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DPhG-Jahrestagung
Moleküle, Targets, Tabletten
GANI_MED – Forschung für die individualisierte Medizin
GANI_MED steht für Greifswald Approach to Individualized Medicine. Es wurde beim Abend für Offizinapotheker zum Thema "Individualisierte Medizin" von Prof. Dr. Henri Wallaschofski vorgestellt. Das von der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald initiierte interdisziplinäre Projekt wird seit Herbst 2009 bis 2014 vom Bundesforschungsministerium und dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern mit 15,4 Millionen Euro gefördert. Im Juli dieses Jahres wurde der tausendste Patient eingeschlossen.
Wie Wallaschofski erläuterte, wäre es eine unglaubliche Bereicherung für die Medizin, wenn Patienten genotypisch charakterisiert und aufgrund ihrer individuellen Besonderheiten dann auf eine bestimmte Therapie stratifiziert werden würden. Viele unerwünschte Wirkungen und wenig effektive Therapien könnten den Patienten dann erspart werden. Nicht nur die Behandlung von Krankheiten, sondern auch die Vorsorge und Früherkennung sollen in Zukunft stärker auf die Bedürfnisse des einzelnen Patienten zugeschnitten werden können.
Um individualisierte Medizin durchführen zu können, müssen klassische klinische Untersuchungsmethoden mit molekularbiologischen und bildgebenden Verfahren kombiniert werden. Bei GANI_MED schaut man mithilfe der molekularbiologischen Methoden nicht nur auf Geno- und Phänotyp, sondern auch auf Transkriptom und Proteom, erläuterte Wallaschofski.
Als Basisdaten für GANI_MED dienen die Ergebnisse der großangelegten Bevölkerungsstudie SHIP (Study of Health in Pomerania) mit zwei voneinander unabhängigen Kohorten. Zu ihnen gehören
rund 4300 gesunde Erwachsene aus der Region Vorpommern, die seit 1997 dreimal untersucht wurden (SHIP-0 bis SHIP-2), und
weitere rund 10.000 gesunde Erwachsene (SHIP-TREND).
Nach Abschluss aller Untersuchungen wird ein umfangreicher epidemiologischer Datensatz einer repräsentativen regionalen Bevölkerungsgruppe für die Forschung in GANI_MED zur Verfügung stehen.
Grußworte
Der Tagungspräsident und Generalsekretär der DPhG, Prof. Dr. Andreas Link, Greifswald, begrüßte die über 400 Teilnehmer, die meistenteils eine weite Anreise auf sich genommen hatten, und gab einen kurzen Überblick über das Tagungsprogramm, das eine pharmaziehistorische Veranstaltung zur Pharmazie in Greifswald, ein Symposium zum Thema Arzneimittelkontrolle, Diskussionsveranstaltungen zum Thema Pharmazie 2020 – Perspektiven in Forschung und Lehre sowie drei Plenarvorträge und 72 Einzelvorträge in 18 Sessionen zu den drei Themenkomplexen Moleküle, Targets und Tabletten umfasste. Hinzu kamen 180 Posterbeiträge und die Kurzvorstellungen von "Leuchtturmprojekten" des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), des Center of Drug Absorption and Transport (C_DAT) Greifswald, des Zentrums für Pharmaverfahrenstechnik (PVZ) Braunschweig und der Fraunhofer-Projektgruppe Translationale Medizin und Pharmakologie (TMP) Frankfurt am Main.
Der 1. Stellvertreter des Oberbürgermeisters der Hansestadt Greifswald, Dipl.-Ing. Jörg Hochheim, gab einen kleinen Einblick in die lokale Pharmaziegeschichte. Bereits 1559 erhielt der Apotheker Franziskus Joel eine Professur für Materia medica in Greifswald. Die Pharmazie hat dort gerade in den letzten Jahren einen immensen Aufschwung genommen. Als einen Meilenstein führte Hochheim die Eröffnung des Center of Drug Absorption and Transport (C_DAT) im November 2011 an, ein "Vorhaben von nationaler Bedeutung" und ein Markenzeichen für Spitzenforschung im hohen Norden. Nach nur zweijähriger Bauzeit war das interdisziplinäre Kompetenzzentrum fertiggestellt worden, in dem nun das Institut für Pharmakologie der Universitätsmedizin und die Arbeitsgruppen Pharmazeutische Technologie/Biopharmazie und Biotechnologie des Instituts für Pharmazie zusammenarbeiten. Ein weiterer Neubau für ein Labor- und Praktikumsgebäude (LPG) befindet sich in der Entstehung. Die Universität Greifswald mit dem Motto "Wissen lockt" will auch weiterhin eine hochwertige Apothekerausbildung liefern, versicherte Hochheim.
