Arzneimittel und Therapie

Muskelrelaxanzien, die die Lücke schließen könnten

Gleich zwei zentrale Muskelrelaxanzien sorgten in den letzten Wochen für Diskussionen: Zu Tolperison und Tetrazepam hatten Berichte über gehäuft aufgetretene schwerwiegende Nebenwirkungen zu entsprechenden Reaktionen der Zulassungsbehörden geführt. Welche Alternativen stehen zur Verfügung, falls die noch ausstehenden finalen Bewertungen zu Indikationseinschränkungen oder sogar zum Ruhen der Zulassung führen?

Zu Tolperison (z. B. Mydocalm® Tabletten, Generika) gab es Berichte über Überempfindlichkeitsreaktionen an der Haut sowie schwere anaphylaktische Reaktionen/anaphylaktischen Schock. Bisher war der Wirkstoff zugelassen bei schmerzhaften Muskelverspannungen infolge von Erkrankungen der Wirbelsäule und der achsennahen Gelenke sowie zur Anwendung bei Spastizität aufgrund neurologischer Erkrankungen wie nach einem Schlaganfall. In einem Rote-Hand-Brief hatten die Herstellerfirmen Tolperison-haltiger Präparate darüber informiert, dass diese jetzt nur noch in der Indikation "Spastizität nach Schlaganfällen bei erwachsenen Patienten" eingesetzt werden.

Zu Tetrazepam (Musaril® Tabletten, Generika), das als einziges Benzodiazepin ausschließlich als zentrales Muskelrelaxans eingesetzt wird, gab es in Frankreich gehäuft Meldungen über das vermehrte Auftreten schwerer Hautreaktionen und Kontaktdermatitiden in Zusammenhang mit der Einnahme. Zugelassen ist der Wirkstoff derzeit bei schmerzreflektorischen Muskelverspannungen, insbesondere als Folge von Erkrankungen der Wirbelsäule und der achsennahen Gelenke sowie bei spastischen Syndromen mit pathologisch gesteigertem Muskeltonus unterschiedlicher Ätiologie. Das Pharmacovigilance Risk Assessment Committee (PRAC) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hat kürzlich empfohlen, die Zulassung Tetrazepam-haltiger Arzneimittel ruhen zu lassen. Die endgültige Bewertung wird durch die Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human (CMDh) vorgenommen und für Ende April erwartet.

Weitere zentral angreifende Muskelrelaxanzien

Die in Deutschland neben Tetrazepam und Tolperison zugelassenen zentral angreifenden Muskelrelaxanzien umfassen eine chemisch heterogene Gruppe von Substanzen (siehe Tabelle).


Zentrale Muskelrelaxanzien (außer Benzodiazepinen und Tolperison).

Wirkstoff
Handelsname (Auswahl)
Indikationen bezüglich Muskelspasmen (Auswahl)
Baclofen
Lioresal® Tabletten, Injektionslösung
Spastizität der Skelettmuskulatur z. B. wegen multipler
Sklerose, Rückenmarkserkrankungen oder -verletzung
Methocarbamol
Ortoton® Tabletten, Injektionslösung
DoloVisano® Methocarbamol®
Tabletten
schmerzhafte Muskelverspannung vor allem des unteren
Rückenbereiches (Lumbago)
Orphenadrin
Norflex® Retardtabletten,
Injektionslösung
schmerzhafte Muskelverspannungen
Pridinol
Myoson® direct Tabletten,
Myoson® Injektionslösung
zentrale und periphere Muskelspasmen, Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, postoperative Muskelspasmen, Prophylaxe und Therapie nächtlicher Beinkrämpfe,
Torticollis (Schiefhals)
Tizanidin
Sirdalud® Tabletten
Muskelspasmen infolge multipler Sklerose,
periphere schmerzhafte Muskelverspannung bei Thorakal- und Lumbalsyndrom

Die muskelentspannende Wirkung von Baclofen, einem Derivat der Gamma-Aminobuttersäure (GABA), beruht auf einer vorwiegend im Rückenmark ansetzenden Verstärkung der präsynaptischen Hemmung, die zu einer Dämpfung der Erregungsübertragung führt. Dadurch kommt es unter anderem zu einer Abnahme des spastischen Muskeltonus.

