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Ernährung aktuell
Vitamin C in der Prävention – welche Dosis ist „optimal“?
Ascorbinsäure ist aufgrund ihrer stark reduzierenden Eigenschaften an zahlreichen Stoffwechselprozessen beteiligt. Von Bedeutung ist die Mitwirkung des Vitamins an Hydroxylierungsreaktionen, die durch Mono- und Dioxygenasen katalysiert werden. Dazu zählen [12; 22; 26; 30]:
Hydroxylierung von Prolin- und Lysinresten im Zuge der Kollagensynthese (Enzyme: Prolyl- und Lysyl-Hodroxylasen; physiologische Relevanz: Quervernetzung von Kollagenfibrillen und Integrität des Bindegewebes)
Hydroxylierung von Trimethyllysin im Rahmen der endogenen Carnitinsynthese (Enzym: Trimethyllysin-Hydroxylase; physiologische Relevanz: oxidativer Fettsäureabbau)
Hydroxylierung von Dopamin bei der Noradrenalinsynthese (Enzym: Dopamin-β-Monooxygenase; physiologische Relevanz: Neurotransmission)
Amidierung von Peptiden mit C-terminalem Glycin im Zuge der Synthese von Peptidhormonen wie Gastrin, Cholecystokinin, Calcitonin, Vasopressin und Oxytocin (Enzym: Peptidylglycin-amidierende Monooxigenase; physiologische Relevanz: endokrine Regulation)
Hydroxylierung der α-Untereinheit des Transkriptionsfaktors HIF (physiologische Relevanz: Steuerung der Genexpression)
Nicht-enzymatische Funktionen von Ascorbinsäure umfassen:
Beteiligung bei der Eisenübertragung vom Transportprotein Transferrin auf das Eisenspeicherprotein Ferritin
Detoxifikation zahlreicher Verbindungen in der Leber über die Stimulation der Cytochrom-P450-Synthese
Förderung der intestinalen Aufnahme von Eisen, indem schlecht absorbierbares Fe3+ durch Ascorbinsäure in das besser verfügbare Fe2+ überführt wird bzw. dadurch, dass Ascorbinsäure der Bildung unlöslicher Eisen-Tannin- und -Phytatkomplexen entgegenwirkt
Beteiligung an der antioxidativen Abwehr im hydrophilen Kompartiment der Körperzellen.
Insbesondere aufgrund seiner antioxidativen Aktivität wird Vitamin C seit Längerem mit protektiven Wirkungen in Zusammenhang gebracht [9]. So schützt Vitamin C z. B. LDL-Partikel vor oxidativer Schädigung [8 – 9], verbessert die Endothelfunktion [1; 10; 18], hemmt das Entzündungsgeschehen (Reduktion von C-reaktivem Protein; CRP) [2] und senkt den Blutdruck [15]. Auch ist unter der Gabe von Vitamin C eine Abnahme der Konzentration an 8-Hydroy-2‘-Desoxyguanosin, einem etablierten Marker für oxidativ geschädigte DNA, zu beobachten [31]. Die Hypothese, dass Vitamin C das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Tumorerkrankungen senkt, ist also naheliegend [3; 5].
Tab. 1: Ausgewählte Meilensteine der Vitamin-C-Historie [6] | |
Jahr |
Ereignis |
1497 |
Vasco da Gama (Spanien) verliert bei der Umsegelung von Kap Horn über 100 Seeleute seiner 160 Mann starken Besatzung durch Skorbut. |
1535 |
Jaques Cartier (Frankreich) erkennt die Bedeutung frischen Obstes für die Behandlung von Skorbut. |
1753 |
Lind (England) beschreibt in seinem Buch „A Treatise of the Scurvy“ den Krankheitsverlauf und die Krankheitserscheinung von Skorbut. |
1775 |
Cook (England) beweist als erster, dass nicht allein die langen Seereisen für das Auftreten von Skorbut verantwortlich sind. |
1907 |
Holst und Fröhlich (Deutschland) erzeugen experimentell Skorbut beim Meerschweinchen. |
1921 |
Zilva entdeckt den Anti-Skorbut-Faktor in Zitronensaft. |
1928 bis 1932 |
Szent-Györgyi (Ungarn) und Svirbely sowie Waugh und King veröffentlichen unabhängig voneinander die Isolierung von Hexuronsäure und identifizieren sie als Anti-Skorbut-Faktor. |
1933 |
Harworth (USA) bestimmt die Konfiguration der Hexuronsäure. Wenig später wird erkannt, dass es sich bei Anti-Skorbut-Faktor, Vitamin C, Ascorbinsäure und Hexuronsäure um dieselben Substanzen handelt. |
1933 |
Reichstein (Schweiz) gelingt die Synthese von Ascorbinsäure. |
Vitamin-C-Zufuhrempfehlungen – auch ein Politikum
Dass die Dosis nicht nur das Gift, sondern auch die präventive Wirkung macht – dieser Umstand ist in seinen Grundsätzen seit Längerem bekannt. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – haben die internationalen wissenschaftlichen Gremien ihre Probleme mit der Etablierung von Vitamin-Zufuhrempfehlungen. Denn diese variieren nicht nur im zeitlichen Verlauf; auch unterscheiden sich die Referenzwerte von Nation zu Nation. Während z. B. in Großbritannien für Erwachsene eine Zufuhr von 40 mg Vitamin C/Tag empfohlen wird, gilt in Frankreich und Belgien ein Referenzwert von 110 mg/Tag. Und in den für die D-A-CH-Länder gültigen "Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr" wird für gesunde Jugendliche und Erwachsene eine wünschenswerte Dosis von 100 mg/Tag ausgewiesen [7; 4].
