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Arzneimittel und Therapie
Schützt Vitamin D vor Atemwegsinfekten?
Seit der Entdeckung seiner antirachitischen Wirkung in den 1920er Jahren hat man Vitamin D lange Zeit nur im Hinblick auf seine Funktion im Calcium- und Knochenstoffwechsel betrachtet. Eine Vielzahl von Forschungsergebnissen der vergangenen Jahre hat allerdings gezeigt, dass Vitamin D in seiner hormonaktiven Form 1,25(OH)2 -Vitamin D nicht nur an der Regulation des Calcium- und Phosphathaushaltes beteiligt ist, sondern vielfältige extraskelettale Wirkungen aufweist. Darunter sind von besonderer Bedeutung der Einfluss auf das Immunsystem sowie auf die Zelldifferenzierung und das Zellwachstum [1].
Zahlreiche Körperzellen, darunter auch immunkompetente Zellen wie dendritische Zellen, Makrophagen, B- und T-Lymphozyten, verfügen über Vitamin-D-Rezeptoren (VDR) und die enzymatische Ausstattung zur Synthese von 1,25(OH)2 -D aus seinem Präkursor 25(OH)D (Calcidiol). 1,25(OH)2 -D ist ein potenter Modulator der erworbenen Immunität und der Immunbalance zwischen Th1- und Th2-Zellen. Lokal oder systemisch gebildetes Calcitriol inhibiert unter anderem die Reifung der dendritischen Zellen, reduziert die Th1-vermittelte Sekretion proinflammatorischer Zytokine wie TNF α, steigert die Differenzierung von Monozyten zu Makrophagen und deren Phagozytoserate sowie die Aktivität lysosomaler Enzyme in Makrophagen [2, 3].
Beurteilung des Vitamin-D-Status
25(OH)-Vitamin D (25(OH)D) im Serum (ng/ml bzw. nmol/l) dient als Standardparameter zur labormedizinischen Beurteilung des Vitamin D-Status. Nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen sollte der 25(OH)D-Spiegel im Serum zwischen 30 und 60 ng/ml liegen, um langfristig negative Folgen auf die Gesundheit zu vermeiden. Ideal ist ein 25(OH)D-Status zwischen 40 und 60 ng/ml bzw. 100 und 150 nmol/l.
Der Nutzen einer Supplementierung von Vitamin D zur Stärkung der Immunkompetenz und Vorbeugung von Atemwegsinfektionen hängt entscheidend vom basalen 25(OH)D-Status ab. Personen mit einem normalen Vitamin-D-Status (≥ 30 ng/ml) werden deutlich weniger von Vitamin-D-Supplementen profitieren als solche mit einem Vitamin-D-Mangel (< 20 ng/ml). Bei 25(OH)D-Spiegeln unter 20 ng/ml liegt ein ausgeprägter Vitamin-D-Mangel und bei Werten zwischen 21 und 29 ng/ml ein mäßiger Vitamin-D-Mangel vor, der auch als Vitamin-D-Insuffizienz bezeichnet wird [1].
Vitamin D und Atemwegsinfekte
In einigen klinischen Studien an Kindern und Erwachsenen konnte durch die Supplementierung von Vitamin D die Atemwegsinfekthäufigkeit signifikant reduziert werden [4 – 7]. Dem widersprechen die Daten einer Studie aus Neuseeland. Nach den Ergebnissen dieser doppelblinden und placebokontrollierten Studie senkt die Supplementierung von 100.000 I.E. Vitamin D pro Monat die Häufigkeit und Schwere von Atemwegsinfekten bei Erwachsenen nicht.
In dieser Studie erhielten 322 gesunde Erwachsene für 18 Monate (Zeitraum: Februar 2010 bis November 2011) entweder Vitamin D3 (initial 200.000 I.E., dann 200.000 I.E. nach einem Monat, danach einmal monatlich 100.000 I.E.) oder Placebo. Primärer Endpunkt war die Rate für Atemwegsinfektionen. Sekundär wurden die Infektionsdauer, die Schwere der Atemwegsinfektionen (Wisconsin Upper Respiratory Symptom Survey 24, WURSS) und die Zahl der Arbeitsfehltage erhoben [8]. Der 25(OH)D-Spiegel lag bei Studienbeginn im Schnitt bei 29 ng/ml (normal 30 bis 60 ng/ml). Die Supplementierung von Vitamin D3 erhöhte den 25(OH)D-Spiegel über die Studiendauer auf durchschnittlich 48 ng/ml.
Die Anzahl der oberen Atemwegsinfekte (URTI) unterschied sich zwischen den beiden Gruppen nicht signifikant: 593 in der Vitamin-D-Gruppe (3,7 pro Person) und 611 in der Placebogruppe (3,8 pro Person) (risk ratio 0,97; 95% CI, 0,85 bis 1,11). Ebenso gab es keine Unterschiede bei der Anzahl der Arbeitsfehltage (je 0,76 Tage in beiden Gruppen, risk ratio 1,03; 95% CI, 0,81 bis 1,30), bei der Infektionsdauer (je 12 Tage in beiden Gruppen, risk ratio 0,96; 95% CI, 0,73 bis 1,25) und der Infektionsschwere (WURSS-24: 171 vs. 183). Die Ergebnisse änderten sich auch nicht unter Einbeziehung der Jahreszeit oder der 25(OH)D-Ausgangswerte. Die monatliche Supplementierung von 100.000 I.E. Vitamin D hatte keinen Effekt auf die Atemwegsinfekthäufigkeit in dieser klinischen Studie bei gesunden Erwachsenen [9].
