Aus den Ländern

Gegen "Ritalinisierung"

Arzneimittel dürfen keinesfalls zur Lösung gesellschaftlicher Probleme eingesetzt werden! Dies machten NRW-Gesundheitsministerin Barbara Steffens, Prof. Dr. Gerd Glaeske und Martina Wenzel-Jankowski in ihren Ansprachen auf dem 7. Suchtkooperationstag in NRW deutlich. Knapp 300 Personen nahmen am 13. März in Köln daran teil.
Streiter gegen Sucht und Drogen (von links): Armin Koeppe von der Landeskoordinierungsstelle Suchtvorbeugung NRW, Gesundheitsministerin Barbara Steffens, Dezernentin Martina Wenzel-Jankowski und Prof. Dr. Gerd Glaeske.
Foto: LVR/Lothar Kornblum

Sicher leisten Arzneimittel einen unverzichtbaren Anteil für die Behandlung von Krankheiten, für die sie zugelassen und indiziert sind, gleichzeitig bergen sie aber auch große Risiken, konstatierte Wenzel-Jankowski, die Dezernentin für den Klinikverbund und den Verbund Heilpädagogischer Hilfen des Landschaftsverbands Rheinland. Kritisch hob sie die wachsenden Verordnungszahlen von Psychopharmaka für Kinder und Jugendliche einerseits und für Senioren andererseits hervor. Auch das Hirndoping, um in Beruf und Gesellschaft funktionieren zu können, sei bereits heute eine ernst zu nehmende Problem.

Missbrauch ist gesellschaftliches Wegschauen

Ministerin Steffens stellte zur Diskussion, was Medikamente in der Gesellschaft ersetzen. Es müssen Lösungen zur Bewältigung der gesellschaftlichen Anforderungen und Probleme gefunden werden. Die Einnahme von Tabletten könne nicht die Normalität sein. Auch sei es unwahrscheinlich, so Steffens, dass "unsere Kinder in so hohem Maße ritalinisiert werden müssen". Dass inzwischen zehn Prozent aller Jungen im Laufe ihres Lebens eine Ritalinverordnung bekommen, lasse sich medizinisch nicht begründen. Steffens forderte eine Gesellschaft, in der Kinder noch Kind sein dürfen. Ähnliches konstatierte sie auch für ältere Menschen, die ihren Platz in der Gesellschaft haben müssen und sollen, egal ob mit oder ohne gesundheitliche Einschränkungen.

Risiken auch bei OTC

Prof. Glaeske wies in seinem Vortrag zur Medikalisierung der Gesellschaft darauf hin, dass inzwischen der Verbrauch von OTC- und Rx-Präparaten vergleichbar hoch ist. Deshalb müssen sich sowohl Ärzte als auch Apotheker ihrer Verantwortung bewusst sein, denn nicht nur verschreibungspflichtige Benzodiazepine, auch rezeptfreie Nasentropfen oder Kombinationsanalgetika sind bezüglich ihres Suchtpotenzials kritisch zu beurteilen. Bei vielen älteren Patienten kommen hier noch Wechselwirkungsrisiken hinzu, da sie neun oder mehr Arzneistoffe regelmäßig einnehmen (35% der Männer und 40% der Frauen).

Arzneimittel zur Bewältigung des Alltags

Der Nutzen der Arzneimittel – auch bei psychischen Erkrankungen – steht für Glaeske völlig außer Frage: Die Reformpsychiatrie hätte ohne Psychopharmaka nie stattfinden können. Glaeske kritisierte aber die verharmlosenden Darstellungen über Psychopharmaka in Zeitschriften, die beim Leser und Verbraucher übertriebene Erwartungen wecken, wie man "Arzneimittel zur Strukturierung des Alltags nutzen" kann.

Der Suchtkooperationstag ist eine gemeinsame Initiative der Ärzte- und Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen Lippe, der freien Wohlfahrtsverbände, der Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland, der Landeskoordinierungsstellen Frauen und Sucht NRW Bella Donna, Glücksspielsucht NRW, Integration NRW sowie Suchtvorbeugung NRW und der Landesstelle Sucht NRW; er wird im Zweijahresrhythmus veranstaltet und durch das Landesgesundheitsministerium gefördert.


Dr. Constanze Schäfer MHA



DAZ 2013, Nr. 13, S. 109

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