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Im Fokus
Risiko OTC-Analgetika?
Auf der Suche nach Gründen für eine Packungsgrößenbegrenzung
Auf der Suche nach den Beweggründen des Bundesinstituts für Arzneimittel (BfArM) ist daher ein Blick in das Ergebnisprotokoll der außerordentlichen Sitzung vom 27. September 2011 hilfreich.
Gleichbehandlung mit Paracetamol
Ausgehend von der Packungsgrößenbegrenzung für rezeptfrei erhältliches Paracetamol auf 10 g pro Packung wurde im Januar 2010 vom Sachverständigenausschuss die Empfehlung beschlossen, auch die Packungsgrößen für alle anderen OTC-Analgetika zu begrenzen, also für Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen, Phenazon und Propyphenazon. Damit sollte dem Eindruck entgegengewirkt werden, dass OTC-Analgetika ohne Begrenzung sicherer seien als solche mit Begrenzung. Angestrebt wurde zunächst eine pragmatische Lösung, bei der ausgehend von der maximalen Tagesdosis des jeweiligen Wirkstoffs und einer maximalen Einnahmedauer von vier Tagen die Packungsgrößen gewählt werden sollten, die den im Markt befindlichen Packungen am ehesten entsprechen. Das hätte dann zu freigestellten Packungsgrößen für eine maximale Behandlungsdauer von 3,5 bis 6,6 Tagen geführt. Eine Umsetzung ist laut eines BMG-Vertreters nicht erfolgt, weil die Orientierung an im Markt bereits vorhandenen Packungsgrößen nicht vereinbar sei mit einer im Arzneimittelgesetz geforderten Wirkstoff-bezogenen Begründung für die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht. Weil aber in der letzten Zeit bei den europäischen Zulassungen die Dauer für eine Selbstmedikation bei Schmerzen auf vier Tage, die für Fieber auf drei Tage begrenzt wird, wollte das BfArM, dass sich diese Empfehlungen (europäischer Konsens) auch in den rezeptfrei erhältlichen Packungsgrößen widerspiegeln. Zudem würden epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass die Nebenwirkungsrisiken von Schmerzmitteln vor allem von der Dauer der Therapie abhängen. Das BfArM präsentierte Daten, nach denen eine Anwendung von OTC-Analgetika bis zu drei Tagen mit keinen gastrointestinalen Risiken verbunden ist, eine Anwendungsdauer von vier bis sieben Tagen jedoch mit erhöhten Risiken für gastrointestinale Ulzera, Perforationen und Blutungen einhergehen. Deshalb hat das BfArM den Antrag gestellt, die Packungsgrößen von OTC-Analgetika auf einen Tagesbedarf von maximal vier Tage zu begrenzen. Welche Auswirkungen das auf die Packungsgrößen der einzelnen Wirkstoffe hat, ist der Tabelle zu entnehmen.
Packungsgrößen für OTC-Analgetika für eine maximale Behandlungsdauer von vier Tagen (errechnet auf Basis des Protokoll des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht, Sitzung vom 27. 9. 2011) | ||
Wirkstoff |
Maximale Gesamtwirkstoffmenge/ Packung |
Beispiele für maximale Packungsgröße |
Acetylsalicylsäure, orale Anwendung |
12 g |
24 Tabletten à 500 mg |
Diclofenac, orale Anwendung |
300 mg (maximale Einzeldosis 25 mg, maximale Tagesdosis 75 mg) |
12 Tabletten à 25 mg
24 Tabletten à 12,5 mg
|
Ibuprofen, orale Anwendung, feste Zubereitung |
4800 mg/Packung
(maximale Einzeldosis 400 mg,
maximale Tagesdosis 1200 mg) |
12 Tabletten à 400 mg
24 Tabletten à 200 mg
|
Ibuprofen, rektale Anwendung |
7200 mg/Packung
(maximale Einzeldosis 600 mg oder
10 mg/kg KG; maximale Tagesdosis 1800 mg oder 30 mg/kg KG) |
12 Suppositorien à 600 mg |
Ibuprofen, orale Anwendung, flüssige Zubereitung |
