Feuilleton

Von der Friedenspfeife zur E-Zigarette

Oder: Von der Zeremonie zur Therapie*

Auf dem gedanklichen Weg von der handgeschnitzten Pfeife zum elektronisch unterstützten Applikationsapparat eröffnen sich historische, etymologische, kultische, technologische, toxikologische, pharmakologische, umweltrelevante, arzneimittelrechtliche und nationalökonomische Aspekte.
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Herrn Dr. Christian Rotta, dem geschäftsführenden Gesellschafter einer Stuttgarter Verlagsgruppe, in Würdigung seiner verlegerischen und publizistischen Aktivitäten und in Erinnerung an viele geistreiche, humorgewürzte Diskussionen zum 60. Geburtstag gewidmet.

Historisches

Die Tabakpfeife ist seit über 500 Jahren bekannt, der Mini-Rauch-Apparat namens E-Zigarette gelangte erst 2004 auf den Markt.

Als Christoph Kolumbus 1492 "Westindien" entdeckt hatte, beobachteten seine Leute auf Kuba Tabak-rauchende Einwohner, die sich damit berauschten und vor Müdigkeit schützten. Anderswo galt Tabak im Zusammenhang mit dem Gebrauch der Friedenspfeife als Sedativum. Jean Nicot de Villemain, der französische Gesandte in Portugal, schickte 1561 Samen der wunderwirkenden Pflanze an den Hof in Paris, von wo aus sie sich in Frankreich und Europa verbreitete.

Das Tabakskollegium des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I.

Gemälde von Dismar Degen, 1736.

Etymologisches

Die Namen Tabak und (früher) Tobak sind von dem karibischen Wort tobaco für die "Urform der Zigarren" (Bruno Wolters) abgeleitet und über das französische tabac ins Deutsche gelangt. Der französische Botaniker Jacques Daléchamps nannte 1586 den Tabak zu Ehren von Jean Nicot "herba Nicotiana", worauf die Stammpflanze in der Linnéschen Nomenklatur als Nicotiana tabacum bezeichnet wurde.

1828 isolierten K. L. Reimann und C. W. Posselt in Heidelberg das Hauptalkaloid des Tabaks und nannten es Nicotin. Seine chemische Struktur wurde 1891 von A. Pinner und R. Wolffenstein aufgeklärt. Nicotin ist chiral und kommt in der Natur nur als S- Form vor. Wenn also von Nicotin gesprochen wird, ist damit S- Nicotin gemeint. Die synthetisch zugängliche R- Form besitzt keine pathophysiologische Bedeutung.

Das Wort Zigarette ist ebenso wie Zigarillo eine Verkleinerungsform von Zigarre (aus dem spanischen cigarro), das vermutlich auf das Mayawort zicar = Tabak zurückgeht.

Die Elektrische Zigarette (E-Zigarette) wird auch als Elektronische Zigarette bezeichnet. Doch ist der synonyme Gebrauch beider Namen weder korrekt noch sinnvoll. Lediglich bei solchen Produkten, die einen elektronisch gesteuerten Schaltteil enthalten, ist die Bezeichnung Elektronische Zigarette angebracht.

Kultisches

Beim Begriff "Tabakkult" denkt jeder zunächst an eine Gruppe friedlich zusammensitzender oder lebhaft diskutierender Indianer aus vergangenen Zeiten. In späteren Jahrhunderten wurde das Tabakrauchen einerseits verteufelt, zum anderen in Tabakskollegien der feinen Gesellschaft zelebriert. Nicht gar so fein war die Runde des Soldatenkönigs (Friedrich Wilhelm I.) mit seinem legendären Tabakskollegium auf Schloss Königs Wusterhausen.

Von den verschiedenen Persönlichkeiten, die in unseren Tagen dem Tabakkult und -genuss frön(t)en, seien hier nur zwei genannt, welche die Pfeife häufiger zur Hand nahmen bzw. nehmen als Messer und Gabel, sowie eine weitere, die man schwerlich ohne Zigarette in der Hand erblicken kann. Alle drei sind Menschen, die die Welt bewegt haben. Gemeint sind das "Urgestein eines Politikers" Herbert Wehner, der mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnete Schriftsteller Günter Grass und der Altbundeskanzler Helmut Schmidt.

