Feuilleton

Woher die merkwürdigen Namen?

Ein Streifzug durch die Geschichte einiger Natur- und Arzneistoffe

* Herrn Prof. Dr. Walter Krämer, dem unermüdlichen Kämpfer für die Reinheit unserer Sprache und Vorsitzenden des Vereins Deutsche Sprache e.V., in freundlicher Verbundenheit zum 65. Geburtstag gewidmet.
  • Warum heißt die Blausäure Blausäure, wo sie doch farblos ist?
  • Welche Wertigkeit hat der Phosphor im Phosgen?
  • Wer meint was, wenn er von Blaukreuz, Gelbkreuz, Grünkreuz, Rotkreuz und Weißkreuz spricht?
  • Was ist Königswasser?
  • Ist Heroin das weibliche Pendant zum männlichen Heroen?
  • Haben Hoffmannstropfen etwas mit Hoffmanns Erzählungen zu tun?

Es geht hier um die Bezeichnungen von Naturstoffen, Wirkstoffen, Arzneistoffen, einigen Arzneimitteln und ein paar wichtigen „Chemikalien“, deren kuriose Namen einer Erklärung bedürfen, um verstanden zu werden.

Die Blausäure hat ihren Namen von ihrem klassischen Ausgangsstoff, dem Berliner Blau (s.u.). Carl Wilhelm Scheele (1742–1786) hatte sie 1782 erstmals dargestellt und Berliner-Blau-Säure genannt.

Phosgen ist das Dichlorid der Kohlensäure (COCl2). Es enthält keinen Phosphor. Der Name ist von der Herstellung abgeleitet, die in der photoinduzierten Anlagerung von Chlor an Kohlenstoffmonoxid besteht; „von Licht erzeugt“, gr. phos = Licht, genein = erzeugen.

Die Bezeichnungen Blaukreuz, Gelbkreuz, Grünkreuz, Rotkreuz, Weißkreuz stammen aus dem 1. Weltkrieg und beziehen sich auf die Markierung der Munition mit farbigen Kreuzen für die unterschiedlichen Klassen chemischer Kampfstoffe.

Königswasser ist eine Mischung von drei Teilen konzentrierter Salzsäure und einem Teil konzentrierter Salpetersäure, die ihren Namen von der Fähigkeit erhielt, den „König der Metalle“, nämlich Gold, aufzulösen.

Heroin® war ursprünglich der Warenname für Diacetylmorphin (Diamorphin), das die Firma Bayer ab 1898 als gut verträgliches, „nicht süchtig machendes“ Schmerz- und Hustenmittel mit einer deutlich stärkeren Wirkung als Morphin ausgeboten hat. Erst 1904 erkannte man, dass der Heroinkonsum zur Abhängigkeit führt. 1931 hat Bayer das Heroin vom Markt genommen. Zur Namensgebung wurde gr. heros/heroios = Held/heldenhaft herangezogen, um die besonders starke Wirkung zu charakterisieren.

Die nach ihrem Erfinder Friedrich Hoffmann (1660–1742) benannten Hoffmannstropfen sind ein Gemisch von drei Teilen Weingeist (Ethanol) und einem Teil Ether (Diethylether) und werden auch als Etherweingeist (Spiritus aethereus) bezeichnet. Sie sind als „Traditionelles Arzneimittel zur Besserung des Befindens bei Schwächeanfällen“ auf dem Markt; auch bei Krämpfen und Neuralgien werden sie angewendet. „Hoffmanns Erzählungen“ ist dagegen der Name einer Phantastischen Oper in fünf Akten von Jacques Offenbach. In einer Szene des 1. Aktes taumelt Hoffmann nach einem rasenden Tanz mit Olympia so sehr, dass er Hoffmannstropfen hätte gebrauchen können.

Bezeichnungsverfahren

Sehen wir von diesen Kuriositäten ab und fragen, wie die Namen üblicherweise gebildet werden, so ergeben sich die folgenden Bezeichnungsverfahren, die jeweils mit einigen typischen Beispielen belegt werden.

Zu Ehren des Entdeckers, Erfinders oder einer anderen Person:

Ajmalin, ein Indolalkaloid, benannt nach dem indischen Arzt Hakim Ajmal Khan (1868–1927).

