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Interpharm 2013
Dem Missbrauch entgegenwirken
Zwischen 5 und 10% aller Arzneimittel besitzen ein Suchtpotenzial und können bei nicht bestimmungsgemäßer Anwendung abhängig machen. Obwohl es Arzneimittelmissbrauch schon immer gab und wohl auch immer geben wird, spielt er in den Medien meist nur dann eine Rolle, wenn prominente Persönlichkeiten betroffen sind und verschwindet ebenso schnell wieder aus der Berichterstattung, stellte Pallenbach fest. Seiner Ansicht nach ist die Beratung zum verantwortungsvollen und sicheren Umgang mit suchterzeugenden Wirkstoffen eine der wichtigsten apothekerlichen Aufgaben. Sie kann darüber hinaus einen Beitrag zur Erhaltung der Glaubwürdigkeit des Berufsstandes leisten. Zudem bietet seiner Ansicht nach keine andere Berufsgruppe einen derart niedrigschwelligen Zugang für Betroffene. Denn Suchtberatungsstellen beispielsweise werden erst aufgesucht, wenn die Betroffenen ihr Problem selbst erkannt haben und etwas dagegen unternehmen wollen, während die Apotheke bereits lange vorher ihre Unterstützung anbieten kann.
Welche Wirkstoffgruppen sind betroffen?
Die am häufigsten betroffenen Arzneimittelgruppen sind Analgetika, Laxanzien, Hypnotika, Psychostimulanzien und alpha-Sympathomimetika zur nasalen Anwendung.
Kopfschmerzpatienten unterliegen einem besonderen Risiko, denn nur etwa jeder Fünfte konsultiert aufgrund seiner Beschwerden einen Arzt und versucht, das Problem mit rezeptfreien Präparaten zu bekämpfen. Diese legitime Vorgehensweise wird dann zum Problem, wenn eine zu lange oder zu häufige Anwendung einen so genannten Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz (MÜK) nach sich zieht. Als Faustregel für eine unproblematische Anwendungsdauer gilt dabei, 20 Tage pro Monat ohne Akutmedikation auszukommen. Analgetika und Mutterkornalkaloide sollten nicht länger als drei Tage hintereinander, Triptane in der Selbstmedikation nicht häufiger als zweimal in 24 Stunden bzw. zweimal pro Attacke eingenommen werden. Dem Patienten sollte vor allem vermittelt werden, dass nicht die Dosis, sondern die Einnahmedauer das Problem darstellt.
Mit Kunden ins Gespräch kommen
In der Apotheke können Betroffene auf vielfältige Weise unterstützt werden. So ist es wichtig durch gezielte Fragen festzustellen, ob es sich bei der vom Patienten vermuteten Migräne tatsächlich um eine solche handelt und gegebenenfalls eine "Brücke" zu einer fachärztlichen Beratung zu bauen. Als Vorbereitung darauf kann dem Patienten das Führen eines Kopfschmerzkalenders empfohlen werden.
Es ist relativ schwierig, Kunden auf einen vermuteten Arzneimittelmissbrauch anzusprechen, denn vielfach blocken sie einen solchen Versuch direkt ab. Auch die simple Verweigerung der Abgabe macht, so Pallenbach, wenig Sinn, denn dann würde der Kunde eine andere Apotheke aufsuchen und wäre "verloren". Empfehlenswert ist es dagegen, mit dem Kunden ein vorsichtiges, nicht-konfrontatives Gespräch zu beginnen, in dessen Verlauf auf mögliche Probleme (z. B. eine mögliche Nierenschädigung durch Analgetika) hingewiesen wird, und an dessen Ende man ihm deutlich die Bereitschaft zu einer Beratung signalisiert. Ziel ist es, beim Kunden einen Gedankenprozess anzustoßen.