Technologisches (Galenisches)

Der Tabak kann in verschiedenen Zubereitungen konsumiert werden:

Kautabak ist Tabak in Rollen, Stangen, Streifen, Würfeln oder Platten, der so zubereitet ist, dass er sich nicht zum Rauchen, sondern zum Kauen eignet.

Schnupftabak ist ein aus Tabak gewonnenes Pulver, das durch Schnupfen, d. h. saugendes Aufziehen auf die Nasenschleimhaut, genossen wird.

Wenn wir diese beiden Applikationsformen des Tabaks mit den heutigen Nicotin-Ersatz-Therapie-Produkten (NET-Produkten) vergleichen, so drängt sich der Verdacht auf, dass alles schon einmal dagewesen ist. Entspricht nicht das Nicotinkaugummi dem früheren Kautabak (Priem)? Und gleicht nicht die Applikation eines Nicotinsprays der ehemaligen Anwendung des Schnupftabaks (Schmalzler)?

Man kann in der Anwendung der NET-Produkte auch einen arzneimitteltherapeutischen Fortschritt erblicken, vergleichbar mit der Anwendung des isolierten Chinins anstelle der gepulverten Chinarinde oder des reinen Morphins statt des Opiums.

Füllt man Pfeifentabak in eine runde Teedose und stellt sie zwischen gleichartige, kunstvoll bemalte Behältnisse für Teedrogen einer alten Apotheke, so müsste ihre Beschriftung "Folia Nicotianae concisa" lauten.

Notabene enthielt die Pharmacopoea Germanica, die von Hermann Hager aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt worden war und am 1. November 1872 die Pharmakopöen der einzelnen deutschen Bundesstaaten ablöste, die Monografie "Folia Nicotianae – Tabaksblätter".

In analoger Diktion könnte man die Zigarren (Stumpen und Zigarillos) und Zigaretten als "Folia Nicotianae concisa in bacillis" bezeichnen. Böse Zungen behaupten, dass wohlhabende Apotheker aus der Zeit, in welcher Weine noch als arzneiliche Zubereitungen eingesetzt wurden (Vinum camphoratum, V. Chinae, V. Condurango, V. Pepsini etc.), auch Zigarren und Zigaretten unter solchen lateinischen Bezeichnungen ad usum proprium über den Großhandel bezogen haben.

Als technologische Applikationsgeräte für den Tabakkonsum wären zu nennen: die Zigarettenspitze mit und ohne Filter, die Tonpfeife, die Pfeife aus Bruyère (Erica arborea) oder anderen Hölzern, die Meerschaumpfeife und die Wasserpfeife.

Durch die Filter in der Zigarettenspitze und das Waschen des Tabakrauchs in der Wasserpfeife werden einige schädliche, vor allem teerartige Komponenten dem Hauptstromrauch entzogen, sodass diese Prozesse schon einen Schritt hin zur E‑Zigarette bedeuten.

Toxikologisches

Tabakrauch enthält die verschiedensten organischen Verbindungen wie Acetaldehyd, 1,3-Butadien, 4-Hydrochinon, aromatische Kohlenwasserstoffe und Stickstoff-haltige Verbindungen, ebenso flüchtige Verbindungen und Schwermetalle; viele dieser Inhaltsstoffe sind toxisch. Daher leiden Raucher im Vergleich zu Nichtrauchern häufiger unter Herz- und Lebererkrankungen, Magengeschwüren, Bronchitis und vor allem Lungenkrebs.

Zu den aromatischen Kohlenwasserstoffen gehören Benzol, Naphthalin, Phenol, Styrol, Toluol und polyzyklische Aromaten wie Benzo(a)pyren.

N-haltige Verbindungen sind neben dem Nicotin (s. u.) Acrylnitril, Anilin (und andere aromatische Amine), Chinolin, Hydrazin, Nitromethan und N-Nitrosamine. Fast alle diese Stoffe gelten als krebserregend.

Unter den flüchtigen Verbindungen findet man Ammoniak, Blausäure, Formaldehyd und Kohlenmonoxid.

Metalle, die den Tabakrauch belasten, sind die Schwermetalle Blei, Cadmium und Nickel sowie das Halbmetall Arsen in Form ihrer Oxide oder Salze.

Die wichtigste N-haltige Komponente des Tabakrauchs ist das Alkaloid Nicotin. Die letale Dosis wird für einen Erwachsenen auf 40 bis 60 mg geschätzt. Der Tod erfolgt durch Atemlähmung. Zu den peripheren Wirkungen gehören Ganglienblockade, Hypersekretion der Körperdrüsen, Schwächung der Herztätigkeit, Verengung der Koronargefäße, Blutdruckanstieg, Erregung der Peristaltik und Uteruskontraktion.

