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Arzneimittel und Therapie
Neue Therapieoption gegen multiresistente Tuberkulose
Ende des 19. Jahrhunderts war die Tuberkulose eine Volkskrankheit der Deutschen; jeder vierte berufstätige Mann verstarb daran. Heute ist die Erkrankung in Deutschland selten geworden – ganz im Gegensatz zu vielen anderen Regionen (siehe Kasten). Besonders schwer betroffen sind Südost-Asien, Afrika und der westpazifische Raum. Besorgniserregend ist auch die Zunahme von Resistenzen beim Haupterreger Mycobacterium tuberculosis. Dieses Mykobakterium besitzt in seiner Zellwand einen hohen Anteil an Glykolipiden (Mykolsäuren), die für seine hohe Widerstandsfähigkeit gegen viele Antiinfektiva verantwortlich sind; durch Resistenzen wird die Bekämpfung zusätzlich erschwert. Die multiresistente Tuberkulose (multidrug-resistant tuberculosis, MDR-Tbc) ist insbesondere in Staaten verbreitet, die früher zur UdSSR gehörten, sowie in Indien und China (siehe Kasten).
Die Tuberkulose in ZahlenNach Angaben von „Ärzte ohne Grenzen“ erkrankten 2010 weltweit etwa 12 Millionen Menschen an Tuberkulose, 1,5 Millionen starben daran. Die WHO gibt in ihrem Global Tuberculosis Control Report 2011 für 2010 8,8 Millionen Neuerkrankungen und 1,1 Millionen Todesfälle an und vermeldet erstmalig einen Rückgang der Erkrankungs- und Todesfälle. Im selben Jahr wurden in Deutschland am Robert Koch Institut (RKI) 4330 Fälle (Inzidenz: 5,3 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner) der meldepflichtigen Erkrankung registriert (2009: 4419). Wie das RKI berichtet, ist der Trend rückläufig, allerdings hat sich der jährliche Rückgang in den vergangenen zwei Jahren deutlich abgeschwächt. Bis zum 11. April 2012 waren dem RKI 930 Erkrankungsfälle bekannt. |
Bei HIV-Infizierten ist das Risiko des Ausbruchs der Erkrankung besonders hoch; weltweit liegt der Anteil HIV-positiver Tuberkulosepatienten bei ca. 11 bis 13%, in Afrika regional bei bis zu 80%.
Schwer behandelbare multiresistente Tuberkulose
Multiresistente Tuberkulosen erfordern eine etwa zwei Jahre dauernde Behandlung mit vier bis sechs verschiedenen Wirkstoffen, darunter auch toxische und weniger potente der 2. Wahl. Im Vergleich mit empfindlicher Tuberkulose sind die Heilungsraten bei der resistenten Form niedriger, die Mortalität höher. Die Suche nach neuen, potenten Wirkstoffen geht daher weiter.
Das Nitrodihydro-Imidazooxazol-Derivat Delamanid ist ein potenzielles neues Antituberkulosemittel, das die Bakterienzelle durch Anregung der Stickstoffmonoxid-Produktion schädigt. In ersten In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen zeigte es eine potente Wirksamkeit gegen resistente Stämme von M. tuberculosis.
