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Schmerzliga und Epilepsievereinigung verlangen Ausnahmen von Substitutionspflicht

BERLIN (ks). Die Deutsche Schmerzliga und die Deutsche Epilepsievereinigung appellieren an den Deutschen Apothekerverband (DAV) und den GKV-Spitzenverband, möglichst rasch für bestimmte Arzneimittel Ausnahmen von der generellen Substitutionspflicht zu bestimmen. Der Gesetzgeber hatte im letzten Herbst mit der AMG-Novelle eine entsprechende Regelung im Rahmenvertrag ermöglicht. Doch wann diese neue "Kann-Vorschrift" im § 129 SGB V umgesetzt und mit Leben erfüllt wird, ist noch nicht absehbar.
Prof. Dr. Henning Blume (li.) und Dr. Michael Überall fordern von DAV und GKV-Spitzenverband, sich schnellstmöglich auf Ausnahmen von der Substitutionspflicht für bestimmte Arzneimittel zu einigen.
Foto: DAZ/Sket

Vor elf Jahren hat der Gesetzgeber die Aut-idem-Regelung eingeführt. Seitdem müssen Apotheken ein preisgünstiges Arzneimittel abgeben, wenn sie eine ärztliche Verordnung bedienen, die einen Austausch nicht ausdrücklich ausschließt. Mit der Scharfstellung der Rabattverträge im Jahr 2007 wurden die Apotheken in ihren Wahlmöglichkeiten allerdings deutlich eingeschränkt: Rabattvertrag hat Vorrang lautet seitdem die Devise.

Der Wechsel von einem wirkstoffgleichen Arzneimittel zum anderen kann jedoch für bestimmte Patienten gefährlich werden und den Behandlungserfolg zunichtemachen. So gibt es beispielsweise Arzneiformen, die eine höchst unterschiedliche Wirkdauer und -intensität aufweisen – trotz gleichem Wirkstoff und gleicher Erscheinung. Das gilt selbst für so häufig eingesetzte Arzneimittel wie Diclofenac: Nach den Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Austauschbarkeit von Darreichungsformen sind hier beispielsweise Disperstabletten, magensaftresistente Tabletten, Kapseln und Dragees als problemlos austauschbar. Bei einer akuten Behandlung mag dies tatsächlich kein Problem sein. Doch für Chroniker mit kritischen Indikationen, die oft nach langem Ausprobieren gut auf "ihr" Arzneimittel eingestellt sind, kann ein Präparate-Wechsel verheerend sein. Dabei ist es egal, ob von einem Originalpräparat auf ein Generikum umgestellt wird oder zwischen verschiedenen Nachahmerpräparaten ausgetauscht wird – problematisch ist der Wechsel an sich. Die Deutsche Schmerzliga und die Deutsche Epilepsievereinigung kämpfen daher dafür, für ihre Patienten Ausnahmen von der Substitutionspflicht zu schaffen. 500.000 Epilepsie-Patienten und 600.000 Menschen mit schwersten chronischen Schmerzen seien betroffen.

Gute Substitutionspraxis

Der Pharmazeut Prof. Dr. Henning Blume unterstützt die Forderung der Organisationen. Er sieht die Substitutionsregelungen seit Anbeginn kritisch. Schon 2002 hat die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) – mit ihm als Mitverfasser – die Leitlinie "Gute Substitutionspraxis" (GSP) vorgelegt. Sie soll Ärzte und Apotheker bei der Aut-idem-Substitution Hilfestellung geben und somit dafür sorgen, dass die Arzneimittelsicherheit nicht gefährdet wird und Patienteninteressen gewahrt bleiben. In der Leitlinie finden sich Arzneimittelgruppen und Darreichungsformen, bei denen die Substitution kritisch sein kann – darunter auch Opioid-Analgetika und Antiepileptika. Die GSP könnte damit auch für DAV und GKV-Spitzenverband eine Grundlage für die Bestimmung von Ausnahmen sein. Sie war kürzlich auch schon als Basis im Gespräch – allerdings in einer nach elf Jahren nötigen angepassten Form. Blume als DPhG-Vertreter hat zwar noch keine Anfrage hierzu erhalten; er erklärte jedoch, die in die Jahre gekommene Leitlinie werde derzeit überarbeitet. Bis zum Sommer könnte möglicherweise eine neue Fassung vorliegen. Was die laufenden Verhandlungen zum Rahmenvertrag betrifft, mahnte Blume an, die Bedürfnisse der Patienten zu berücksichtigen und bei den Beratungen externe Experten einzubeziehen. Er spricht sich auch dafür aus, besonders kritische Arzneimittelgruppen (z. B. Schilddrüsenhormone) und Indikationen (z. B. Epilepsie und chronische Schmerzen) gänzlich von der Substitutionspflicht auszunehmen. Sie beträfen eben nicht nur Einzelfälle, sondern alle Patienten. "In der Verantwortung für den Patienten muss Kompetenzgerangel hinten anstehen!", forderte Blume.

Ausnahmen schon jetzt möglich – doch selten genutzt

Eine ausgesprochene Dringlichkeit, eine Lösung im Rahmenvertrag zu finden, sieht allerdings nicht jeder. Schließlich haben Ärzte grundsätzlich schon jetzt die Möglichkeit, einen Austausch auszuschließen. Gibt es medizinische Gründe hierfür, müssen sie nur das Aut-idem-Kreuz machen. Auch Apotheken können sich der Substitution entgegenstellen, wenn sie pharmazeutische Bedenken haben und diese geltend machen. Und genau darauf verweist auch der GKV-Spitzenverband, der das Problem infolgedessen für nicht so groß hält, wie es etwa die Schmerzliga beschreibt. Allerdings: Aus Furcht vor Regress und Retaxation schrecken viele Ärzte und Apotheker zurück, von den schon jetzt bestehenden Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Mit einer Regelung im Rahmenvertrag wäre ihre Situation sicher komfortabler.

Der Vorsitzende der Deutschen Epilepsievereinigung, Norbert van Kampen, forderte GKV-Spitzenverband und DAV daher ausdrücklich auf, eine einfache und rechtlich eindeutige Regelung zu schaffen, um Ärzten und Apothekern diese Furcht zu nehmen. Für den Präsidenten der Schmerzliga, Dr. Michael Überall, ist die vom Gesetzgeber erlassene "Kann-Vorschrift" allerdings ohnehin eine Enttäuschung. Mit ihr werde der Schwarze Peter – die Definition der Ausnahmen – an Krankenkassen und Apotheker weitergereicht. Überall betonte überdies, dass der Preis, den die Krankenkassen durch den leichtfertigen Austausch einsparen, teuer vom Patienten zu bezahlen ist.

Die Erwartungen an die Vertragspartner sind also groß. Wann eine Lösung präsentiert wird, ist noch offen. Ende Januar war bereits zu vernehmen, man sei auf einem guten Weg zueinander. Derzeit ist nicht mehr zu erfahren, als dass DAV- und GKV-Vertreter weiterhin miteinander im Gespräch sind.



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DAZ 2013, Nr. 11, S. 20

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