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Feuilleton
Weise Ärzte und Philosophen
Lemgos Ratsapotheke in der Renaissance
In Norddeutschland gab es in der frühen Neuzeit städtische Ratsapotheken, die von bestimmten Ratsherren, den Apothekenherren, verwaltet und von einem angestellten Apotheker oder einem Pächter geleitet wurden. In Lemgo gründete der Rat im Jahr 1559 eine Apotheke und richtete sie im Erdgeschoss des Ratshauses ein. Im Zuge einer Erweiterung und eines Umbaus erhielt die Lemgoer Ratsapotheke 1612 ein besonderes Schmuckstück: einen auf einem Sockel stehenden, sich über zwei Stockwerke erhebenden und von einem Giebel bekrönten Vorbau aus Buntsandstein. Wegen ihrer Fenster, die einen guten Ausblick in drei Richtungen gewähren, werden solche Vorbauten im Norddeutschen als „Utlucht“ bezeichnet, was üblicherweise, aber nicht ganz korrekt mit „Erker“ übersetzt wird.
Der Apothekenerker
Für ein historisches Apothekengebäude in Deutschland einmalig sind die zehn halbplastischen Porträts von Gelehrten, die unter den zehn Fenstern des Obergeschosses angebracht sind. An der schmalen Nordseite verkörpern Aristoteles und Dioskurides die Naturerkenntnis im Allgemeinen bzw. die Pharmakognosie im Besonderen. Die sechsachsige Hauptfassade im Westen ist architektonisch in zwei Hälften gegliedert. Die drei linken Bildnisse zeigen Ärzte aus der Antike bzw. der islamischen Welt: Hippokrates, Galen und Rhases. Auf der rechten Seite folgen drei „Philosophen“ oder Alchemisten: der sagenhafte, altägyptische Hermes und seine mittelalterlichen Schüler im Morgen- und Abendland, Geber und Lullus. Auf der Südseite sind mit Andreas Vesalius (1514–1564) und Paracelsus (1493–1541) zwei frühneuzeitliche Ärzte dargestellt, die insbesondere die Anatomie und die Pharmakotherapie revolutioniert haben. Das Bildprogramm geht möglicherweise auf den damaligen Ratsapotheker Wolrad Ferber (ca. 1577–1633) zurück. Jedenfalls sind die Steinplastiken nach druckgrafischen Vorlagen in medizinischen und alchemistischen Büchern angefertigt worden, die wohl im Besitz des Ratsapothekers oder des Stadtarztes waren.
Ausstellung
Die kleine Ausstellung gibt eine Vorstellung vom Arzneischatz des 17. Jahrhundert und dem sonstigen Warenlager einer Ratsapotheke jener Zeit. Neben den (echten) Pillen dominierten Arzneiformen auf der Basis von Zucker oder von Alkohol, z.B. Sirup und Latwergen bzw. Tinkturen und Essenzen; als Arzneidroge war Opium unentbehrlich.
Wichtig war auch die Versorgung der Ratsherren mit besonderen Waren für ihren beruflichen oder persönlichen Bedarf, z.B. mit Papier und Siegellack bzw. mit Konfekt, exotischen Weinen und Aquavit.
Informationen
Weserrenaissance-Museum, Schloss Brake, Schlossstr. 18, 32657 Lemgo
Geöffnet: Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr
Heiner Borggrefe: Der Renaissanceerker der Ratsapotheke von Lemgo, 128 S., 108 Abb., 7,95 Euro
Fotos auf der Website Hausinschriften aus Lemgo: www.nhv-ahnenforschung.de/ Torbogen/Orte/lemgo.htm
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