Problematisch: Multiresistente TbcNach WHO-Angaben treten jährlich etwa 440.000 Fälle resistenter Tuberkulose (vor allem gegenüber Isoniazid und Rifampicin) auf, ca. 150.000 Patienten versterben. Darüber hinaus werden in vielen Regionen extensive Resistenzen (XDR-Tbc) des Erregers beobachtet (zusätzliche Resistenz gegen zwei Wirkstoffe der 2. Wahl). Die XDR-Tbc ist noch schwieriger zu behandeln bzw. nicht heilbar. Eine Ursache für die weite Verbreitung resistenter Erreger ist eine nicht adäquate Behandlung. So werden weltweit bei weniger als 3% der Patienten mit diagnostizierter Tbc Wirkstoffempfindlichkeitstests durchgeführt und nur etwa 10% der geschätzten 500.000 neuen MDR-Tbc-Fälle adäquat behandelt. In einem aktuellen Nationalen Survey zur Resistenzproblematik in China fand man unter 4000 getesteten Personen bei den Neuerkrankten eine Resistenzrate von 34%; 6% hatten eine multiresistente Tbc (MDR), 0,5% extensiv resistente Tbc (XDR. Zurzeit hat einer von zehn Patienten in China MDR und 1 von 120 XDR. |
Zwei Dosierungen getestet
In die kürzlich veröffentlichte randomisierte, placebokontrollierte, multinationale klinische Phase II-Studie wurden 481 Patienten zwischen 18 und 64 Jahren mit MDR-Tbc eingeschlossen. Sie erhielten über zwei Monate zweimal täglich oral 100 mg (n = 161) oder 200 mg (n = 160) Delamanid oder Placebo (n = 160), zusätzlich eine Basisbehandlung gemäß den WHO-Guidelines. Diese umfasste vier oder fünf Wirkstoffe, darunter Substanzen der ersten Wahl (Ethambutol, Isoniazid, Pyrazinamid, Rifampicin) sowie Wirkstoffe der 2. Wahl (Aminoglykoside und Fluorchinolone). Die Studie wurde an 17 Zentren in neun Ländern (Philippinen, Peru, Lettland, Estland, China, Japan, Korea, Ägypten und den USA) durchgeführt. Primärer Endpunkt war der Anteil der Patienten mit Sputumkonversion im Flüssigmedium über zwei Monate. Diese war definiert als Folge von mindestens fünf aufeinanderfolgenden Sputum-Kulturen, in denen kein lebensfähiges M. tuberculosis mehr nachweisbar war.
Nach zwei Monaten war bei 45% der Patienten, die mit zweimal täglich 100 mg behandelt worden waren, eine Sputumkonversion nachweisbar, verglichen mit 30% unter Placebo (p = 0,008). In der 200 mg-Gruppe lag der Anteil bei 42% (p = 0,04). Die meisten Nebenwirkungen waren mild bis moderat und in den drei Gruppen gleichmäßig verteilt.
Am häufigsten traten gastrointestinale Beschwerden wie Übelkeit, Erbrechen und Bauchschmerzen sowie Kopfschmerzen und Insomnie auf.
Zwar beobachtete man keine klinischen Ereignisse infolge einer QT-Verlängerung (wie z. B. Synkope oder Arrhythmien), dennoch wurde dieser EKG-Befund signifikant häufiger in den Delamanid-Gruppen als unter Placebo beobachtet (unter 200 mg bei 13% der Patienten, unter 100 mg bei 10%, unter Placebo bei 4%).
Die Studienergebnisse legen nahe, dass Delamanid die Behandlungsoptionen für multiresistente Tuberkulose verbessern könnte. In einem begleitenden Editorial im New England Journal of Medicine, in der die Studie veröffentlicht worden war, schätzt man die Effektivität von Delamanid als signifikant, aber moderat ein. Die Nebenwirkungsrate sei akzeptabel, die potenzielle Kardiotoxizität jedoch ein Grund zur Beunruhigung.
Zurzeit rekrutiert man Patienten für eine Phase-III-Studie (NCT01424670, www.clinicalTrials.gov), in der die Wirksamkeit und Sicherheit einer Behandlung mit 200 mg Delamanid über sechs Monate getestet werden soll.
Derzeit eingesetzte AntituberkulotikaNach der Wirksamkeit und dem Nebenwirkungsspektrum wird zwischen Antituberkulotika der 1. und der 2. Wahl unterschieden (frühere Bez.: Standard- und Reserve-Medikamente). Zu den Wirkstoffen der 1. Wahl zählen:
Diese Substanzen sind auch in verschiedenen fixen Kombinationen auf dem Markt (z. B. Isoniazid und Rifampicin in tebesium® Duo). Das früher zu dieser Gruppe gehörige Streptomycin zählt heute zu den Substanzen der 2. Wahl. Bei den Wirkstoffen der 2. Wahl wird in Anlehnung an eine Einteilung der WHO weiter differenziert, und zwar in injizierbare Medikamente, Fluorchinolone neuerer Generation, 2. Wahl-Wirkstoffe mit gesicherter Wirkung gegen M. tuberculosis und 2. Wahl-Wirkstoffe mit unklarer Wirkung gegen den Erreger:
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Quelle
Apothekerin Dr. Claudia Bruhn
DAZ 2012, Nr. 32, S. 35
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