Der Rektor der Universität Greifswald, Prof. Dr. Rainer Westermann, brachte seine Freude darüber zum Ausdruck, dass die DPhG die Hansestadt als Tagungsort gewählt hat. Obwohl die Universität mit rund 12.000 Studenten relativ klein ist und wenig Landeszuschüsse bekommt, wird dort mit einer hochwertigen Forschung und Lehre versucht, im Konzert der großen Hochschulen mitzuspielen, sagte Westermann, wobei er auch der Pharmazie eine wichtige Rolle beimisst. Die großen Erfolge seiner Universität zeigen sich u. a. darin, dass sie die Drittmitteleinwerbung in den letzten Jahren verdreifacht hat.
DPhG-Präsident Prof. Dr. Dieter Steinhilber betonte die große Herausforderung an die DPhG, sich im Kanon der Naturwissenschaften noch besser Gehör zu verschaffen. Wegen dieser Intention orientiert sich das Programm der DPhG-Jahrestagung erstmals nicht an den "klassischen" pharmazeutischen Disziplinen, sondern legt den Fokus auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Zudem soll unter dem Motto "Agenda 2020" diskutiert werden, wie die pharmazeutische Ausbildung neuen Forschungserkenntnissen, etwa zur individualisierten Therapie, anzupassen ist. Auch der Shift der Forschungslandschaft in Richtung Verbundprojekte und eine bessere Vernetzung mit der Medizin spiegeln sich im Programm der DPhG-Jahrestagung wider.
Bioaktive Moleküle aus Myxobakterien
Prof. Dr. Rolf Müller, Geschäftsführender Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) und Leiter der dortigen Abteilung Mikrobielle Naturstoffe, berichtete im Plenarvortrag zum Themenkomplex "Moleküle" über die Genom-basierte mikrobielle Naturstoffforschung für die Entwicklung neuer Antiinfektiva.
Mikroorganismen sind nach wie vor die wichtigsten Quellen für die Entwicklung neuer Arzneistoffe. Derzeit sind rund die Hälfte der onkologischen Arzneimittel und mehr als 80% der antibakteriellen Arzneimittel Naturstoffe oder von diesen abgeleitete kleine Moleküle (small molecules).
Zu den wichtigsten Produzenten gehören die im Erdboden lebenden Myxobakterien, die im Vergleich zu anderen Prokaryonten sehr große Genome besitzen und eine Vielzahl von Sekundärstoffen – darunter Polyketide und nicht-ribosomale Peptide – herstellen, um mit diesen z. B. mikrobielle Konkurrenten oder Feinde auszuschalten.
Müller betreibt mit seinem Team ein weltweites Programm zur Entdeckung neuer Stämme; er nimmt sie in Kultur und untersucht die chemischen Eigenschaften, die Produktion, die Regulation sowie die Aktivität der von ihnen abgegebenen Sekundärstoffe. Von jedem Bakterienstamm wird ein sogenanntes metabolisches Profil erstellt.
Wird festgestellt, dass ein Myxobakterium biologisch aktiv ist, wird hieraus ein Extrakt hergestellt und analytisch (mit HPLC, UV-Vis-Spektroskopie mit Diodenarray-Detektion, LC-MS) auf bereits bekannte Antibiotika untersucht. Bei negativem Ergebnis wird versucht, die biologisch aktive Substanz zu isolieren, um sie noch eingehender zu screenen.
Bis jetzt hat Müller mit seiner Gruppe rund 8000 Bakterienstämme gescreent und dabei vier interessante Wirkstoffkandidaten entdeckt, die zu völlig neuen Strukturklassen gehören; jeweils zwei davon wirken gegen Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) bzw. gegen gramnegative Bakterien. Vor allem Letztere erscheinen für eine industrielle Weiterentwicklung interessant.
