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DAZ-Interview mit Frank Wartenberg und Michael Dörr

FRANKFURT/MAIN (lk). Die Diskussion in der Apothekerschaft über den datenschutzkonformen Umgang mit Rezeptdaten hat beim Datendienstleister IMS Health zu Beeinträchtigungen im Geschäftsbetrieb geführt. Wir sprachen mit IMS Health-Geschäftsführer Frank Wartenberg und IMS-Direktor Supplier Services Michael Dörr darüber. Dr. Frank Wartenberg betonte den rechtmäßigen Umgang mit Rezeptdaten und ruft die Apothekerschaft dazu auf, ihre Meinungsunterschiede bei der Auslegung des Datenschutzes zu bereinigen.
Frank Wartenberg, IMS Health-Geschäftsführer Foto: IMS Health


DAZ: IMS Health hat kürzlich mit Insight Health und einigen Apothekenrechenzentren ein gemeinsames Positionspapier zum Datenschutz im Umgang mit Rezeptdaten veröffentlicht. Was war der Anlass dafür?

Wartenberg: Wir wollen damit deutlich machen, dass unser Umgang mit den Rezeptdaten legal – und für mich noch wichtiger – legitim ist. Es geht darum, dass die Rezeptdaten in den Apothekenrechenzentren regelkonform aufbereitet und anonymisiert an uns weitergeleitet werden. Wir erstellen daraus Produkte wie Studien und Marktanalysen einerseits für die Industrie, aber auch in erheblichem Maße für die Gesundheitsforschung, die europäische Zulassungsbehörde und für die politischen Akteure wie das Bundesgesundheitsministerium.


DAZ: Die Bundesregierung verfügt aber über eine eigene Gesundheitsforschung ohne wirtschaftliche Interessen.

Wartenberg: Das ist richtig. Unser Vorteil ist, dass wir oft schneller sind, weil wir die Daten routinemäßig aufbereiten und somit einen direkteren Zugriff auf die Daten haben. Da liegt unser Geschwindigkeitsvorteil. Wir verfügen zudem über weitere wertvolle Zusatzinformationen aus dem europäischen Raum, die den staatlichen Datenverarbeitern nicht vorliegen, z. B. für Nebenwirkungsanalysen bei Arzneimitteln. Entscheidend ist: Die Politik möchte, dass solche Informationen im Markt verfügbar sind. Damit wird das Gesundheitswesen transparenter und es können bessere Entscheidungen getroffen werden, durch die Unternehmen, aber auch durch die Politik. Kern des IMS-Health-Geschäftsmodells ist dabei seit 59 Jahren, die Vertraulichkeit und Anonymität von Leistungserbringern und Patienten zu wahren. Darauf sind unsere internen Strukturen ausgelegt.


DAZ: Es stehen aber Vorwürfe im Raum, dass der Datenschutz bei der Verwertung von Rezeptdaten nicht lückenlos eingehalten wird.

Wartenberg: Das können wir nicht nachvollziehen. Wir erhalten von unseren Datenlieferanten ausschließlich anonymisierte Daten. Zudem stehen wir mit der zuständigen Datenschutzbehörde seit vielen Jahren in engem und intensivem Kontakt. Da gab und gibt es keine Beanstandungen. Niemand hat jemals auch nur den Vorwurf erhoben, IMS Health würde Rezeptdaten bestimmten Patienten, Ärzten oder Apothekern zuordnen. Diskutiert wird immer nur die Frage, ob dies theoretisch in Einzelfällen möglich sei. Wir sind der Ansicht, dass dies mit angemessenem Aufwand nicht möglich ist. Das ist die Linie, die das Datenschutzrecht zieht und die wir auch einhalten.


DAZ: Wenn es so glatt läuft, warum dann das Positionspapier?

Wartenberg: Die Idee für das Positionspapier wurde geboren, nachdem die bayerische Datenschutzbehörde nach Prüfung eines in ihrem Zuständigkeitsbereich liegenden Apothekenrechenzentrums bestätigt hat, dass keine Bedenken gegen den Status quo der Weitergabe von Rezeptdaten bestehen. Unsere Zielrichtung liegt auf der Hand: Wir wollen uns in die öffentliche und über die Medien erfolgte Debatte einmischen. Nach unserer Auffassung wurde dort eine Sichtweise platziert, die nicht in allen Facetten korrekt ist. Wir wollten mit dem Positionspapier einen Gegenakzent setzen.


DAZ: Wie ist ihre Kernposition?

