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Neue Trends für die Pharmazie in den USA
Empfehlung für die Entwicklung der US-Pharmazie
Die letzte Gesundheitsreform der USA fordert dazu auf, neue Strategien zur Patientenorientierung, Kostensenkung und Qualitätsverbesserung zu formulieren (affordable care act 2010). Nun ist eine vielbeachtete Studie mit dem Titel "Improving Patient an Health System Outcomes through Advanced Pharmacy Practice" vom "Chief Pharmacist" Scott Giberson an den "Surgeon General", Fr. Dr. Regina Benjamin, übergeben worden. In der Studie wird die aktuelle Positionierung der Pharmazie in den USA beschrieben und es wird eine Empfehlung für die zukünftige Entwicklung der Pharmazie der USA vorgeschlagen. Da der "Surgeon General" diejenige Person im Gesundheitsministerium ist, die die Regierung der USA in allen fachlichen Gesundheitsfragen berät und hierzu Stellung nimmt, kommt diesem Bericht eine herausragende Rolle bei der zukünftigen Ausrichtung der Pharmazie zu. Zudem leitet der Surgeon General das öffentliche Gesundheitswesen und das Gesundheitswesen der Streitkräfte und der Kriegsversehrten. Die Position des "Chief Pharmacist" wiederum kann am treffendsten mit "höchster Apotheker im US-Gesundheitsministerium" umschrieben werden.
Der Status quo
Als Status quo in den USA wird in der Studie zunächst beschrieben, dass der Apotheker bereits seit über einem Jahrzehnt diversifizierte Therapieverantwortung losgelöst von der Distribution übernimmt und Teil eines vernetzten Gesundheitsteams mit Ärzten ist. Apotheker evaluieren und beraten Patienten, informieren, impfen und intervenieren. Sie führen Medication Therapy Management (MTM), Chronic Disease Management (CDM) und Medication Therapy Reviews (MTR) durch und revidieren Verschreibungen. Apotheker in den USA führen Patientenuntersuchungen durch, stellen Rezepte aus, fordern Labortests an und interpretieren diese, entwickeln Therapiepläne, sind in Prävention eingebunden und übernehmen Folgeuntersuchungen (z. B. Antikoagulationstherapie). Als Definition für die jetzt schon möglichen Tätigkeiten des Apothekers wird jede Art von medikationsbezogener Patientenbehandlung nach der Diagnose genannt. Kompetenzstreitigkeiten mit Ärzten sind in aller Regel überwunden und meist nur noch anekdotisch. In einer Befragung antworteten 96% der Ärzte, dass die Zusammenarbeit mit einem klinischen Apotheker für sie fachliche und zeitliche Vorteile bringt.
Ausbildung top
Als Grundlage für die aktuellen Einsatzgebiete nennt der Bericht das profunde Studium. Die universitäre Ausbildung ist mehrfach den klinischen Aspekten angepasst worden und umfasst aktuell mindestens sechs Jahre. Während des Studiums werden unter anderem Patientenuntersuchungen, Laborwertinterpretation, Diagnosefindung, Therapieplanerstellung und klinische Erfahrung im Ärzteteam der Universitätsklinik gefordert. Nach dem Studium werden in Analogie zur Ärzteschaft weitere Aus- und Weiterbildungsangebote absolviert und unter anderem sechs klinische Spezialisierungen angeboten (z. B. klinischer Fachapotheker für Psychiatrie, BCPP-board certified psychiatric pharmacist). Die derzeitige universitäre und fachliche Ausbildung wird in der Studie zusammenfassend als sehr erfolgreich und gut für den Beruf qualifizierend eingestuft. Dass die weitere Spezialisierung nicht verpflichtend ist und somit doch nicht so weit geht wie bei den Ärzten, wird nicht als Manko, sondern als Flexibilitätsvorteil beschrieben, da das fachliche Wissen bereits eingangs sehr hoch ist.