Nicotin ist auch für saugende und beißende Insekten sowie Würmer giftig und wurde schon seit dem 18. Jahrhundert als Schädlingsbekämpfungsmittel verwendet. Die befallenen Pflanzen wurden mit einem wässrigen Aufguss aus Tabakblättern besprüht oder bepinselt.

Wie wir den humorvollen, aber durchaus realistischen Versen von Wilhelm Busch entnehmen können, wurde der Tabak von Pater Filicius auch als Insektizid zur "Entflöhung" eines Hundes eingesetzt:

In ein Faß voll Tabakslauge

Tunkt man ihn mit Haut und Haar,

Ob er gleich sich heftig sträubte

Und durchaus dagegen war.

Wegen der Giftigkeit des Nicotins ist diese Art der Bekämpfung von Blattläusen, Spinnmilben und Flöhen nicht mehr zu empfehlen.

1996 wurde bekannt, dass Nicotinsulfat zur Desinfektion von Hühnerställen benutzt wurde. Damals fand man auch Nicotin in Eiern von "Freilandhühnern", und selbst 2006 wurden noch Spuren von Nicotin in Hühnereiern nachgewiesen, was darauf hindeutet, dass die verbotene Verwendung von Nicotin als Pestizid immer noch zugange ist.

Pharmakologisches

Nicotin stimuliert die nicotinischen Acetylcholinrezeptoren, fördert die Ausschüttung der Neurotransmitter Dopamin und Serotonin sowie des Adrenalins. Zentral steigert es vorübergehend die psychomotorische Leistungsfähigkeit, die Aufmerksamkeit und die Gedächtnisleistung, wodurch die Nicotinsucht verursacht oder gesteigert wird.

Auf den Appetit hat Nicotin eine dämpfende Wirkung, was auch die vorübergehende Gewichtszunahme bei und nach Entziehungsmaßnahmen erklärt. Die wesentlichen negativen Effekte wurden vorangehend schon unter "Toxikologisches" genannt.

Die Bezeichnung nicotinischer Acetylcholinrezeptor (früher: Nicotinrezeptor) hat nur aus historischer Sicht ihre Berechtigung; sie erinnert daran, dass Nicotin – ebenso wie das Alkaloid Muscarin aus dem Fliegenpilz Amanita muscaria – ein nativer Wirkstoff ist, dessen Einsatz in der pharmakologischen Grundlagenforschung eine essenzielle Rolle bei der Entdeckung, Charakterisierung und Differenzierung der humanen Rezeptoren gespielt hat.

Nicotinersatz

Nicotinersatzmittel können bei der Raucherentwöhnung hilfreich sein. Die süchtig machende Wirkung des Nicotins hängt stark von der Art und dem Tempo der Zufuhr ab. Sein Suchtpotenzial ist hoch, wenn es schnell oder stoßweise ins Gehirn gelangt, wie es beim Inhalieren oder bei intravenöser Zufuhr geschieht; es ist niedrig bei langsamer oder kontinuierlicher Applikation. Deshalb können entwöhnungswillige Raucher eine Nicotinersatztherapie mit Nicotinpflastern, Nicotin-Sublingualtabletten, Nicotinkaugummi oder Nicotin-Nasenspray betreiben.

Umweltrelevantes

Eine negative Auswirkung des Tabakrauchens auf die Umwelt ist das Passivrauchen , worunter man das Inhalieren von Tabakrauch aus der uns umgebenden Luft, besonders in geschlossenen Räumen, versteht.

Zum Verständnis der Gefahr, der "mitrauchende Nichtraucher" ausgesetzt sind, muss kurz auf den Prozess des Rauchens eingegangen werden. Beim Brennen einer Zigarette oder anderer Tabakwaren entstehen zwei Arten von Rauch:

  • der Hauptstromrauch beim "Ziehen" und
  • der Nebenstromrauch zwischen den "Zügen".

Beide Formen bestehen im Wesentlichen aus den gleichen Komponenten, jedoch in unterschiedlichen Konzentrationen. Der Nebenstromrauch enthält beispielsweise mehr Blei und Cadmium und sogar die doppelten Konzentrationen von Benzol und Kohlenmonoxid. Hinzu kommt noch, dass die Größe der Partikel im Nebenstromrauch geringer ist als im Hauptstromrauch, sodass sie in den unteren Atemwegen weiter vordringen können, d. h. bis in die Alveolen.