Wartenberg: Der Gesetzgeber will die Weiterverarbeitung der Rezeptdaten ausdrücklich, zur Herstellung von Markttransparenz – natürlich unter Wahrung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Und wir sind der Meinung, dass das der Fall ist. Die Apothekenrechenzentren wollten damit ein Signal setzen. Am Markt ist seit einem Jahr große Unruhe entstanden, die kürzlich noch dadurch intensiviert wurde, weil ein Rechenzentrum inzwischen überraschend entschieden hat, eine andere Position einzunehmen.


DAZ: Sie spielen damit an auf die Vorgänge bei NARZ?

Wartenberg: Ja. Aus unserer Sicht gibt es keinen datenschutzrechtlichen Grund für die Einschränkungen bei der Datenlieferung, wie sie dort aus übertriebener Vorsicht beschlossen wurde. Es hat keinerlei Anweisung der zuständigen Datenschutzbehörde hierfür gegeben und auch sonst hatte sich nichts an den rechtlichen Rahmenbedingungen geändert. Wir alle waren darüber sehr überrascht und haben mit dem Positionspapier unsere Auffassung zum Ausdruck gebracht.


Michael Dörr, IMS-Direktor Supplier Services Foto: IMS Health

DAZ: Es gibt aber doch ganz offensichtlich unterschiedliche Auslegungen, wie Rezeptdaten anonymisiert werden müssen.

Dörr: Aus technischer Sicht gibt es immer nur eine relative Anonymisierung, das liegt auf der Hand. Man kann daher immer sagen, anonym ist nicht anonym. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber vorgegeben, dass Daten anonym sind, wenn sie nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand wieder entschlüsselt werden können. Es besteht mit den Kritikern Einvernehmen, dass der Aufwand einer Deanonymisierung in der Regel zu hoch ist. Unterschiedliche Ansichten bestehen nur im Hinblick auf die Frage, ob es ungewöhnliche Einzelfälle gibt, in denen der Aufwand weniger groß sein könnte. Da geht es im Kern um weniger als 1 % der Daten. Wir sagen, der Aufwand ist gerade in solchen Einzelfällen unverhältnismäßig, denn weniger als 1 % rechtfertigt wirtschaftlich keinen Aufwand. Es hat auch niemand behauptet, dass wir das machen würden. Es handelt sich um eine rein theoretische Diskussion.

Wartenberg: Wir machen fortlaufend Tests hinsichtlich des Sicherheitsabstandes unserer Daten zum so definierten Datenschutz. Dabei berücksichtigen wir den technischen Fortschritt, um sicherzustellen, dass bei diesem Hase-und-Igel-Spiel der Datenschutz immer die Nase vorn hat. Daher können wir heute mit Sicherheit sagen: Wir haben nach den Maßstäben des Datenschutzrechts anonymisierte Daten.


DAZ: Welche Informationen beinhalten ihre so anonymisierten Daten dann überhaupt noch?

Wartenberg: Unsere Kunden erhalten Daten auf der Ebene von Gebieten mit mindestens 300.000 Einwohnern, zum Beispiel für die Abgabe eines bestimmten Arzneimittels im Monat März. Daraus kann nicht auf einzelne Ärzte, Apotheken oder Patienten geschlossen werden. Unser Dateneingang ist allerdings sehr viel granularer, also kleinteiliger. Das brauchen wir beispielsweise für die Kontrolle von Rabattverträgen. Das hat der Gesetzgeber ausdrücklich erlaubt. Hierfür können und dürfen wir detailliertere Daten liefern. Dort reden wir von Segmenten mit durchschnittlich zehn Ärzten. Dann weiß man, welche Verordnungen Rezepte von etwa zehn Ärzten einer Fachgruppe zum Beispiel hier in Frankfurt beinhalten.


DAZ: Damit lässt sich aber doch relativ einfach auf einen einzelnen Arzt schließen?

Wartenberg: Nein, das ist auch mit Zusatzinformationen nicht möglich. Wir achten darauf, dass kein Arzt identifizierbar ist. Beim Dateninput ist bereits ausgeschlossen, dass wir Rückschlüsse auf einzelne Ärzte ziehen können. Wir können aber aus den Granular-Informationen entsprechend der Wünsche unserer Kunden diese 300.000er Segmente so zusammensetzen, dass daraus sinnvolle Marktstudien werden.


DAZ: Im Positionspapier heißt es, dass Pharmareferenten auf Basis ihrer Daten gezielte Beratung vornehmen. Was bedeutet das? Genau das soll doch ausgeschlossen sein.

