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Im Fokus
Was macht Tamiflu® ?
Unveröffentlichte Studiendaten lassen viele Fragen offen
Der Streit zwischen der Cochrane Collaboration – einem internationalen Netzwerk von Wissenschaftlern, das Informationen zur Evidenz von Therapien erarbeitet (s. Kasten) – und Roche über die vollständige Veröffentlichung von Studiendaten zu dem Neuraminidasehemmer Oseltamivir dauert nun schon mehrere Jahre.
Cochrane Collaboration
Die Cochrane Collaboration ist eine internationale gemeinnützige Organisation mit dem Ziel, aktuelle medizinische Informationen und Evidenz zu therapeutischen Fragen allgemein verfügbar zu machen. Dies geschieht durch die Erstellung, Aktualisierung und Verbreitung systematischer Übersichtsarbeiten ("systematic reviews"). Sie werden in einer Datenbank, der "Cochrane Database of Systematic Reviews" gesammelt und vierteljährlich als Teil der Cochrane Library publiziert. In Deutschland wird die Cochrane Collaboration derzeit vom Bundesministerium für Gesundheit sowie von der Medizinischen Fakultät der Universität Freiburg und dem Universitätsklinikum Freiburg gefördert.
Eine umstrittene Metaanalyse
Im Jahr 2003 hatte eine Metaanalyse von 10 Studien ergeben, dass Oseltamivir die Rate Influenza-bedingter Komplikationen wie Bronchitis und Pneumonie um 55% senken kann [Kaiser, L et al. Arch Intern Med, 2003]. Auf Basis dieser Metaanalyse wurde dann 2005 ein Cochrane-Review veröffentlicht, der der Oseltamivir-Behandlung eine entsprechende Wirksamkeit bescheinigte. Grundlage für dieses Ergebnis war die Auswertung von zehn Studien gewesen, die alle vom Hersteller oder von bezahlten Gutachtern durchgeführt worden waren. Allerdings lagen acht der zehn Studien der Metaanalyse gar nicht oder nur als Abstract vor. Als dies bekannt wurde, wollten die Cochrane-Autoren mithilfe der vollständigen Daten ihre Bewertung überprüfen, doch sie konnten nicht auf die Daten zurückgreifen. 2009 kam es zu einem Eklat. Roche versprach daraufhin, die Daten zur Verfügung zu stellen. Deshalb wurde 2009 ein Update des Cochrane Reviews erstellt, bei dem auf die Analyse der acht umstrittenen Studien verzichtet worden war. Insgesamt konnten die Autoren 20 randomisierte placebokontrollierte Studien mit Oseltamivir und Zanamivir auswerten: Vier zur Prophylaxe, zwölf zur Therapie und vier zur Postexpositionsprophylaxe.
Keine Reduktion von Komplikationen
Auf Basis der auswertbaren Studien ließ sich keine Evidenz mehr für eine Reduktion Influenza-bedingter Komplikationen der unteren Atemwege (Bronchitis, Pneumonie) feststellen. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass Neuraminidasehemmer Influenza-bedingte Symptome bei ansonsten gesunden Erwachsenen nur mäßig lindern. Zwar wurde den Substanzen eine Wirksamkeit in der Postexpositionsprophylaxe einer Influenza bestätigt, aber belastbare Daten, die eine Reduktion von Influenza-bedingten Komplikationen durch Neuraminidasehemmer bestätigen, sollen nicht vorgelegen haben. 2010 wurde dieses Update offiziell zurückgezogen, weil wegen der unvollständigen Daten keine eindeutigen Aussagen zu treffen waren.