Cinchonin, ein Chinaalkaloid, wurde nach der Gräfin Ana de Chinchón, Gattin des spanischen Vizekönigs von Peru benannt, weil sie einer falschen (!) Legende zufolge 1638 durch Chinarinde von der Malaria geheilt wurde.

Nicotin: Der französische Botaniker Jacques Daléchamps nannte 1586 den Tabak „Herba nicotiana“ zu Ehren von Jean Nicot (1530–1604, französischer Gesandter am portugiesischen Hof). 1828 isolierten K. L. Reimann und C. W. Posselt in Heidelberg das Hauptalkaloid des Tabaks und nannten es Nicotin.

Weiteres unter „Nostalgisches“ (s.u.).

Nach den Stammpflanzen oder -pilzen (üblich bei Alkaloiden, Glykosiden, Antibiotika):

Alkaloide: Aconitin aus Aconitum napellus (Eisenhut), Atropin aus Atropa bella-donna (Tollkirsche), Ephedrin aus Ephedra vulgaris (Meerträubel); Muscarin aus Amanita muscaria (Fliegenpilz); Papaverin aus Papaver somniferum (Schlafmohn); Theobromin aus Theobroma cacao (Kakaobaum).

Glykoside: Amygdalin aus Amygdalus amara (syn. Prunus dulcis var. amara, Bittermandel); Convallotoxin aus Convallaria majalis (Maiglöckchen); Digitoxin aus Digitalis purpurea (Roter Fingerhut); Sinapin aus Sinapis alba (Weißer Senf).

Antibiotika: Erythromycin und Streptomycin aus Streptomyces erythraeus bzw. S. griseus; Penicilline aus Penicillium-Arten.

Nach den Stammtieren:

Cantharidin aus Lytta vesicatoria (früher Cantharis, „Spanische Fliege“, in Wirklichkeit ein Käfer).

Zibeton aus dem Drüsensekret der Zibetkatze (Viverra civetta).

Nach der erstmaligen Isolierung oder Herstellung:

Die Namen Äpfelsäure, Milchsäure, Weinsäure, Citronensäure bedürfen keiner Erklärung. Wie Blausäure und Phosgen gewonnen wurden, ist einleitend erklärt worden. Blutlaugensalz wurde früher tatsächlich durch Erhitzen von Blut (mit Hornspänen und Pottasche), anschließendes Auslaugen und Auskristallisieren hergestellt.

Nach den Wirkungen:

Ascaridol ist der Hauptbestandteil des Chenopodiumöls (aus Chenopodium ambrosioides, Wohlriechender Gänsefuß), das früher als Wurmmittel, vor allem gegen Askariden, eingesetzt wurde.

Ascorbinsäure (Vitamin C) ist eine vinyloge Säure, die prophylaktisch und therapeutisch gegen Skorbut wirksam ist.

Lachgas ist ein Trivialname für Distickstoffmonoxid, das beim Einatmen zum Lachen reizt. Es wurde früher auf Jahrmärkten zur Belustigung verwendet und wird (heute seltener als im 20. Jh.) zur kurzzeitigen Betäubung bei chirurgischen Eingriffen, vor allem bei schmerzhaften Zahnbehandlungen, eingesetzt.

Morphium (Morphin) wurde 1803/ 04 von dem damaligen Apothekergehilfen Friedrich Sertürner in Paderborn aus Opium isoliert und wegen seiner einschläfernden Wirkung von ihm nach Morpheus, dem griechischen Gott des Traumes, benannt.

Nonactin ist ein Antibiotikum, von dem man ursprünglich annahm, dass es wirkungslos sei.

Salvarsan könnte man mit „heilendes Arsen“ übersetzen. Es handelt sich um eine Arsen-organische Verbindung, die für den Syphilis-Erreger Treponema pallidum wesentlich giftiger ist als für den Menschen und 1910 von Paul Ehrlich als erstes wirksames Arzneimittel zur Bekämpfung der „Lustseuche“ eingesetzt wurde.

Nach Organen, aus welchen sie isoliert wurden:

Adrenalin ist ein Hormon, das im Nebennierenmark produziert wird. Der Name ist abgeleitet von lat. ad renes = bei den Nieren. Die international gebräuchliche Bezeichnung Epinephrin stammt ab von gr. epi = auf und gr. nephros = Niere.

