Arzneimittel und Therapie

Neuer Antikörper gegen Crohn und Colitis

Vedolizumab hilft bei entzündlichen Darmerkrankungen

Der Integrin-Inhibitor Vedolizumab unterbindet bei Autoimmunerkrankungen die Einwanderung von Immunzellen in die entzündete Darmschleimhaut und wirkt so der Entzündung entgegen. In zwei großen Studien wurde die Wirksamkeit von Vedolizumab bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn bestätigt.

Biologicals sind ein fester Bestandteil der Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen (CED). Sie blockieren den Tumornekrosefaktor TNFα und unterbinden so entzündliche Prozesse, können aber bei prädisponierten Patienten schwere Infektionen hervorrufen. Da auch die Therapie mit den klassischen CED-Medikamenten ihre Grenzen aufweist, wird nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten gesucht. Eine neue Entwicklung ist der humanisierte monoklonale Antikörper Vedolizumab, der an ein spezielles Integrin (α4β7-Integrin) bindet. Integrine sind Adhäsionsmoleküle, die eine Verbindung zwischen zwei Zellen ermöglichen. α4β7-Integrin befindet sich auf der Oberfläche zirkulierender Lymphozyten, die bei der Vermittlung von Entzündungsprozessen im Darm eine Rolle spielen. Über Integrine binden die Abwehrzellen an Endothelzellen. In der Folge können Lymphozyten aus den Blutgefäßen in das entzündete Gewebe eindringen. Wird das entsprechende Integrin blockiert, können Immunzellen nicht mehr in die Darmschleimhaut einwandern, was zu einer Verringerung der Entzündungsaktivität führt. Im Vergleich zu dem Integrin-Inhibitor Natalizumab, der sich gegen α4-Integrin richtet und ins ZNS übertritt (und dort im schlimmsten Fall aufgrund seiner immunsuppressiven Wirkung eine progressive multifokale Leukenzephalopathie hervorrufen kann), ist Vedolizumab „darmspezifisch“. Das heißt, Vedolizumab bindet an ein Zelladhäsionsmolekül, das ausschließlich auf endothelialen Zellen im Gastrointestinaltrakt vorkommt. Immunsuppressive Wirkungen im ZNS sind daher nicht zu erwarten. Die Zulassung für Vedolizumab wurde vom Hersteller Takeda im März 2013 in den USA und in Europa beantragt.

Wirksamkeit und Sicherheit von Vedolizumab wurden im Rahmen des GEMINI-Studienprogramms untersucht. An der GEMINI-1-Studie nahmen Patienten mit Colitis ulcerosa, an der GEMINI-2-Studie Patienten mit Morbus Crohn teil. Bei allen Probanden hatte die konventionelle Therapie versagt, auch die Gabe von Glucocorticoiden, Immunmodulatoren und/oder TNF-Antagonisten war ohne Erfolg geblieben. In beiden Studien wurde in der Induktionsphase zunächst untersucht, ob die Probanden auf Vedolizumab ansprechen, dann erfolgte eine einjährige Erhaltungsphase. Beide Phase-III-Studien waren multizentrisch, doppelblind, randomisiert und placebokontrolliert.

