Praxis aktuell

So interpretiert Hamburg die Apothekenbetriebsordnung

Neues Merkblatt der Hamburger Gesundheitsbehörde

Eine Verordnung – viele Bundesländer. Da die Umsetzung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) in der Apothekenüberwachung Landessache ist, geben die Veröffentlichungen einzelner Landesbehörden wichtige Anhaltspunkte für die Auslegung auch in anderen Ländern. Viele interessante Informationen und außerdem konstruktive Anregungen zu bisher ungeklärten Fragen enthält eine Präsentation mit dem Titel „Häufig gestellte Fragen zur neuen Apothekenbetriebsordnung“, den die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz der Freien und Hansestadt Hamburg kürzlich ins Internet gestellt hat.
Merkblatt der Hamburger Gesundheitsbehörde: „Häufig gestellte Fragen zur neuen Apothekenbetriebsordnung“, zu finden unter http://www.hamburg.de/pharmaziewesen -> Apotheken -> Downloads.

In der Behörde wird die Publikation als Merkblatt bezeichnet. Nicht jedes Details sollte als verbindliche Regelung verstanden werden, zumal in der Behörde bereits an einer neuen Fassung gearbeitet wird. Doch für Hamburg ist das Merkblatt derzeit die maßgebliche offizielle Interpretation zur neuen ApBetrO und für Apotheken in anderen Ländern zumindest eine interessante Orientierung. Besonders beachtenswert erscheinen die Aussagen zum Botendienst und zum Qualitätsmanagementsystem (QMS). Hier könnten die Hamburger Positionen Vorbildcharakter für die weitere berufspolitische Diskussion in ganz Deutschland bekommen, weil sie neue Lösungen für bisher offene Fragen bieten.

Eilige und weniger eilige Neuerungen

Eine der ersten Fragen lautet: „Welche Neuerungen müssen gleich umgesetzt werden?“ – Dazu nennt die Behörde folgende Antworten:

  • Personalunterweisung (§ 3)

  • Hygienemaßnahmen (§ 4a)

  • Dokumentationspflichten für Rezeptur und Defektur

  • Übertragung der Beratungsbefugnis (§ 20 (1))

  • Dokumentierte Messungen der Temperatur in allen Lagerbereichen

  • Monitoring des Umgebungsbereiches für die Parenteraliaherstellung

Weiter heißt es eher vage formuliert „und natürlich auch alle anderen Änderungen, für die keine Fristen vorgesehen sind“. Doch dürften die ausdrücklich genannten Aspekte oberste Priorität haben.

Eine Übergangsfrist von einem Jahr besteht für die nachweislich geeigneten Reinraumbedingungen und die Festlegung der Warn- und Grenzwerte für den Umgebungsbereich bei der Parenteraliaherstellung. Zwei Jahre beträgt die Übergangsfrist für die Einführung des QMS, die Geschäftsabtrennung des Großhandels vom Apothekenbetrieb und die Einrichtung von Schleusen für regelmäßiges Stellen oder Verblistern bzw. für die Parenteraliaherstellung.

Häufige Fragen – die „Klassiker“

Zur Frage, was ein barrierefreier Zugang bedeutet, verweist die Behörde auf § 4 Behindertengleichstellungsgesetz. Demnach sollte die Apotheke ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sein. Dies schließe auch Seh- und Hörbehinderungen ein. Die Behörde betrachtet dies als grundsätzliche Forderung, so dass Ausnahmen in Einzelfällen nach Rücksprache mit der Behörde vereinbart werden könnten.

Das Merkblatt enthält die Frage, ob Apotheken jetzt eine Klimaanlage benötigen, gibt dazu aber keine zwingende Antwort. Die Lagerbereiche müssten eine Lagertemperatur unter 25 Grad Celsius gewährleisten. Um die Einhaltung nachweisen zu können, müssten für die verschiedenen Lagerbereiche (z. B. Lagerräume, Offizin, Freiwahl) Temperaturdokumentationen eingeführt werden. Sollten die Messungen zeigen, dass die Bedingungen z. B. im Sommer nicht erfüllt sind, müssten "entsprechende Maßnahmen getroffen werden", heißt es recht vage, ohne eine Klimaanlage in der Antwort zu erwähnen.

Unmissverständlich ist die Antwort dagegen zur Vertretungsregelung. Demnach darf sich der Apothekenleiter bis zu drei Monate im Jahr vertreten lassen. Bis zu vier Wochen pro Jahr darf diese Vertretung durch einen berufserfahrenen Apothekerassistenten oder Pharmazieingenieur erfolgen. Letzteres gilt jedoch nicht für Apotheken, die Filialen haben, Krankenhausversorgung betreiben, im Rahmen der Heimversorgung patientenindividuell Arzneimittel stellen oder verblistern oder Arzneimittel zur parenteralen Anwendung herstellen. Die Interpretation aus Hamburg erübrigt damit die vereinzelt geäußerten Befürchtungen, auch gelegentliches manuelles Stellen im Einzelfall erfordere die Vertretung durch einen Apotheker.

