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Ernährung aktuell
Vitaminzufuhr – wie gut ist sie?
Die von Fachgesellschaften wie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) formulierten Vitamin-Zufuhrempfehlungen zielen darauf ab, für nahezu alle gesunden Personen (etwa 97%) eine adäquate Versorgung zu gewährleisten. Primäres Ziel der Zufuhrempfehlungen ist es, mangelbedingten Gesundheitsschäden vorzubeugen und eine gewisse Reserve sicherzustellen. Ergänzt werden diese z. T. um präventivmedizinische Aspekte ("Erhaltung und Förderung der Gesundheit und der Lebensqualität") [7]. Die hierauf fußenden "Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr" (D-A-CH-Referenzwerte) gliedern sich in drei Kategorien mit unterschiedlicher Aussagekraft (siehe Abb. 1):
Richtwerte
Schätzwerte
empfohlene Zufuhr
Für Einzelpersonen dienen die nach Lebensphase und Geschlecht differenzierten Vitamin-Referenzwerte als Orientierungsgröße. Es gilt: Entspricht die Ist-Zufuhr einer gesunden Person dem Referenzwert, ist sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ausreichend versorgt. Und: Je größer die Diskrepanz zwischen Ist-Zufuhr und Soll-Wert, desto eher liegt eine Unterversorgung vor. Zu beachten ist, dass eine zuverlässige Beurteilung der Vitaminversorgung nur durch laborchemische Methoden möglich ist, da zahlreiche Größen die Vitaminversorgung von Personen beeinflussen. Der Vitaminbedarf ist also eine individuelle Größe [14].
Soll- versus Ist-Zustand
Trotzt der genannten Einschränkungen hat es sich in der Praxis bewährt, die Vitaminversorgung von Einzelpersonen und Bevölkerungsgruppen auf Basis der ermittelten Ist-Zufuhr zu beurteilen. Ausgehend von Ernährungserhebungen zum Lebensmittelverzehr werden die Zufuhrdaten mit den Referenzwerten verglichen. Ein solches Vorgehen liegt u. a. der aktuellen, für Deutschland repräsentativen Nationalen Verzehrsstudie II (NVS II) zugrunde. Um dem Trend zur Vereinfachung Rechnung zu tragen, bedient man sich bei der Interpretation der Daten meist des folgenden Verfahrens: Man vergleicht die durchschnittliche Zufuhr mit der empfohlenen. Wird dieses Vorgehen gewählt, so zeigt sich: Für viele Vitamine ist die Versorgung sichergestellt. Unberücksichtigt bleibt dabei jedoch, dass die Vitaminzufuhr innerhalb von Personengruppen mitunter erheblich streut. Mit anderen Worten: Der Vergleich der durchschnittlichen Vitaminzufuhr mit den Empfehlungen ist für die Beurteilung der Vitaminversorgung eher von geringer Aussagekraft, insbesondere wenn es darum geht, "kritische" Vitamine zu identifizieren. Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, hat ein Autorenteam um Barbara Troesch aktuell die Daten der NVS II einer differenzierten Auswertung unterzogen [16]. Herausgekommen ist eine übersichtliche "Ampelkennzeichnung". Diese weist für Männer und Frauen im Alter zwischen 19 und 50 Jahren aus, bei welchen Vitaminen die Ist-Zufuhr aus Lebensmitteln häufig (> 75 % bzw. > 50 – 75 % der Bevölkerung) oder selten (5 – 25 % bzw. < 5 %) unterhalb der Soll-Referenzwerte liegt (siehe Abb. 2). Als besonders kritisch haben sich die Vitamine D und Folsäure erwiesen; mehr als 75 % der Bevölkerung erreichen die Zufuhrempfehlungen nicht. Aber auch für die Vitamine C und E (Männer und Frauen) sowie B1 und B12 (Frauen) ist die Zufuhr für einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung (> 25 – 50 %) verbesserungswürdig. Selbst bei sonst als wenig problematisch geltenden Vitaminen (A, B2 und B6) weisen 5 – 25 % der Bevölkerung eine zu geringe Zufuhr auf.
Konsequenzen für die Beratungspraxis
Welche Konsequenzen hat die aktuelle Auswertung für die Beratungspraxis in der Apotheke? Sie zeigt, dass Deutschland im Allgemeinen kein Vitaminmangelland ist, die Versorgung mit den Vitaminen D, Folsäure, A, C, E, B1, B2, B6 und B12jedoch – zumindest für Teile der Bevölkerung – verbessert werden sollte. Dies vor Augen, kann gerade das Apothekenpersonal dazu beitragen, die mitunter verunsicherten Verbraucher aufzuklären. Um Risikogruppen für eine Vitaminunterversorgung identifizieren zu können, bietet sich folgende "Checkliste" an [4, 8]:
Lebensphase: Befindet sich der Ratsuchende in einem besonderen Lebensabschnitt, der einen erhöhten Nährstoffbedarf bedingt (z. B. Schwangerschaft und Stillzeit: Vitamine A, B1, B2, B6, Niacin und Folsäure)?
Lebensmittelauswahl: Befolgt der Ratsuchende eine bestimmte restriktive Ernährungsform (z. B. vegan lebende Personen: Vitamin D und Vitamin B12) bzw. ernährt er sich sehr einseitig (Fast Food und Kantinenessen: Vitamin C, E, Folsäure; sehr restriktive Reduktionsdiäten: praktisch alle Vitamine)?
Lebensmittelunverträglichkeiten: Bestehen Unverträglichkeitsreaktionen, so dass auf bestimmte Vitaminquellen verzichtet wird (z. B. Lactoseintoleranz: Vitamin B2; Fructoseintoleranz: Vitamin C)?