Methocarbamol entfaltet seine muskelrelaxierende Wirkung über eine Hemmung der polysynaptischen Reflexleitung im Rückenmark und subkortikalen Zentren. Willentliche Muskelkontraktionen und die Motilität der glatten Muskulatur bleiben unbeeinflusst. Bei Orphenadrin führt eine spezifische Blockierung des Förderzentrums in der Formatio reticularis tegmenti zur Entspannung des pathologisch erhöhten Muskeltonus.

Pridinol greift vorwiegend an spinalen Motoneuronen an und hemmt dort die Rezeptor-vermittelte Reizleitung. Auch hier wird die Fähigkeit zur willkürlichen Muskelkontraktion nicht beeinträchtigt.

Tizanidin greift hauptsächlich im Rückenmark an und hemmt dort vorwiegend die für den übermäßigen Muskeltonus verantwortlichen polysynaptischen Mechanismen.

Keine guten Alternativen vorhanden?

Für die Beratung in der Apotheke sind vor allem solche Präparate relevant, die bei Rücken- oder Nackenschmerzen aufgrund von Muskelverspannungen eingesetzt werden können. In der Märzausgabe des arznei-telegramms findet sich eine Zusammenstellung von Studienergebnissen zu den genannten Wirkstoffen mit Fokus auf diese Symptome.

Zu Methocarbamol werden zwei vor mehr als acht Jahren abgeschlossene Studien genannt, die einen Nutzen belegen sollen, aber noch nicht vollständig publiziert wurden.

Die zuOrphenadrin publizierten drei Studien hält das arznei-telegramm für eine abschließende Bewertung als unzureichend. Placebokontrollierte Studien zu Pridinol existieren wahrscheinlich nicht, zu Tizanidin schon. Allerdings hält das arznei-telegramm deren Ergebnisse für widersprüchlich bzw. nicht übertragbar auf die in Deutschland empfohlenen Dosierungen.

Zu Diazepam, das nicht nur als Sedativum und Hypnotikum, sondern auch zur Behandlung von Zuständen mit erhöhtem Muskeltonus zugelassen ist, schätzt das arznei-telegramm ein, dass die existierenden placebokontrollierten Studien zu schmerzhaften Verspannungen in Rücken und Nacken nicht aussagekräftig genug sind.

Nach Meinung von Prof. Dr. med. Fritz U. Niethard, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie e.V. (DGOOC) und Stellv. Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie e.V. (DGOU) würde eine Rücknahme der Zulassung von Tetrazepam "für die Behandlung chronischer Schmerz- und Verspannungszustände in der Orthopädie … eine Lücke hinterlassen und zur Umlenkung auf bisher weniger erprobte Medikamente zwingen."


Quelle

Einschränkung der Indikation für Tolperison-haltige Produkte und das Risiko von Überempfindlichkeitsreaktionen, Rote-Hand-Brief vom 21. Februar 2013.

Tolperison: Einschränkung der Indikation. Mitteilung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 21. Februar 2013.

Borsch J. Unentbehrliches Tetrazepam? Ruhen der Zulassung empfohlen. DAZ 2013; 16, 42.

Muskelrelaxanzien bei schmerzhaften Muskelverspannungen? arznei-telegramm 2013, Jg. 44, 3, 29 – 30.

Mutschler E. Arzneimittelwirkungen. Lehrbuch der Pharmakologie und Toxikologie. 10. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart (2012).

Fachinformationen der Präparate, Rote Liste online, www.rote-liste.de, letzter Zugriff am 18. April 2013.


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn


Zum Weiterlesen


Unentbehrliches Tetrazepam?: Ruhen der Zulassung empfohlen.

DAZ 2013, Nr. 16, S. 42.

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1 Kommentar

Tolperison

von Bernd am 04.07.2019 um 15:54 Uhr

Also ich nehme dieses Medikament schon über zehn Jahre und habe bisher keine Nebenwirkungen gehabt .Ich nehme Tolperison 50 mg bis zu 3 mal täglich.
Liebe Grüße.

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