DAZ aktuell

Arzneimittelrückstände belasten Umwelt zunehmend

HAV fordert von Politik Konzept zur Arzneimittel-Entsorgung

BERLIN (lk). Tonnenweise landen jährlich Arzneimittel nicht nur im Hausmüll. Auch über menschliche Ausscheidungen belasten Arzneimittelspuren Böden und Gewässer. Das hat jetzt eine neue Untersuchung des Umweltbundesamtes (UBA) wieder einmal bestätigt. Wie sich diese Substanzen auf die Umwelt auswirken, werde derzeit nicht systematisch untersucht, kritisiert das Umweltbundesamt.

Um wenigstens rasch dem Problem des Arzneimülls Herr zu werden, hat daher der Hessische Apothekerverband die Politik aufgefordert, für eine sichere und umweltverträgliche Entsorgung von Arzneimitteln zu sorgen. Denn als Folge der neuen Verpackungsverordnung sei in Hessen die zuvor praktizierte flächendeckende Rücknahme von Arzneimitteln in Apotheken eingestellt worden. "Trotz unserer Bemühungen sorgt der anhaltende Kostendruck in den Apotheken dafür, dass diese Serviceleistung nicht mehr flächendeckend angeboten wird und die Patienten ihre Arzneimittel über die Toilette entsorgen. Das Ergebnis ist, dass pro Jahr eine große Menge an Arzneimitteln die Gewässer belastet", kritisierte der Vorsitzende des Hessischen Apothekerverbandes, Peter Homann.

Bis zur Änderung der Verpackungsverordnung Mitte 2009 habe ein Entsorgungsunternehmen die in den Apotheken abgegebenen Arzneimittel kostenlos abgeholt und entsorgt. Finanziert wurde dies durch Erlöse bei der Verwertung des Verpackungsmaterials und durch Zuschüsse der pharmazeutischen Hersteller. Nach der Änderung der Verordnung sei diese Finanzierungsgrundlage entfallen, und viele Apotheken hätten danach keine Alt-Arzneimittel mehr zurückgenommen, so der HAV. Denn durch die Sammlung in den Apotheken würden Alt-Arzneimittel zu Sondermüll, der kostenpflichtig entsorgt werden müsse.

Der HAV habe versucht, im Gespräch mit dem hessischen Umweltministerium hier eine Regelung herbeizuführen. Jedoch sei man dort der Meinung gewesen, dass Arzneimittel problemlos im Hausmüll entsorgt werden könnten, da dieser in den Müllverbrennungsanlagen vernichtet würde. "Der HAV war und ist jedoch der Überzeugung, dass Arzneimittel nichts in Mülltonnen zu suchen haben, die auch für Kinder jederzeit zugänglich sind", so der HAV. Deshalb habe er in Zusammenarbeit mit einem hessischen Entsorgungsunternehmen eine kostengünstige Lösung angeboten. Diese wird von einem Viertel der 1600 hessischen Apotheken angenommen.

"Wir sehen uns voll und ganz in unserer Auffassung bestätigt, denn offenbar sind auch die Patienten der Meinung, dass ihre Arzneimittel nicht in die Restmülltonne gehören. Dabei kann auch möglicherweise eine Rolle spielen, dass hierdurch Rückschlüsse auf die Krankheiten des Entsorgers möglich wären", so Peter Homann.

Wie sich diese Substanzen auf die Umwelt auswirken, werde derzeit nicht systematisch untersucht, bemängelt das Umweltbundesamt. Diese Lücke muss nach Auffassung des Umweltbundesamtes (UBA) ein zulassungsbegleitendes Umweltmonitoring schließen. "Die Vorsorge beim Umgang mit Arzneimittelrückständen muss verbessert werden, denn diese Stoffe können problematisch für die Umwelt sein. Eine bessere Überwachung soll helfen, Belastungsschwerpunkte und ökologische Auswirkungen von Medikamenten zu erkennen und die medizinische Versorgung umweltverträglicher zu gestalten", erklärt UBA-Präsident Jochen Flasbarth.

Vorkommen und Auswirkungen von Arzneimitteln in der Umwelt werden nach Meinung des Umweltbundesamtes unterschätzt. Wegen des demografischen Wandels unserer Gesellschaft werde die Konzentration von Humanarzneimitteln in der Umwelt vermutlich noch weiter zunehmen. Jochen Flasbarth: "Das UBA empfiehlt daher, ein Umweltmonitoring für Arzneimittel einzuführen. Es soll bereits im Zulassungsprozess für Medikamente verankert werden. Dadurch kann der Schutz der Umwelt gestärkt und die Versorgung der Patienten umweltverträglicher gestaltet werden."

Eine aktuelle Literaturstudie, die im Auftrag des Umweltbundesamtes durchgeführt wurde, führt die aus Umweltsicht besonders problematischen Arzneimittel auf. Die Studie enthält Daten zu Verhalten und Vorkommen von Arzneimitteln in der Umwelt, priorisiert nach Verbrauchsmenge, Umweltkonzentration und umweltschädigendem Potenzial. Von den 156 in Deutschland in verschiedenen Umweltmedien nachgewiesenen Arzneimittelwirkstoffen wurden 24 mit hoher Priorität eingestuft. Einer dieser Wirkstoffe sei das weit verbreitete Schmerzmittel "Diclofenac", welches Nierenschäden in Fischen hervorrufen könne und mittlerweile in sehr vielen Gewässern zu finden sei. Es stehe deshalb auch auf der EU-Kandidatenliste für neue sogenannte prioritäre Stoffe zur EG-Wasserrahmenrichtlinie.

Arzneimittel gelangen laut Untersuchung hauptsächlich mit dem häuslichen Abwasser in die Umwelt. Die meisten Stoffe würden nach der Einnahme – oft unverändert – wieder ausgeschieden. Schätzungsweise mehrere hundert Tonnen pro Jahr nicht verbrauchter Medikamente entsorgten viele Bürger unsachgemäß direkt über Spüle oder Toilette. Da viele Kläranlagen heute noch nicht in der Lage seien, alle Stoffe rückstandslos abzubauen oder zurückzuhalten, erreiche der Rest, wenn auch stark verdünnt, die Flüsse und könne dort besonders empfindliche Organismen wie Fische dauerhaft schädigen. Um gezielt Minderungsmaßnahmen bei der Abwasserreinigung in Kläranlagen ergreifen zu können, müsse die Belastungssituation mit solchen Problemsubstanzen jetzt identifiziert werden, fordert das Umweltbundesamt.

Selbst im Trinkwasser könnten sehr geringe Konzentrationen enthalten sein. Pro Liter Wasser handele es sich dabei um Bruchteile von Mikrogramm. Trinkwasserhygienisch seien diese Arzneimittelspuren zwar unerwünscht, für den Menschen bestehe dadurch aber keine Gesundheitsgefahr. Alle jetzt zutreffenden Maßnahmen zum Schutz des Trinkwassers dienten deshalb der Vorsorge und langfristigen Versorgungssicherheit, nicht der Abwehr konkreter Risiken.



DAZ 2012, Nr. 7, S. 40

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