Rezeptur und Defektur

Zum Rezepturarbeitsplatz wird auf die dreiseitige Abtrennung verwiesen. Ein separater Raum werde in der ApBetrO nicht gefordert, er wäre jedoch „bei Neuplanungen aus hygienischen Erwägungen immer zu bevorzugen“, heißt es im Merkblatt. Außerdem erwarte die Hamburger Arzneimittelüberwachungsbehörde, dass die Rezepturausgangsstoffe vor Staub geschützt in Schränken aufbewahrt werden. Rechnerarbeitsplätze und Drucker in der Rezeptur würden ein Kontaminationsrisiko darstellen und seien daher „entsprechend organisatorisch sinnvoll einzurichten“.

Zur Frage nach den erforderlichen Geräten und Prüfmitteln erwartet die Behörde, dass die ABDA oder die Bundesapothekerkammer geeignete Listen als Arbeitshilfen zur Verfügung stellen könnte. Eine Liste zur allgemeinen Laborausstattung sei z. B. im DAC/NRF Band 3 im Geräte- und Reagenzienteil enthalten. Auf die oft diskutierte Frage, in welchem Umfang Defekturen geprüft werden müssen, geht die Hamburger Behörde in ihrem Merkblatt nicht ein. – Möglicherweise gibt es dazu auch in Hamburg noch keine gesicherte Interpretation.

Die Anforderungen der ApBetrO an die Dokumentation und Kennzeichnung werden getrennt für Rezepturen und Defekturen in einer Tabelle übersichtlich zusammengestellt. Ergänzend zu den im Verordnungstext genannten Anforderungen empfiehlt die Hamburger Behörde, ein Duplikat der Kennzeichnung in das Herstellungsprotokoll für Rezepturen zu übernehmen. Außerdem heißt es, eine Plausibilitätsprüfung sei auch für Defekturen „initial erforderlich“. Letzteres wird zwar im Verordnungstext nicht explizit gefordert, erscheint aber logisch. Denn warum sollte an Defekturen ein geringerer Anspruch als an Einzelrezepturen gestellt werden?!

Besonders praxisrelevant erscheint die Zusammenstellung für die Kennzeichnung von Defekturen, bezugnehmend auf § 10 AMG. Defekturen müssten die gleiche Kennzeichnung wie Rezepturen (mit Ausnahme des Patientennamens) erhalten und zusätzlich mit folgenden Angaben gekennzeichnet werden:

  • Bezeichnung des Arzneimittels

  • Stärke und Darreichungsform

  • Hinweis auf Anwendung für Säuglinge, Kleinkinder oder Erwachsene

  • Chargenbezeichnung (Ch.-B.)

  • ggf. die Angabe „verschreibungspflichtig“ oder „apothekenpflichtig“

  • Hinweis: „Arzneimittel für Kinder unzugänglich aufbewahren“

  • bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln: Verwendungszweck

  • bei Standardzulassungen: Zulassungsnummer (Zul.-Nr.)

Kompromiss zum Botendienst

Zu der strittigen Frage, ob der Botendienst durch pharmazeutisches Personal vorgenommen werden muss, wird zunächst die bekannte Vorgabe der ApBetrO zitiert: Wenn zuvor keine Beratung in der Apotheke stattgefunden hat, müsse die Beratung durch pharmazeutisches Personal in unmittelbarem Zusammenhang mit der Auslieferung erfolgen. Zur Interpretation heißt es weiter: „Hierzu ist auf jeden Fall eine Verfahrensanweisung zu erstellen, wie die Beratung realisiert wird, wenn die Zustellung nicht durch pharmazeutisches Personal erfolgt. Dies kann aus Sicht der Hamburger Arzneimittelüberwachungsbehörde auch durch eine dokumentierte, telefonische Kontaktaufnahme erfolgen.“ In der Kontroverse, ob eine telefonische Beratung ausreicht oder nicht, positioniert sich die Hamburger Behörde so mit einer salomonischen Kompromisslösung. Demnach reicht die telefonische Beratung aus, wenn sie in einer Verfahrensanweisung geregelt und die Durchführung dokumentiert wird. Möglicherweise wird diese Variante auch Gegner einer Telefon-Lösung überzeugen.

Regeln für die Beratung

Bemerkenswert erscheinen auch die Ausführungen zur Information und Beratung. Demnach könne der Patient nicht von vorneherein auf das Angebot der Beratung verzichten. Eine Nachfrage nach dem Informations- und Beratungsbedarf sei Bestandteil jedes Kundenkontakts. Zur Vertraulichkeit hält die Behörde eine ergänzende Orientierung an der „Hamburger Erklärung zur Beratung in Apotheken“ (siehe AZ 2010, Nr. 3) für wünschenswert. Für zusätzliche Dienstleistungen (z. B. Anpassung von Kompressionsstrümpfen) ist nach Auffassung der Behörde ein Beratungsraum nötig. Die erforderlichen Informationen über den Erlaubnis- oder Genehmigungsstatus und den Versicherungsschutz könnten durch einen Aushang vermittelt werden.