Wartenberg: Es gibt eine gesetzliche Regelung für Pharmareferenten. Die haben ja einen bestimmten Auftrag, der erfüllbar sein muss. Wir sehen z. B. in größeren regionalen Einheiten Unterschiede bei der Nutzung von Schmerzmitteln. Oder wie neue Therapiealternativen im Markt angenommen werden. Dafür ist es relevant, Daten zu erhalten. Wenn beispielsweise in Frankfurt der Einsatz von Schmerzmitteln in der Onkologie deutlich geringer ist als in Leipzig, dann ist das ein wichtiger Hinweis auf die Versorgung von Patienten.


DAZ: Heißt gezielte Beratung, dass Pharmareferenten wissen, dass im Frankfurter Raum bei der Verordnung von Schmerzmitteln noch Luft nach oben ist?

Wartenberg: "Gezielt" meint nicht, dass der Pharmareferent das Verschreibungsverhalten des Arztes kennt. Die Beratung wird auf Grundlage von Tendenzen in der Region zugeschnitten. Das muss dann nicht für jeden Arzt in der Region passen, aber die Wahrscheinlichkeit wird entscheidend erhöht, dass relevante Informationen übermittelt werden. Die Beratung gewinnt so an Qualität. Damit kann der Pharmareferent auch auf seine Gesprächspartner zugehen und Fragen stellen: Was ist dafür der Hintergrund, kann ich dazu etwas erklären? Wichtig ist aber eines: Am Ende setzen sich Arzneimittel nur durch, wenn sie auch zu Behandlungserfolgen führen. Wenn ein Pharmareferent sehen kann, wie in seinem Gebiet die Anwendung seiner Arzneimittel in der Regel erfolgt, dann kann er gezielter auf die richtige und erfolgversprechende Verwendung hinwirken. Das nutzt dann nicht nur dem Arzt, sondern auch den Patienten.


DAZ: Nun beurteilen die Landesdatenschützer diese Dinge doch sehr unterschiedlich: Bayern und Hessen verhalten sich offensichtlich industriefreundlicher. Die für das NARZ zuständigen Bremer Landesdatenschützer sehen das strenger. Wie gehen Sie damit um?

Dörr: Die bayerische und die hessische Datenschutzbehörde haben dort sehr genau hineingeschaut.


DAZ: Das will ich nicht infrage stellen.

Dörr: Vielleicht verfügen diese beiden Behörden wegen ihrer langjährigen Beschäftigung mit dem Thema über wesentlich tiefere Einblicke in die Sachverhalte als andere. Wenn wir mit Datenschutzbehörden reden, stellen wir Informationsdefizite fest, die wir gerne ausgleichen wollen. Wir haben in unseren Gesprächen mehrfach festgestellt, nicht alle Datenschützer verfügen über den gleichen Informationsstand. Das ist ein Problem. Am Ende ist aber auch bei gleichem Informationsstand nicht sicher, dass alle Datenschutzbehörden die gleiche Ansicht vertreten werden. Wenn Sie die Diskussion über die Gesundheitskarte verfolgt haben, werden Sie mich verstehen.

Wartenberg: Ein Beispiel: Eine Datenschutzbehörde war der Ansicht, wir erhielten von den Apothekenrechenzentren die lebenslange Arztnummer. Das ist aber überhaupt nicht der Fall. Diesen Irrtum konnten wir ausräumen. Das Thema Aufklärung ist für uns daher ein ganz wichtiger Punkt. In der Vergangenheit haben wir nur mit den für uns zuständigen Datenschutzbehörden gesprochen. Inzwischen treten wir auch an andere Landesdatenschutzbehörden heran, um Aufklärungsarbeit über unsere Produkte zu leisten.


DAZ: Sie schwärmen also jetzt aus, um die Landesdatenschützer von ihrer Sichtweise zu überzeugen?

Wartenberg: Ja, wir haben in den letzten Wochen viele Gespräche geführt. Dabei stellen wir fest, dass wir ein gleiches Verständnis von Anonymisierung haben. Hier gibt es keine großen Differenzen.


DAZ: Die Bremer Datenschützerin Imke Sommer hat kürzlich das vom NARZ entwickelte neue Anonymisierungsverfahren ausdrücklich begrüßt. Wie erklären sie sich das?

