Fragen aus der Praxis

Silber bei Neurodermitis

Mikrosilber-haltige Cremes auch für Babys?

Wir bitten um eine Bewertung silberhaltiger Cremes bei Neurodermitis. Wie wirken sie, mit welchen Nebenwirkungen ist bei Daueranwendung zu rechnen? Sind Präparate wie Multilind® Mikrosilber oder Hans Karrer Lipolotion Mikrosilber auch für Babys empfehlenswert?
Antwort gibt Apothekerin Dr. Carolin Schuhmacher, Regionales Arzneimittelinformationszentrum der LAK Baden-Württemberg, Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen

Die Verwendung von Silber ist uralt und dessen antimikrobieller Effekt wurde bereits in der Antike zur Trinkwasseraufbereitung ausgenützt.

Breites Wirkspektrum

Silber besitzt aufgrund seines sog. oligodynamischen Effektes (Schadeffekt kleinster Mengen von Metall-Kationen auf lebende Zellen) ein breites Wirkspektrum gegen Mikroorganismen. Erfasst werden Pilze, grampositive und -negative Aerobier und Anaerobier, einschließlich Pseudomonaden, multiresistente Staphylokokken und Vancomycin-resistente Enterokokken. Der durch Komplexbildung mit Bakterienproteinen erzielte gleichzeitige Funktions- und Strukturverlust von Zellmembran, Enzymsystemen und DNA/RNA führt zum Zelltod mit einem sehr geringen Risiko der Resistenzbildung.

Teufelskreis durchbrechen

Die Neurodermitis ist eine chronische oder chronisch-rezidivierende, nicht-ansteckende Hauterkrankung, die zumeist mit starkem Juckreiz als Leitsymptom einhergeht. Bei der symptomatischen Behandlung ist es besonders wichtig, den Teufelskreis "Juckreiz – Kratzen – Hautverletzung – Entzündung – erneuter Juckreiz" zu durchbrechen.

Erfolg mit Spezialtextilien

Der Einsatz von Silber soll hierbei die durch Mikroorganismen ausgelösten Entzündungsreaktionen eindämmen. Antimikrobielle Spezialtextilien (Unterwäsche, Bettwäsche, Accessoires wie Halskrausen, Ellenbogenstulpen, Fäustlinge) mit metallischem Silber werden bereits seit einigen Jahren zur Linderung der Symptome bei Neurodermitis erfolgreich eingesetzt [1]. Diese Spezialtextilien bestehen aus silberbeschichteten Mikrofasern und werden auch bereits in Baby-Größen angeboten.

"Große" Partikel in Mikrosilber

Relativ neu auf dem Markt sind Mikrosilber-haltige Hautpflegeprodukte (Cremes, Lotionen, Gele etc.) zur Behandlung u. a. von Neurodermitis und Psoriasis. Hierunter fallen die Produktereihen "Multilind® Mikrosilber" und "Hans Karrer Mikrosilber". In einem Übersichtsartikel "Mikrosilber – alte Aktivsubstanz in neuem Gewand" [2] wird auf diese innovative physikalische Form von metallischem Silber ausführlich eingegangen. Mikrosilber besitzt eine mittlere Teilchengröße von etwa 10 µm. Diese relativ große Größe soll eine Hautpenetration ausschließen. Bei topischer Applikation verbleibt die Substanz nachweislich auf der Haut und kann dort lokal antibakteriell wirken. Im Gegensatz dazu liegen Nanosilber-Partikel in einer mittleren Größe von 50 nm vor und es gibt Befürchtungen, dass diese sehr kleinen Partikel die Haut unkontrolliert penetrieren und systemisch toxische Wirkungen auslösen können. Daher wird nanokristallines Silber bislang nicht im Bereich der Dermokosmetik angewendet.

Penetration bei gestörter Barrierefunktion

In dem oben genannten Artikel [2] wird einschränkend erwähnt, dass derzeit keine Daten zum Penetrationsverhalten von Mikrosilber-Lotionen bei Patienten vorliegen, die durch einen genetisch bedingten Defekt in der Filaggrin-Produktion (bei vielen Neurodermitis-Patienten nachweisbar) eine deutlich verminderte Barrierefunktion der Haut haben.

