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Sozialpolitischer Sprengstoff

Studien zum Arbeitsmarkt

Die Hans-Böckler-Stiftung und deren Wirtschafts- und Sozialpolitisches Institut (WSI) veröffentlichen regelmäßig Studien und Beiträge zum deutschen Arbeitsmarkt. Neue Artikel zeigen zahlreiche Problemfelder auf: vom Trend zu mehr Teilzeitstellen über fehlende Vorruhestandsmodelle bis zu Familienbildern, die neue Konzepte der Entlohnung erforderlich machen.

Seit mehr als zehn Jahren steigt die Alterserwerbstätigkeit an, so ein Ergebnis des aktuellen Altersübergangs-Reports. An sich eine gute Nachricht, dennoch fanden Sarah Mümken und Martin Brussig vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) negative Effekte, wie von zahlreichen Gewerkschaften befürchtet: Im Zeitraum von 2008 bis 2011 wurden immer mehr Kollegen zwischen 60 und 64 arbeitslos; der Anteil stieg von 2,9 auf 7,3 Prozent. In allen anderen Altersgruppen verringerte sich die Arbeitslosenquote. "Vor dem Hintergrund der Rente mit 67 sind gewaltige Probleme zu erwarten", sagt ADEXAs 1. Vorsitzende Barbara Neusetzer. "Für viele Angestellte gibt es keinen Übergang in den Ruhestand mehr, sondern Jahre ohne Job."

Arbeitslosigkeit als Vorruhestandsmodell?

Dabei, so konstatierten Mümken und Brussig, seien nicht einmal fehlende Arbeitsplätze das Grundproblem. Vielmehr hätten Reformen des Arbeitsmarkts und des Rentensystems "den Umfang der stillen Reserve beziehungsweise der verdeckten Arbeitslosigkeit reduziert, jedoch nicht das reale Ausmaß der Unterbeschäftigung beeinflusst".

Ein Beispiel: Mit der sogenannten 58er-Regelung bezogen Bürger ab 58 Jahren Arbeitslosengeld unter erleichterten Bedingungen. Sie mussten keine Bildungsangebote in Anspruch nehmen – die es für ältere Kollegen ohnehin kaum gibt. In Rente gingen Betroffene, sobald sie Anrecht auf vorgezogenes Altersruhegeld in voller Höhe hatten.

Da entsprechende Regelungen seit Anfang 2008 passé sind, müssen sich Arbeitnehmer über 59 immer häufiger Jobs suchen. Brussig: "Wenn sich die Arbeitsvermittlung nicht daran beteiligt, sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auch für ältere Arbeitslose zu erschließen und sie dafür auch zu fördern, verstärkt sich die soziale Schieflage der Rente ab 67."


Internet


Sarah Mümken und Martin Brussig: Arbeitslosigkeit unter den 60- bis 64-Jährigen deutlich gestiegen. Altersübergangs-Report 1/2013: www.iaq.uni-due.de/auem-report/2013/2013-01/auem2013-01.pdf

Dietmar Hobler, Svenja Pfahl und Sonja Weeber: Frauen arbeiten zunehmend kürzer: www.boeckler.de/40244.htm

WSI-Mitteilungen, Themenheft "Neues Familienbild: Vom (meist männlichen) Ernährerlohn zum Familieneinkommen": www.boeckler.de/wsi_42644.htm

Arbeitnehmerinnen: Trend zur Teilzeit

Eine weitere Arbeit untersuchte speziell Arbeitszeitmodelle von Frauen. Zwischen 1991 und 2010 hat sich die Zahl an Arbeitnehmerinnen, die 36 bis 39 Stunden wöchentlich arbeiten, von einem Drittel auf ein Sechstel halbiert. Der Anteil von Arbeitsverhältnissen mit 40 und mehr Stunden ist im selben Zeitraum etwa gleich geblieben.

Zeitgleich gewannen Anstellungsverhältnisse mit maximal 14 Stunden an Bedeutung (1991: 6%, 2010: 14%). Im Teilzeitbereich von 15 bis 20 Wochenstunden und 21 bis 30 Wochenstunden sind ebenfalls Zuwächse nachweisbar. Und 1991 waren nur 3 Prozent in vollzeitnaher Teilzeit (31 bis 35 Stunden) tätig, im Jahr 2010 trifft dies auf rund 6 Prozent zu.

Barbara Neusetzer weist auf Rentenlücken hin, die nach jahrelanger Teilzeitarbeit entstehen: "Kolleginnen, meist sind ja Frauen betroffen, sollten sich beraten lassen und ergänzende Modelle wie die tarifliche Altersvorsorge in Erwägung ziehen." Ausdrücklich warnt Neusetzer davor, sich in punkto Rente gänzlich auf das Einkommen eines gut verdienenden Partners zu verlassen.

Das Einverdiener-Modell: bald Geschichte?

Noch bis in die 1950er-Jahre hinein prägten Westdeutschlands Politiker das Idealbild vom Mann als Verdiener und Ernährer der Familie. Durch neue Wertevorstellungen, aber auch durch ökonomische Zwänge hat das riskante Modell längst an Bedeutung verloren. Für ostdeutsche Paare waren Jobs für beide Partner ohnehin üblich – das staatliche System zur Kinderbetreuung funktionierte flächendeckend, wenn auch nicht ohne ideologische Hintergedanken. Heute seien niedrige Einkommen meist bei Arbeitnehmerinnen zu finden, jedoch keineswegs auf hinzuverdienende Frauen beschränkt, so die Experten des WSI. Faire Bezahlung bleibt vor allem im Erziehungs-, Pflege- und Dienstleistungsbereich die Ausnahme.

Jenseits bekannter Probleme sehen die Autoren der aktuellen "WSI-Mitteilungen" noch andere Gründe, die gegen männerspezifische Einverdiener-Modelle sprechen: Immer mehr Beschäftigte haben befristete Arbeitsverträge, und auf Phasen des Erwerbs folgen Perioden ohne Anstellung. Hinzu kommen stagnierende Reallöhne.

Frauengehälter: ausreichend auch für eine Familie!

Ein Fazit: Derzeit erwirtschaften allenfalls westdeutsche Männer noch "Ernährerlöhne", die – bezogen auf alle Haushaltsmitglieder – über der Armutsgrenze liegen. Frauen und ostdeutsche Männer seien auf Familieneinkommen mit mehreren Gehältern und gegebenenfalls sozialstaatliche Transfers angewiesen, heißt es in der Studie. Besonders gut geht es aus ökonomischer Sicht Paaren mit zwei Einkommen, aber ohne Kinder.

Barbara Neusetzer: "Wir brauchen in Zukunft Gehälter, die es beiden Geschlechtern in jeder realistischen Familienkonstellation ermöglichen, zu arbeiten und eine Familie zu gründen." Erwerbstätigkeit, Babypausen, aber auch Pflegezeiten für Angehörige müssten besser ineinandergreifen: ohne Verlust der aktuellen Existenzsicherung, aber auch ohne Rentenlücke im Alter.


Michael van den Heuvel

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