Roche gewährte Einblick in Studien – Cochrane fehlen weiterhin Daten
Nun haben die Cochrane-Autoren einen weiteren Anlauf zur Bewertung der Neuraminidasehemmer unternommen und die Hersteller GlaxoSmithKline und Roche um weiteres Datenmaterial gebeten. Die Bewertung von Zanamivir wurde verschoben, weil der Hersteller GlaxoSmithKline auf Nachfrage weitere Daten vorgelegt hat, die zurzeit ausgewertet werden. Auch Roche hat nach eigenen Angaben der Cochrane Collaboration Zugang zu 3200 Seiten mit detaillierten Studiendaten gewährt, auf denen Antworten auf die offenen Fragen zu finden sein sollten (s. Roche-Stellungnahme). Doch nach Auskunft der Cochrane-Autoren konnten damit selbst einfache Fragen wie "Reduziert Tamiflu das Risiko für Influenza-Komplikationen?" aufgrund unvollständiger Daten nicht beantwortet werden. Roche verweist auch darauf, unter www.roche-trials.com alle von Roche gesponserten klinischen Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit veröffentlicht zu haben. Aber hier finden sich häufig nur Studien-Zusammenfassungen des Herstellers. Über einen Passwort-geschützten Zugang hatten die Cochrane-Autoren zwar die Möglichkeit, auf weitere Details ausgewählter Studien zurückzugreifen, doch fehlten auch hier wichtige Daten. Nach wie vor warten sie nicht nur auf die unveröffentlichten Daten der Metaanalyse von Kaiser, sondern auch auf die vollständige Veröffentlichung aller Phase-III-Studien. Nach Aussage Jeffersons fehlen hier die Daten von etwa 60% aller Teilnehmer. Darunter soll sich auch die größte bei Erwachsenen mit Oseltamivir durchgeführte randomisierte klinische Studie mit 1400 Patienten befinden.
Stellungnahme von Roche
Wir haben die Roche Pharma AG gebeten, zu den Vorwürfen der Cochrane Collaboration Stellung zu beziehen und haben zur Frage nach der Datentransparenz folgende Antwort erhalten:
"Roche hat den Gesundheitsbehörden weltweit vollständige Daten aus klinischen Studien mit Tamiflu im Rahmen des Zulassungsverfahrens zur Verfügung gestellt. Es ist Aufgabe der globalen Gesundheitsbehörden, detaillierte Informationen zu Medikamenten in einer Benefit/Risk Untersuchung zu prüfen.
Alle abgeschlossenen, von Roche initiierten klinischen Studien zur Untersuchung der Sicherheit und Wirksamkeit von Tamiflu stehen in Veröffentlichungen (‚peer reviewed’ Fachjournalen) oder als Zusammenfassungen auf www.roche-trials.com zur Verfügung. Detailliertere klinische Studienberichte sind auf Passwort-geschützten Websites zugänglich, um Forschern die Verifizierung der Ergebnisse dieser Studien und Publikationen zu ermöglichen. Roche hat Cochrane Zugang zu 3200 Seiten detaillierter Informationen gegeben, die die Beantwortung ihrer Fragen ermöglichten."
Auf Nachfrage, ob hier alle Daten der Phase-III-Studien und auch die Daten zu den acht unveröffentlichten Studien der Metaanalyse von Kaiser enthalten waren, erhielten wir keine Antwort. Es wurde darauf verwiesen, dass alle Medien, die hierzu Fragen stellen, die oben aufgeführte Antwort erhalten.
Weiterhin hat Roche folgende Statements zu Funktion, Wirksamkeit und Nebenwirkungen abgegeben:
"Anders als bei nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten, welche lediglich die Symptome mildern, stoppt Tamiflu die Vermehrung des Influenza-Virus. Das Medikament greift genau an den Punkten der Virusvermehrung an. Tamiflu ist ein antivirales, oral zu verabreichendes Medikament, nachweislich wirksam und im Allgemeinen gut verträglich für die Behandlung und Vorbeugung einer Influenza bei Erwachsenen und Kindern (1 Jahr und älter).
Roche steht hinter den Daten, die die Wirksamkeit und Sicherheit von Tamiflu belegen.
- Zahlreiche klinische Studien und Erfahrungen aus der klinischen Praxis haben gezeigt, dass Tamiflu wirksam die Schwere und Dauer von Influenza-Symptomen und spezifische Sekundärkomplikationen reduziert. Daten, die aus der ‚Schweinegrippe‘ H1N1-Pandemie von 2009 erhalten wurden, bestätigen darüber hinaus, dass Tamiflu wirksam und gut verträglich ist. Zudem wurde gezeigt, dass das Risiko von Komplikationen, die Anzahl von Patienten auf Intensivstationen und die Länge des Krankenhausaufenthaltes reduziert und die Überlebenschancen verbessert wurden.
