Interpharm 2013

Strategien bei Morbus Crohn in der Diskussion

(bf). Morbus Crohn verläuft bei etwa der Hälfte der Patienten in Form von Schüben, die sich, je nach Schweregrad, mit den Steroiden Budesonid oder Prednisolon behandeln lassen. Bei steroidabhängiger oder steroidrefraktärer chronischer Entzündung kommen das Immunsuppressivum Azathioprin und TNF-alpha-Inhibitoren zum Einsatz. Als Alternative zur üblichen Step-up-Therapie wird die Top-down-Strategie diskutiert, bei der früh mit einer aggressiven Behandlung begonnen wird. Sie birgt allerdings die Gefahr einer erheblichen Übertherapie, wie Prof. Dr. Klaus Herrlinger, Hamburg, erläuterte.
Prof. Dr. Klaus Herrlinger: Der frühe Einsatz von Infliximab bedeutet für die meisten Morbus-Crohn-Patienten eine "Übertherapie".

Der Morbus Crohn ist keine Rarität. Die Prävalenz liegt bei 200: 100.000, mit steigender Tendenz. Meist erkranken die Patienten zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr, Frauen häufiger als Männer (1,4:1). Im Gegensatz zur Colitis ulcerosa, die sich auf den Dickdarm beschränkt, kann der Morbus Crohn den gesamten Gastrointestinaltrakt befallen, vom Mund bis zum After.

Leichter Schub: Budesonid – schwerer Schub: Prednisolon

Bei aktivem Morbus Crohn zeigen Steroide eine sehr gute Wirksamkeit mit Remissionsraten zwischen 80 und 100%. Prednisolon ist deshalb die erste Wahl zur Remissionsinduktion beim schweren Schub. Dagegen wird bei einem Schub mit milder bis mäßiger Aktivität das topische Steroid Budesonid bevorzugt, insbesondere bei ileozökalem Befall. Es ist zwar etwas geringer wirksam, aber deutlich besser verträglich als konventionelle Steroide.

In der Diskussion ist der Stellenwert von 5-Aminosalicylaten, die bei der Colitis ulcerosa zur Standardtherapie gehören. Sie scheinen bei leichteren Verlaufsformen auch bei Morbus Crohn eine Option zu sein. In einem direkten Vergleich zwischen Mesalazin 4,5 g/d und Budesonid 9 mg/d bei Patienten mit leichterer Krankheitsaktivität (CDAI < 300) induzierten beide Arzneimittel ähnlich häufig eine Remission; bei Patienten mit einem CDAI > 300 war Budesonid jedoch überlegen (CDAI = Crohn‘s Disease Activity Index).

Kritisch: steroidabhängige und steroidrefraktäre Patienten

Steroide eignen sich aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils nicht zur Dauertherapie, sondern werden nach dem Erreichen der Remission abgesetzt. Knapp die Hälfte der Patienten kommt damit gut klar. Sie zeigt oft über viele Jahre einen unkomplizierten intermittierenden Verlauf mit einzelnen Schüben, die dann adäquat behandelt werden. Wirklich kritisch sind

  • steroidabhängige Patienten, bei denen die Entzündung beim Ausschleichen oder Absetzen des Steroids sofort wieder aufflammt, und

  • steroidrefraktäre Patienten, die auf Steroide gar nicht erst ansprechen.

Bei einem steroidabhängigen sowie bei einem steroidrefraktären Verlauf mit mäßiger Krankheitsaktivität ist zunächst eine immunsuppressive Monotherapie mit Azathioprin indiziert. Bei steroidrefraktärem Verlauf mit hoher Entzündungsaktivität kann Azathioprin mit einem TNF-α-Inhibitor wie Infliximab oder Adalimumab kombiniert werden oder auch eine Monotherapie mit einem Biologikum versucht werden. Die Biologika können auch genutzt werden, um die Zeit bis zum Wirkeintritt von Azathioprin zu überbrücken. Denn die Latenzzeit des Thiopurinderivats Azathioprin liegt immerhin zwischen zwei und sechs Monaten.

Therapie mit Azathioprin: Cave TPMT-Polymorphismus!


Azathioprin ist in der Therapie des Morbus Crohn oft unverzichtbar. Es wird in der Leber rasch nicht-enzymatisch in die aktive Form 6-Mercaptopurin (6-MP) umgewandelt. Der enzymatische Abbau von 6-MP erfolgt durch die Xanthinoxidase, die Thiopurin-S-Methyltransferase (TPMT) sowie die Hypoxanthinguaninphosphoribosyltransferase, die 6-MP in die aktiven Thioguanin-Nucleotide (6-TGN) umwandelt.

Die TPMT zeigt allerdings einen relevanten genetischen Polymorphismus. Eine Untersuchung bei 1214 gesunden Blutspendern ergab bei 0,6% eine niedrige Aktivität, bei 10,2% eine intermediäre Aktivität des Enzyms. Ist die TPMT-Aktivität eingeschränkt, wird mehr 6-MP zu 6-TGN metabolisiert, wobei bis zu 10-fach höhere 6-TGN-Spiegel erreicht werden und das Risiko für eine Panzytopenie steigt. Um dies zu vermeiden, ist eine Verringerung der Azathioprindosis erforderlich.

