Deutscher Apothekertag 2012

Transparenz ohne "sittlichen Nährwert"?

Reinhild Berger

Seit 18 Jahren kennen wir sie: die jährliche Tabelle in der Pharmazeutischen Zeitung, die uns die Apothekertagsdelegierten aller ABDA-Mitgliedsorganisationen nach Anzahl, Status (selbstständig/angestellt), Funktion (Kammer/Verband) und Geschlecht aufschlüsselt. Jüngere Kolleginnen und Kollegen halten diese Statistik für selbstverständlich – oder denken gar nicht darüber nach. Wir Älteren unter den Apothekertagsbesuchern wissen: Die Veröffentlichung dieser Zahlen wurde schwer erkämpft!

Schauen wir zurück in die Achtziger und frühen Neunziger Jahre. Damals gab es eine Berliner Delegierte, Ingeborg Simon, aus Etabliertensicht eine extreme Rebellin. Hartnäckig brachte sie – zusammen mit wenigen Gleichgesinnten – Jahr für Jahr beim Apothekertag einen Antrag ein, der sich genau diese Statistik wünschte. Der Antragstellerin ging es darum, das offensichtliche Missverhältnis zwischen selbstständigen und angestellten Apothekerinnen und Apothekern sowie Männern und Frauen transparent zu machen. Und damit zu zeigen, dass die Delegierten der Hauptversammlung nicht repräsentativ sind für die gesamte Apothekerschaft. Diese strukturelle Asymmetrie besteht auch heute noch. Doch statt sich offen zu diesem Spiegelbild zu bekennen – dafür war die Zeit noch nicht reif – duckte man sich ängstlich weg und ging verkrampft auf Abwehr. Die jährlich wiederkehrende Diskussion entwickelte sich zum Machtkampf zwischen den konservativen Hardlinern und einem kleinen Kreis "Aufmüpfiger" – verfolgt von einer großen Mehrheit schweigender Delegierter. Diese lehnten den Antrag ebenso hartnäckig ab, wie er im nächsten Jahr wieder auf der Tagesordnung stand. Das Denken änderte sich nur langsam. Doch auf einmal geschah das "Wunder": Im Jahr 1994 waren neue Einsichten gewachsen – oder aber die Abwehrreflexe der Konservativen so erlahmt, dass der Antrag angenommen wurde. Seitdem gibt es die bekannte PZ-Tabelle, stets eine Woche vor dem Deutschen Apothekertag.

Welch Überraschung für "alte" Apothekertagsbesucher nun im Jahr 2012! Gab es doch den Wunsch nach einer "Rolle rückwärts"! Wiederum aus Berlin kam der Antrag, "ab dem Jahr 2013 von der jährlichen Erstellung und Veröffentlichung der statistischen Erhebung ,Delegierte zum Deutschen Apothekertag‘ abzusehen". Dr. Rainer Bienfait, Vorsitzender des Berliner Apotheker-Vereins und Mitglied des Geschäftsführenden Vorstands der ABDA, gab zu, dass dieses Ansinnen nur von einem Teil der Berliner Delegierten unterstützt werde. Doch er ließ es sich nicht nehmen, den Antrag weitschweifig zu begründen: Zu aufwendig und zu teuer sei die Zahlenlieferei, und ohnehin würden die Mitgliedsorganisationen oft falsche Zahlen nennen. Die Statistik habe keinerlei "sittlichen Nährwert" – es sei völlig belanglos, was in der Tabelle stehe. Und überhaupt habe man den Antrag damals 1994 nur deshalb positiv beschieden, weil man es leid gewesen sei, jedes Jahr von Neuem darüber zu diskutieren. Auf gut Deutsch: Man hat nur mit "Ja" gestimmt, weil man genervt war. Und die Nerverei hat nie aufgehört: Das jährliche Zusammenstellen und Liefern der Zahlen ist einfach zu lästig.

Eine Kollegin aus Berlin widersprach sofort und eindringlich. Die Statistik sei unbedingt weiterzuführen. Spontan erklärten sie und eine weitere Kollegin aus Bayern ihre Bereitschaft, daran mitzuarbeiten. Trotz wiederholter Fürsprache von Bienfait für sein Anliegen wurde der Antrag von den Delegierten abgelehnt. Die Tabelle bleibt also. Ganz im Sinne der von der ABDA-Spitze mehrfach angekündigten Transparenz und verstärkten Kommunikation nach innen.

Bleibt die Frage, was wirklich Sinn und Zweck dieses Antrags war. Der Arbeits- und Zeitaufwand kann nur ein Vorwand sein, zumal Ehrenamtliche in den Startlöchern stehen.

Will man späte Rache an bestimmten Personen üben? Der abfällige Ton, in dem die Antragsbegründung vorgetragen wurde, könnte diese Vermutung unterstreichen. Oder will man zurück zu Verschleierung und Intransparenz? Dass hierbei die Delegierten nicht mehr mitspielen, ist ein Trost – und hoffentlich eine Lehre.


Reinhild Berger



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DAZ 2012, Nr. 42, S. 89

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