Kassenabschlag

Honorar und Abschlag

Hintergrund: Staatlicher Versorgungsauftrag versus Sozialrecht

Uwe Hüsgen und Thomas Müller-Bohn | Die Anpassung des Honorars war für die Apotheker das beherrschende Thema der vorigen Monate. Die ABDA ermittelte eine notwendige Erhöhung des Festzuschlags je abgegebenem, verschreibungspflichtigem Fertigarzneimittel (Rx-FAM) von 8,10 Euro auf 9,14 Euro, also um 1,04 Euro. Ausgehend von Berechnungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie wurde jedoch nur eine einmalige Anpassung um 0,25 Euro beschlossen. Ebenso unbefriedigend wie das numerische Ergebnis ist die Tatsache, dass auch kein Anpassungsverfahren für die Zukunft festgelegt wurde. Als nächster potenzieller Konfliktpunkt in der Honorardiskussion zeichnet sich die Frage ab, wie sich die jüngste Änderung des Festzuschlags auf die anstehenden Verhandlungen zwischen Krankenkassen und Apothekern zum Kassenabschlag im Jahr 2013 auswirken wird. In diesem Beitrag werden die Unterschiede zwischen der Arzneimittelpreisverordnung und dem Kassenabschlag herausgearbeitet. Im zweiten Teil wird dargestellt, welche Konsequenzen sich daraus für die Verhandlungen über den Kassenabschlag ergeben (in DAZ 41).

Zwei Regelungssysteme

Die fundamentalen Unterschiede zwischen Arzneimittelpreisverordnung und Kassenabschlag werden auch in der Politik erkannt. So erklärte Jens Spahn, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Gesundheit und gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in einem Interview gegenüber DAZ-online (siehe DAZ-online vom 3. 8. 2012): "Die leistungsgerechte Vergütung der Apotheken nach der Arzneimittelpreisverordnung ist das eine, der Apothekenrabatt ist davon erst mal unabhängig und muss anhand der in § 130 SGB V vorgegebenen Kriterien verhandelt werden."

Beide Regelungen sind wesentliche Bestimmungsgrößen der apothekerlichen Vergütung, sie sind aber zwei unterschiedlichen Regelungskreisen der Gesetzgebung zuzuordnen. Die Arzneimittelpreisverordnung basiert auf § 78 Arzneimittelgesetz (AMG) und ist folglich Bestandteil des Arzneimittelrechts, des Gesundheitsrechts und damit des Öffentlichen Rechts. Der Kassenabschlag hingegen wird im § 130 Sozialgesetzbuch, V. Buch (SGB V) geregelt und gehört damit zum Sozialrecht. Allerdings überschneiden sich die gesetzlichen Vorgaben zur Änderung der jeweils relevanten Größen, sodass es – zwangsläufig – zu unerwünschten Wechselwirkungen bei Anpassungen kommen muss.

Öffentliches Recht

Das Gesundheitswesen, und damit auch der Arzneimittelmarkt, unterliegen dem Öffentlichen Recht. Die staatliche Regulierung in diesem Bereich lässt sich mindestens bis zur Trennung der Berufe von Arzt und Apotheker durch den Stauferkaiser Friedrich II. im 13. Jahrhundert zurückverfolgen. Aufgrund der besonderen Bedeutung der Arzneimittel und der potenziellen Gefahren im Zusammenhang mit diesen Produkten wird die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung staatlich reglementiert, insbesondere durch das Apothekengesetz (ApoG). So lautet § 1 (1) ApoG: "Den Apotheken obliegt die im öffentlichen Interesse gebotene Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung." Dieser Sicherstellungsauftrag gilt im Grundsatz für die gesamte Bevölkerung und für alle Arzneimittel (zu Ausnahmen siehe § 43 AMG). Der Apothekerberuf kann nur nach bestandenem Staatsexamen und staatlicher Approbation ausgeübt werden (Bundesapothekerordnung § 2). Zudem sind wesentliche Pflichten u. a. in der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) niedergelegt, insbesondere:

  • Kontrahierungszwang, auch für Rezepturen (u. a. § 17 (4) ApBetrO),

  • Nacht- und Notdienst (§ 23 ApBetrO),

  • Arzneimittelabgabe nur durch pharmazeutisches Personal (§ 17 (1a) ApBetrO),

  • Informations- und Beratungspflicht gegenüber Patienten und Ärzten (§ 20 ApBetrO),

  • Verpflichtung zur Vorratshaltung (§ 15 (1) ApBetrO),

  • Arzneimittelabgabebeschränkung, um erkennbaren Arzneimittelmissbrauch zu verhindern (§ 17 (8) ApBetrO),

  • Verbot der Selbstbedienung mit Arzneimitteln, um unkontrollierten (Mehr-)Verbrauch zu verhindern (§ 52 AMG),

  • Verbot der Bevorzugung oder Beschränkung beim Arzneimittelangebot (§ 10 ApoG).