Als Leitstrukturen für neue Antibiotika nannte Müller Argyrin und die Elansolide, die von dem Myxobakterium Chitinophaga sancti synthetisiert werden und ein neues Target angreifen, sich aber wegen geringer Plasmastabilität nicht für die Anwendung eignen. Durch biotechnologische Modulation der Biosynthese konnten schließlich doch stabile Moleküle für eine Weiterentwicklung gewonnen werden.
Ein weiterer Screening-Ansatz im HIPS basiert auf der Analyse der Gene der Mikroorganismen, die die Naturstoffsynthese codieren. Sie soll es ermöglichen, das Potenzial eines Organismus für die Produktion von Sekundärstoffen vorherzusagen, die Produktion zu optimieren und Wege zu finden, wie andere, besser geeignete Organismen dasselbe Produkt synthetisieren können. Darüber hinaus soll es möglich werden, durch gezielte genetische Veränderungen die gewünschten Wirkstoffe zu erhalten (Genom-mining).
Müller fährt in seiner Arbeitsgruppe derzeit 30 Genom-Projekte und hat auf diese Weise bereits mehr als 20 neue Wirkstoffkandidaten erzeugt. Das Potenzial von Genen, die für die Biosynthese therapeutisch interessanter Naturstoffe infrage kommen, ist immens, aber die Translation in die gewünschten Moleküle ist nach seinen bisherigen Erfahrungen das Nadelöhr bei diesem Ansatz.
Diabetes: Rettung für die Beta-Zelle
Den Plenarvortrag im Themenblock "Targets" hielt die Diabetologin Prof. Dr. Kathrin Mädler von der Universität Bremen. Sie forscht auf dem Gebiet der antiinflammatorischen Therapien gegen die Zuckerkrankheit.
Beim Diabetes mellitus gerät der Zuckerhaushalt aus dem Gleichgewicht, weil die β-Zellen der Bauchspeicheldrüse, die das zur Regulierung des Blutzuckerspiegels notwendige Hormon Insulin produzieren, absterben. Obwohl sie bei einem erhöhten Insulin-Bedarf, wie etwa bei Übergewicht oder in der Schwangerschaft, eine enorme Anpassungsfähigkeit besitzen, führt ihre kontinuierliche Überstimulation letztendlich zum Funktionsverlust und zur Apoptose sowie zur Progression des Diabetes. Der Tod der β-Zellen spielt nicht nur beim Typ-1-Diabetes, einer Autoimmunerkrankung, die schon in jungen Jahren ausbricht, sondern auch beim Typ-2-Diabetes, der meist zusammen mit Übergewicht entsteht, eine wichtige Rolle.
Das Absterben der β-Zellen ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenwirkens von Umweltfaktoren mit einer genetischen Prädisposition. Mädlers Arbeitsgruppe hat zwei klassische Entzündungsmediatoren identifiziert, die eine aktive Rolle bei der Auslösung der Zerstörung von β-Zellen spielen, das Zytokin Interleukin 1β (IL-1β) und das Chemokin CXCL10. Beide sind proinflammatorische Botenstoffe. Diabetes sollte deshalb laut Mädler auch zu den Entzündungskrankheiten gezählt werden.
Interleukin-1β wird in den Langerhans-Inseln der Bauchspeicheldrüse produziert, zu denen auch die β-Zellen gehören, vor allem aber im Fettgewebe. Deshalb hat Übergewicht eine enorme Bedeutung bei der Entstehung von Diabetes. Zudem hat Mädler beobachtet, dass die β-Zellen auf den Stress eines ständigen Überangebots an Blutzucker ebenfalls mit dem Stresshormon IL-1β reagieren und sich dadurch selbst in den programmierten Zelltod treiben. Hierbei spielt vermutlich die genetische Veranlagung eine wichtige Rolle.
CXCL10 wird schon ganz zu Beginn eines Typ-2-Diabetes vermehrt produziert und könnte somit ein Biomarker sein, der die Entstehung von Typ-2-Diabetes früh anzeigt. Als Rezeptor für CXCL10 und damit als neuer Signalweg für die Induktion der β-Zell-Apoptose wurde der Toll-like receptor 4 (TLR 4) identifiziert.