- Untersuchungen von Gesundheitsbehörden und unabhängigen Forschungsgruppen zeigen, dass Tamiflu während der Pandemie Leben gerettet und Krankenhausaufenthalte reduziert hat. Ähnliche Beobachtungen wurden auch während der saisonalen Grippe gemacht.
- Tamiflu wurde bisher zur Grippe-Behandlung und Prävention bei 90 Millionen Menschen in über 80 Ländern eingesetzt – darunter 20 Millionen Kinder
Es ist es sehr wichtig, dass Ärzte jeglichen Verdacht auf Nebenwirkungen an uns berichten, so dass wir diesen untersuchen können. Wir beobachten kontinuierlich Meldungen zu auftretenden Nebenwirkungen und benachrichtigen die entsprechenden regulatorischen Behörden. Ärzte haben somit jederzeit die aktuellsten Informationen, wenn sie das Medikament verschreiben möchten. Informationen über mögliche Nebenwirkungen sind in der Packungsbeilage aufgeführt."
Nur schnellere Symptomlinderung bestätigt
In dem soeben veröffentlichten Cochrane-Review haben die Autoren daher aufgrund der unbefriedigenden Situation auf die Durchführung einer zunächst geplanten Metaanalyse verzichtet. Mithilfe von unveröffentlichten Daten, die sie unter anderem von Überwachungsbehörden erhalten hatten, konnten sie lediglich eine Aussage zur Wirkung von Oseltamivir auf die Symptomdauer und die Hospitalisierungsrate treffen. Danach kann Oseltamivir die Dauer grippeähnlicher Symptome von durchschnittlich 160 Stunden um 21 Stunden reduzieren, die Zahl der Krankenhauseinweisungen dagegen nicht.
Beeinflusst Oseltamivir die Antikörperbildung?
Die Frage, ob Oseltamivir vor einer Influenzainfektion schützt, konnten die Autoren nicht eindeutig beantworten. Diskutiert wird, dass eine Oseltamivir-Prophylaxe die Influenza-Antikörperbildung reduziert, so dass die zum Nachweis einer Infektion herangezogene Antikörperbestimmung zu falschen Ergebnissen geführt haben könnte. Roche erklärte dagegen auf Nachfrage, dass die normale humorale Antikörperreaktion des Körpers auf eine Influenzainfektion durch Oseltamivir nicht beeinflusst wird.
Ungereimtheiten bei Nebenwirkungen
Auch im Hinblick auf Nebenwirkungen traten bei der Auswertung nicht publizierter Daten Ungereimtheiten auf. Als Beispiel führte Jefferson eine der beiden meist zitierten Oseltamivir-Studien an, in der es heißt: " …there were no drug-related serious adverse events", in den unveröffentlichten Daten seien dagegen durchaus Hinweise auf schwerwiegende Oseltamivir-induzierte Nebenwirkungen gefunden worden. Neben gastrointestinalen Nebenwirkungen handelt es sich dabei vor allem um neurologische Komplikationen wie Krampfanfälle, Bewusstseinstrübung, abnormales Verhalten, Depressionen, Wahn, Panikattacken, Halluzinationen und Delir. Schon 2008 hatte die FDA aufgrund von teilweise spektakulären Meldungen – insbesondere bei Kindern und Jugendlichen – angeordnet, dass in den Fachinformationen sowohl von Oseltamivir als auch von Zanamivir auf solche Nebenwirkungen verwiesen wird. Man ging von einem Klasseneffekt aus, wobei allerdings auch diskutiert wurde, dass eine Influenza-Infektion ebenfalls solche Symptome hervorrufen kann.
Fiebersenkung durch zentrale Oseltamivir-Wirkung?