Cortison ist ein Steroidhormon, das erstmals aus der Nebennierenrinde (lat. cortex = Rinde) des Menschen isoliert wurde.

Insulin ist ein Peptidhormon, das in den β-Zellen der Langerhans-Inseln (lat. insula) der Bauchspeicheldrüse gebildet wird.

Testosteron ist ein Sexualhormon, das strukturell zu den Steroiden zählt und eine Carbonylgruppe besitzt (deshalb …steron). Der vorangestellte Namensbestandteil verweist auf lat. testes = Hoden.

Prostaglandine sind Gewebshormone, die erstmals aus menschlichem Sperma isoliert wurden. Der Name ist von engl. prostate gland = Prostatadrüse abgeleitet. Später erkannte man, dass Prostaglandine auch in anderen Körperteilen gebildet und ausgeschüttet werden.

Ubichinone sind Chinone, die in allen Lebewesen verbreitet sind (lat. ubique = überall) und als Elektronen- und Protonen-Überträger der Atmungskette fungieren.

Nach der Anwendung:

Unter Scheidewasser versteht man Salpetersäure, die in der Lage ist, Silber und Gold zu trennen. Silber wird von ihr in Form von Silbernitrat gelöst, Gold bleibt unverändert (es wird nur vom Königswasser aufgelöst, s.o.).

Nach der molekularen Gestalt:

Asterane, Pagodane und Propellane sind organische Verbindungen, deren molekulare Gestalt Sternen, Pagoden oder Propellern gleicht. Tetracycline sind Antibiotika, deren Grundgerüst aus vier kondensierten Ringen besteht. Twistan ist ein Kohlenwasserstoff, in dessen molekularem Gerüst die verdrehte Form (Twistform) des Cyclohexans mehrfach zu erkennen ist.

Nach der Farbe:

Anthocyane: Wasserlösliche, pflanzliche Farbstoffe, die Blüten und Früchten rote, violette bis dunkelblaue Farbe verleihen, abgeleitet von gr. anthos = Blume, Blüte und gr. kyaneos = dunkelblau.

Bilirubin, Biliverdin: Abbauprodukte des roten Blutfarbstoffs, die als gelbrote oder grüne Farbstoffe in der Galle erscheinen, von lat. bilis = Galle und lat. ruber oder viridis = rot bzw. grün.

Chlorophyll: Blattgrün, von gr. chloros = hellgrün und gr. phyllon = Blatt.

Flavonoide: Sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe, die oft gelb gefärbt sind, abgeleitet von lat. flavus = gelb. (Zu gr. xanthos = gelb s. Tab. 1).

Chemische Verbindungenmit „xanth“ im Namen (s. Tab. 1).

Melanine: braune bis schwarze animalische Pigmente, abgeleitet von gr. melas = schwarz.

Porphyrine: Organische Farbstoffe, die das Porphin als Grundgerüst enthalten, abgeleitet von gr. porphyra = Purpur(farbstoff). Zu ihnen gehört das Häm als Kernstück des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin.

Nach Orten:

Bauxit: Aluminium-Erz, dessen erster Fundort das französische Les Baux de Provence war.

Berliner Blau ist ein tiefblaues anorganisches Pigment, das wahrscheinlich erstmals von dem Berliner Farbenfabrikanten Johann Jacob Diesbach hergestellt wurde. Es existieren zahlreiche Synonyma wie Preußisch Blau, Pariser Blau, Französisch Blau etc. etc.

Eau de Javelle: Siehe „Nostalgisches“.

Schweinfurter Grün ist ein Arsen-haltiges organisches Pigment, das zuerst in Schweinfurt industriell hergestellt wurde.

Akronyme

Sie werden immer zahlreicher, und meistens verwenden wir sie, ohne an den vollständigen Namen zu denken (Beispiele im Textkasten). Wie zweideutig Akronyme sein können erfährt man an den Beispielen ISDN, das auch für Integrated Services Digital Network benutzt wird, und E 605 (s.u.).

