Arzneimittel und Therapie

Rivaroxaban vereinfacht die Antikoagulation:

Breite Anwendung für den Faktor-Xa-Inhibitor

Für den oralen Gerinnungshemmer Rivaroxaban (Xarelto®) wurde die EU-Zulassung um zwei Indikationen erweitert: 1. die Behandlung tiefer Venenthrombosen (TVT) sowie die Prävention wiederkehrender TVT und Lungenembolien nach akuter TVT und 2. die Prävention von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei erwachsenen Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und einem oder mehreren Risikofaktoren.

In den zulassungsrelevanten Studien konnte der Faktor-Xa-Inhibitor seine Nicht-Unterlegenheit gegenüber dem bisherigen Standardregime belegen. Mit Rivaroxaban ist eine Monotherapie bei täglicher Einmalgabe möglich. Routinemäßige Gerinnungskontrollen sind nicht erforderlich. Insgesamt wird die Therapie einfacher.

Tiefe Bein-und Beckenvenenthrombosen entstehen, wenn Leit- und Muskelvenen durch einen Thrombus teilweise oder vollständig verschlossen werden. Eine potenziell lebensbedrohliche Komplikation der tiefer Venenthrombosen ist die Lungenembolie. Sie hängt als Damoklesschwert über den Patienten, so Prof. Dr. Knut Kröger, Direktor der Klinik für Angiologie am Helios Klinikum Krefeld, auf einer von Bayer Health Care veranstalteten Pressekonferenz am 21. November 2011 in Köln. Besonders hoch ist die Gefahr einer Lungenembolie bei Patienten mit Vorhofflimmern (VHF). Von den 220.000 Schlagfällen pro Jahr in Deutschland stehen etwa 40.000 im Zusammenhang mit VHF. Bei venösen Thromboembolien (VTE) werden in der Akutsituation meist über einige Tage niedermolekulare Heparine eingesetzt, kombiniert mit einem Vitamin-K-Antagonisten (VKA), der dann zur Prophylaxe längerfristig fortgeführt wird. Dieses Regime gilt zwar als gut wirksam. Das therapeutische Fenster ist allerdings schmal. Zudem, so Kröger, "können die erforderlichen VKA-Dosen inter- und intraindividuell stark schwanken und es gibt zahlreiche Wechselwirkungen mit Arznei- und Nahrungsmitteln". Regelmäßige Gerinnungskontrollen seien deshalb unvermeidbar.

Umfangreiche Zulassungserweiterung

Mit dem oralen Gerinnungshemmer Rivaroxaban werden Akuttherapie und Prävention von venösen Thromboembolien einfacher. Bislang war Rivaroxaban nur zur Prophylaxe venöser Thromboembolien nach elektiver Hüft- oder Kniegelenksersatzoperation zugelassen. Am 19. Dezember 2011 erweiterte die europäische Kommission die Zulassung um zwei Indikationen:

  • Behandlung von tiefen Venenthrombosen sowie Prävention wiederkehrender tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien nach einer akuten tiefen Venenthrombose. Die Zulassung basiert auf den Ergebnissen der Phase-III-Studien EINSTEIN-DVT und EINSTEIN-Extension.

  • Prävention von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei erwachsenen Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und einem oder mehreren Risikofaktoren. Die Zulassung basiert auf den Ergebnissen der ROCKET-AF-Studie.

Generell darf Rivaroxaban nur bei Erwachsenen eingesetzt werden.

EINSTEIN-DVT zeigt Nicht-Unterlegenheit

Die EINSTEIN-DVT(deep vein thrombosis)-Studie ist eine randomisierte, offene ereignisgesteuerte Studie zum Nachweis der Nicht-Unterlegenheit von Rivaroxaban gegenüber dem Standardregime. Eingeschlossen wurden 3449 Patienten mit akuter symptomatischer tiefer Venenthrombose ohne symptomatische Lungenembolie. Sie erhielten entweder Rivaroxaban zweimal täglich 15 mg über drei Wochen gefolgt von einmal täglich 20 mg (n = 1731) oder Enoxaparin s.c. in Kombination mit einem Vitamin-K-Antagonisten im üblichen Regime (n = 1718). Der Behandlungsdauer von drei, sechs oder zwölf Monaten schloss sich eine 30-tägige Nachbeobachtungsphase an. Primärer Wirksamkeitsendpunkt waren symptomatische rezidivierende VTE (Kombination aus tiefen Venenthrombosen und tödlichen oder nicht-tödlichen Lungenembolien). Rivaroxaban war in dieser Vergleichsstudie mindestens ebenso wirksam wie die Kombination aus NMH und Vitamin-K-Antagonisten. Symptomatische rezidivierende venöse Thromboembolien traten bei 2,1% gegenüber 3,0% auf (p < 0,001 für Nicht-Unterlegenheit). Schwere und nicht-schwere klinisch relevante Blutungen, definiert als primärer Sicherheitsendpunkt, waren mit jeweils 8,1% ebenfalls vergleichbar häufig. "Im Gesamtnutzen, also der Kombination aus symptomatischen VTE und schweren Blutungen, war Rivaroxaban schließlich signifikant überlegen", folgerte Prof. Dr. Rupert Bauersachs, Darmstadt.

