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About Schmidt

Gerhard Schulze

Als im Jahr 2002 der Film "About Schmidt" erschien, waren viele Filmkritiker erstaunt, dass ausgerechnet der Schauspieler Jack Nicholson, der in früheren Filmen zu kaum etwas anderem fähig schien als dämonisch zu grinsen und den Fiesling zu geben, die Hauptrolle erhalten hatte. Nicholson spielt einen Versicherungsvertreter, der daran zu scheitern droht, seinem Leben im Ruhestand einen Sinn zu geben. Der nüchterne und auch ein wenig langweilige Zahlenmensch Schmidt, der sich im Berufsleben nie fragen musste, was es sonst noch gibt, steht nach seiner Pensionierung zunächst vor dem Nichts, rappelt sich dann aber auf und mutiert zum humorvollen, sympathischen Versteher seiner Lebenswelt.

Als "About Schmidt" 2002 erschien, hieß der ADBA-Präsident noch Hans-Günter Friese, auf ihn folgte Heinz-Günter Wolf. Beide Präsidenten taten still ihren Dienst und blieben in der Öffentlichkeit unsichtbar. Nun aber wählte die Mitgliederversammlung der ABDA den Apotheker Friedemann Schmidt zu ihrem Präsidenten. Schmidt ist vielen Fernsehzuschauern bekannt und fast schon ein Star. Er ist öffentlichkeitserprobt und damit, so könnte sich die Apothekerschaft erhoffen, ein Präsident, an dem man nicht so leicht vorbeikommt.

Der neue ABDA-Präsident stammt aus Leipzig, studierte noch unter den Bedingungen der DDR und forschte zu den soziologischen Grundlagen der Pharmazie sowie zur Missionsarbeit mit Arzneimitteln. Mich hätte rein professionell interessiert, was bei dieser Forschungsarbeit herausgekommen ist, aber mehr brachte ich über das Internet leider nicht in Erfahrung.

Einen Apothekerpräsident, den man aus dem Fernsehen kennt, gab es noch nie. Schmidt bearbeitet dort Gesundheitsthemen, aber er interessiert sich auch für soziale Phänomene. Ich habe mir über die Mediathek des Senders N24 seine Sendung "Deutschland akut" genauer angeschaut. Schmidt moderiert zu Themen wie Gewaltkriminalität, Piratenpartei oder Burn-out-Syndrom. Oft genug habe ich mich gefragt, ob Gewalttätern die ewige Verständnishuberei gut tut oder nicht, und es schien mir mehr als zweifelhaft, ob man mit Plastikworten wie "Transparenz" oder "Entschleunigung" an den Kern unserer gegenwärtigen Probleme herankommt. Auch die Frage, ob Kapitalismus und böse Moderne schuld daran sind, wenn immer mehr Menschen über das Burn-out-Syndrom klagen, führt meines Erachtens in die falsche Richtung. Doch wie undifferenziert, mainstreamhaft und oberflächlich solche Themen auch erörtert werden mögen, Hauptsache ist, sie kommen auf den Tisch. Dass nun auch ein Apotheker weithin sichtbar das tut, was andere schon längst für sich in Anspruch nehmen, scheint mir ein gutes Zeichen und muss selbst jenen, die den Handverkaufstisch als Tresen und die Apotheke als Laden bezeichnen, Respekt abnötigen.

Denn in der Apotheke – wie in allen anderen Bereichen unserer Wirtschaft auch – kann es beim Wiegen, Messen, Abfüllen und Rezepte abrechnen allein nicht mehr bleiben. Rechnen ist wichtig, aber zusätzlich ist auch Verstehen gefragt, und genau da setzt Friedemann Schmidt an. Mit Rechnen allein endet man da, wo der Film "About Schmidt" erst anfängt: Ohne eigenen Kurs mitten im Meer der Möglichkeiten. Je mehr man sich nur ans Rechnen hält und sonst keinen Plan hat, desto weniger kommt am Ende dabei heraus. Wenn das jemand in den letzten Jahren erfahren hat, dann die Apotheker.

About Schmidt: Im dem langsam sich entwickelnden Film wird aus dem abgekapselten Versicherungsvertreter Schmidt ein sympathischer, weltoffener Vater und Freund. Aber es ist freilich nur ein Film. In der Realität haben wir einen neuen ABDA-Präsidenten, der zufällig auch Schmidt heißt. Er hat es mit dem sich langsam veränderndem Berufsbild des Apothekers zu tun. Seine Aufgabe könnte man darin sehen, die Bedeutung pharmazeutischer Kompetenz für das öffentliche Wohl sichtbar zu machen und darzulegen, warum die inhabergeführte Apotheke ein unbedingt erhaltenswertes Kulturgut ist.

Apotheker können viel mehr als die Qualität und Lieferfähigkeit von Arzneimitteln sicherstellen. Sie werden eine zentrale Rolle spielen bei dem Versuch, die Arzneimitteltherapie endlich zu dem zu machen, was sie sein könnte und bei Weitem noch nicht ist. Auch Lebensstil, Vorsorge, Nachsorge, biografische Ausnahmesituationen: Was derzeit an Themen und Ideen für ein neues Berufsprofil diskutiert wird, ist erst der Anfang. Apotheker sind kompetente Experten für viele Aspekte unserer Lebenswelt, und die Kunden wollen immer mehr darüber wissen. Sie stehen oft lange an, nur um an eine Information zu kommen, die sie anderswo nicht so leicht und kostenfrei erhalten. Friedemann Schmidt hat die Anlagen dazu, dies nach allen Regeln der Kunst in die Öffentlichkeit zu tragen, sich einzumischen, Kante zu zeigen. Wenn er sich traut.


Gerhard Schulze


Gerhard Schulze, geb. 1944, ist Professor für Soziologie an der Universität Bamberg. Seine Arbeiten untersuchen den kulturellen Wandel der Gegenwart.



DAZ 2013, Nr. 5, S. 21

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