Der Aufenthalt in Tabakrauch-geschwängerten Räumen gefährdet die Gesundheit der Passivraucher, besonders die von Kleinkindern und Säuglingen, was immer noch zu oft bei unbedachten oder leichtsinnigen Eltern beobachtet werden kann.

Wie man heute weiß, korreliert das Passivrauchen mit einem unter der Norm liegenden Vitamin-C-Spiegel im Blut, was sich besonders negativ auf die Gesundheit von noch im Wachsen begriffenen Kindern auswirken kann. Passivrauchen erhöht auch die Infektionsgefahr und bei Kindern das Risiko für das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS).

Das Bundesnichtraucherschutzgesetz verbietet in allen Dienstgebäuden des Bundes, in allen öffentlichen Verkehrsmitteln, in Bahnhöfen und auf allen Flughäfen das Rauchen.

E-Zigarette

Um die schädlichen Wirkungen des Tabakrauchens und des Passivrauchens zu mildern, hat man die elektrische Zigarette geschaffen. Bei ihrem Gebrauch wird kein Tabak verbrannt, sondern Nicotin verdampft, das damit inhalierbar ist. Beim Gebrauch der E-Zigarette entsteht kein schädlicher Nebenstromrauch. Sie ist ein technisches Gerät, dem man äußerlich die Form einer Zigarette geben kann, das aber keine Teer- und sonstige Nebenprodukte der Tabakblätter erzeugt. Der eingeatmete Dampf besteht aus Nicotin, Glycerol (E 422), Propylenglykol (E 1520) und Aromastoffen. Die Umwelt wird durch den Gebrauch einer E-Zigarette so gut wie nicht belästigt.

Die zu verdampfende Flüssigkeit wird als Liquid bezeichnet und gelangt durch die Kapillarwirkung eines Dochtes zu einer Heizspirale.

Arzneimittelrechtliches

Die unter "Nicotinersatz" genannten NET-Produkte sind derzeit rezeptfrei, aber apothekenpflichtig.

Während die Frage nach der gesundheitlichen Gefährdung durch den Gebrauch der E-Zigarette vorläufig mit "nein" beantwortet werden kann, wird die Frage nach ihrer Bewertung als Arzneimittel und nach der Besteuerung als Genussmittel noch kontrovers diskutiert. In Österreich gelten Nicotindepots (Liquids, die Nicotin enthalten) als Arzneimittel, und Inhalatoren (E-Zigaretten-Apparaturen) gelten als Medizinprodukte.

In Deutschland ist die Rechtslage noch umstritten.

Ökonomisches

Die Antwort auf die Frage, ob das Rauchen unser Gesundheitswesen verteuert oder nicht, lautet "nein". Starke Raucher sterben so viel früher als Nichtraucher, dass die Krankenkassen jene Kosten wieder einsparen, die sie zuvor für die Therapie der Raucherkrankheiten ausgeben mussten. Hinzu kommen noch zwei weitere Kostenpunkte. Es sind zum einen die Tabak- und die Mehrwertsteuer, die der Staat von den Rauchern kassiert, und andererseits sind es die Renten, die er durch das frühere Ableben der Raucher spart.

Schlussbemerkung

Nicotin als Wirkstoff der E-Zigarette ist wie die Wirkstoffe der Asthma-Inhalatoren ein Arzneistoff und stellt in Form des anwendbaren Fertigproduktes ein Arzneimittel dar. Wenn im Arzneimittelbegriff (§ 2 Absatz 1 des Arzneimittelgesetzes) von Heilung, Linderung und Verhütung die Rede ist, so schließt das auch die Verhütung und Linderung gesundheitlicher Schäden ein, die durch das Tabakrauchen entstehen und durch die E-Zigarette vermieden oder verringert werden können, auch wenn ihre Verwendung selbst zu geringen Schäden führen kann.

Die E-Zigarette kann also auch zur Entwöhnung einer Sucht beitragen, die grundsätzlich als Krankheit zu betrachten ist.


Autor


Prof. Dr. rer. nat. Dr. h. c. Hermann J. Roth

Friedrich-NaumannStr. 33, 76187 Karlsruhe

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info@h-roth-kunst.com

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