„Mythen“

Barbital ist der internationale Kurzname für Diethylbarbitursäure, ein obsoletes Hypnotikum. Die unsubstituierte Barbitursäure, die selbst keine hypnotische Wirkung besitzt, wurde 1863 von Adolf von Baeyer synthetisiert und von ihm in Erinnerung an eine Jugendfreundin namens Barbara so benannt. Eine andere Überlieferung führt ihren Namen darauf zurück, dass sie am 4. Dezember, dem Barbaratag, erstmals dargestellt wurde. Auch Barbara von Cilli, die listige Gemahlin von Kaiser Sigismund, wird als Namensgeberin diskutiert.

Veronal® war der Warenname für Barbital, das Emil Fischer und Josef von Mering 1903 erstmals als Schlafmittel beschrieben hatten. Zur Namensgebung gibt es zwei Anekdoten: Fischer oder von Mering wollte damals nach Verona reisen und hat deshalb diesen Namen vorgeschlagen, oder einer der beiden hat bei Beginn einer Bahnreise von München nach Italien das Mittel eingenommen und ist erst in Verona aufgewacht. Makaber wäre es, die Liebenden von Verona (Romeo und Julia), die suizidal in den ewigen Schlaf gegangen sind, als Namenspaten anzusehen.

E 605 ist ein Synonym für das Insektizid und Akarizid Parathion, einen Ester der Thiophosphorsäure. Wegen seiner Rolle in einigen Kriminalfällen ist es auch als „Schwiegermuttergift“ bekannt geworden. Zu Verunsicherungen führt das „E“, weil in der Europäischen Union E‑Nummern für erlaubte Lebensmittelzusatzstoffe gebraucht werden, z.B. E 101 = Vitamin B2, E 160 = Carotinoide, E 300 = Vitamin C, E 334 = Weinsäure, E 415 = Xanthangummi.

Das „E“ in E 605 bedeutet „Entwicklungsnummer“, während das „E“ in der Lebensmittelkennzeichnung von „Europa“ und „edible“ (engl. = essbar) kommt.

Nostalgisches

Eau de Javelle ist eine als Bleich- und Desinfektionsmittel gebrauchte Kaliumhypochlorit-Lösung, die nach ihrem ersten Herstellungsort Javelle (heute ein Ortsteil von Paris) benannt ist.

Eau de Labarraque ist die Bezeichnung für Natrium- und Calciumhypochlorit-Lösungen, die der französische Apotheker Antoine Germain Labarraque ab 1822 für Desinfektionszwecke hergestellt und verkauft hat.

Fehlingsche Lösung ist ein von Hermann Fehling, Professor für Chemie an der Real- und Gewerbeschule in Stuttgart (Vorläuferin der Universität), 1850 entwickeltes Reagenz zum Nachweis und zur quantitativen Bestimmung von Glucose.

Fowlersche Lösung ist eine Kaliumarsenitlösung (Liquor Kalii arsenicosi), benannt nach dem englischen Arzt Thomas Fowler, die vom 18. bis Mitte des 20. Jahrhundert als Wundermittel zur Behandlung verschiedener Erkrankungen galt.

Kummerfeldsches Waschwasser ist ein nach der von Goethe sehr geschätzten Schauspielerin Karoline Kummerfeld (1745–1815) benanntes Gesichtswasser, das bei Hautunreinheiten gebraucht und dessen Rezeptur der Hofapotheke in Wien vermacht wurde.

Seignettesalz oder Rochellesalz, benannt nach dem Apotheker Pierre Seignette (1660–1719) in La Rochelle, ist Kalium-Natrium-Tartrat, ein mildes Diuretikum und Laxans. 

Literatur

H. J. Roth: Zur Semantik und Etymologie der Arzneimittelnamen – eine historische Betrachtung; www.heroka-blog.com.

H. P. Koch: Woher kommen die Namen für unsere Arzneimittel. ÖAZ 1990;44:604–612, 709, 851, 872–875, 961; 1991;45:81.

F. Bracher, F. Dombeck: Was internationale Freinamen aussagen. Pharm Ztg 2002;147:4290 – 4298.

 

Autor

Prof. Dr. rer. nat. Dr. h.c. Hermann Roth,

Friedrich-Naumann-Str. 33, 76187 Karlsruhe

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info@h-roth-kunst.com

 

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