Probleme bürokratischer Natur
Als problematisch wird hingegen angesehen, dass in einigen Bereichen und in einigen Bundesstaaten der Apotheker zwar vollumfänglich tätig ist, nicht aber eindeutig als "primary health care provider" (entspricht hier: Behandler) auch offiziell definiert und registriert ist, was Nachteile bei der Anerkennung bei den Kostenträgern und bei der Abrechnung mit sich bringt. Hier hat sich der Apotheker bisher oft nur ein "Behandlungs-Gewohnheitsrecht" erarbeitet. Als größte Hürde für die Weiterentwicklung der Pharmazie wird gesehen, dass es noch immer Apotheker gibt, die auch am Medikament verdienen und nicht ausschließlich für eine Dienstleistung zum Patientennutzen entlohnt werden und sich somit vom Arzt in dieser Hinsicht unterscheiden. Hier sind noch mentale Barrieren vor allem bei den Kostenträgern durch genauere Definitionen und neue Gesetze zu überwinden. Die unzureichende Abrechnungsmöglichkeit von Beratung und Behandlung wird als hauptsächliches Motivations- und Entwicklungshindernis identifiziert.
MTM zu restriktiv ausgelegt
Die Implementierung und Abrechnung von MTM ist hingegen durchgehend fest etabliert. Der Bericht beanstandet aber, dass aus bestimmten politischen Gründen der Zugang zu MTM nicht für alle Patienten gegeben und zu restriktiv ausgelegt ist. Aus versicherungsspezifischen Gründen (hier: Medicare-System) werden MTM bevorzugt älteren, behinderten und einkommensschwachen Patienten angeboten. Viele Programme schränken sogar weiter ein und ermöglichen MTM nur denjenigen Patienten, die Medikamente im Wert von über 3000 Dollar im Jahr beanspruchen. Insgesamt haben so nur zwölf Prozent der Medicare-Versicherten Zugang zu einem MTM. Der Bericht des höchsten Apothekers schlägt hier eine Ausweitung der infrage kommenden Patienten vor – auch, um früher im Krankheitsgeschehen einzusetzen und dem Präventionsgedanken Rechnung zu tragen.
Seine Studie führt dann verschiedene Indikationen an, zu denen bereits evidenzbasierte MTM-Studien einen deutlichen Patientenvorteil zeigen konnten. Dies gilt z. B. für die großen Volkskrankheiten Diabetes, Bluthochdruck, Dyslipidämie und Herzinsuffizienz.
Hohe Kostenersparnis durch klinische Apotheker
Kostenersparnisse durch MTM konnten anhand der Daten von 16.000 Patienten zweifelsfrei für die USA nachgewiesen werden. Die Kostenersparnisse durch klinische Apotheker werden mit aktuell insgesamt 3,5 Milliarden Dollar in Krankenhäusern angegeben. Antikoagulationspraxen, die in den USA auch von klinischen Apothekern betrieben werden, erwirtschaften eine Ersparnis von 1600 Dollar pro Patient und Jahr im Vergleich zur Regelversorgung. In der Diabetikerversorgung bringt die Einbindung des Apothekers ca. 1500 Euro pro Patient und Jahr (nachgewiesen über einen Zeitraum von fünf Jahren, Asheville Project). Auch bei Asthmapatienten konnten 1230 Dollar an direkten und weitere 725 Dollar an indirekten Kosten pro Jahr gespart und nachgewiesen werden.
Durchschnittlich wurden mit jedem Dollar, der in den letzten zwei Dekaden für klinisch ausgebildete Apotheker ausgegeben wurde, 10 Dollar eingespart.
Weitere Aspekte der klinischen Pharmazie
Die Auswirkungen des Ärztemangels auf das Gesundheitssystem in den USA, die sich zukünftig zweifelsfrei verschärfen werden, können durch die Einbindung der klinischen Pharmazeuten eingedämmt werden. Zugang zum Gesundheitssystem wird durch niedrigschwellige Angebote auch Randgruppen ermöglicht. Die Ärzte- und Patientenzufriedenheit mit klinisch tätigen Apothekern wurde mehrfach evaluiert und für gut befunden.
Fazit
Zusammenfassend wird festgestellt, dass die Etablierung der klinischen Pharmazie zu großen Vorteilen bei Therapieergebnissen geführt hat, eine deutliche Kostenreduzierung im gesamten Gesundheitssystem und eine Zeitersparnis bei anderen Gesundheitsberufen, besonders bei den Ärzten, bewirkt hat. Eine Ausweitung dieser Tätigkeiten kann einige der dringendsten Probleme der Gesundheitsversorgung umgehend beheben.