Fachgesellschaften setzen auf Kleidung

Weder in den aktuellen S2-Leitlinie der entsprechenden Fachgesellschaften aus Österreich, Schweiz und Deutschland "Neurodermitis" [3] noch im HTA-Bericht "Therapie der Neurodermitis" vom DIMDI [4] werden Mikrosilber-haltige topische Therapeutika erwähnt bzw. bewertet. Stattdessen findet man zum Thema "antimikrobielle Kleidung" in beiden Schriftstücken entsprechende Kapitel mit folgenden Ergebnissen:

Auch wenn die bisher vorliegenden Studien noch keinen hohen Evidenzgrad aufweisen, sind die derzeitigen Ergebnisse doch ein Hinweis darauf, dass weitere gezielte kontrollierte Studien lohnenswert sein können [4].

Antiseptisch wirkende Unterwäsche hat einen moderaten klinischen Effekt auf die Neurodermitis. Zur Zeit limitierend für die breite Anwendung sind die recht hohen Kosten für die Textilien. Bei chronischer Neurodermitis kann das Tragen von antimikrobiell wirkender Unterwäsche erwogen werden [3].

Fazit

Aufgrund fehlender großer Studien zur Anwendung von Mikrosilber-haltigen Pflegeprodukten bei Neurodermitis, insbesondere im Baby- und Kleinkindalter, können wir die Daueranwendung dieser Produkte nicht empfehlen. Die Babyhaut ist im Vergleich zur Erwachsenenhaut leichter penetrierbar und hat sehr unterschiedliche Resorptionseigenschaften. Es liegen nach unserer Recherche bislang keine Untersuchungen zur Penetration von Mikrosilber bei Babyhaut vor. Empfehlenswert scheint uns dagegen die Verwendung von antimikrobiellen Spezialtextilien (Unterwäsche, Bettwäsche), um mit dieser antientzündlichen Therapiekomponente den Teufelskreis der Neurodermitis zu durchbrechen. 

Antwort kurz gefasst


  • Silber wirkt in geringen Konzentrationen toxisch auf lebende Zellen. Darauf beruht sein breites antimikrobielles Wirkspektrum.

  • Bei Neurodermitis soll Silber antientzündlich wirken und so den Teufelskreis Juckreiz – Kratzen – Verletzung – Entzündung – Juckreiz durchbrechen.

  • In Hautpflegeprodukten wird Mikrosilber eingesetzt, das die Hautbarriere nicht durchdringen soll.

  • Unklar ist, ob sich das Penetrationsverhalten von Mikrosilber bei gestörter Barrierefunktion der Haut ändert. Von einer Daueranwendung silberhaltiger Pflegeprodukte bei Neurodermitis wird daher abgeraten, insbesondere bei Babys und Kleinkindern.

  • Empfehlenswert sind silberhaltige Spezialtextilien.

Literatur
[1] www.texamed.de; www.binamed.de

[2] Daniels R et al.: Mikrosilber - alte Aktivsubstanz in neuem Gewand. Pharmazeutische Zeitung, Govi-Verlag, 2009, Ausgabe 16

[3] S2-Leitlinie Dermatologie: Neurodermitis (Register-Nr. 013/027, Stand:04/2008). www.awmf.org

[4] Therapie der Neurodermitis, HTA-Bericht 46, 1.Auflage 2006.. http://portal.dimdi.de/de/hta/hta_berichte/hta142_bericht_de.pdf


Autorin
Dr. Carolin Schuhmacher Fachapothekerin für Klinische Pharmazie, Fachapothekerin für Arzneimittelinformation Schwarzwald-Baar Klinikum Villingen-Schwenningen Vöhrenbacher Str. 23 78050 Villingen-Schwenningen



DAZ 2012, Nr. 7, S. 60

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