Verantwortungsabgrenzungsvertrag

Als weitere Neuigkeit wird der Verantwortungsabgrenzungsvertrag erwähnt. Einen solchen Vertrag müssten Apotheken schließen, die z. B. die Herstellung von Zytostatika-Zubereitungen oder die Prüfung von Ausgangsstoffen oder selbst hergestellten Arzneimitteln an andere Apotheken oder Herstellungsbetriebe abgeben. Ein solcher Vertrag entbinde jedoch nicht von der Pflicht, die Verordnung zu prüfen. Die Herstellung von Parenteralia ohne zytotoxisches Potenzial nennt die Hamburger Behörde in der Aufzählung der Beispiele nicht, doch aufgrund der neuen Anforderungen an die Parenteraliaherstellung sollte die Regelung auch für diese Zubereitungen gelten.

Empfehlungsliste zum QMS

Wegen der Übergangsfrist besteht für die Einführung eines QMS kein akuter Handlungsdruck, doch gerade zu diesem Aspekt enthält das Hamburger Merkblatt bemerkenswerte Aussagen. Bundesweit wird die Frage diskutiert, welche Inhalte ein QMS gemäß ApBetrO enthalten muss. Einerseits beinhaltet bereits der Begriff eines QMS einige Elemente, über deren Relevanz im Einzelfall jedoch gestritten werden kann. Andererseits orientieren sich die Pflichtkataloge für die Kammerzertifizierungen an einem umfassenden Qualitätsanspruch für die gesamte Apotheke und gehen damit über die Anforderung der ApBetrO hinaus, wonach ein QMS „entsprechend Art und Umfang der pharmazeutischen Tätigkeiten“ zu betreiben ist.

Doch was muss nun ein QMS gemäß ApBetrO enthalten? Das Hamburger Merkblatt bietet dazu eine Liste, die sich teilweise offenbar an den Anforderungen an Wirkstoffhändler orientiert. Die Liste soll nicht als abschließendes Pflichtenheft, sondern als Empfehlung verstanden werden, heißt es aus der Behörde. Demnach empfiehlt die Hamburger Behörde folgende Inhalte bzw. Regelungen zu folgenden Themen:

  • QMS-Handbuch

  • Organisationsschema

  • Arbeitsplatzbeschreibungen (einschließlich Personalunterweisung, Übertragung der Beratungsbefugnis und Vertretungsplan)

  • Arbeitsbeginn neuer Mitarbeiter

  • Prozesserstellung und -änderung

  • Prozesse zur Herstellung, Prüfung, Lagerung, Beratung und Abgabe sowie Zustellung durch Boten

  • Dokumentationspflichten

  • Lieferantenqualifizierung (Lieferantenzulassung und -bewertung)

  • Selbstinspektion

  • externes Qualitätsaudit

  • Umgang mit qualitätsbezogenen Beanstandungen, Durchführung von Rückrufen bei schwerwiegenden Mängeln

Zum externen Qualitätsaudit heißt es ergänzend, dies beziehe sich nicht nur auf Ringversuche, sondern allgemein auf die Überprüfung des QMS durch Externe. Die im Merkblatt erwähnte Frequenz der Selbstinspektion von fünf Jahren soll in einer neuen Fassung korrigiert werden, heißt es aus der Behörde.

Auch wenn die Liste nur eine Empfehlung darstellt, ist sie wesentlich konkreter als die meist vagen Aussagen aus anderen Bundesländern. Sie dürfte daher bundesweit große Beachtung finden. Die Liste erscheint im Sinne der Qualitätswissenschaft als schlüssig. Die genannten Inhalte sind grundlegende Elemente jedes modernen QMS. Die Anforderungen an die Lieferantenqualifizierung können als begriffsnotwendig interpretiert werden. Dagegen werden andere apothekenübliche, aber nicht pharmazeutische Tätigkeiten nicht erwähnt, weil sie über den Pflichtumfang gemäß ApBetrO hinausgehen. Weitere Detailfragen (z. B. nach formalen Mindestanforderungen an die Gestaltung eines QMS-Handbuchs) müssen anhand der allgemein üblichen Vorgehensweisen im Qualitätsmanagement beantwortet werden.

So gibt das Hamburger Merkblatt insgesamt vielfältige Anregungen zur Interpretation der neuen ApBetrO, die über Hamburg hinaus relevant sein dürften. Die angekündigte neue Fassung des Merkblatts kann mit Spannung erwartet werden.


tmb


Quelle

Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, Häufig gestellte Fragen zur neuen Apothekenbetriebsordnung, siehe Surftipp

Surftipp


Die hier zitierte Präsentation der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz der Freien und Hansestadt Hamburg mit weiteren Detailhinweisen finden Sie auf der Internetseite http://www.hamburg.de/pharmaziewesen im Artikel „Apotheken“. Das Merkblatt ist unter „Downloads“ in der jeweils aktuellen Form zu finden.



DAZ 2012, Nr. 33, S. 62

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