- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 13/2013
- Verkürzen ...
Arzneimittel und Therapie
Verkürzen Rotalgeninhaltsstoffe die Erkältungsdauer?
Hinter dem Medizinprodukt steckt das Wiener Biotech-Unternehmen Marinomed Biotechnologie GmbH und die so genannte Mavirex-Plattform, bei der das Polymer Carragelose® als "breit wirksames antivirales Mittel" vermarktet wird. Letztlich ist Carragelose® eine Lösung von Iota-Carrageenan, die sich als Schutzfilm über die Zelloberfläche legen und somit das Eindringen von Viren verhindern soll.
Die Studien
Verschiedene Untersuchungen wurden mittlerweile mit der Iota-Carrageenan-Lösung vorgenommen. Zum einen wurde der Schutz vor einer Infektion mit Rhinoviren oder auch Influenza-Viren in Zellkultur sowie an Mäusen gezeigt [1, 2]. Zwei, doppelblinde und randomisierte Studien wurden an 35 jungen Erwachsenen mit einem Durchschnittsalter von 19,6 Jahren [3] sowie an 153 Kindern im Alter zwischen 1 und 18 Jahren [4] durchgeführt und publiziert. Getestet wurde ein Nasenspray, das 0,12% Iota-Carrageenan in 0,5% NaCl-Lösung enthält, gegen eine 0,9% NaCl-Lösung als Placebo. Die Probanden sollten dreimal täglich je 140 µl Spray anwenden, wobei die Erwachsenen vier Tage und die Kinder sieben Tage therapiert wurden. Auf dem XV. International Symposium on Respiratory Viral Infections wurden am 15. März 2013 dann Daten von insgesamt 415 Patientinnen und Patienten vorgestellt. Das Ergebnis war, dass die Dauer der Erkältungskrankheit und die Anzahl der Patienten mit Krankheitssymptomen durch das Iota-Carragenaan-Nasenspray "deutlich reduziert" wurde. Außerdem war auch die Viruslast in der Verumgruppe "deutlich geringer" als in der Placebogruppe. Seit 5. März 2013 ist das Nasenspray auch in Kanada und damit – laut Pressemitteilung der Herstellerfirma – insgesamt in 39 Ländern weltweit zugelassen, vermarktet wird es derzeit in 13 Ländern.
Erklärt wird die Wirksamkeit des Nasensprays damit, dass die Viren an das Iota-Carrageenan binden und dadurch nicht an ihre Wirtszellen anheften bzw. in diese eindringen können.
Der Wirkstoff
Carrageenane sind lineare, sulfatierte Galactane, die natürlicherweise als Zellwandbestandteile einiger Rotalgenarten vorkommen. Gewonnen werden die Carrageenane überwiegend aus dem Knorpeltang Chondrus crispus (Fam. Gigartinaceae). Die Rotalge wird zunächst mehrmals mit Meerwasser gewaschen und an der Sonne getrocknet, was die Droge Carrageen oder "Irländisches Moos" liefert. Erst durch weitere Extraktion mit Wasser unter leicht alkalischen Bedingungen und anschließender fraktionierter Fällung mit Isopropanol erhält man die Carrageenane. Je nach Position der Sulfatgruppen und Konformation der Galaktosemoleküle lassen sich die drei Hauptgruppen Kappa-, Iota- und Lambda-Carrageenane (siehe Formeln) [5] und vier weitere Nebengruppen unterscheiden. Die verschiedenen Carrageenane differieren hinsichtlich ihrer Löslichkeit, Viskosität und Fähigkeit, Gele zu bilden. Iota-Carrageenan ist als Natriumsalz gut in kaltem Wasser löslich und kann ein sehr weiches und elastisches Gel bilden. Carrageenane werden vor allem in der Lebensmittelindustrie als Geliermittel und Verdickungsmittel unter dem Kürzel E 407 eingesetzt. Carrageen ist unverdaulich, wird auch von der Dickdarmflora nur zu 9 bis 16% abgebaut und gilt generell als sicher, allerdings ist ein ADI-Wert (Acceptable Daily Intake) von 75 mg/kg Körpergewicht festgelegt [6].
Fazit
Der Ansatz, ein gelbildendes Zuckerpolymer als Schutz vor einer Virus-Infektion einzusetzen, scheint in vitro und auch in vivo zu funktionieren. Viren nutzen für die spezifische Erkennung ihrer Wirtszelle Oberflächenmoleküle auf den Zellen, die häufig über Zuckerstrukturen verfügen. Werden nun diese Oberflächenmoleküle durch ein Carrageenan-Gel kaschiert, wird die Infektion unter Umständen verhindert. Sicherlich ein interessanter Ansatz.
In den Studien zeigten die Probanden keine auffälligen Nebenwirkungen. Allerdings wurde von den Verantwortlichen nicht hinterfragt, was mit dem Carrageenan-Gel auf den Epithelzellen des Respirationstraktes weiter passiert. Über die toxischen Effekte der Carrageenane wurde immer wieder diskutiert [5, 7]. Bekanntermaßen lassen sich mit Carrageenanen Entzündungen auslösen, was in der pharmakologischen Forschung mit dem mit 50 µl 1% Carrageenanlösung induzierten Rattenpfotenödem genutzt wird. Akut toxisch ist inhaliertes Carrageenan nicht [7]. Ob es allerdings in irgendeiner Form das Immunsystem beeinflusst, kann bisher nicht sicher ausgeschlossen werden. Und wenn es – wie der Präparatename "Coldamaris prophylactic®" impliziert – prophylaktisch angewendet wird, wird die Nasenschleimhaut recht lange mit dem Carrageenan exponiert und könnte auf Dauer durchaus immunologische Beeinträchtigungen induzieren. Man darf gespannt sein, ob die Anwendung in den 39 Ländern, wo das Nasenspray bereits eingesetzt wird, irgendwelche Hinweise auf veränderte Immunreaktionen bei den Nutzern geben wird. In Deutschland ist das Nasenspray nicht erhältlich. Ob und wie es zugelassen wird, entzieht sich unserer Kenntnis.
Quelle[1] Grassauer A, Weinmüllner R, Meier C, Pretsch A, Prieschl-Grassauer E, Unger H. Iota-Carrageenan is a potent inhibitor of rhinovirus infection. Virology J, 2008; 5: 107.[2] Leibbrandt A, Meier C, König-Schuster M, Weinmüllner R, Kalthoff D, et al. Iota-Carrageenan Is a Potent Inhibitor of Influenza A Virus Infection. PLoS One 2010, 5(12): e14320. doi:10.1371/journal.pone.0014320[3] Eccles R, Meier C et al. Efficacy and safety of an antiviral Iota-Carrageenan nasal spray: a randomized, double-blind, placebo-controlled exploratory study in volunteers with early symptoms of the common cold. Respiratory Research, 2010; 11: 108.[4] Fazekas T, Eickhoff P, Pruckner N, Vollnhofer G, Fischmeister G et al. Lessons learned from a double-blind randomised placebo-controlled study with a iota-carrageenan nasal spray as medical device in children with acute symptoms of common cold. BMC Complementary and Alternative Medicine 2012, 12: 147.[5] Thomson AW, Fowler EF. Carrageenan: a review of its effects on the immune system. Agents and Actions, 1981; 11, 3. [6] www.zusatzstoffe-online.de [7] Weiner ML. Toxicological properties of carrageenan. Agents and Actions 1991; 32, 1/2.
Dr. Ilse Zündorf, Prof. Dr. Theo Dingermann, Institut für Pharmazeutische Biologie, Frankfurt/Main
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.