Angesichts dieser Ergebnisse wird die Blockade der beiden Botenstoffe IL-1β und CXCL10 zu einem vielversprechenden Therapieansatz gegen die Zuckerkrankheit. Nach Tier- und Humanversuchen verbessert die Blockade von IL-1β durch Interleukin-1-Rezeptorantagonisten (IL-1Ra) oder durch anti-IL-1β-Antikörper das Zellüberleben, die Glucosetoleranz, die Insulinsekretion und die Insulinsensitivität.
Inhibitoren von IL-1β werden bereits seit Jahren bei der chronischen Entzündungskrankheit Rheumatoide Arthritis eingesetzt, so der IL-1-Rezeptorantagonist Anakinra. Aufbauend auf Mädlers Arbeiten wird Anakinra nun auch in klinischen Studien für die Behandlung von Patienten mit Typ-1- und Typ-2-Diabetes getestet. Der Erfolg zeigte sich an einem verbesserten Blutzuckerspiegel – auch noch drei Monate nach der Therapie. Weiterhin waren bestimmte Entzündungsmarker (IL-1, IL-6, C-reaktives Protein) deutlich reduziert.
Preise und Ehrungen
Gemäß ihrer Satzung verleiht die DPhG auf jeder Jahrestagung eine Reihe von Preisen und ehrt verdiente Persönlichkeiten. In Greifswald nahmen der DPhG-Präsident Prof. Dr. Dieter Steinhilber und das DPhG-Vorstandsmitglied Apothekerin Kathrin Müller die Ehrungen vor.
Im Andenken an den ehemaligen DPhG-Präsidenten Carl Mannich (1877 – 1947) verleiht die DPhG als höchste Auszeichnung alle zwei Jahre die Carl-Mannich-Medaille an in- oder ausländische Gelehrte für bedeutende Leistungen auf dem Gebiet der Pharmazie. In diesem Jahr wurde Prof. Dr. Gerhard Klebe, Inhaber des Lehrstuhls für Pharmazeutische Chemie an der Philipps-Universität Marburg, für herausragende Verdienste um die Pharmazie, vor allem auf dem Gebiet des Wirkstoffdesigns, mit der Carl-Mannich-Medaille ausgezeichnet.
Die Dr. August und Dr. Anni Lesmüller-Stiftung, die die pharmazeutischen Wissenschaften unter besonderer Berücksichtigung des Arzneimittels und der Aufgabenstellung des Apothekers in Geschichte und Gegenwart fördert, verlieh gemeinsam mit der DPhG fünf Posterpreise. Aus der beachtlichen Zahl von 180 wissenschaftlichen Postern wurden die Arbeiten fünf junger Wissenschaftler aus den Disziplinen Pharmazeutische Biologie, Pharmazeutische Chemie, Pharmazeutische Technologie, Pharmakologie und Klinische Pharmazie prämiert. Preisträger sind:
Pharmazeutische Biologie: Dr. Johanna Liebl (Universität München): A Vascular function of cyclin dependent kinase 5 (Cdk5).
Pharmazeutische Chemie: Dipl.-Chem. Faiza Khalil (Universität Hamburg): Biomimetic catecholates for the chemical modification of metal surfaces: antifouling properties.
Pharmazeutische Technologie: Apotheker Jan Henrik Finke (TU Braunschweig): Custom-tailoring microsystems for production intensification of lipid based colloidal drug delivery systems.
Pharmakologie: Dr. Robert Ramer (Universität Rostock): ICAM-1 confers the TMP-1-dependent anti-invasive action of cannabinoids on human lung cancer cells.
Klinische Pharmazie: André Schäftlein (Freie Universität Berlin): Standard dosis of intravenous and enteral moxifloxacin provide insufficient drug exposure for nosocomial pneumonia in intensive care unit patients.
Der 2. Teil des Berichts von der DPhG-Jahrestagung folgt in DAZ Nr. 44.
InternetWeitere Informationen unter www.medizin.uni-greifswald.de/GANI_MED und www.medizin.uni-greifswald.de/cm/fv/dokumente/ship_ueberblick_bundesgesundheitsblatt.pdf |
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