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DAZ aktuell
Apotheker und Ärzte beraten im Team
Projekt zur optimierten Arzneimitteltherapie
DAZ: Das Projekt ATIS an der MMH steht unter der Verantwortung von Dr. med. Dirk O. Stichtenoth, dem in Deutschland einzigen Professor für Arzneimittelsicherheit. Was ist die zentrale Aufgabe, die sich ATIS gestellt hat? Wie viele Ärzte und Apotheker arbeiten im ATIS-Team und wie sind die Rollen verteilt?
Picksak: ATIS beantwortet allen Kassenvertrags- und ermächtigten Ärzten in Niedersachsen sowie sämtlichen Abteilungen der MHH und deren Lehrkrankenhäusern seit 1994 kostenlos, interessensfrei, qualitativ hochwertig und schnell Anfragen rund um die Arzneimitteltherapie. Diese Dienstleistung erfolgt in Zusammenarbeit mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). Schwerpunkte der Anfragen an ATIS sind Neben- und Wechselwirkungen von Arzneimitteln, wie die Dosis bei Nieren- und Leberinsuffizienz individuell angepasst werden muss, welche Gegenanzeigen oder therapeutische Alternativen es gibt oder welche Arzneimittel während der Schwangerschaft oder Stillzeit eingenommen werden dürfen. Die Anfragen werden in der Regel schriftlich innerhalb maximal von drei Tagen beantwortet, in dringenden Fällen auch sofort telefonisch.
Im ATIS-Team arbeiten fünf Ärzte und vier Apotheker. Für spezifische pharmazeutische, häufig technologische Anfragen wie zum Beispiel Allergien auf Hilfsstoffe, Sondengängigkeit, Rezepturanfragen und für Hinweise zum Handling von Arzneimitteln (Einnahmezeitpunkt, Umgang mit Inhalationsgeräte usw.) werden vor allem speziell die Apotheker zur Beantwortung der Anfragen hinzugezogen. Ansonsten beantworten alle Mitarbeiter alle Anfragen. Zur internen Qualitätssicherung wird die Anfrage immer abschließend von einem Oberarzt freigegeben.
DAZ: Wie die KKH Allianz in diesen Tagen der Presse mitteilte, gibt es jetzt eine Kooperation der Krankenkasse mit der MHH bzw. ATIS. Konkret soll das so aussehen: Die KKH-Allianz spricht chronisch kranke Versicherte, denen eine hohe Anzahl an Arzneimitteln verordnet wird, darauf an, ob sie an einer Überprüfung ihrer Medikation interessiert sind. Willigt der Patient ein, muss der behandelnde Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden werden. Die KKH sammelt alle ärztlichen Diagnosen sowie Verschreibungen und ergänzt sie durch die Eigenangaben des Patienten, z. B. über geändertes Einnahmeverhalten, Präparate der Selbstmedikation oder auch das Absetzen von Arzneimitteln. Die so vorbereiteten Unterlagen werden an die MHH bzw. ATIS weitergeleitet. Was passiert nun bei Ihnen? Welche Aufgaben übernehmen speziell Sie als Apothekerin?
Picksak: Zunächst einmal betrachten wir die Medikation als Gesamtes in Bezug auf die mitgelieferten Diagnosen. Im zweiten Schritt überprüfen wir die häufigen Polymedikationen darauf, ob sich Ansätze zur Reduktion der Medikamentenanzahl bieten. Des Weiteren können wir riskante Arzneimittelkombinationen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen identifizieren, da auch die dem behandelnden Arzt nicht immer bekannte Selbstmedikation der Versicherten von der KKH mit erfasst wird. Die uns aufgefallenen Arzneimittel werden schriftlich in Form eines Briefes an den vom Versicherten benannten Arzt erfasst, ohne dass wir auf Details eingehen, und über den Versicherten an dessen Arzt weitergeleitet. Der Arzt erhält dadurch ein gebührenfreies Arzneimittel-Konsil mit dem Angebot, mit ATIS zur Besprechung der Medikation einen Telefontermin zu vereinbaren. Auch hier ist der Apotheker im Speziellen gefragt, da bei vielen chronisch Kranken Handlingfehler (COPD – Inhalationsgeräte, Diabetes – Pens, Einnahmezeitpunkte von Oralia, Beachtung der Chronopharmakologie) nicht ausgeschlossen werden können.