Keine Suchtgefahr bei Opioid-Analgetika
Opioide werden heute Erhebungen zufolge zu fast 80 Prozent für Patienten ohne Tumorerkrankungen verordnet. Entgegen manchen Befürchtungen erhöht dies das Risiko für eine missbräuchliche Anwendung nicht. Voraussetzung ist allerdings, dass der Patient retardierte Präparate verordnet bekommt, sodass bei konstanten Wirkspiegeln keine "Lücken" auftreten, die zur Entwicklung eines Schmerzgedächtnisses führen könnten. Der Patient spürt dann primär die analgetische und nicht die euphorisierende Wirkung. Vorsicht ist bei Patienten mit einer Suchtproblematik geboten, allen anderen Patienten mit starken Schmerzen dürfen, so Pallenbach, Opioid-Analgetika aus Angst vor einer Abhängigkeit nicht vorenthalten werden.
Benzodiazepine – "rosa Brille für die Seele"
Mit der Zunahme von Schlafstörungen in vielen Bevölkerungsschichten steigt auch die Verordnungshäufigkeit von Benzodiazepinen und verwandten Wirkstoffen ("Z-Substanzen"). Bei kurzfristiger Anwendung sind dies sinnvolle und hochwirksame Arzneimittel, doch vielfach werden sie zu lange oder gar dauerhaft eingenommen. Vielen Betroffenen ist das damit verbundene Risiko nicht bewusst, sie glauben, niedrige Dosen von "nur wenigen Milligramm" einzunehmen, und befinden sich dabei bereits am Rande einer Hochdosisabhängigkeit (siehe Tabelle). Diese ist verbunden mit zahlreichen weiteren Problemen wie Wirkungsverlust, kognitiven Störungen bis hin zur Demenz oder pseudodementen Zuständen, Dauersedierung, und – gerade bei älteren Betroffenen – einer Zunahme des Sturzrisikos. Pallenbach stellte in seinem Vortrag das vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte ABDA-Modellprojekt "Ambulanter Entzug Benzodiazepin-abhängiger Patienten in Zusammenarbeit von Apotheker und Hausarzt" vor, mit dem beide Berufsgruppen betroffene Patienten gemeinsam begleiten können. Auch in diesem Projekt, das derzeit kurz vor dem Abschluss steht, wurden Patienten nach den Prinzipien der "Motivierenden Gesprächsführung" behutsam auf das Problem angesprochen.
Grenzen der Hochdosisabhängigkeit bei Benzodiazepinen und "Z-Substanzen" | |||
Wirkstoff |
Hochdosis- abhängigkeit beginnt bei ca. |
Beispiel |
|
entspricht |
empfohlene Tagesmaximaldosis |
||
Bromazepam |
12 mg |
2 Tabletten Lexotanil®
6 mg |
6 mg |
Diazepam |
20 mg |
2 Tabletten Valium®
10 mg |
10 mg |
Zopiclon |
30 mg |
4 Tabletten Ximovan®
7,5 mg |
7,5 mg |
Zolpidem |
40 mg |
4 Tabletten Stilnox®
10 mg |
10 mg |
Auch nicht verschreibungspflichtige Wirkstoffe wie Diphenhydramin (z. B. Moradorm® Tabletten) und Doxylamin (z. B. Hoggar® Tabletten) werden missbräuchlich angewendet. Bei Abgabe dieser Mittel empfahl Pallenbach, dem Kunden Tipps zur "Schlafhygiene" zu geben. So wünschen sich beispielsweise viele ältere Menschen nachts acht Stunden zu schlafen, obwohl sie sich mittags regelmäßig zu einem "Nickerchen" hinlegen und damit ihr nächtlicher Schlafbedarf deutlich geringer ist. Wichtig ist auch der Hinweis, dass Alkohol – vor allem in größeren Mengen – kein geeignetes Schlafmittel darstellt und das Trinken von Kaffee oder schwarzem Tee am Nachmittag ebenfalls zu Schlafstörungen führen kann. Alternativ sollten standardisierte Phytopharmaka oder homöopathische Präparate bei Schlafstörungen empfohlen werden. Pallenbachs Fazit: Es gibt kein Patentrezept gegen Arzneimittelabhängigkeit, aber es gibt immer Auswege. Eine Abgabe ohne Kommentar ist seiner Ansicht nach eine verpasste Chance, dem Patienten zu helfen.
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"Interpharm 2013 – Eine Patienten-orientierte Interpharm"
DAZ 2013, Nr. 13, S. 73
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