Kritikpunkte
1. Der Vitamin-D-Status:
Ein positiver Effekt auf die Atemwegsinfekthäufigkeit ist nicht zu erwarten, wenn gesunde Menschen mit einem nahezu normalen Vitamin-D-Status von 29 ng/ml (Normal: 25(OH)D: 30 bis 60 ng/ml bzw. 75 bis 150 nmol) in hohen Dosierungen Vitamin-D-Supplemente einnehmen (siehe Abb.). Erlaubt sei der Vergleich mit einem Auto, in das trotz normalem Ölstand noch zehn Flaschen Öl hineinkippt werden, in der Hoffnung, der Motor könnte besser laufen.
2. Vitamin-D-Dosierung:
Vitamin-D-Dosierungen im Bereich von 100.000 bis 300.000 I.E. Vitamin D pro Monat werden in der Regel in der medizinischen Praxis in der Therapie eines ausgeprägten Vitamin-D-Mangels (25(OH)D < 10 ng/ml) mit muskulären und ossären Auffälligkeiten zur initialen und raschen Kompensation des Vitamin-D-Mangels eingesetzt [10]. Üblich ist jedoch eher die tägliche oder wöchentliche Einnahme in geringen Dosierungen (z. B. 20.000 I.E. pro Woche). Ein positiver Nebeneffekt der hohen Dosierung von 100.000 bis 200.000 I.E. Vitamin D pro Monat in dieser Studie ist, dass selbst bei diesen extrem hohen Dosierungen bei den Probanden keine Vitamin-D-Intoxikationen (z. B. Hypercalcämie) auftraten und der 25(OH)D-Spiegel im Normalbereich von 40 bis 60 ng/ml über den gesamten Studienzeitraum lag.
Fazit
Die positiven Effekte des Vitamin D auf die Häufigkeit von Atemwegsinfekten, die in anderen Studien gezeigt wurden, sind mit den Ergebnissen dieser Studie nicht widerlegt. Der Nutzen einer Supplementierung von Vitamin D zur Stärkung der Immunkompetenz und Vorbeugung von Atemwegsinfektionen hängt entscheidend vom basalen 25(OH)D-Status ab. Zur Beurteilung der Wirksamkeit von Vitamin-D-Supplementen in der Prävention von Atemwegsinfekten sollte in zukünftigen Studien bei der Auswahl der Probanden vor allem darauf geachtet werden, dass diese einen Vitamin-D-Mangel (< 20 ng/ml) aufweisen, sonst kann man unter wissenschaftlichen Aspekten einen Effekt von Vitamin D nicht beurteilen.
Quelle
[1] Holick, MF: Vitamin D deficiency. NEJM (2007) 357(3): 266 – 281.
[2] Adams JS, Singer FR, Gacad MA, Sharma OP, Hayes MJ, Vouros P, Holick MF: Isolation and structural identification of 1,25-dihydroxyvitamin D3 produced by cultured alveolar macrophages in sarcoidosis. J Clin Endocrinol Metab (1985) May; 60(5): 960 – 966.
[3] Holick MF: Vitamin D: Physiology, Molecular Biology and Clinical Applications (Nutrition and Health). 1155 p., Second Edition, Humana Press/Springer Science, New York, 2004, 2010.
[4] Urashima M, et al.: Randomized trial of vitamin D supplementation to prevent seasonal influenza A in schoolchildren. Am J Clin Nutr (2010) 91(5): 1255 – 1260.
[5] Aloia JF, Li-Ng M.: Epidemic influenza and vitamin D. Epidemiol Infect (2007) 135: 1095 – 1096.
[6] Camargo CA Jr., et al.: Randomized trial of vitamin D supplementation and risk of acute respiratory infection in Mongolia. Pediatrics (2012) 130(3): 561 – 567.
[7] Lehouck A, et al.: High doses of vitamin D to reduce exacerbations in chronic obstructive pulmonary disease: a randomized trial. Ann Intern Med. (2012) 156(2): 105 – 114.
[8] Murdoch DR, et al.: Effect of vitamin D3 supplementation on upper respiratory tract infections in healthy adults: the VIDARIS randomized controlled trial. JAMA (2012) 308(13): 1333 – 1339.
[9] Linder JA: Vitamin D and the cure for the common cold. JAMA (2012) 308(13): 1375 – 1376.
[10] Gröber U, Holick MF: Vitamin D: Die Heilkraft des Sonnenvitamins. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart (2012).
Uwe Gröber
Akademie für Mikronährstoffmedizin, Essen
Michael F. Holick, PhD, MD
University Medical Center, Boston
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