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Deutscher Apothekertag 2012
Rezeptur/Defektur: Plädoyer für risikobasierte Prüfpflichten
Die Vorschriften der neuen Apothekenbetriebsordnung über Rezepturen und insbesondere Defekturen sind in der Apothekerschaft vielfach kritisiert worden. Sie seien lebensfremd, der Dokumentations- und (speziell bei Defekturen) Prüfaufwand sei überzogen, er stehe in keinem irgendwie noch vertretbaren Verhältnis zu fachlichen Erfordernissen und möglichen Erlösen. Für Rezepturen (§ 7) und Defekturen (§ 8) werden schriftliche Herstellungsanweisungen und Herstellungsprotokolle gefordert, für Defekturarzneimittel wird – das ist neu – zusätzlich eine schriftliche Prüfanweisung und ein Prüfprotokoll verlangt. Die Prüfanweisung muss mindestens Angaben enthalten zur Probenentnahme, zur Prüfmethode und zur Art der Prüfungen, einschließlich der zulässigen Soll- und Grenzwerte (§ 8 Abs. 3). In der Begründung heißt es weiter, bei einer "Arzneimittelherstellung, die über den Einzelfall hinausgeht", könne im Gegensatz zur bisherigen Regelung "unter Sicherheitsaspekten nicht auf jegliche analytische Prüfung zur Feststellung der Qualität des hergestellten Endproduktes verzichtet" werden. Dies mag bei bestimmten Defekturen sachgerecht sein (z. B. wenn jemand 100 Packungen eines Schlaf- oder Grippemittels herstellt, das häufig nachgefragt wird und wie ein Fertigarzneimittel abgegeben wird). Fragen stellen sich aber, wenn eine Apotheke statt 1 x 50 g Basiscreme (die gerade für einen Patienten benötigt wird) 10 x 50 g herstellt, weil der nahe Hautarzt häufig Zubereitungen mit Basiscreme als Grundlage verschreibt.
Der Verordnungsgeber hat sich mit seinen Vorgaben zur Rezeptur und Defektur weitgehend an der Leitlinie der Bundesapothekerkammer orientiert, die sich mit der Herstellung und Prüfung der nicht zur parenteralen Anwendung bestimmtes Rezeptur- und Defekturarzneimittel beschäftigt. Da versteht man, warum sich Vertreter von BAK und ABDA mit Kritik auffällig zurückhalten. Sie würde auf die BAK zurückfallen. Zu konstatieren bleibt: Was als Leitlinie, die begründete Ausnahmen zulässt, gerade noch hinzunehmen ist, gewinnt als verbindliche Verordnung eine ganz andere Wucht. Dass man sich in dieser Situation mit interpretatorischen Klimmzügen zu helfen versucht, ist verständlich. Niemand will ja, dass die Defektur stirbt. Jeder Fachkundige sieht ein, dass es qualitätsverschlechternd (und zudem unbezahlbar) wäre, Defekturen zur Vermeidung des Prüfaufwandes überall durch Rezepturen zu ersetzen. Mutig und ehrlich, war da ein Antrag der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern: Er wurde mit großer Mehrheit angenommen und fordert, die ApBetrO so zu novellieren, dass die Herstellung von Defekturen nach den gleichen Anforderungen erfolgen kann, die jetzt für Rezepturen gelten. Das wird spannend – denn die Verfasser der zitierten BAK-Leitlinie werden sich dagegen stemmen.
Die Lösung könnte vielleicht die Umstellung auf ein risikobasiertes Konzept sein. Dazu gibt es eine Vorlage, auf die – allerdings nicht im Zusammenhang mit Rezeptur/Defektur – in der Begründung zur ApBetrO mehrfach verwiesen wird. Es handelt sich – sieh an! – um eine sehr sachkompetente Resolution des Europarates (CM/ResAP(2011)), die am 19.1.2011 verabschiedet wurde. Es geht darin um Empfehlungen für die Anforderungen an die Qualität und Sicherheit von Arzneimitteln, die – befreit von der Zulassungspflicht – in Apotheken für Patienten mit besonderen Bedürfnissen hergestellt werden. Sprich: Es geht um das, was wir Rezepturen und Defekturen nennen. Adressat sind die Staaten, die der Konvention über die Ausarbeitung des Europäischen Arzneibuchs beigetreten sind.
Die Empfehlung unterscheidet zwischen Anfertigungen mit hohen oder geringen Risiken. Das Niveau des generell empfohlenen QMS sollte dem Risiko-Level entsprechen. Das Gleiche gilt für die Leitlinien, die zur Anwendung kommen sollen: GMP für High-risk-Anfertigungen, PIC/S GPP für Low-Risk-Anfertigungen. Bei der Risikoeinschätzung sollten vor allem Dosierung und Applikationsweg, Herstellungsmenge, pharmakologische Effekte unter Berücksichtigung des Applikationsweges, die therapeutische Breite und der Herstellungsweg in Betracht gezogen werden.
Ein Modell für die Vorgehensweise bei der Risiko-Einstufung von Anfertigungen ergänzt die Empfehlungen. Es basiert auf fünf Entscheidungskriterien: (1) Art der Anfertigung/Applikationsweg (parenteral, oral/sublingual/rektal, unsteril über die Haut, am Auge), (2) Menge, (3) Stärke der Wirkstoffe, (4) Art des Herstellungsprozesses (z. B. Sterilisation am Ende, unsterile Abfüllung), (5) Lieferung (z. B. nur an Kunden der herstellenden Apotheke, auch an andere Apotheken).
Innerhalb der Kriterien werden "Risikofaktoren" von 1 bis 5 zugeordnet, beim Applikationsweg z. B.: parenteral = 5 (hohes Risiko), oral = 3 (mittleres Risiko). Aus der Multiplikation der Risikofaktoren ergibt sich eine Zahl, die anzeigt, wie hoch das Gesamtrisiko ist und welches Niveau das geforderte QMS haben muss: Bei einem Ergebnis über 100 ist die Anfertigung als High-risk-Anfertigung anzusehen, sonst (in der Mehrzahl) als Low-Risk. Die Defektur-Herstellung von 500 g Basiscreme, auch mit Wirkstoff, würde auf dieser Basis sinnvollerweise nicht mehr eine aufwendigere Prüfung des Endproduktes erfordern als eine Rezeptur über 30 Spironolacton-Kapseln für ein Kleinkind.
Ein risikobasiertes Konzept für die Anforderungen an Rezepturen und Defekturen scheint mir wesentlich sachgerechter als das, womit wir uns jetzt herumärgern müssen. Der Vorschlag aus Straßburg ist wert, genauer hinzusehen. Er bietet Ansätze für eine Lösung unserer Probleme. Er hat Empfehlungscharakter, lässt sich also an unsere nationalen Gegebenheiten und Traditionen durchaus anpassen.
Klaus G. Brauer
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DAZ 2012, Nr. 42, S. 56
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