Arzneimittel und Therapie

Glycopyrronium bei COPD

Die europäischen Behörden haben Seebri® Breezhaler® 44 μg für erwachsene Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) zugelassen. In Phase-III-Studien verbesserte der Wirkstoff Glycopyrronium stärker als Placebo die Lungenfunktion, reduzierte die Atemnot sowie die Zahl der Exazerbationen und erhöhte die Lebensqualität.
Glycopyrroniumbromid Die polare quartäre Ammoniumgruppe begrenzt die Penetrationsfähigkeit durch die Blut-Hirn-Schranke und die Plazentaschranke. Unerwünschte zentralstimulierende Effekte, wie sie bei Atropin und Scopolamin beobachtet werden, treten daher mit Glycopyrronium in der Regel nicht auf.

Glycopyrronium gehört wie Tiotropium und Aclidiniumbromid zu den langwirksamen Acetylcholin-Rezeptorantagonisten (long-acting muscarinic antagonists, LAMA). Durch Blockade muskarinerger Rezeptoren, insbesondere M3, hemmen diese die Wirkung von Acetylcholin und damit die Bronchokonstriktion sowie – in geringerem Umfang – auch die Hypersekretion von Schleim. Nach Inhalation beträgt die mittlere terminale Eliminationshalbwertszeit von Glycopyrronium 33 bis 57 Stunden und ist damit erheblich länger als nach intravenöser (6,2 Stunden) oder oraler Gabe (2,8 Stunden). Wegen der langen Halbwertszeit von Glycopyrronium genügt eine einmal tägliche Anwendung. Durch die quartäre Ammoniumstruktur im Molekül ist die orale Bioverfügbarkeit und damit das Risiko für systemische Nebenwirkungen gering (rund 5%). In der Entwicklung befindet sich zurzeit eine Fixkombination aus Glycopyrronium und Indacaterol, einem selektiven langwirksamen Beta-2-Adrenozeptor-Agonisten, der bereits als Onbrez® Breezhaler® zur COPD-Erhaltungstherapie bei Erwachsenen zugelassen ist. Basis für die Zulassung von Glycopyrronium in der neuen Indikation waren die Daten des Phase-III-Studienprogramms GLOW (Glycopyrroniumbromide in COPD Airways Clinical)-Studie mit 1996 COPD-Patienten. In der 26-wöchigen, randomisierten, doppelt verblindeten, placebokontrollierten Studie GLOW1 zeigte sich eine signifikante Überlegenheit von Glycopyrronium gegenüber Placebo hinsichtlich der Verbesserung der Lungenfunktion nach zwölf Wochen (primärer Studienendpunkt) sowie nach 26 Wochen, gemessen anhand des Trough-FEV1 (p < 0,01), also des Messwertes unmittelbar vor der nächsten Arzneimittelgabe.

GLOW 2 war eine 52-wöchige, randomisierte, doppelt verblindete, placebokontrollierte Studie mit open-label Tiotropium 18 μg als aktivem Kontrollarm. Anhand des Trough-FEV1 zeigte sich, dass Glycopyrronium über 52 Wochen gegenüber Placebo eine ähnliche Wirksamkeit wie Tiotropium besitzt. Signifikante Vorteile gegenüber Placebo zeigten sich auch bei der Reduktion der Atemnot und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. In der GLOW-3-Studie wiesen die Patienten nach der morgendlichen Inhalation von Glycopyrronium ab der ersten Dosis eine verbesserte Belastungstoleranz auf. Am Ende der Studie (Tag 21) hatten mit Glycopyrronium behandelte Patienten eine um 21% signifikant verbesserte Ausdauerbelastungszeit gegenüber Placebo, mit einer signifikanten Verbesserung um 10% gegenüber Tag 1 (beide p < 0,001).

Anwendungstipps


Nach dem Einlegen der Glycopyrronium-haltigen Kapsel sollte der Inhalator senkrecht mit dem Mundstück nach oben gehalten werden. Die Tasten an beiden Seiten werden gleichzeitig fest zusammengedrückt, um die Kapsel zu durchstechen. Dabei sollte ein Klicken zu hören sein. Zum Inhalieren wird das Gerät so gehalten, dass die Tasten nach links und rechts zeigen. Das Mundstück wird in den Mund genommen und rasch und gleichmäßig so tief wie möglich eingeatmet. Dabei dreht sich die Kapsel in der Kammer, es sollte ein schwirrendes Geräusch zu hören sein. Der Atem sollte mindestens 5 bis 10 Sekunden angehalten werden, bevor ausgeatmet wird. Der Inhalator soll nach Gebrauch mit einem sauberen, trockenen und fusselfreien Tuch abgewischt werden. Er darf keinesfalls mit Wasser abgespült werden. Der Hersteller Novartis Pharma GmbH weist darauf hin, dass aus hygienischen Gründen und weil sich die Nadeln zum Aufstechen der Kapseln abnutzen jeder Inhalator nach 30-tägigem Gebrauch entsorgt werden muss.