Darüber hinaus hinterfragen die Cochrane-Autoren in ihrem neuen Review die Wirkweise von Oseltamivir. Bislang ging man davon aus, dass Oseltamivir durch Neuraminidasehemmung die Virusvermehrung stoppt. Aufgrund dieser Eigenschaften soll Oseltamivir die Symptomdauer nach erfolgter Infektion verkürzen. Für die Cochrane-Autoren ist es jedoch ungeklärt, auf welchem Weg Oseltamivir die Symptomdauer reduziert. Sie spekulieren, dass eine direkte zentrale und unspezifische antipyretische Wirkung eher für diesen Effekt verantwortlich ist als der antivirale Wirkungsmechanismus. Zudem haben die Autoren Hinweise auf eine gedrosselte Immunantwort unter Oseltamivir gefunden, die mit einer reduzierten Freisetzung proinflammatorischer Cytokine einhergeht und somit zu weniger ausgeprägten Influenza-Symptomen führen könnte. Auf Nachfrage der DAZ zu einer zentralen Wirkung von Oseltamivir erklärte Roche, dass gezeigt worden sei, dass keine nennenswerten Mengen von Oseltamivir beziehungsweise dessen (aktiven) Metaboliten ins ZNS gelangen. Von den sehr kleinen Mengen, die ins Zentralnervensystem eindringen, würden weder Oseltamivir (noch dessen Metaboliten) in einem nennenswerten Ausmaß an ZNS-Rezeptoren binden. Daher könne die Hypothese einer zentralen Wirkung nicht unterstützt werden. Oseltamivir sei ein Neuraminidasehemmer, der Mechanismus sei beschrieben, eine umfassende Überprüfung des Wirkungsmechanismus von Moscona 2005 im New England Journal of Medicine publiziert worden.
"Wirkungsmechanismus überprüfen!"
Die Cochrane-Autoren fordern jedoch eine unabhängige Überprüfung des Wirkungsmechanismus von Oseltamivir unter besonderer Berücksichtigung potenzieller zentraler Wirkungen des Wirkstoffs. Die Ergebnisse könnten helfen, sich ein klareres Bild über den Einfluss von Oseltamivir auf Influenza-bedingte Komplikationen, Nebenwirkungen und die Antikörperbildung zu verschaffen.
BfArM prüft Cochrane-Review
Der neue Cochrane-Review beschäftigt jetzt auch die Überwachungsbehörden. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) teilte auf Nachfragen mit, dass der Review jetzt zunächst sorgfältig geprüft werde. Bis dahin lasse sich aber bereits festhalten, dass im Zulassungsverfahren von Tamiflu® auch die nicht publizierten Studien berücksichtigt worden sind. Dies sei grundsätzlich in allen Zulassungsverfahren üblich. Gleichzeitig wurde beteuert, dass sich nach derzeitigem Kenntnisstand an der positiven Nutzen-Risiko-Bewertung von Tamiflu® bei bestimmungsgemäßer Verwendung nichts geändert habe. Die derzeit als Kritikpunkte genannten Aspekte zur Wirksamkeit und zum Nebenwirkungsprofil seien bereits in die Zulassungsentscheidung eingeflossen und damit keinesfalls neu. Sie würden sich insofern auch in der Fach- und Gebrauchsinformation von Tamiflu® finden, die auf der Internetseite der Europäischen Zulassungsbehörde EMA veröffentlicht sind.
Literatur
http://tinyurl.com/editorialneuraminidase
Kommentar
Warten auf Antwort
Zu Zeiten von Vogel- und Schweinegrippe waren Neuraminidasehemmer, allen voran Oseltamivir (Tamiflu®), große Hoffnungsträger. Sie sollten nicht nur bei schon Infizierten den Krankheitsverlauf mildern und schwere Komplikationen wie Lungenentzündungen und Todesfälle verhindern. Sie sollten auch im Rahmen einer Postexpositionsprophylaxe potenziell Infizierte vor einem Grippeausbruch schützen und im Pandemiefall helfen, die Zeit bis zur Bereitstellung eines Grippeimpfstoffes zu überbrücken. Alleine in Deutschland wurden 200 Millionen Euro in die Bevorratung mit Tamiflu® investiert, weltweit machte Roche Milliardenumsätze. Doch es scheint immer noch nicht klar zu sein, ob die beiden Hoffnungsträger die in sie gesetzten Erwartungen auch erfüllen können. Zweifel hegt und hegte immer wieder die Cochrane Collaboration. Sie hatte zwar 2005 eine positive Bewertung abgegeben, dann aber feststellen müssen, dass sie wichtige Aussagen zu Oseltamivir auf Basis der zugänglichen Daten nicht verifizieren konnte. Das wollte sie nachholen und hatte Roche um Übermittlung der nicht zugänglichen Daten gebeten, ohne Erfolg. 2009 kam es zu einem Eklat. Mangels Daten hatten die Cochrane-Autoren ein Update nur anhand solcher Studien vorgenommen, die für sie vollständig zugängig waren, mit entsprechend ernüchterndem Ergebnis: Oseltamivir wurde lediglich ein geringer Einfluss auf die Krankheitssymptomatik und ein gewisser Erfolg in der Postexpositionsprophylaxe bescheinigt, einen Beleg für eine Reduktion Influenza-bedingter Komplikationen konnten die Autoren nicht finden. In der renommierten Zeitschrift British Medical Journal wurde die Informationspolitik von Roche heftig kritisiert und die Veröffentlichung aller Daten aus klinischen Studien gefordert. Roche gelobte damals Besserung und wollte alle Studiendaten offenlegen, die Cochrane Collaboration wollte erneut prüfen. Sie hat wohl auch weitere Daten erhalten. So wurde ihr unter anderem ein Zugang zu 3200 Seiten mit Studiendaten gewährt. Doch Antworten auf die Fragen, die Cochrane-Wissenschaftler suchten, sollen dort ebenso wenig zu finden gewesen sein wie unter www.roche-trials.com.