Wie aber ist diese Diskrepanz zu erklären? Ein Blick in die einschlägige Literatur zeigt, dass es insbesondere unterschiedliche methodische Aspekte sind, die zu den divergierenden Empfehlungen geführt haben. Wird z. B. das Zielkriterium „sichere Skorbutvermeidung“ als Grundlage für die Ableitung der Vitamin-C-Zufuhrempfehlung zugrunde gelegt, so ist ein Referenzwert von 40 mg/Tag durchaus angemessen. Allerdings dürfte ein solches am Mangelgedanken orientiertes Paradigma kein zeitgemäßes Kriterium für die Ableitung von Vitamin-C-Zufuhrempfehlungen sein.
Unter Beachtung der Dosis-Wirkungsbeziehung von Vitamin C und dem Aspekt der Prävention, wurde daher wiederholt eine höhere Vitamin-C-Zufuhr im Bereich von 120 bis 200 mg/Tag empfohlen [3; 19 – 21]. So forderte bereits 1996 ein Autorenteam um den renommierten Vitamin-C-Forscher Mark Levine vom US-amerikanischen National Institute of Health, den bis dato gültigen RDA-Wert von 60 mg auf 200 mg pro Tag zu erhöhen [19].
Epidemiologie und Pharmakokinetik von Vitamin C
Um den aktuellen Erkenntnissen und Forderungen im Sinne einer umfassenden Prävention Rechnung zu tragen, haben Balz Frei und seine Kollegen die Vitamin-C-Literatur unter erweiterten Gesichtspunkten analysiert [7]:
Epidemiologische Aspekte
Frei et al. [7] identifizieren 14 Beobachtungsstudien, von denen die Mehrzahl einen konsistenten, inversen Zusammenhang zwischen der Vitamin-C-Versorgung (Marker: Vitamin-C-Konzentration im Plasma) und dem Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse (koronare Herzerkrankung; Schlaganfälle) zeigen. Darauf basierend leiteten die Wissenschaftler einen präventiven Plasmaspiegel von ≥ 70 µmol Vitamin C/l ab [7]. Bei diesem Wert ist nicht nur das Herz-Kreislauf- und Tumorrisiko minimiert; auch die Gesamtsterblichkeit ist vermindert [7].
Kritisch mag hier einzuwenden sein, dass der Vitamin-C-Plasmaspiegel in den ausgewerteten Studien als Marker für den Obst- und Gemüseverzehr interpretiert werden könnte und nicht kausal mit den positiven gesundheitlichen Effekten in Verbindung stehen muss. Folglich wäre das verminderte Erkrankungsrisiko primär auf den Obst- und Gemüseverzehr und nicht auf die damit verbundene Vitamin-C-Aufnahme zurückzuführen [24; 29]. Das Autorenteam um Frei [7] führt gegen eine solche Interpretation zwei wichtige Argumente an: Erstens ist der risikosenkende Effekt eines hohen Obst- und Gemüseverzehrs deutlich schwächer, verglichen mit den protektiven Wirkungen, wie sie bei guter Vitamin-C-Versorgung nachgewiesen wurden. So weisen Personen mit einem täglichen Verzehr von mehr als 5 Portionen Obst und Gemüse verglichen mit Personen, die sich mit weniger als 3 Portionen zufrieden geben, ein um 17 bis 26 % vermindertes Risiko für koronare Herzerkrankungen und Schlaganfälle [13 – 14] auf. Dagegen ist das Herz-Kreislauf-Risiko (KHK und Schlaganfälle) bei sehr guter Vitamin-C-Versorgung (≥ 72 µmol/l) um 42 bis 93 % niedriger als bei marginaler Versorgung (≤ 30 µmol/l) [16; 24]. Zudem wurde in der bekannten Nurses‘ Health Study zwar ein signifikanter Schutzeffekt für Vitamin-C-Supplemente (Risikoreduktion von ~ 30 %) nachgewiesen; nicht aber für Vitamin C aus Obst und Gemüse [25]. Auch die systematische Auswertung mehrerer großer Kohortenstudien mit insgesamt 293.172 Teilnehmern vermittelt ein ähnliches Bild: Auch hier war die dauerhafte Verwendung von Vitamin-C-Supplementen mit einem geringeren Erkrankungsrisiko verbunden; Vitamin C aus der Nahrung hatte hingegen keinen präventiven Effekt [17].
