DAZ aktuell

Von Schlecker (nicht) lernen ...

Reinhard Herzog

Die Insolvenz der Drogeriemarktkette Schlecker kam für Insider nicht völlig überraschend. Doch ist solch ein Ereignis, bei dem gut 6 Mrd. Euro Umsatz und über 30.000 Arbeitsplätze im Feuer stehen, immer für einen Paukenschlag gut. Und für Häme, die sich nun reichlich ergießt. Dass der "Markt" es dem scheinbaren Sinnbild für Geiz und Mitarbeiterausbeutung gezeigt hat und nun quasi der gerechten Bestrafung zuführt, diese Sichtweise wird beim Blick in zahlreiche Foren überdeutlich. Wie das Ganze indes am Schluss ausgehen wird – ein Plan-Insolvenzverfahren in einem so großen und in zahlreichen Gesellschaften verschachtelten Betrieb kann zu Überraschungen von allen Seiten führen – das dürfte bis zur letzten Minute spannend bleiben.

Doch was lässt sich an dieser Stelle lernen?

Zum einen steht das strikte Kostenmanagement, ja der sprichwörtliche Geiz im Mittelpunkt. Niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen, möglichst günstige Mieten, Sparen an allen, bisweilen kuriosen Ecken – dafür stand früher Schlecker. Eine gewisse Trendwende wurde jüngst eingeleitet, offenbar zu spät. Doch ist die Geizhals-Mentalität das Kernproblem? Andere Discounter, aber auch viele Zulieferbetriebe oder Logistiker treten in sehr taffer Weise auf die Kostenbremse, sind mitnichten als "Kuschelarbeitgeber" bekannt – und sind doch erfolgreich.

Das Problem liegt tiefer. Schlecker hat in die Fläche expandiert, in einer Form, dass er sich selbst Konkurrenz gemacht hat. Es gibt Kleinstädte mit einem halben Dutzend seiner Märkte. Der Umsatz je Filiale war über Jahre hinweg auf rund 500.000 Euro festgenagelt. Die Konkurrenten Rossmann und dm erzielen das Vier- oder gar Sechsfache. Je Quadratmeter Verkaufsfläche erzielen diese beiden Konkurrenten ebenfalls weit mehr, nämlich doppelt bis dreimal so viel Umsatz. Schleckermärkte sind nicht nur vergleichsweise klein, sondern selbst auf dieser kleinen Fläche mangelt es u. a. infolge geringer Attraktivität an Flächenproduktivität. Eine schlimmere Kombination kann es nicht geben. Bei solchen Umsätzen ist irgendwann nichts mehr "gesund zu sparen", man ist auf dem harten Betonboden der nicht mehr unterschreitbaren Minimalkosten angekommen. Jeder Umsatzrückgang schneidet von da an ins Fleisch, und genau diese Rückgänge hat es, nicht zuletzt imagebedingt, gegeben.

An diesem Punkt wird es für manche Apotheken interessant. Hier haben wir ebenfalls einige "Mini-Könige" (und etliche Kollegen wären gerne so ein "local hero"), die versuchen, systematisch ihren Markt "abzuriegeln" – Filialen machen es möglich. Da werden auch schwache Betriebe gehalten, liegen die Apotheken so dicht zusammen, dass sie sich zu einem guten Teil selbst Konkurrenz machen – und das bei sinkenden Margen! Sie laufen, auf kleiner Ebene, in dieselbe Gefahr wie Schlecker: In dem Moment, wo die Erträge den Rückwärtsgang einlegen, wird es rasch eng.

Ein weiteres Erfolgsgeheimnis des Einzelhandels ist das Jonglieren mit dem Einkaufen, Verkaufen und dem letztlichen Bezahlen der Waren. Ohne Rabatte, Skonti und insbesondere Valuten der Lieferanten sähe es für viele Beteiligten ganz finster aus. Mit anderen Worten: Viele Händler stecken in großen Abhängigkeiten von ihren Lieferanten. Zwar brauchen die Lieferanten genauso die Händler, aber insbesondere bei starken, global agierenden Markenherstellern können sich die Kräfteverhältnisse zwischen Handel und Industrie schnell verschieben. Das gilt vor allem, wenn der Händler keine prosperierenden Absatzzahlen mehr vorzuweisen hat. Erkennen Sie sich wieder? Wie sehr die Apotheke in der Hand ihrer Lieferanten ist, diese Lehrstunde wird ja gerade wieder aufs Neue schmerzhaft erteilt.

Bleibt zu guter Letzt der persönliche Aspekt. Schlecker ist durch die Dominanz seines Inhabers fulminant bis zum Marktführer gewachsen – und an dieser Dominanz jetzt gescheitert. Solche gescheiterten Unternehmerkarrieren haben wir in den letzten Jahren einige erlebt. Der Vorteil des auf einzelne Personen fixierten, durchsetzungsstarken Unternehmergeistes schlägt in massive Probleme um, wenn die Menschen ihre Erfolgsspur oft über Jahre hinweg unmerklich verlassen, und stattdessen Starrsinn, Inflexibilität, Selbstüberschätzung und bisweilen auch schlichte Gier die Überhand gewinnen. Hier kann man nur jedem raten, seine Fähigkeiten zur Selbsteinschätzung und Selbstbeobachtung sorgsam zu kultivieren und auf die Signale, die das Umfeld meist schon lange vor dem Aufkommen manifester Schwierigkeiten aussendet, zu achten.

In diesem Zusammenhang besonders gefährlich ist das Festhalten an überkommenen Strukturen und das Unvermögen anzuerkennen, dass sich die Welt und ihre Märkte im Fluss befinden. Es ist töricht, Realitäten zu ignorieren, und doch geschieht dies laufend. Was gestern noch erfolgsträchtig war, ist morgen schon überholt. Es ist eine bittere Erkenntnis, dass viele, ehemals sogar sehr potente Unternehmen eher pleitegehen, als selbst diesen Wandel (wofür sie in guten Zeiten alle Mittel gehabt hätten ...) hinzubekommen. Schlecker ist dafür das aktuellste, aber keineswegs das einzige Beispiel. Kluge Menschen nehmen das als Warnung und Anregung zugleich.


Reinhard Herzog


Dr. Reinhard Herzog ist Apotheker, Fachautor und Dozent. E-Mail: Heilpharm.andmore@t-online.de



DAZ 2012, Nr. 4, S. 42

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