Die öffentlichen Apotheken müssen einerseits zwar die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherstellen, dem steht andererseits aber kein Anspruch auf Umsatz oder Ertrag gegenüber. Da die Rechte und Pflichten der Apotheken aber in einem ausgewogenen Verhältnis stehen müssen, hat der Gesetzgeber über § 78 AMG dafür Sorge getragen, dass für alle Rx-FAM grundsätzlich ein einheitlicher Abgabepreis gilt.

Arzneimittelpreisverordnung

Diese Preisbindung wird mithilfe der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) umgesetzt. Gemäß AMPreisV kommen zu den zumindest theoretisch frei gewählten Herstellerabgabepreisen der pharmazeutischen Unternehmer die Aufschläge des pharmazeutischen Großhandels für seine Leistungen wie Beschaffung, Bevorratung und Verteilung der Arzneimittel an die Apotheken. Die Struktur dieses Großhandelsaufschlags gemäß § 2 (1) AMPreisV wurde erst zum 1. Januar 2012 durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) grundlegend neu gestaltet. Als Ergebnis entsteht der Apothekeneinkaufspreis.

Der Apothekenaufschlag wurde bereits mit dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) im Jahr 2004 grundlegend neu gestaltet. Auf den Apothekeneinkaufspreis werden eine kaufmännische Aufschlagkomponente von 3% und ein Festzuschlag von 8,10 Euro je Rx-FAM-Packung aufgeschlagen. Hinzu kommt die gesetzliche Mehrwertsteuer. Aufgrund der Eindeutigkeit der AMPreisV ergibt sich damit für jedes Rx-FAM ein einheitlicher Apothekenabgabepreis, der mit wenigen Ausnahmen (u. a. Kuratorium für Heimdialyse, Justizvollzugsanstalten) grundsätzlich für den gesamten Rx-Markt gilt, also für alle Verordnungen zulasten der GKV und dieser gleichgestellten Kostenträger (GKV-Bereich) ebenso wie für privat Krankenversicherte und Selbstzahler, die beispielsweise "Lifestyle-Arzneimittel" verordnet bekommen. Dieser einheitliche Abgabepreis für Rx-FAM dient einerseits dem Verbraucherschutz, denn im Krankheitsfall erübrigen sich für die Patienten Preisvergleiche, und die Patienten können sicher sein, aufgrund ihrer Krankheit nicht übervorteilt zu werden. Andererseits kompensiert der Anspruch des Apothekers auf eine faire Vergütung die oben erwähnten vielfältigen Gemeinwohlpflichten, die sich aus dem Versorgungsauftrag ergeben.

Aktuelle Bestätigungen

Diese Funktion der Preisbindung bestätigte das Bundesgesundheitsministerium erst kürzlich als Antwort auf eine schriftliche Anfrage des CDU-Bundestagsabgeordneten Prof. Dr. Egon Jüttner: "Durch die Apothekenpflicht, den Schutz der Freiberuflichkeit und die staatlich garantierte Vergütung besteht ein verlässlicher Rahmen für die Tätigkeit der Apotheken" (siehe DAZ 37, S. 30). Mit dieser "staatlich garantierten Vergütung" kann nur der garantierte Aufschlag für jede abgegebene Fertigarzneimittelpackung gemeint sein.

Den gleichen Tenor hatte die jüngste Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes im Zusammenhang mit Apotheken. Der Gemeinsam Senat entschied am 22. August 2012, dass die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes (AMG) zur Arzneimittelpreisbindung eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage dafür darstellen, auch Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland, die verschreibungspflichtige Arzneimittel im Inland an Endverbraucher abgeben, deutschem Arzneimittelpreisrecht zu unterwerfen. Die deutsche Arzneimittelpreisbindung verstößt gemäß dieser Entscheidung nicht gegen Gemeinschaftsrecht.