Gegenüber der DAZ beteuert Roche, dass fast 80% der klinischen Daten zu Tamiflu® durch Publikationen oder online in Form vollständiger Core Reports der Wissenschaftsgemeinde zur Verfügung gestellt worden seien. Die meisten noch ausstehenden Daten würden Studien betreffen, die erst kürzlich abgeschlossen wurden. Roche arbeite daran, diese auch öffentlich zur Verfügung zu stellen.
Die Cochrane Collaboration sucht dagegen immer noch detaillierte Angaben zu der Metaanalyse von Kaiser aus dem Jahr 2003. Denn bei den klinischen Studien, die eine Überlegenheit gegenüber Placebo zeigen, soll es sich um die acht nicht oder nur als Abstract publizierten Studien der Metaanalyse handeln. Darüber hinaus vermissen die Cochrane-Autoren Daten von 60% aller Phase-III-Studienteilnehmer.
Auf unsere Nachfrage bei Roche, ob sich auf den Seiten, die Roche als Informationsquelle zur Verfügung gestellt hat, alle vollständigen Daten der Phase-III-Studien befanden und ob Cochrane Zugang zu allen Daten der Metaanalyse von Kaiser hatte, also auch zu den acht umstrittenen Studien, erhielten wir keine klare Antwort. Ausweichend wurde mit dem Hinweis geantwortet, dass alle Medien zu diesen Anfragen die gleiche Antwort erhalten und es folgt der Verweis auf die 3200 Seiten und www.roche-trials.com (s. Roche-Stellungnahme).
Das schürt Argwohn. Vorwürfe wie Datenunterdrückung und Datenmanipulation durch Roche stehen im Raum. Auch ein eklatanter Widerspruch in der Beurteilung durch Überwachungsbehörden harrt der Klarstellung: So ist Roche in den USA von der FDA untersagt worden, zu behaupten, dass Tamiflu Influenza-Folgekomplikationen wie bakterielle Infektionen verhindere – das sei nicht gezeigt worden. Im Gegensatz dazu stellt die EMA in der "Summary of Product Characteristics" fest, dass Oseltamivir signifikant die Inzidenz von unteren Atemwegs-Komplikationen bei Erwachsenen und über 13-Jährigen reduziert.
Roche betont, dass es Aufgabe der globalen Gesundheitsbehörden sei, detaillierte Informationen zu Medikamenten in einer Nutzen/Risiko-Abwägung zu prüfen. Das ist wohl richtig. Aber wenn man der Cochrane-Collaboration – einem hoch angesehenen Zusammenschluss von unabhängigen Wissenschaftlern, deren Aussagen zur Evidenz einen hohen Stellenwert besitzen – über Jahre wichtige Informationen vorenthält, dann muss davon ausgegangen werden, dass die Zweifel an der Wirksamkeit, dem Sicherheitsprofil und dem postulierten Wirkungsmechanismus nicht unberechtigt sind. Roche hatte und hat es immer noch in der Hand, diese Zweifel zu beseitigen. Nicht nur die Cochrane-Autoren warten darauf, auch Ärzte, Apotheker, Patienten und nicht zuletzt der Steuerzahler.
Dr. Doris Uhl, Redakteurin der Deutschen Apotheker Zeitung
DAZ 2012, Nr. 4, S. 84
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