Arzneimittel und Therapie

Hoffnung für Patienten mit resistenter Tuberkulose

Neue Substanzen in der Pipeline

Von Claudia Bruhn | Die wichtigsten Wirkstoffe gegen Tuberkulose sind seit mehr als 40 Jahren im Einsatz. Erst Anfang der 1990er Jahre begann die Suche nach neuen Substanzen, die inzwischen erste Früchte trägt. Multiresistente Stämme des Erregers Mycobacterium tuberculosis , Patienten mit verminderter Immunität (z. B. infolge einer HIV-Infektion), anderen Komorbiditäten oder fehlendem Zugang zu Diagnostik und Behandlung sind heute die besonderen Herausforderungen bei der Behandlung dieser Infektionskrankheit.

Während die Tuberkulose in Deutschland selten geworden ist (2010 gab es 4330 registrierte Fälle), ist sie weltweit mit etwa neun Millionen Neuinfektionen pro Jahr die häufigste Infektionskrankheit. Obwohl sie heute in der Regel heilbar ist, sterben weltweit täglich rund 4000 Menschen daran. Die Gründe dafür liegen unter einerseits darin, dass viele Patienten in Asien, Afrika und Lateinamerika keinen Zugang zu einer effektiven Behandlung haben. Zum anderen sind Resistenzen gegen die gängigen Wirkstoffe weit verbreitet. Unterschieden wird zwischen der multiresistenten Tuberkulose (MDR-TB) – mit weltweit schätzungsweise 500.000 Patienten – und der extensiv resistenten Tuberkulose (XDR-TB). Bei der multiresistenten Tuberkulose liegt eine gleichzeitige Resistenz mindestens gegenüber den beiden wichtigsten Erstrangmedikamenten Isoniazid und Rifampicin vor. Bei der sehr schwer behandelbaren extensiv resistenten Tuberkulose besteht zusätzlich eine Resistenz gegenüber einem Fluorchinolon sowie mindestens einem der injizierbaren Antituberkulotika (s. unten). Auch in Deutschland wurden bereits einige XDR-TB-Fälle diagnostiziert. Während eine unkomplizierte Tuberkulose mit Behandlungskosten von rund 50 Euro in sechs bis acht Monaten heilbar ist, liegen diese bei einer multiresistenten Erkrankung bei rund 3000 Euro pro Patient. Neben den multiresistenten Erregern zählen Patienten mit verminderter Immunität (z. B. infolge einer HIV-Infektion) oder Erkrankte mit Komorbiditäten und fehlendem Zugang zu ärztlicher Behandlung heute zu den besonderen Herausforderungen der Tuberkulosetherapie.


Wirkmechanismus neuer Antituberkulotika Die Forschung auf dem Gebiet der Tuberkulose hat primär das Ziel, neue Medikamente gegen resistente Tuberkulose-Erreger zu entwickeln, Tbc-Therapeutika in pädiatrischen Dosierungen bereitzustellen und die sehr langwierige Therapie zu verkürzen.
Grafik: vfa

Derzeit eingesetzte Antituberkulotika

Nach der Wirksamkeit und dem Nebenwirkungsspektrum wird zwischen Erstrang- und Zweitrang-Antituberkulotika unterschieden (früher: Standard- und Reserve-Medikamente). Die Erstrang-Medikamente sind hochwirksam und meist gut verträglich, ihre Effektivität wurde in großen kontrollierten Studien nachgewiesen.

Dazu zählen:

  • Ethambutol (z. B. EMB-Fatol®)
  • Isoniazid (z. B. Isozid®)
  • Pyrazinamid (z. B. Pyrazinamid® Jenapharm)
  • Rifampicin (z. B. Eremfat®)

Diese Substanzen sind auch in verschiedenen fixen Kombinationen auf dem Markt (z. B. Isoniazid und Rifampicin in tebesium® Duo).