Sozialrecht

Das Sozialgesetzbuch, V. Buch (SGB V) regelt die Versorgung der GKV-Versicherten. Es gilt daher nur für die Versorgung dieses Personenkreises. Naturgemäß soll es solche Aspekte regeln, die nicht bereits durch höherrangiges Ordnungsrecht festgelegt sind. Mit dem SGB V setzt der Staat die Grundsätze für Versorgungsleistungen sowie deren Vergütung und Abrechnung im Rahmen dieser Solidargemeinschaft fest, während die Selbstverwaltung gefordert ist, diese kontinuierlich mit Leben zu füllen und den jeweiligen Gegebenheiten anzupassen.

Gemäß SGB V haben die Versicherten einen grundsätzlichen Anspruch auf Versorgung (auch) mit Arzneimitteln (u. a. § 31) im Rahmen des Sachleistungsprinzips (§ 2) und unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebots (Stichworte: ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich; §§ 12 und 70).

Insbesondere das Wirtschaftlichkeitsgebot prägt viele weitere Vorschriften des SGB V und damit den Versorgungsalltag. Apothekenrelevante Beispiele sind die Verpflichtung zur Abgabe (auch) von importierten und von rabattbegünstigten Arzneimitteln – im Spannungsverhältnis zu § 10 ApoG – , die verstärkte Kontrolle der ärztlichen Verordnung durch den Apotheker (z. B. keine Verordnung von nicht-erstattungsfähigen Mitteln; §§ 92 und 93), die komplexen Abrechnungsvorschriften und das Inkasso der Rabatte der pharmazeutischen Unternehmen nach § 130a.

Kassenabschlag

Als weitere sozialrechtliche Besonderheit schreibt § 130 SGB V vor, dass die Apotheken den gesetzlichen Krankenkassen (und diesen gleichgestellten Kostenträgern) einen Abschlag zu gewähren haben, der von den Vertragspartnern (Krankenkassen und Apothekern) in einer Vereinbarung regelmäßig überprüft und angepasst werden soll – so die gesetzliche Vorgabe. Bis Ende 2003 betrug der Kassenabschlag gemäß § 130 SGB V 5% des Packungspreises. Mit dem GMG im Jahr 2004 wurde der Abschlag für Rx-FAM auf 2,00 Euro pro Packung geändert. Zum Umstellungszeitpunkt ergab dies etwa dasselbe Abschlagsvolumen (2,00 Euro je Rx-FAM bzw. 5% auf den Packungspreis).

Preisbildung bei GKV anders als bei PKV


Historisch ist der Kassenabschlag aus der Trennung zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung zu erklären. Auch die Preisbildung für ärztliche Leistungen auf der Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ermöglicht in der PKV höhere Preise als in der GKV. Ärzte können dabei im Allgemeinen den 1,3- bis 2,3-fachen Satz liquidieren. Unter Berücksichtigung des Kassenabschlags erhalten auch Apotheken bei der Abgabe an PKV-Patienten etwa den 1,3-fach höheren Festzuschlag (derzeit 8,10 Euro gegenüber 6,38 Euro bei der GKV).


Die Höhe des Abschlags wurde anschließend mehrfach "nach Kassenlage" gesetzlich (!) geändert. Mit dem AMNOG wurde der Kassenabschlag für 2011 und 2012 auf 2,05 Euro festgelegt. Zugleich wurde in § 130 (1) SGB V bestimmt, dass der Abschlag erstmalig mit Wirkung für 2013 anzupassen ist. Die derzeit gültige Fassung lautet:

Die Krankenkassen erhalten von den Apotheken für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel einen Abschlag von 2,05 Euro je Arzneimittel, für sonstige Arzneimittel einen Abschlag in Höhe von 5 vom Hundert auf den für den Versicherten maßgeblichen Arzneimittelabgabepreis. Der Abschlag nach Satz 1 erster Halbsatz ist erstmalig mit Wirkung für das Kalenderjahr 2013 von den Vertragspartnern in der Vereinbarung nach § 129 Abs. 2 so anzupassen, dass die Summe der Vergütungen der Apotheken für die Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel leistungsgerecht ist unter Berücksichtigung von Art und Umfang der Leistungen und der Kosten der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung. Dabei sind

1. Veränderungen der Leistungen der Apotheken auf Grundlage einer standardisierten Beschreibung der Leistungen im Jahre 2011 zu ermitteln;

2. Einnahmen und Kosten der Apotheken durch tatsächliche Betriebsergebnisse repräsentativ ausgewählter Apotheken zu berücksichtigen.