DAZ: Das sogenannte ABDA-KBV-Konzept steckt zwar noch in den Kinderschuhen bzw. wird erst in Kürze mit einem Modellprojekt an den Start gehen – aber berufspolitisches Ziel ist es doch, dass die öffentliche Apotheke verstärkt ein strukturiertes Medikationsmanagement für chronisch Kranke anbietet und die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Apotheke stärker vernetzt wird. So sinnvoll natürlich Ihr Projekt ist – aber befürchten speziell Sie als Apothekerin nicht, dass ATIS damit zukünftig den öffentlichen Apotheken Konkurrenz macht?
Picksak: Ich denke nicht, dass ATIS den öffentlichen Apotheken zukünftig Konkurrenz machen wird. Unsere rein ärztliche Beratung ist ergänzend zur schon jetzt professionellen Beratung der Apotheker. Bei ATIS können wir ausreichend Zeit in jede Anfrage investieren, um einen qualitativ hochwertigen Lösungsansatz zu ermitteln. Die Zeit für den einzelnen Patienten wird auch zukünftig in einer öffentlichen Apotheke aufgrund vieler administrativer und logistischer Aufgaben nicht immer gegeben sein.
DAZ: Haben Sie persönlich Wünsche und Visionen, was den Apothekerberuf betrifft? Was müsste geschehen, damit die Arzneimitteltherapie nicht nur in begrenzten Projekten optimiert wird – sondern möglichst vielen Patienten zugutekommt?
Picksak: Für eine optimale Arzneimitteltherapie ist es notwendig, dass der Apotheker Patienten und Ärzten schnelle Antworten auf täglich aufkommende Fragen zur Therapie beantworten kann. Dafür müssen in den Apotheken wie zum Beispiel bei uns an der MHH (Gründung des Zentrums für Arzneimittelsicherheit, Abteilung AMTS in der Zentralapotheke, Professur für Arzneimittelsicherheit) zeitliche und personelle Ressourcen geschaffen werden. Die Arzneimitteltherapiesicherheit und Arzneimittelinformation füllen bei mir einen Großteil meiner Arbeitszeit aus. Nur so können wir eine optimale Beratung bei der Patientenbetreuung gewährleisten.
Entscheidend ist, dass – wie im ATIS-Team – die Zusammenarbeit zwischen dem Arzt und dem Apotheker durch eine hohe Akzeptanz und Wertschätzung beider Berufsgruppen geprägt ist. Konkurrenzdenken sollte völlig ausgeschaltet sein, im Mittelpunkt steht der Patient. Durch diese intensive Zusammenarbeit kann ATIS eine überzeugende Erfolgsbilanz vorweisen.
DAZ: Frau Picksak, vielen Dank für das Gespräch.
Weitere ProjekteIn Deutschland gibt es neben dem Programm der KKH-Allianz noch zwei ähnliche Projekte: Die BKK bietet in Kooperation mit der Universität Bremen eine telefonische Arzneimittelberatung und eine anonyme Auswertung von Rezeptdaten der BKK-Versicherten an. Die AOK Plus unterhält ein Projekt mit dem Fachbereich Klinische Pharmakologie der Technischen Universität Dresden. Im Rahmen dieses Projektes können sich Versicherte aus Thüringen und Sachsen telefonisch mit ihren Fragen an den Infodienst wenden. Darüber hinaus bietet derselbe Arzneimittelberatungsdienst auch eine telefonische Beratung, die allen Patienten – egal mit welcher Krankenversicherungskarte – offen steht. |
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