Besondere Vorsicht ist auch geboten bei der gleichzeitigen Einnahme von Azathioprin und Allopurinol, das die Xanthinoxidase hemmt. Auch hier muss die Azathioprindosis reduziert werden.

Im Fokus: Kombinationsstrategien

Mit der SONIC-Studie ("Study of Biologic and Immunomodulator Naive Patients in Crohn‘s Disease") kam die Diskussion auf, ob die frühe Kombination von Azathioprin und einem Biologikum sinnvoller ist als die jeweilige Monotherapie. In der SONIC-Studie wurden Patienten mit mittelschwerem Morbus Crohn entweder mit einer Kombination von Azathioprin und Infliximab oder nur mit Azathioprin oder nur mit Infliximab behandelt. Die Kombination war den beiden Monotherapien klar überlegen. Innerhalb von 26 Wochen erreichten knapp 60% der Patienten eine steroidfreie Remission, unter der Infliximab-Monotherapie waren es knapp 45%, unter der Azathioprin-Monotherapie 30%.

Dass sich mit Azathioprin auch in Kombination mit einer kurzfristigen Steroidtherapie eine hohe Effektivität erreichen lässt, zeigte Herrlinger anhand einer schon etwas älteren Studie. Alle Patienten erhielten Steroide, die über 12 Wochen ausschleichend abgesetzt wurden. Jeweils etwa die Hälfte der Patienten erhielt zusätzlich Azathioprin bzw. ein Placebo über insgesamt 15 Monate. Zu diesem Zeitpunkt waren 42% der Patienten in der Azathioprin-Gruppe, aber nur 7% in der Placebo-Gruppe in Remission.

Top-down als Alternative zu Step-up?

Als Alternative zu den oben geschilderten klassischen Step-up-Therapien mit stufenweiser Eskalation wird die Top-down-Therapie diskutiert. Sie bedeutet: eine möglichst frühe aggressive Behandlung mit Biologika, die dann, falls möglich, deeskaliert wird. Bislang gibt es nur eine zweiarmige Studie, die die beiden Strategien bei Patienten mit einer Erstmanifestation des Morbus Crohn direkt verglichen hat.

Das Step-up-Regime setzte zunächst auf Steroide, bei einem erneuten Schub auf Steroide plus Azathioprin. Infliximab wurde nur appliziert, wenn unter Immunsuppression ein Schub auftrat. In der Top-down-Gruppe erhielten die Patienten drei Infusionen Infliximab, gefolgt von einer Immunsuppression mit Azathioprin. Nach 24 und 52 Wochen war der Anteil der Patienten mit steroidfreier Remission in der Top-down-Gruppe signifikant höher. Die Daten nach zwei Jahren zeigten dagegen keinen signifikanten Unterschied mehr.

Die höheren Remissionsraten in der Top-down-Gruppe im ersten Jahr wurden mit einer erheblichen Übertherapie bezahlt, wie der genaue Blick auf die Daten der Step-up-Patienten zeigte: Von ihnen benötigten 30 bis 40% keine Immunsuppression, nur ein kleiner Teil benötigte Infliximab. 80% der Patienten in der Top-down-Gruppe wurden demnach umsonst mit Infliximab behandelt.

Angesichts dieser Daten plädierte Herrlinger generell für das Step-up-Regime. Ziel müsse es aber sein, diejenigen Patienten zu identifizieren, die nach entsprechender Nutzen-Risiko-Abwägung von einer frühen aggressiven Therapie profitieren.

Exit-Strategie bei Kombi: Infliximab absetzen

Immunsuppressiva, insbesondere wenn sie kombiniert werden, erhöhen das Risiko opportunistischer Infekte. Das sehr seltene, aber tödlich verlaufende hepatosplenische T-Zell-Lymphom wurde nur beobachtet, wenn ein Biologikum mit Azathioprin oder 6-Mercaptopurin (6-MP) und/oder einem Steroid kombiniert wurde. Die dauerhafte Kombination eines TNF-α-Inhibitors mit Azathioprin ist daher kaum empfehlenswert.

Eine "elegante Exit-Strategie" legen die Ergebnisse der STORI-Studie ("Stop infliximab in patients with Crohn‘s disease") nahe. Von 115 Patienten, die mindestens ein Jahr lang unter der Kombination von Infliximab mit Azathioprin oder Methotrexat in stabiler Remission waren, blieben 60% nach Absetzen des Biologikums in Remission. Wer einen Rückfall erlitt, konnte mit der erneuten Gabe von Infliximab erfolgreich behandelt werden. "Andersherum würde das nicht funktionieren", sagte Herrlinger.


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"Interpharm 2013 – Eine Patienten-orientierte Interpharm"



DAZ 2013, Nr. 13, S. 58

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