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Erkenntnisse aus einem Kompromiss

Dr. Thomas Müller-Bohn, Redakteur der DAZ

Enttäuschung über die neuen Beträge des Kassenabschlags und Erleichterung über die gewonnene Planungssicherheit – rückwirkend für 2009 und 2010 sowie erfreulich weit in die Zukunft bis 2015: Diese beiden spontanen Reaktionen drängen sich beim Kompromiss zum Kassenabschlag auf. Die ausgehandelten Beträge und die Planungssicherheit hängen aber meines Erachtens aufgrund der Verhandlungskonstellation auch inhaltlich zusammen. Denn die aus Apothekersicht enttäuschenden Beträge werden verständlicher, wenn man bedenkt, dass hier offenbar die Verhandlungsseite mit dem längeren wirtschaftlichen Atem (die Krankenkassen) den Apotheken die Zusicherung verkaufen konnte, auf einen unsicheren und unwägbar langen Rechtsweg zu verzichten. Der Rechtsweg, der eigentlich Rechtssicherheit schaffen soll, ist zu einer Drohkulisse geworden. Denn jahrelanges Warten auf ein unvorhersehbares Ergebnis wäre gerade das Gegenteil von Sicherheit. Eine solche Unsicherheit abzuwenden, erlaubt durchaus Zugeständnisse. Dies zeigt einmal mehr, wie problematisch und systemfremd die Idee ist, eine zwangsläufig auf weichen Faktoren beruhende Schiedsstellenentscheidung mit harten Methoden rechtlich überprüfen zu wollen.

Die zweite Erkenntnis ist, dass der Kompromiss durch Verhandlungen und nicht durch Berechnungen erzielt wurde. Das Konzept des Schlichters Hess, von Anfang an eine Lösung auszuhandeln und nicht auszurechnen, hat sich bewährt. Wer auch nur eine kleine Vorstellung von der Kostenrechnung hat, kann die unzähligen denkbaren Rechenwege und Wertansätze erahnen, über die hier endlos gestritten werden kann. Darauf hat sich Hess klugerweise nicht eingelassen. Die Idee, einen "richtigen" Kassenabschlag errechnen zu wollen, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Bei den Preisen für neue Arzneimittel hatte der Gesetzgeber des AMNOG die Unmöglichkeit solcher Berechnungen erkannt und die von der Großen Koalition geplante Höchstpreisregel durch Preisverhandlungen ersetzt. Beim Kassenabschlag hätte eine ähnliche Lösung wahrscheinlich viel Ärger erspart.

Die dritte Erkenntnis aus dem Kompromiss und das langfristig erfreulichste Ergebnis ist für mich der gemeinsame Auftrag beider Verhandlungsseiten an den Gesetzgeber, die inhaltlich parallelen Anpassungsregeln für den Kassenabschlag gemäß § 130 SGB V und für den Festzuschlag gemäß AMPreisV aufzuheben. Die Verhandlungspartner haben damit die Konsequenz aus einem Problem gezogen, das durch die 25-Cent-Erhöhung des Festzuschlags entstanden ist. Wenn der Festzuschlag als Reaktion auf die Kostenentwicklung verändert wird, kann dieselbe Kostenentwicklung nicht mehr zur Berechnung des Kassenabschlags herangezogen werden. Die Frage, welcher Teil der Kostenentwicklung noch nicht ausgeglichen wurde, liefert damit einen weiteren Streitpunkt für die Anpassung des Kassenabschlags. Schlimmstenfalls könnte mit dem Kassenabschlag die Entscheidung des Verordnungsgebers zum Festzuschlag nach Belieben ausgehebelt werden. Dass dies keine sinnvolle Perspektive ist, haben nun offenbar beide Seiten erkannt.

So bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber die obigen Erkenntnisse berücksichtigt: Die Berechnung des Kassenabschlags ist gescheitert. Wenn die Selbstverwaltung überhaupt zu einer gemeinsamen Lösung fähig ist, dann allenfalls in einer "politischen" Verhandlung. Doch auch das jetzt hoffentlich bald abgeschlossene, über viele Jahre und zwei Schiedsstellen reichende Verfahren ist kein glänzendes Vorbild. Vielmehr erscheint fragwürdig, mit den wirtschaftlich und politisch so mächtigen Krankenkassen und den finanziell stark belasteten und zudem unterschiedlich betroffenen Apotheken zwei sehr ungleiche Verhandlungspartner an einen Tisch zu zwingen. Wenn der Gesetzgeber aufgrund von Systemüberlegungen einen Preisabstand zwischen GKV-Patienten und Selbstzahlern gewährleisten will, sollte er konsequenterweise auch den Betrag dafür festlegen. Dies würde viel Zeit und Mühe sparen. Zukunftsweisend wäre eine regelmäßige kombinierte Anpassung des Festzuschlags und des Kassenabschlags, denn letztlich gehören beide Instrumente in eine Hand, wenn sie sich nicht gegenseitig aushebeln sollen.


Thomas Müller-Bohn

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