EINSTEIN-EXT: in der Verlängerung Placebo überlegen

In der EINSTEIN-EXT(ension)-Studie wurde dann die Wirksamkeit von Rivaroxaban in der verlängerten Sekundärprophylaxe mit Placebo verglichen. Patienten, die in der EINSTEIN-DVT über sechs oder zwölf Monate mit Rivaroxaban oder Vitamin-K-Antagonisten behandelt worden waren, erhielten entweder einmal täglich 20 mg Rivaroxaban (n = 602) oder Placebo (n = 594) über weitere sechs oder zwölf Monate mit einer Nachbeobachtungsdauer von 30 Tagen. In dieser Verlängerungsphase war Rivaroxaban Placebo klar überlegen mit einer Senkung des Risikos für symptomatisch rezidivierende venöse Thromboembolien um 82%. (1,3% versus 7,1%). Die Inzidenz schwerer Blutungen war etwa vergleichbar mit 0,7% unter Rivaroxaban und 0,0% unter Placebo.

Rivaroxaban zur Schlaganfallprophylaxe bei VHF

Die ROCKET-AF-Studie prüfte den Nutzen von Rivaroxaban in der Schlaganfallprophylaxe bei Patienten mit nicht-valvulärem VHF. In die doppelblinde Phase-III-Studie wurden 14.262 Patienten mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern und einem moderaten bis hohen Schlaganfallrisiko randomisiert, die gemäß den ESC-Leitlinien von 2006 für eine Antikoagulation mit einem Vitamin-K-Antagonisten geeignet waren. Verglichen wurden täglich einmal 20 mg Rivaroxaban (15 mg bei einer Kreatinin-Clearance zwischen 30 und 49 ml/min) mit einmal täglich Warfarin. Behandelt wurde über 21 bis 41 Monate mit einer Nachbeobachtungszeit von 30 Tagen. Das Durchschnittsalter lag bei 73 Jahren, 25% der Patienten waren älter als 78 Jahre. Primärer Wirksamkeitsendpunkt war die Kombination aus Schlaganfall und systemischen Embolien außerhalb des zentralen Nervensystems. Ziel war auch hier, die Nicht-Unterlegenheit von Rivaroxaban gegenüber Warfarin nachzuweisen. Bestätigt wurde dies in der Analyse der Per-Protokoll-Population mit einer Ereignisrate von 1,7% unter Rivaroxaban gegenüber 2,2% unter Warfarin (p < 0,001 für Nicht-Unterlegenheit). In der ITT-Population lag die Ereignisrate bei 2,1% versus 2,4%, entsprechend einer Signifikanz von p < 0,001 für Nicht-Unterlegenheit und p = 0,12 für Überlegenheit. Schwere und nicht schwere klinisch relevant Blutungen waren vergleichbar häufig (14,9% unter Rivaroxaban, 14,5% unter Warfarin).

Kein regelmäßiges Gerinnungsmonitoring

Der Nutzen von Rivaroxaban ist in allererster Linie eine Vereinfachung der Antikoagulation bei den zugelassenen Indikationen. Es wird als Monotherapie mit einer täglichen Einmalgabe eingesetzt und fördert dadurch auch die Compliance. Die Dosierung ist unabhängig von Alter, Geschlecht und Körpergewicht. Klinisch relevante Wechselwirkungen sind selten, diätetische Einschränkungen nicht erforderlich. Auch ein routinemäßiges Gerinnungsmonitoring ist im Gegensatz zu Vitamin-K-Antagonisten nicht erforderlich. Wichtig aber ist, dass der Patient sein Medikament regelmäßig einnimmt. Da die neuen oralen Antikoagulanzien eine deutlich geringere Halbwertszeit haben als Vitamin-K-Antagonisten, besteht bei mangelnder Compliance die Gefahr, dass der Patient in den subtherapeutischen Bereich gelangt. Darüber muss informiert werden. Nach Einschätzung der Experten sollten dennoch Patienten, die gut auf einen Vitamin-K-Antagonisten eingestellt sind, nicht umgestellt werden.


Apothekerin Dr. Beate Fessler



DAZ 2012, Nr. 4, S. 49

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