4800 mg/Packung (maximale Einzeldosis 10mg/kg KG, maximale Tagesdosis 1200 mg) |
|
Naproxen, oral |
3 g/Packung
(maximale Einzeldosis 250 mg
maximale Tagesdosis 750 mg) |
12 Tabletten à 250 mg |
Phenazon, oral |
16 g/Packung
(maximale Einzeldosis 750 mg,
maximale Tagesdosis 4000 mg) |
32 Tabletten à 500 mg/Packung |
Phenazon, rektal |
16 g/Packung
(maximale Einzeldosis 500 mg,
maximale Tagesdosis 4000 mg) |
32 Suppositorien à 500 mg/Packung |
Propyphenazon, oral |
16 g/Packung
(maximale Einzeldosis 500 mg,
maximale Tagesdosis 4000 mg) |
32 Tabletten à 500 mg/Packung |
Widerstand von BAH und BPI
Dieser Antrag stieß auf Widerspruch. Vonseiten des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) und des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) wurde betont, dass es weder einen Konsens auf europäischer Ebene zur Begrenzung der Packungsgröße rezeptfreier Analgetika gebe noch eine Notwendigkeit der Verknüpfung von Anwendungsdauer und Packungsgröße. Zudem wurde die Auffassung vertreten, dass für die Unterstellung unter die Verschreibungspflicht nach § 48 Arzneimittelgesetz (AMG) in der Begründung speziell auf die Risiken des jeweiligen Stoffes eingegangen werden muss. Für den BAH und den BPI hat das BfArM die entsprechenden substanzspezifischen Begründungen nicht geliefert. Dem Protokoll ist jedoch zu entnehmen, dass dem BMG die wirkstoffbezogenen Daten vorliegen sollen. Ungeachtet dessen hat das BMG, das auch unabhängig von einer Empfehlung des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht Änderungen zur Rezeptpflicht verfügen kann, bislang keine Initiative in dieser Frage ergriffen.
BfArM geht in die Offensive
Die Anträge zu den Analgetika, die den Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht beschäftigen, stoßen auch bei den Medien auf großes Interesse. Als im Juli 2011 erstmals über einen Antrag von Prof. Dr. Dr. Kay Brune zur Rezeptpflicht von Paracetamol beraten werden sollte, bot das ARD-Magazin PlusMinus Brune eine Woche vor der geplanten Ausschusssitzung die Möglichkeit, seine Positionen publikumswirksam zu vertreten. Der Tagesordnungspunkt wurde allerdings einen Tag später auf die nächste Ausschusssitzung am 10. Januar 2012 verschoben. Am ersten Weihnachtstag 2011 sorgte eine dpa-Meldung mit der Schlagzeile "Giftnotruf will Paracetamol nur noch auf Rezept" (Focus online) für Aufmerksamkeit. Die Sitzung am 10. Januar wurde jedoch kurzfristig auf den 27. Februar 2012 vertagt. Jetzt wirbt der Präsident des BfArM, Prof. Dr. Walter Schwerdtfeger, in der Öffentlichkeit für den BfArM-Antrag zur Packungsgrößenbegrenzung. Am 23. Januar 2012 titelte die taz: "Von Leberschäden bis zum Tod – Paracetamol hat 800.000 Deutsche krank gemacht, sagt Pharma-Kontrolleur Walter Schwerdtfeger. Er fordert Rezeptpflicht für Analgetika-Großpackungen."
Irritierend ist dabei, dass sich die Argumentation für den Antrag auf die Gefährlichkeit von Paracetamol zu stützen scheint. Doch der Antrag des BfArM betrifft nicht Paracetamol, sondern wie erwähnt ASS, Diclofenac, Ibuprofen, Naproxen, Phenazon und Propyphenazon. Die schon vorhandene Packungsgrößenbegrenzung für Paracetamol findet auch Schwerdtfeger vernünftig, so dass das BfArM in der Frage des Tagesordnungspunktes zur Unterstellung von Paracetamol unter die Verschreibungspflicht schon Position bezogen zu haben scheint und diesen Antrag möglicherweise nicht unterstützen wird.