Der Bericht schließt mit der Feststellung, dass an einem kritischen Punkt der Entwicklung des Gesundheitswesens der USA es eine der logischsten und am meisten evidenzbasierten Entscheidungen ist, das Fachwissen der Apotheker in voller Bandbreite auszuschöpfen und bestehende klinische Einbindungen maximal auszuweiten.
Erste Reaktionen
In einer ersten schriftlichen Stellungnahme sicherte der Surgeon General, Frau Dr. Benjamin, den Forderungen nach weiteren Veränderungen in der Pharmazie bereits ihre volle Unterstützung zu. Der Evidenzgrad der Vorteile einer klinischen Einbindung des Apothekers sei eindeutig. Sie fordert, dass nun auch die Kostenträger und Politiker die bestehenden Hürden für eine Ausweitung der Tätigkeit des Apothekers erkennen und abbauen sollen. Die etablierten Behandlungsfelder rechtfertigen in ihren Augen die Aufwertung zum "klinischen Behandler" (clinician). Auch entsprechende Abrechnungsmodalitäten müssten geschaffen werden.
Frau Benjamin wird Politik und Kostenträger auffordern, entsprechend tätig zu werden.
Gastkommentar
Jetzt umdenken!
Steigt man tiefer in den Bericht des "US-Chef-Apothekers" Scott Giberson ein, so stößt man auch auf seine Aussage, dass man die fortschrittliche Entwicklung der Pharmazie in England und in Kanada im Auge behalten müsse und ggf. daraus lernen solle. Wo aber steht die Pharmazie in Deutschland 2012?
Der Bericht lobt ausdrücklich die effektive und vorausschauende Ausbildung der US-Kollegen durch die Universitäten, während wir hierzulande schweren Herzens ein viermonatiges Semester dem leidigen Thema Klinik opfern, das dann gerade für ein paar Grundlagen, Kinetik und Interaktionen reicht. Nicht nur in den USA aber liegt der Fokus nahezu im gesamten Hauptstudium – und somit über vier Jahre – auf Patientenorientierung und klinischer Pharmazie. Der Apothekerberuf hat sich vor 100 Jahren vom Hersteller zum Logistiker und nun zum Therapeuten gewandelt, der Apotheker bringt sein klinisches Wissen ein, wo immer er kann. Eine Entwicklung, die wir hier komplett verschlafen haben. Selbst die Berechtigung der klinischen Pharmazie wird hierzulande von vielen Kollegen in Universität und Offizin noch in Frage gestellt, oft aus reiner Unwissenheit über die wahren Inhalte und treffend formuliert mit der oft gehörten Aussage: "Ich kann schon beraten." Dabei lässt sich der Entwicklungssprung mit einem Satz beschreiben: Nicht "Fehler finden", sondern aktiv entscheiden macht den (Wissens-)Unterschied.
Packen wir es jetzt an: Politisch ist die Apotheke in Deutschland unter Druck, ökonomisch ist sie in einer Sackgasse. Durch logistische Leistung mit etwas Zusatznutzen können wir uns dem finanziellen Druck im Gesundheitswesen auch weiterhin nicht entziehen. Einzelne Initiativen – wie auch die WestGem-Study aus meinem Arbeitskreis – zielen darauf ab, auch hierzulande den Wandel jetzt einzuleiten und mit Daten zu untermauern. Dass mit jedem Dollar, der für einen klinischen Apotheker aufgewendet wird, in den USA zehn Dollar einspart werden konnten, ist dabei das größte Argument für die Politik. Unser Interesse aber sollte sein, dass wir unseren Berufsstand zum Wohle des Patienten erhalten und weiterentwickeln. Wie ein Apotheker im Jahr 2012 bestmöglich zur Gesundheit der Bevölkerung beitragen kann, das hat der Bericht von "US-Chief-Pharmacist" Giberson eindrücklich beschrieben. Was er in Zukunft noch zu leisten vermag, das wird dort gerade ausgelotet. Lernen auch wir umzudenken!
Olaf Rose, PharmD
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