Bei den Zweitrang-Medikamenten unterteilt man in:

  • injizierbare Arzneimittel: Streptomycin, Amikacin, Capreomycin, Kanamycin*
  • Fluorchinolone: Levofloxacin, Moxifloxacin, Gatifloxacin*
  • Substanzen mit gesicherter Wirkung gegen M. tuberculosis: Rifabutin, Rifapentin*, Protionamid, Ethionamid*, Terizidon, p-Aminosalicylsäure

  • Wirkstoffen mit unklarer Wirkung gegen M. tuberculosis: Amoxicillin/Clavulansäure, Clarithromycin, Imipenem, Isoniazid (Hochdosis), Linezolid, Thioacetazon*

(*in Deutschland nicht verfügbar)

Therapiedauer mindestens sechs Monate

In der Standardtherapie erwachsener Patienten liegt die Mindestbehandlungsdauer bei sechs Monaten. In den ersten beiden Monaten (Initialphase) wird eine Kombination aus Isoniazid (INH), Pyrazinamid (PZA), Rifampicin (RMP) und Ethambutol (EMB) verabreicht. Ziel der Initialphase ist es, die Bakterienzahl rasch zu vermindern und damit die Ansteckungsfähigkeit der Patienten zu senken.

In der sich anschließenden viermonatigen Stabilisierungsphase sollen die verbliebenen Erreger eliminiert und die Tuberkulose zur Ausheilung gebracht werden. Meist reichen in dieser Phase zwei Wirkstoffe (z. B. Isoniazid und Rifampicin), sofern der Erreger dagegen empfindlich ist. Begleiterkrankungen, vor allem eine HIV-Infektion, verlängern die erforderliche Behandlungsdauer unter Umständen deutlich.

Bei Mehrfachresistenzen kommen vier Zweitlinien-Medikamente zum Einsatz (zusätzlich gegebenfalls Pyrazinamid). Die Therapie sollte mindestens 20 Monate dauern, wobei ein injizierbarer Wirkstoff mindestens acht Monate lang gegeben wird. Die aktuellen Leitlinien empfehlen außerdem, jedem Tuberkulosepatienten einen HIV-Test anzubieten, um ggf. zusätzlich eine antiretrovirale Therapie einleiten und die antituberkulöse Therapie entsprechend anpassen zu können.

Einnahme morgens in einer Dosis

Antituberkulotika sollen (bis auf wenige Ausnahmen, z. B. Terizidon, Amoxicillin/Clavulansäure, Imipenem) zusammen in einer Dosis bevorzugt morgens eingenommen werden, da dann die beste Resorption zu erwarten ist. Die Einnahme nach einem leichten Frühstück kann die Verträglichkeit verbessern. Die Einnahme der Medikamente zu fettreichen Mahlzeiten wird jedoch nicht empfohlen, da dann die Bioverfügbarkeit (besonders von Isoniazid, Rifampicin und Ethambutol) verringert sein kann. Milchprodukte, Calcium-, Magnesium- und Eisenpräparate dürfen nicht zusammen mit Fluorchinolonen eingenommen werden. Bei Ethambutol können gleichzeitig eingenommene Antazida die Resorption vermindern.

Ambulante Therapie möglich

Zwar kann eine unkomplizierte Tuberkulose grundsätzlich ambulant behandelt werden. Unter bestimmten Bedingungen, z. B. bei schwere Verlaufsformen, ausgeprägten Komorbiditäten, nicht gesicherter Compliance oder Personen mit erhöhtem Infektions- und Erkrankungsrisiko im häuslichen Umfeld (z. B. Kinder, Immungeschwächte), und bei resistenten Erregern wird die Therapie stationär durchgeführt.

Kooperationsprojekte für schnellere Medikamenten-Entwicklung

Die meisten Antituberkulotika sind mehr als 40 Jahre alt, da Forschung nach neuen Wirkstoffen erst in den späten 1990er Jahren wieder aufgenommen wurde. Derzeit gibt es jedoch vielversprechende neu zugelassene Wirkstoffe bzw. Substanzen in der klinischen Prüfung (siehe Grafik).

Das Nitrodihydro-Imidazooxazol-Derivat Delamanid schädigt die Bakterienzelle durch Anregung der Stickstoffmonoxid-Produktion und war in Phase-II-Studien auch gegen resistente Stämme von M. tuberculosis wirksam. Auf Basis der Phase-II-Daten wurde bei der EU ein Zulassungsantrag gestellt, derzeit laufen Phase-III-Untersuchungen.


Gibt es eine Impfung?


Eine Schutzimpfung gegen Tuberkulose ist bisher nur für Kinder gelungen (BCG-Impfung). Die Impfung ist aber bei Erwachsenen unwirksam. Zudem ist die BCG-Impfung wegen einer hohen Nebenwirkungsrate in Deutschland nicht mehr zugelassen. Zwar arbeiten mehrere Firmen und akademische Forschungsgruppen der Entwicklung eines Impfstoffes, er wird aber auf absehbare Zeit nicht verfügbar sein.