Kommentar:
Wie heißer Tee mit Honig und Zitrone
Geht es nach dem Willen des BfArM, dann werden die Packungsgrößen von rezeptfrei erhältlichen Analgetika begrenzt werden, und zwar auf eine maximale Behandlungsdauer von vier Tagen. Die Begründung: es soll ein Signal gesetzt werden, dass die betroffenen Medikamente nur bei kurzfristigem Gebrauch sicher und nicht für die längerfristige Anwendung gedacht sind. Die Protagonisten dieses Antrags sind davon überzeugt, dass die Verfügbarkeit von Analgetika-Großpackungen in der Apotheke Harmlosigkeit suggeriert. Doch nicht nur 50er und 100er Packungen sollen der Rezeptpflicht unterstellt werden. Je nach Wirkstoff und Wirkstoffmenge pro Einzeldosis dürften auch manche 20er OTC-Analgetika-Packungen der Vergangenheit angehören, wenn das Bundesministerium für Gesundheit sich von den BfArM-Argumenten überzeugen lässt.
Isoliert betrachtet ist gegen das Ziel, ein klares Signal für den Verbraucher auszusenden, sicher nichts einzuwenden. Doch sind es tatsächlich die Großpackungen, die Harmlosigkeit suggerieren? Ist die Rezeptpflicht das richtige Signal? Daran bestehen erhebliche Zweifel.
Denn ungeachtet der Diskussion um sichere Packungsgrößen in Deutschland wird munter auf allen Kanälen für OTC-Analgetika geworben, so zum Beispiel gerade jahreszeitenbedingt für Grippemittel. Und hier suggeriert insbesondere die Werbung für die diversen Analgetika-haltigen Heißgetränke, dass solche Präparate so gut und bedenkenlos zu konsumieren sind wie heißer Tee mit Honig und Zitrone. Dass es gefährlich sein könnte, zusätzlich zu dem "gesunden Heißgetränk" noch die Tabletten gegen Kopfschmerzen und Fieber einzunehmen, das ist der Werbung nicht zu entnehmen und davon erfährt der Patient schon gar nichts, wenn er seine Medikamente preisgünstig über das Internet bezieht.
Apropos Internet: sollten tatsächlich in Deutschland in Zukunft nur noch Schmerzmittel in Kleinpackungen rezeptfrei erhältlich sein, dann werden die ganz Findigen sicher schnell feststellen, dass zum Beispiel 10 Kleinpackungen zum Schnäppchenpreis über deutsche Versandapotheken bestellt werden können und die Großpackungen immer noch über den europäischen Versandhandel zu beziehen sind, – und das ganz ohne Zwang zur Beratung. Andere werden sich vertrauensvoll an ihre Arzthelferin wenden, die sich gerne um das Rezept für die Familien-Großpackung kümmern wird. In den Apotheken vor Ort bleibt derweil nur, freundlich und geduldig zu begründen, warum die teuren Kleinpackungen zur Schärfung des Risikobewusstseins unabdingbar sind. Und der Patient, der sich nicht angesprochen fühlt, wird in der nächsten Apotheke seinen Bedarf mit einer weiteren Kleinpackung decken, vielleicht bekommt er ja auch hier gleich mehrere ausgehändigt.
Doch im Ernst: Wer wirklich von der Gefährlichkeit der OTC-Analgetika so überzeugt ist und dringenden Handlungsbedarf sieht, der muss zunächst einmal dafür sorgen, dass verharmlosende Werbung ebenso verboten wird wie der Versandhandel mit entsprechenden Medikamenten. Wenn dann die Patienten mit Fieber und Schmerzen noch konsequent in den Apotheken vor Ort beraten und aufgeklärt werden, dann sind weitere Regelungen zur Begrenzung von OTC-Analgetika-Packungsgrößen überflüssig. Denn bei der ganzen Diskussion um Risiken und Missbrauch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass wir unbedingt eine schnelle und unkomplizierte Versorgung für Patienten mit Fieber und leichten Schmerzen benötigen. Der Weg über den Arzt bzw. die Arzthelferin macht sie komplizierter, im Zweifel unsicherer und in jedem Fall teurer.
Dr. Doris Uhl, Redakteurin der Deutschen Apotheker Zeitung
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