Interpharm 2013

Hindernisse auf dem Weg zur Rezeptfreiheit

(cb). Dr. med. Ines Thonke, Referentin für Medizin beim pro familia-Bundesverband in Frankfurt am Main, stellte in ihrem Vortrag die aktuelle Situation bei der Notfallkontrazeption und die Position von pro familia dar.

In Deutschland sind zurzeit Levonorgestrel (1,5 mg, PiDaNa®) und Ulipristalacetat (30 mg, ellaOne®) zur Notfallkontrazeption ("Pille danach") zugelassen, beide Präparate unterliegen der Rezeptpflicht. Europaweit ist ellaOne® ebenfalls verschreibungspflichtig, Levonorgestrel-haltige Präparate sind jedoch in mehr als 28 europäischen Ländern sowie in über 60 Ländern weltweit (darunter in den USA, Kanada, Australien) rezeptfrei erhältlich, auch stehen sie in der "List of essential medicines" der WHO. Rezeptpflicht besteht derzeit in Europa außer in Deutschland nur noch in Polen, Italien, Sardinien, Monaco und Bulgarien. Desweiteren stellt die Kupferspirale bis fünf Tage nach einer Verhütungspanne eine sichere postkoitale Verhütungsmethode dar.

Gute Datenlage

Für eine Entlassung von Levonorgestrel zur Notfallkontrazeption aus der Rezeptpflicht sprechen, so Thonke, die hohe Sicherheit aufgrund langjähriger Datenlage und umfassender Praxiserfahrung. Die Nebenwirkungen sind relativ gering, hauptsächlich treten Kopfschmerzen, Dysmenorrhö, Übelkeit und Müdigkeit auf. Medizinische Kontraindikationen sind nicht bekannt, und es gibt keinen Fall, wo die einmalige Gabe ein Risiko darstellen würde, betonte Thonke. Voraussetzung für die Wirksamkeit ist jedoch, dass mit der Einnahme möglichst frühzeitig nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr begonnen wird, das heißt spätestens innerhalb von 72 Stunden bei PiDaNa® und innerhalb von 120 Stunden bei ellaOne®.

Pro und contra Rezeptfreiheit

Während sich pro familia für die Rezeptfreiheit ausspricht, sind die gynäkologischen Fachverbände in Deutschland (die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. und der Frauenärzteverband) gegen eine Zulassungsänderung bei der Levonorgestrel-haltigen Pille danach, unter anderem mit dem Argument, dass die betroffenen Frauen vor einer Anwendung gynäkologisch untersucht werden sollten und ein dichtes Praxis-Netz in Deutschland und der Bereitschaftsdienst am Wochenende dies auch gewährleisten können.

Befragungen von pro familia

Aufgrund fehlender Daten zur Versorgungssituation in Deutschland bei der Pille danach hatte der pro familia-Bundesverband bereits 2008 eine Online-Befragung unter Verwenderinnen durchgeführt. Darüber hinaus wurde 2010 bundesweit eine schriftliche Befragung von pro familia-Beratungseinrichtungen zur regionalen Versorgungssituation mit der Pille danach mithilfe eines standardisierten Fragebogens durchgeführt, an der sich 120 von 180 Beratungseinrichtungen beteiligten und die die Ergebnisse früherer Erhebungen bestätigte. Mehr als 56% der Beratungsstellen gaben darin Versorgungsprobleme mit der Pille danach an, nur 39% bewerteten den Zugang als unproblematisch. Als Zugangshemmnisse wurden beispielsweise die begrenzten Öffnungszeiten der gynäkologischen Praxen und die daraus folgende Notwendigkeit, eine Notdienstzentrale oder Klinik aufzusuchen, genannt.

Das Personal war dort zum Teil nicht ausreichend qualifiziert, die Anreisewege weit und die Wartezeiten lang. Es wurden Privatrechnungen für die Behandlung ausgestellt oder die Verschreibung wegen konfessioneller oder moralischer Bedenken sogar abgelehnt. Mädchen unter 16 Jahren wurden von vielen Ärzten abgewiesen, wenn sie eine Verschreibung ohne die Einwilligung der Erziehungsberechtigten wünschten. Vielen Frauen und Mädchen wurde sogar eine "moralische Schuld" zugesprochen, die sie letztlich davon abhielt, sich ein Rezept zu besorgen. In ländlichen Regionen zeigte sich zudem, dass die betroffenen Frauen Arztpraxen, aber auch Apotheken, nicht aufsuchen wollten, um anonym zu bleiben.

Befürchtungen nicht bestätigt

Bei der Diskussion um die Rezeptfreiheit wird auch immer wieder angeführt, dass es negative Auswirkungen auf das Verhütungsverhalten geben könnte, berichtete Thonke. Laut einer Untersuchung an der Charité Berlin gibt es jedoch überhaupt keine Hinweise darauf, dass bei rezeptfreier Verfügbarkeit der Pille danach ein riskantes Sexualverhalten zunimmt. Diskussionen gibt es auch darüber, ob die Pille danach auch nach wiederholter Einnahme (mehrmals im Monat, mehrere Monate hintereinander) ein Risiko birgt. Hierzu hatte die WHO bereits 1998 die Aussage getroffen, dass kein Risiko besteht und es keinen Grund gibt, Frauen die mehrmalige Anwendung zu verweigern. Auch eine Zunahme sexuell übertragbarer Erkrankungen ist in den Ländern mit rezeptfreier Pille danach nicht beobachtet worden. Vor diesem Hintergrund spricht sich pro familia weiterhin dafür aus, die Pille danach aus der Rezeptpflicht zu entlassen, wie es bereits 2003 auch der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) empfohlen hatte.



Zurück zum Inhaltsverzeichnis
"Interpharm 2013 – Eine Patienten-orientierte Interpharm"



DAZ 2013, Nr. 13, S. 48

Das könnte Sie auch interessieren

Apotheker wollen Verantwortung übernehmen – andere zweifeln

Diskussion um rezeptfreie PiDaNa hält an

Rezeptfreie „Pille danach“

Frauenärzte dagegen, aber gesprächsbereit

Anhörung im Gesundheitsausschuss

PiDaNa: Diskussion geht weiter

Zweifel an Notdienst-Beratung der Apotheken

Gröhe lehnt Freigabe der „Pille danach“ ab

Empfehlung für ellaOne®-Freigabe macht Gesundheitsminister nachdenklich

Kehrtwende bei „Pille danach“?

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.