Arzneimittel und Therapie

Erhöhen zentrale Stimulanzien das kardiovaskuläre Risiko?

Studie zur Sicherheit der ADHS-Therapie

In den letzten Jahren gab es einige klinische und politische Debatten über potenzielle kardiovaskuläre Risiken durch die Therapie mit Stimulanzien des zentralen Nervensystems, die bei Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt werden. Der Mangel an evidenzbasierten Daten zur kardiologischen Sicherheit dieser Arzneimittel hat zu großer Unsicherheit der Zulassungsbehörden geführt. Eine aktuelle Studie sorgte nun für Entwarnung, da die Therapie mit zentralen Stimulanzien hier bei den Kindern nicht zu einem erhöhten Risiko schwerer kardialer Ereignisse führte.
Die Behandlung von ADHS mit Stimulanzien des zentralen Nervensystems ist sicher, so das Ergebnis der Kohortenstudie. Methylphenidat und Amphetaminsalze führten nicht zu einer Zunahme von kardialen Todesfällen bei Kindern und Jugendlichen.

In die US-amerikanische retrospektive Kohortenstudie gingen von 1999 bis 2006 die Daten von 1.219.847 Kindern und Jugendlichen zwischen drei und 18 Jahre nach der Erstdiagnose eines mentalen Problems wie ADHS ein. Diese werden üblicherweise mit zentralen Stimulanzien wie Amphetaminsalzen behandelt. Die Verschreibungen von Methylphenidat und gemischten Amphetaminsalzen waren auch die Basis der Definition des Stimulanziengebrauchs, der definitionsgemäß mit dem Datum der Abgabe des ersten Rezepts begann. Für den Einschluss in die Studie musste der Bedarf für die Therapie mindestens sechs Monate bestehen. Dann wurden die Patienten weiter beobachtet bis zum Ende der Therapiebedürftigkeit, ihrem 19. Geburtstag, Aufnahme in ein Krankenhaus für länger als 30 Tage oder ihrem Tod. Covariaten wie vorbestehende kongenitale Herzkrankheit, andere kardiologische Risikofaktoren, der Gebrauch von anderen psychotropen Arzneimitteln, soziodemografischen Charakteristika und die psychiatrischen Diagnose gingen in ein Score-System ein, mit dessen Hilfe Gruppen mit hohem und niedrigem ursprünglichem Risiko für kardiale Zwischenfälle unterschieden wurden. Mit einer separaten Überlebensanalyse wurden die relativen Risiken für Zeiten, in denen die Patienten Stimulanzien einnahmen und denen ohne Stimulanzien verglichen. Unter Einbeziehung oben beschriebener Risikobewertungen wurden in separaten Analysen die Kinder mit hohem bzw. niedrigem Risiko verglichen. Als erster Studienendpunkt galt das Auftreten von Schlaganfall, akutem Herzinfarkt oder plötzlichem Herztod, der sekundäre Endpunkt schloss zusätzlich ventrikuläre Arrhythmien ein.

Keine Risikoerhöhung durch Stimulanzien des ZNS

Die gesamte Beobachtungszeit von 2.321.311 Patientenjahren war folgendermaßen verteilt: 1.506.877 Personenjahre der Nicht-Verwendung von Stimulanzien, 416.018 Jahre des gegenwärtigen Gebrauchs und 398.416 Jahre des ehemaligen Gebrauchs von Stimulanzien. Die durchschnittliche bzw. mediane Nachbeobachtungszeit in der gesamten Kohorte betrug 1,9 bzw. 1,6 Jahre. Die durchschnittliche bzw. mediane Behandlungsdauer des einzelnen Patienten betrug 1,1 bzw. 0,6 Monate.

In der gesamten Zeit war es zu 66 Vorfällen, die als der zusammengesetzte, primäre Endpunkt definiert waren, bzw. 95 Vorfällen inklusive der ventrikulären Arrhythmien (sekundärer Endpunkt) gekommen.

Unter Einbeziehung oben beschriebener Score-Systeme für die Differenzierung von niedrigem und hohem anfänglichem Risiko betrug beim Vergleich der Zeiträume unter Stimulanziengebrauch und derer ohne diese Medikation die Odds Ratio 0,62 (95% CI: 0,27 bis 1,44). Die adjustierte Inzidenzrate für einen Vorfall betrug 2,2 bzw. 3,5 pro 100.000 Patientenjahre unter Stimulanzientherapie bzw. ohne. In der Hochrisikogruppe kam es zu 26 Vorfällen, was einer Inzidenzrate von 63 pro 100.000 Patientenjahre entsprach (OR = 1,02, CI: 0,28 bis 3,69). Die Odds Ratios für primären und sekundären Endpunkte waren ähnlich.

Die Behandlung von Kindern mit zentralen Stimulanzien ist also demnach nicht assoziiert mit einem signifikanten Anstieg des akuten Risikos für schwere kardiale Vorfälle.

Aussagekraft und Grenzen dieser Studie

Die Ergebnisse dieser Kohortenstudie bestätigen die von früheren, allerdings kleineren Untersuchungen, die ebenfalls gezeigt haben, dass die Behandlung von ADHS mit Stimulanzien des zentralen Nervensystems sicher ist.

Die Autoren dieser im British Journal of Medicine veröffentlichten Kohortenstudie wiesen aber selber darauf hin, dass die Quelle ihrer Untersuchungen, die Verschreibungen gesetzlich versicherter Kinder und Jugendlicher war, und es dadurch möglicherweise zu einer Studienbias gekommen sein könne. Denn in gesetzlichen Krankenkassen sind besonders Familien mit geringerem Einkommen versichert, außerdem Pflegekinder und Kinder mit Behinderungen. Deshalb sei es nicht auszuschließen, dass das Ergebnis anders ausgefallen wäre, wenn auch privat versicherte Kinder eingeschlossen gewesen wären. Außerdem ist es wichtig festzuhalten, dass der Gebrauch von Stimulanzien in dieser Studie über kurze Zeit erfolgt ist. Die Resultate können möglicherweise nicht übertragen werden auf einen Langzeitgebrauch dieser zentralen Stimulanzien. Außerdem sind Langzeiteffekte auf einen eventuell leichten Anstieg der Herzfrequenz und/oder des Blutdrucks der Patienten unbekannt. Weitere Untersuchungen diesbezüglich sollten deshalb durchgeführt werden.


Quelle

Winterstein, A.; et al.: Cardiovascular safety of central nervous system stimulants in children and adolescents: population based cohort study. BMJ 2012; 345: e4627 doi: 10.1136/bmj.e4627, veröffentlicht am 18. Juli 2012.


Apothekerin Dr. Annette Junker



DAZ 2012, Nr. 31, S. 30

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