- Lebensstil: Chronisch überhöhter Alkoholkonsum führt häufig zu einem Nährstoffdefizit. Betroffen sind vor allem die Vitamine A, D, B1, B6 und Folsäure [12]. Raucher haben häufig ein Vitamin-C-Defizit.
Gesundheitszustand: Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts wie Zöliakie, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen oder atrophische Gastritis vermindern die Freisetzung und/oder die Absorption der Vitamine aus der Nahrung.
Chronisch konsumierende Erkrankungen: Bedingt durch die Erkrankung selbst, aber auch durch die therapeutische Intervention, weisen Tumorpatienten häufig ein Vitamindefizit auf [13]. Auch multimorbide Senioren in Pflegeheimen sind oftmals unterversorgt. Betroffen sind praktisch alle Vitamine (Ausnahme: Vitamin A), insbesondere die Vitamine B1, B2, B6, B12, D, E und C [3].
Längerfristige oder chronische Arzneimitteleinnahme: Einige Pharmaka können die Absorption, Distribution und Exkretion von Vitaminen beeinflussen und ggf. eine Vitaminunterversorgung bedingen (Übersichten bei [1, 5]). Beispiele: Hemmung der Freisetzung von Vitamin B12 aus der Nahrung durch Protonenpumpeninhibitoren und verminderte Vitamin-B12-Absorption durch Cholestyramin und Metformin [17]; Senkung der Folsäure-Blutspiegel durch Antikonvulsiva wie Phenytoin, Phenobarbital und Primidon [11, 15, 6, 2, 9] und Störung des Folsäurestoffwechsels durch Methotrexat [10].
In Summa: Auch – oder gerade – in Sachen Vitaminversorgung ist die Beratungskompetenz des Apothekenpersonals gefragt!
Literatur
[1] Akamine D, Filho MK, Peres CM. Drug-nutrient interactions in elderly people. Curr Opin Clin Nutr Metab Care. 2007;10:304-10.
[2] Apeland T, Mansoor MA, Strandjord RE. Antiepileptic drugs as independent predictors of plasma total homocysteine levels. Epilepsy Res. 2001;47:27-35.
[3] Bechthold A, Albrecht V, Leschick-Bonnet E. Beurteilung der Vitaminversorgung in Deutschland. Teil 1: Date zur Vitaminzufuhr. Ernährungs Umschau. 2012;57:324-336
[4] Bechthold A, Albrecht V, Leschick-Bonnet E. Beurteilung der Vitaminversorgung in Deutschland. Teil 2: Kritische Vitamine und Vitaminzufuhr in besonderen Lebenssituationen. Ernährungs Umschau. 2012;57:396-401
[5] Boullata JI, Hudson LM. Drug-nutrient interactions: a broad view withimplications for practice. J Acad Nutr Diet. 2012;112:506-17.
[6] Chuang YC, Chuang HY, Lin TK, Chang CC, Lu CH, Chang WN, Chen SD, Tan TY, Huang CR, Chan SH. Effects of long-term antiepileptic drug monotherapy on vascular risk factors and atherosclerosis. Epilepsia. 2012;53:120-8.
[7] Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Gesellschaft für Ernährungsforschung, Schweizerische Vereinigung für Ernährung (Hg.). Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. Neuer Umschau Buchverlag, Neustadt a. d. Weinstraße, 1. Auflage, 4. korrigierter Nachdruck 2012
[8] Hahn A, Ströhle A, Wolters M unter Mitarbeit von Hahn D, Lechler T. Ernährung - Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie., (3. Aufl.) Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft (in Vorbereitung)
[9] Lewis DP, Van Dyke DC, Stumbo PJ, Berg MJ. Drug and environmental factors associated with adverse pregnancy outcomes. Part I: Antiepileptic drugs, contraceptives, smoking, and folate. Ann Pharmacother. 1998;32(7-8):802-17.
[10] Morgan SL, Baggott JE. Folate supplementation during methotrexate therapy for rheumatoid arthritis. Clin Exp Rheumatol. 2010;28(5 Suppl 61):S102-9.
[11] Sener U, Zorlu Y, Karaguzel O, Ozdamar O, Coker I, Topbas M. Effects of common anti-epileptic drug monotherapy on serum levels of homocysteine, vitamin B12, folic acid and vitamin B6. Seizure. 2006;15:79-85.
[12] Ströhle A, Wolters M, Hahn A. Alkohol, ein zweischneidiges Genussmittel. Teil 1: Stoffwechsel und pathogene Effekte. Med Monatschr Pharm. 2012; 35:281-292
[13] Ströhle A, Zänker K, Hahn A. Nutrition in oncology – the case of micronutrients. Oncol Reports. 2010; 24:815-828
[14] Ströhle A. Jeder is(s)t anders: Die „biochemische Individualität“ im Zeitalter von Nutrigenetik und Nutrigenomik. Dtsch Apothek Z. 2012;152:1240-1252
[15] Tamura T, Aiso K, Johnston KE, Black L, Faught E. Homocysteine, folate, vitamin B-12 and vitamin B-6 in patients receiving antiepileptic drug monotherapy. Epilepsy Res. 2000 Jun;40(1):7-15.
[16] Troesch B, Hoeft B, McBurney M, Eggersdorfer M, Weber P. Dietary surveys indicate vitamin intakes below recommendations are common in representative Western countries. Br J Nutr. 2012;108:692-8.
[17] Wolters M, Ströhle A, Hahn A. Cobalamin: a critical vitamin in the elderly. Prev Med. 2004;39:1256-66.
Autor
Dr. Alexander Ströhle, Am Landwehrgraben 8, 30519 Hannover,
E-Mail: stroehle@nutrition.uni-hannover.de
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