Nebenwirkungen wie Placebo

In allen Studien konnte für Glycopyrronium ein mit Placebo vergleichbares Sicherheitsprofil gezeigt werden. Die häufigste anticholinerge Nebenwirkung war Mundtrockenheit (2,4%). Auch darüber hinaus wird das Sicherheitsprofil durch Symptome gekennzeichnet, die mit der anticholinergen Wirkung zusammenhängen, einschließlich Anzeichen für Harnverhalt, die gelegentlich auftraten. Zu den häufigsten unerwünschten Ereignissen zählten Nasopharyngitis, Husten, Infektionen der oberen Atemwege, Dyspnoe, Fieber und Kopfschmerzen. Die Häufigkeit von schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen und Todesfällen war unter Glycopyrronium ähnlich wie unter Placebo. Auffällige QT-Zeitintervalle traten in den GLOW-Studien selten auf, bei keinem Patienten wurde ein QT-Zeitintervall > 500 ms beobachtet. Zwar sind an der oxidativen Biotransformation von Glycopyrronium zahlreiche CYP-Isoenzyme beteiligt, aber es gilt als unwahrscheinlich, dass die Hemmung oder Induktion der Verstoffwechselung von Glycopyrronium zu relevanten Veränderungen der systemischen Wirkstoffexposition führt.

Alter Wirkstoff mit neuer Indikation


Das Anticholinergikum Glycopyrronium hemmt die Wirkung von Acetylcholin an Strukturen, die durch postganglionäre cholinerge Nerven innerviert sind, und an glatten Muskeln, die Acetylcholin-empfindlich sind, aber keine cholinerge Innervation besitzen. Solche peripheren cholinergen Rezeptoren befinden sich an autonomen Effektorzellen wie glatter Muskulatur, Herzmuskel, AV-Knoten und exokrinen Drüsen. Der Wirkstoff ist seit langem als Robinul® zur intravenösen oder intramuskulären Applikation zugelassen:

  • zur Aufhebung bzw. Vermeidung muskarinartiger Nebenwirkungen (gesteigerte Bronchialsekretion, Bronchospasmus, Bradykardie und intestinale Hypermotilität) von Cholinergika (z. B. Neostigmin und Pyridostigmin), die zur Aufhebung der neuromuskulären Blockade nicht depolarisierender Muskelrelaxanzien gegeben werden;

  • zur Narkose-Prämedikation zur Verminderung der Speichel-, Tracheal-, Bronchial- und Pharyngeal-Sekretion und zur Verringerung der Magensäureproduktion;

  • zum prä- oder intraoperativen Gebrauch zur Verhütung oder Abschwächung intraoperativ auftretender Bradykardien, die auf den Gebrauch von Suxamethonium oder auf vagale Reflexe zurückgehen.


[Quelle: Rote Liste 2012)

Feedback bei erfolgreicher Inhalation

Glycopyrronium wird mit einem Einzeldosis-Trockenpulverinhalator (Seebri® Breezhaler®) verabreicht. Dieser verfügt über einen niedrigen Atemzugswiderstand und soll daher auch für Patienten mit höheren COPD-Schweregraden geeignet sein. Ist die Inhalation erfolgreich, erhalten die Patienten ein dreifaches Feedback: das Hören eines surrenden Geräusches beim Einatmen, einen süßen Lactosegeschmack sowie die Veränderung des Aussehens der Inhalationskapseln (transparent nach der Inhalation). Trotz moderner Devices wie dem Breezhaler® treten in der Praxis bei Inhalativa noch zu viele Anwendungsfehler auf, erläuterte Dr. Ronald Doepner, Dortmund, auf einer von Novartis unterstützten Presseveranstaltung auf der Jahrestagung der European Respiratory Society (ERS) in Wien. "Theorie und Praxis liegen weiter auseinander, als wir meinen", so der niedergelassene Pneumologe. So hat eine Anwendungsbeobachtung mit verschiedenen Inhalatoren 2008 ergeben, dass in 29% der Fälle in den Trockenpulverinhalator ausgeatmet und bei immerhin 2,3% die Schutzkappe nicht entfernt wurde. Daher komme der Schulung und Beratung der Patienten weiterhin eine große Bedeutung zu.


Quelle

D‘Urzo, A, et al.: Efficacy and safety of once-daily NVA237 in patients with moderate-to-severe COPD: The GLOW1 trial. Respiratory Research (2011) 12: 156

Kerwin, E, et al.: Efficacy and safety of NVA237 versus placebo and tiotropium in patients with moderate-to-severe COPD over 52 weeks: GLOW2 study. Eur Resp J, online publiziert am 26. Juli 2012, doi: 10.1183/09031936.00040712

Beeh, KM, et al.: Once-daily NVA237 improves exercise tolerance from the first dose in patients with COPD: the GLOW3 trial. Int J Chron Obstruct Pulmon Dis. (2012) 7: 503 – 513

Fachinformation Seebri® Breezhaler®, Stand September 2012.
Apothekerin Dr. Claudia Bruhn




DAZ 2012, Nr. 49, S. 38

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