GEMINI-1-Studie mit Colitis-ulcerosa-Patienten

An der GEMINI-1-Studie nahmen 895 Patienten mit Colitis ulcerosa teil, die in zwei Gruppen unterteilt wurden. Die Kohorte 1 bestand aus 374 Patienten, die zweimal alle 14 Tage entweder 300 mg Vedolizumab i.v. oder Placebo erhielten. Weitere 521 Patienten (Kohorte 2) erhielten 300 mg Vedolizumab zweimal alle 14 Tage unverblindet (Induktionsphase). Patienten aus beiden Kohorten, die nach sechs Wochen eine Besserung erfahren hatten, nahmen an der einjährigen Erhaltungsphase teil und erhielten entweder 300 mg Vedolizumab (alle acht oder vier Wochen) oder ein Placebo. Der primäre Studienendpunkt umfasste das Ansprechen auf die sechswöchige Induktionstherapie und eine klinische Remission nach 52 Wochen. Am Ende der Induktionsphase (nach sechs Wochen) hatten 47% der Patienten in der Kohorte 1 auf die Therapie mit Vedolizumab angesprochen, in der Placebogruppe waren es 26%. In der Kohorte 2 hatten 44% der Patienten auf eine Therapie mit Vedolizumab angesprochen. Am Ende der Erhaltungsphase (nach 52 Wochen) hatten 42% der Patienten, die Vedolizumab in einem achtwöchigen Abstand erhielten, und 45% der Patienten, die alle vier Wochen therapiert wurden, eine klinische Remission erreicht. In der Placebogruppe waren es lediglich 16%. Art und Häufigkeit unerwünschter Wirkungen waren unter Vedolizumab und Placebo vergleichbar. Es trat kein Fall einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie auf.

GEMINI-2-Studie mit Morbus-Crohn-Patienten

In der Induktionsphase der GEMINI-2-Studie erhielten 368 Patienten zweimal vierzehntägig 300 mg Vedolizumab i.v. oder Placebo (Kohorte 1) und 747 Probanden zweimal vierzehntägig 300 mg Vedolizumab unverblindet (Kohorte 2). 461 Patienten, die nach sechs Wochen eine Besserung erfahren hatten, nahmen an der einjährigen Erhaltungsphase teil und erhielten entweder 300 mg Vedolizumab (alle acht oder vier Wochen) oder Placebo. In der Induktionsphase erzielten 31% der Vedolizumab-Patienten und 26% der mit Placebo therapierten Probanden eine Response. In der Erhaltungsphase sprachen 39% (Gabe alle acht Wochen) bzw. 36% (Gabe alle vier Wochen) der mit Vedolizumab Behandelten auf die Therapie an. In der Placebogruppe waren es 22%. Was die Nebenwirkungen anbelangt, so traten unter Vedolizumab mehr Nasopharyngitiden, aber weniger Kopfschmerzen und abdominale Beschwerden auf als in der Placebogruppe. Insgesamt wurden unter Vedolizumab mehr ernsthafte Nebenwirkungen registriert als unter Placebo (24% vs. 15%). Was schwere Infektionen anbelangt, so traten diese bei 5,5% unter Vedolizumab-Therapie und bei 3% unter Placebo auf.

Hypothesen zum Mechanismus

Ein Kommentator der Studien sucht eine Erklärung für die unterschiedlich ausgeprägte Wirksamkeit von Vedolizumab bei M. Crohn und Colitis ulcerosa und stellt zwei Hypothesen auf: Zum einen könnte Vedolizumab bei Colitis ulcerosa besser wirken als beim M. Crohn, da die Colitis ulcerosa eine eher begrenzte Erkrankung ist, wohingegen sich der Morbus Crohn über einen größeren Bereich erstreckt und sich somit teilweise der „darmspezifischen“ Wirkung von Vedolizumab entzieht. Einer zweiten Hypothese zufolge braucht Vedolizumab beim M. Crohn eine längere Zeit als die geprüften 52 Wochen, bis seine volle Wirksamkeit einsetzt. Unabhängig von der unterschiedlich ausgeprägten Wirksamkeit bei M. Crohn und Colitis ulcerosa sieht der Kommentator in Vedolizumab eine neue Option bei entzündlichen Darmerkrankungen, auf die besonders dann zurückgegriffen werden kann, wenn die Behandlung mit TNF-Blockern nicht erfolgreich ist.  

Quelle

Sanborn W et al. Vedolizumab as induction and maintenance therapy für crohn`s disease. NEJM 2013; 369: 711–721.

Feagan B et al. Vedolizumab as induction and maintenance therapy für ulcerative colitis. NEJM 2013; 369: 699–710.

Cominelli F. Inhibition of leukocyte trafficking in inflammatory bowel disease. NEJM 2013; 369: 775–776.

 

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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