from Cardiovascular Causes. N Engl J Med 2007; 356: 2457‒2471.

[3] Home PD et al. Rosiglitazone evaluated for cardiovascular outcomes in oral agent combination therapy for type 2 diabetes (RECORD): a multicentre, randomised, open-label trial. Lancet 2009; 373: 2125‒2135.

[4] Mahaffey KW et al. Results of a reevaluation of cardiovascular outcomes in the RECORD trial. American Heart Journal 2013; 166(2): 240‒249.e1.

 

Apothekerin Dr. Verena Stahl

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