Pharmakokinetische Aspekte
In Übereinstimmung mit dem aus Beobachtungsstudien abgeleiteten Zielwert von ≥ 70 µmol Vitamin C/l zeigen pharmakokinetische Daten, dass das Plasma bei dieser Konzentration weitgehend gesättigt ist. Zur Erreichung dieses Plateaus ist bei gesunden Erwachsenen eine Vitamin-C-Zufuhr von ≥ 200 mg/Tag erforderlich (siehe Abb. 1). Bei diesem Wert sind auch immunkompetente Zellen (u. a. Lymphozyten, Neutrophile) optimal mit Vitamin C versorgt (siehe Abb. 2). Konsistent zu dieser Beobachtung ist die Tatsache, dass der für die zelluläre Aufnahme von Vitamin C verantwortliche Carrier (SVCT1; Vitamin-C-Transporter 1) bei einer Konzentration von 60 bis 100 µmol/l mit maximaler Geschwindigkeit (Vmax) arbeitet [28].
Höhere Zufuhrempfehlung
Vor dem Hintergrund der epidemiologischen und pharmakokinetischen Daten sowie der eingangs erwähnten experimentellen Befunde kommt das Autorenteam um Balz Frei zu dem Schluss, dass Erwachsene mindestens 200 mg Vitamin C/Tag zuführen sollten, um das präventive Potenzial des Mikronährstoffs nutzen zu können [7]. Interessanterweise gelangte der bekannte Chemiker und Friedensnobelpreisträger Linus Pauling bereits im Jahr 1974 (sic!) zu einer ähnlichen Empfehlung. Ausgehend von tierexperimentellen, immunologischen und epidemiologischen Befunden postulierte Pauling für gesunde Personen einen – wie er es nannte – „Recommended Daily Intake“ (RDI-Wert) von ≥ 250 mg Vitamin C/Tag [27]. Damit befindet sich Pauling – aus heutiger Sicht – in bester „präventiver Gesellschaft“.
Literatur
[1] Antoniades, C. et al.: Diabet. Med. 2004; 21 (6): 552 – 558
[2] Block, G. et al.: Free Radic. Biol. Med. 2009; 46 (1): 70 – 77
[3] Carr, A.C., Frei, B.: Am. J. Clin. Nutr. 1999; 69 (6): 1086 – 1107
[4] Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE), Schweizerische Vereinigung für Ernährung (SVE): Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. 1. Auflage, 3. vollständig durchgesehener und korrigierter Nachdruck. Neuer Umschau Buchverlag, Neustadt an der Weinstraße 2008, S. 137 – 144
[5] Drake, V.J., Frei, B.: Vitamin C in human disease prevention. In: Herrmann W, Obeid R (eds): Vitamins in the Prevention of Huma Diseases. Walter de Gruyter, Berlin 2011, 347 – 362
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[8] Frei, B. et al.: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 1989; 86 (16): 6377-6381
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[10] Frikke-Schmidt, H., Lykkesfeldt, J.: Basic Clin. Pharmacol. Toxicol. 2009; 104 (6): 419 – 433 [11] Gey, F.: Biofactors. 1998; 7: 113 – 174
[12] Hahn, A, Ströhle, A., Wolters, M.: Ernährung. Physiologische Grundlagen, Prävention, Therapie. 3. Auflage, WVG Stuttgart 2012 (im Druck)
[13] He, F.J. et al.: J. Hum. Hypertens. 2007; 21 (9): 717 – 728
[14] He, F.J. et al.: Lancet 2006; 367 (9507): 320 – 326
[15] Juraschek, S.P. et al.: Am. J. Clin.Nutr. 2012; 95 (5):1079 – 1088
[16] Khaw, K.T. et al.: Lancet. 2001 3; 357 (9257): 657 – 663
[17] Knekt, P. et al.: Am. J. Clin. Nutr. 2004; 80 (6): 1508-1520
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[19] Levine, M. et al.: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 1996; 93: 3704 – 3709
[20] Levine, M. et al.: JAMA 1999; 281 (15): 1415 – 1423
[21] Levine, M. et al.: Proc. Natl.Acad. Sci. USA 2001; 98: 9842 – 9846
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[30] Ströhle, A., Hahn, A.: Med. Monatsschr. Pharm. 2009; 32 (2): 49-54; quiz 55 – 56
[31] Tarng, D.C. et al.: Kidney Int. 2004; 66 (2): 820 – 831
Autor
Dr. Alexander Ströhle, Am Landwehrgraben 8, 30519 Hannover, E-Mail: stroehle@nutrition.uni-hannover.de
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