Gesundheitspolitik

OTC-Erstattungsausschluss ist verfassungsgemäß

Bundesverfassungsgericht bestätigt GKV-Leistungsausschluss – Selbstzahlern wird nicht zu viel zugemutet

Karlsruhe (ks). Seit 2004 sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von gesetzlich Krankenversicherten im Regelfall selbst zu zahlen. Nun hat das Bundesverfassungsgericht entschieden: Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Belastung der Versicherten mit Zusatzkosten stehe in angemessenem Verhältnis zu dem unter anderem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel, die Kosten im Gesundheitswesen zu dämmen. (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Dezember 2012, Az: 1 BvR 69/09)

Die Verfassungsbeschwerde hatte ein gesetzlich krankenversicherter Mann eingelegt, der an einer chronischen Atemwegserkrankung leidet. 28,80 Euro kostet ihn die Behandlung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln monatlich. Eine Klage gegen seine Krankenkasse, die die beantragte Kostenübernahme ablehnte, blieb in allen Instanzen erfolglos. Nun nahm auch das Bundesverfassungsgericht seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Letzte Woche veröffentlichte das Gericht seinen bereits am 12. Dezember 2012 ergangenen Beschluss.

Kein Verstoß gegen Gleichheitssatz

Die Karlsruher Richter konnten keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz erkennen. Chronisch Kranken werde nicht – wie vom Beschwerdeführer gerügt – ein Sonderopfer zugunsten der Allgemeinheit, hier der GKV, auferlegt. Die gesetzlichen Krankenkassen seien nicht von Verfassung wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Zumutbare Eigenleistungen könnten durchaus verlangt werden.

Der Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Die Ungleichbehandlung zwischen verschreibungspflichtigen und rezeptfreien Medikamenten hält das Gericht jedoch für gerechtfertigt. In welche Kategorie ein Arzneimittel fällt, entscheide sich in erster Linie am Maßstab der Arzneimittelsicherheit. Verschreibungspflichtige Arzneimittel seien stark wirksame Arzneimittel, von denen eine Gesundheitsgefährdung ausgehe, wenn sie ohne ärztliche Überwachung eingenommen werden. Von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gehe diese Gefährdung hingegen nicht aus – für sie gibt es auch keine festen Preisvorgaben. Der Gesetzgeber bediene sich somit eines Kriteriums, das primär die Funktion habe, die Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten, auch mit dem Ziel, die finanzielle Inanspruchnahme der GKV zu steuern. Insofern sei das Kriterium zwar nicht zielgenau – es sei aber auch nicht sachwidrig, sondern zur Dämmung der Kosten im Gesundheitswesen erforderlich und geeignet.

Auch im engeren Sinne sei die Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Arzneimitteln verhältnismäßig. Die Belastung mit den Zusatzkosten für OTC-Arzneimittel stehe in einem angemessenen Verhältnis zu den vom Gesetzgeber mit dieser Differenzierung verfolgten Zielen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die vom Beschwerdeführer konkret geltend gemachte finanzielle Belastung unzumutbar wäre. Zudem habe der Gesetzgeber Regelungen getroffen, um die Belastung chronisch Kranker in Grenzen zu halten.

Die gesetzgeberische Unterscheidung zwischen schwerwiegenden und anderen Erkrankungen sei verfassungsrechtlich ebenfalls zu rechtfertigen. Bei schwerwiegenden Erkrankungen, bei denen das Medikament zum Therapiestandard gehört, können auch OTC zulasten der GKV verordnet werden. Die Schwere der Erkrankung sei im Rahmen eines Krankenversicherungssystems ein naheliegendes Sachkriterium, um innerhalb des Leistungskatalogs zu differenzieren, so die Karlsruher Richter.

Linksfraktion: Belastungen dennoch ungerecht

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Martina Bunge, sieht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als "Auftrag an die Politik": Gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten müssten die vom Arzt verschriebenen Medikamente endlich wieder kostenfrei im Rahmen ihrer Krankenversicherung zur Verfügung gestellt werden. "Vom Arzt verschriebene Medikamente sollen die Patienten heilen und nicht schröpfen", so Bunge. Die Regelungen, mit denen Kranke stärker finanziell belastet werden als Gesunde, mögen nicht gegen das Grundgesetz verstoßen, so Bunge. "Gerecht und sozial sind sie aber dadurch noch lange nicht". Eingeführt wurde die Regelung 2004 durch das von SPD, Grünen und CDU gemeinsam getragene GKV-Modernisierungsgesetz.

BPI sieht Kassen gefordert

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) forderte die gesetzlichen Krankenkassen indessen auf, ihren Versicherten verstärkt die Kostenübernahme nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel anzubieten. "Für einen chronisch kranken Menschen ist es eine extreme Belastung, neben seinen Krankenkassenbeiträgen, den Zuzahlungen, die er leisten muss, auch noch, wie im Beispiel des Klägers, seine notwendigen Arzneimittel zu bezahlen, nur weil diese nicht verschreibungspflichtig sind", so BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp. Je nach Indikation könnten hier Belastungen auf die Versicherten zukommen, die diese nicht leisten könnten – zulasten ihrer Gesundheit.

Seit Inkrafttreten des Versorgungsstrukturgesetzes Anfang 2012 haben gesetzliche Krankenkassen die Möglichkeit, die Kostenübernahme für OTC als Satzungsleistung anzubieten. Laut BPI machen bislang aber nur 42 der mehr als 130 Krankenkassen hiervon Gebrauch. Fahrenkamp: "Wenn die GKV ihren Auftrag ernst nimmt, ihre Versicherten mit allem zu versorgen, was ausreichend und notwendig ist, müssen einfach mehr Krankenkassen solche Satzungsleistungen anbieten".



AZ 2013, Nr. 4, S. 3

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