Konsequenzen für den Versorgungsalltag

Die Formulierung des zweiten und dritten Satzes in § 130 (1) SGB V erscheint vor dem Hintergrund der ursprünglichen Funktion des Kassenabschlages problematisch. Denn der Kassenabschlag wurde damals mit den Vorteilen begründet, die die Apotheken durch die zuverlässige und schnelle Begleichung ihrer Abrechnungen durch die Krankenkassen genießen. Nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten müsste ein solcher "Großkundenrabatt" allerdings in Abhängigkeit von der Menge (Zahl der abgegebenen Packungen) und vom Aufwand (z. B. Beratungs- und Erklärungsbedarf) festgesetzt werden, ohne dass dabei das Argument der Leistungsgerechtigkeit unter Berücksichtigung von Art und Umfang der Leistungen und der Kosten der Apotheken bei wirtschaftlicher Betriebsführung nochmals herangezogen werden dürfte. Weitere Probleme ergeben sich aus den Wechselwirkungen zur Änderungsregel für die AMPreisV (Näheres dazu im 2. Teil dieses Beitrags).

Im Geschäftsverkehr zwischen GKV und Apotheken ist der Kassenabschlag als eine Art Skonto zu verstehen. Denn gemäß § 130 (3) SGB V ist die Gewährung des Kassenabschlags an die fristgerechte Zahlung innerhalb von zehn Tagen nach Rechnungseingang gebunden. Das gilt bereits seit mehr als 100 Jahren, entsprechend den Regeln in der "alten" Reichsversicherungsordnung (RVO).

Eine komplette Abschaffung des Kassenabschlags könnte daher nicht gewollte und zugleich existenzbedrohende Folgen für Apotheken nach sich ziehen. Aktuelle Beispiele aus der EU, z. B. aus Griechenland oder Portugal, sollten als Warnung gegenüber den zahlreichen Appellen zu einer vollständigen Abschaffung des Kassenabschlages dienen. Denn trotz vieler Argumente gegen den Kassenabschlag bleibt die fristgerechte Zahlung ein wichtiger Aspekt für die Liquidität der Apotheken, der gerade in einer wirtschaftlich problematischen Situation bedeutsam sein kann.

Fazit

Die Arzneimittelpreisverordnung und der Kassenabschlag beruhen auf unterschiedlichen gesellschaftlichen und formal-juristischen Grundlagen. Das für alle Bürger verbindliche Öffentliche Recht stellt das höherrangige Rechtsgut im Vergleich zum Sozialrecht dar, zumal Letzteres nur für Versicherte der GKV relevant ist. Soweit die Eingriffe in die Arzneimittelpreisbildung auf eine faire Entlohnung der Apotheken für Gemeinwohlpflichten zielen, sollten diese demnach in der Arzneimittelpreisverordnung geregelt werden.* Zudem sollten die dort getroffenen Regeln nicht durch den Kassenabschlag ausgehebelt werden. Änderungen bei einem oder beiden Instrumenten führen zu Wechselwirkungen, auch wenn diese möglicherweise nicht beabsichtigt sind. Diese Wechselwirkungen werden im zweiten Teil dieses Beitrags beschrieben.

Für die Apotheker bedeutet die Unterscheidung zwischen Arzneimittelpreisverordnung und Kassenabschlag, dass sie das eine tun können, ohne das andere zu lassen. Einerseits sollten sie daher auch künftig Anpassungen des Festzuschlags einfordern und dabei besonders auf ein wirkungsvolles Anpassungsverfahren für die Zukunft drängen. Andererseits sollten sie bei den Verhandlungen mit den Krankenkassen anmahnen, dass die gestiegenen bürokratischen Belastungen beim Kassenabschlag ausgeglichen werden.

* Dabei ist auch an den (bisher) nur theoretischen Fall zu denken, dass Apotheken keinem Arzneiliefervertrag beitreten und daher keine GKV-Patienten versorgen (können). Auch für solche Apotheken müssen ordnungsrechtliche Bestimmungen gelten, wie sie z. B. für Ärzte ohne Kassenzulassung bestehen.


Autoren

Dipl.-Mathematiker Uwe Hüsgen, Essen, Apotheker und Dipl.-Kaufmann Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel



DAZ 2012, Nr. 40, S. 70

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