Wartenberg: Wir wissen noch nicht, welches NARZ-Verfahren Frau Sommer meint, nach unserer Kenntnis liegen ihr mehre Varianten vor. Sie sagt auch nur, dass sie es begrüßt und nicht, dass sie es für erforderlich hält. Wir erhalten aktuell vom NARZ Daten auf KVB-Ebene. Damit sind wir nicht zufrieden. Diese Daten entsprechen nicht unseren mit dem NARZ geschlossenen Verträgen und gehen über die Notwendigkeiten des Datenschutzes weit hinaus. Daher haben wir unsere Zahlungen an das NARZ in erheblichen Umfang gekürzt.


DAZ: Das Datengeschäft ist durch diese Vorgänge gestört?

Wartenberg: Selbstverständlich. Wir sind auf gehaltvolle Daten aus Norddeutschland angewiesen. Wir können zurzeit gegenüber unseren Kunden noch nicht einmal mehr Daten liefern, die zur Kontrolle der Rabattverträge erforderlich sind. Das hat bei unseren Kunden zu erheblicher Unruhe geführt. Es kostet uns große Anstrengungen, unseren Kunden für den norddeutschen Raum valide Marktanalysen anzubieten. Es ist für uns sehr schwer nachvollziehbar, welche Motivation die Entscheidungen in Norddeutschland treibt, aber das Ergebnis ist für uns sehr ärgerlich.


DAZ: Wie groß ist der Schaden?

Dörr: Der Schaden ist groß, keine Frage. Nicht nur für uns, auch für die Apothekerschaft. Diese überzogene Datenschutzdiskussion könnte dazu führen, dass die Apothekerschaft ihre berufspolitischen Ziele hinsichtlich wirksamen Arzneimittelmanagements nicht weiter verfolgen kann, weil auch dem DAPI die notwendigen Daten fehlen. Außerdem wird man am Ende die fehlenden Einnahmen und den Schaden über höhere Rezeptabrechnungskosten kompensieren müssen.


DAZ: Wie wollen Sie den aus ihrer Sicht notwendigen Datenfluss wieder herstellen?

Wartenberg: Wir setzen auf Aufklärung und Information. Das sind unsere Instrumente. Wir sind überzeugt davon, dass unserer Arbeit wichtig und datenschutzrechtlich sauber ist. Wir nehmen Datenschutzbedenken selbstverständlich ernst. Aber wir müssen durch diese Diskussion erhebliche Einbußen unseres Geschäfts hinnehmen. Die bereiten uns Sorgen. Entscheidend ist für uns der Dialog mit den Behörden.


DAZ: Sie erhalten von ca. 5500 sogenannten Panel-Apotheken in ganz Deutschland direkte Informationen über den monatlichen Arzneimittelabsatz. Reicht das nicht aus, um den NARZ-Ausfall zu kompensieren?

Dörr: Teilweise. Wir haben rund 4000 Apotheken direkt unter Vertrag. Zusätzlich erhalten wir Daten von 1500 Apotheken aus verschiedenen Kooperationen. Insgesamt haben wir 5500 Apotheken. Wir erhalten Informationen über den Absatz und den Lagerbestand. Vor allem ergibt sich daraus ein Überblick über den OTC-Markt. Für unsere Studienzwecke müssten wir aber noch weitere Informationen erheben. Es gäbe diese Möglichkeiten. Wir nutzen diese aber derzeit nicht. Wenn die Foto-Technik für Rezepte flächendeckend eingeführt sein wird, ergeben sich weitere Möglichkeiten. Aber soweit sind wir heute noch nicht.


DAZ: Wie geht es also mit dem Rezeptdatengeschäft weiter? Wie es aussieht, müssen Sie aus Ihrer Sicht nicht nur auf die Einsicht der Landesdatenschützer setzen, sondern auch darauf, dass die Apothekerschaft sich auf einen einheitlichen Umgang mit Rezeptdaten verständigt?

Wartenberg: Wir mischen uns nicht in die Standespolitik ein. Aber wir beklagen schon die unterschiedliche Auslegung des Datenschutzes. Teilweise wird erwartet, dass die Datenschutzbehörden die Verfahren zulassen, so wie Arzneimittel zugelassen werden. So funktioniert aber die Aufsichtspraxis im Datenschutz nicht. Die Standespolitiker müssen sich selbst eine Meinung bilden. Wir würden es daher sehr begrüßen, wenn die Standespolitiker eine Initiative ergreifen würden, die Beeinträchtigung der datenschutzkonformen Verarbeitung der Rezeptdaten zu beseitigen. IMS Health ist immerhin der Partner der Apotheker, der seit über 50 Jahren verantwortungsvoll Daten verarbeitet. Wir wollen das Thema im bewährten Dialog zu einer Lösung bringen.



DAZ 2013, Nr. 13, S. 27

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