Bedaquilin ist bisher nur in den USA zugelassen (SirturoTM). Es handelt sich um einen Hemmstoff der mycobakteriellen ATP-Synthase, der die Energiegewinnung der Mycobakterien unterbindet und auch gegen ruhende Erreger wirksam sein soll. Bedaquilin wurde von der FDA als Orphan Drug zur Behandlung der multiresistenten Tuberkulose (MDR-TB) in Kombination mit anderen Antituberkulotika beschleunigt, das heißt auf der Basis von nur zwei Phase-II-Studien mit insgesamt 440 Patienten, zugelassen. In Deutschland ist Bedaquilin im Rahmen eines Härtefall-Programms ("Compassionate Use") für austherapierte Patienten verfügbar.

Auch das Oxazolidinon-Derivat Sutezolid hat seine Wirksamkeit gegen multiresistente Tuberkulosestämme unter Beweis gestellt, es befindet sich derzeit in Phase II der klinischen Prüfung.

Moxifloxacin (Avalox®) und Linezolid (Zyvoxid®) sind in Deutschland bereits zur Behandlung bakterieller Infektionen zugelassen und werden derzeit zur Tuberkulosebehandlung erprobt.

Rifapentin besitzt in den USA schon seit längerem eine Zulassung gegen Tuberkulose. Der Wirkstoff wird derzeit in Kombination mit anderen Substanzen und in neuer Formulierung in Phase III getestet.

Viele Unternehmen (siehe Tabelle) arbeiten bei der Entwicklung von Antituberkulotika zusammen, beispielswiese mit der Organisation TB Alliance, die Fördermittel für diese Entwicklung bereitstellt. Auch die 2012 gegründete Kooperation TB Drug Accelerator, bestehend aus sieben Pharmafirmen (AstraZeneca, Abbott, Eli Lilly, Bayer, GlaxoSmithKline, Sanofi und MSD,) vier akademischen Forschungseinrichtungen und der Bill and Melinda Gates Foundation will die Erfahrungen und Ressourcen ihrer Mitglieder bündeln, um neue antituberkulotische Wirkstoffe schneller zur Marktreife bringen zu können.


Welt-Tuberkulose-Tag


Am 24. März 1882 beschrieb der deutsche Mediziner Robert Koch erstmals den Erreger der Tuberkulose, das Mycobacterium tuberculosis. Genau 100 Jahre später erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den 24. März zum Welt-Tuberkulose-Tag, um gezielt auf die Tuberkulose aufmerksam zu machen.


Zahlen zur Tbc weltweit

  • ein Drittel der Weltbevölkerung (ca. 2 Mrd.) ist latent infiziert;
  • 10% erkranken im Lauf ihres Lebens
  • 8,7 Mio. Neuerkrankungen
  • 1,4 Mio. Todesfälle, davon ca. 500.000 Frauen

Damit ist die Tbc bei Erwachsenen nach Aids die Infektionstodesursache Nr. 2. Eine besonders hohe Tbc-Inzidenz findet man in Regionen mit hoher HIV-Rate.


Zahlen zur Tbc in Europa

  • ca. 500.000 Erkrankte
  • ca. 380.000 Neuerkrankte
  • Erkrankte vor allem in östlicher EU und GUS-Staaten
  • ca. 15% der Neuerkrankten und ca. 44% der erneut Behandelten sind mit MDR-TB infiziert

[Quelle: WHO, Global Tuberculosis Report 2012]


Quelle

Empfehlungen zur Therapie, Chemoprävention und Chemoprophylaxe der Tuberkulose im Erwachsenen- und Kindesalter. Hrsg.: Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK) und Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP). Pneumologie 2012; 66: 133-171, Online-Publikation: 10.2.2012, DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0031-1291619,

Deutsche Lepra- und Tuberkulosehilfe e.V. (DAHW), www.dahw.de

Verband forschender Arzneimittelhersteller e.V. (VFA), www.vfa.de, www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/woran-wir-forschen/neue-medikamente-gegen-tuberkulose.html

Robert Koch-Institut, Berlin, www.rki.de

Problem multiresistente TB. FDA lässt mit Bedaquilin ersten neuen Wirkstoff zu. DAZ 2013, Nr. 1/2, S. 43.


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn



DAZ 2013, Nr. 13, S. 90

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