Praxis aktuell

ApBetrO in Hessen

Hinweise zur Interpretation wichtiger Fragen

Die neue Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) gilt bundesweit. Daher bieten auch Informationsmaterialien, die von Landesbehörden gestaltet werden, Anregungen zur Auslegung in ganz Deutschland. In Hessen informierte Reiner Herkner vom Regierungspräsidium Darmstadt in fünf sehr gut besuchten Veranstaltungen über die Auslegung der neuen ApBetrO und stellte die Präsentation als Download ins Internet. Die Unterlagen enthalten Hinweise zur Interpretation etlicher Regelungen, die anderenorts bisher nicht so detailliert angesprochen wurden. Die Präsentation aus Hessen kann damit auch für Apotheken in anderen Bundesländern eine gute Orientierung bieten.

Apothekenübliche Waren und Dienstleistungen

Die neue ApBetrO definiert Mittel zur Körperpflege auch ohne unmittelbaren Gesundheitsbezug als apothekenübliche Waren. Dazu gehören nun gemäß den Unterlagen aus Darmstadt auch Seife, Rasierschaum, Duschgel, Bäder, Pflegecremes, Deo und Zahncreme, aber weiterhin keine rein dekorativen Produkte wie Lidschatten, künstliche Wimpern und Nagellack.

Andere Mittel und Gegenstände sind dagegen nur noch apothekenüblich, wenn sie unmittelbar der Gesundheit dienen oder diese fördern. Weiterhin nicht apothekenüblich sind damit E-Zigaretten, Kohlsuppenkapseln, Wellnessreisen, Sprudelsteine, Duftöle und Zubehör.

Als apothekenübliche Dienstleistungen werden die Beratung zu Gesundheits- und Ernährungsfragen sowie zu Vorsorgemaßnahmen und Medizinprodukten, die Gesundheitserziehung und ‑aufklärung, einfache Gesundheitstests (Messung von Blutdruck, Blutzucker- und Cholesterinspiegeln) und das Anpassen von Medizinprodukten (Kompressionsstrümpfe) genannt. Dagegen seien Kosmetikbehandlungen nicht apothekenüblich, es sei denn, sie sind durch eine Erkrankung begründet, z. B. Akne.

Personal

Zur Schulung des Personals wird in der Präsentation zwischen Initital- und Routineschulungen unterschieden. Der Schulungsbedarf soll arbeitsplatzbezogen in einem Schulungsplan mit Angaben zu Inhalten und Frequenz der Schulungen festgehalten werden. Dabei sind auch Reinigungspersonal und Boten zu berücksichtigen.

Räume

Zu den Anforderungen an die Räume gehören risikobezogene Temperaturkontrollen in den Lagerräumen und in der Offizin mit Dokumentation. Außerdem sollten Warn- und Aktionslimits festgelegt werden, heißt es in den Unterlagen aus Hessen. Die vorgeschriebene Lagertemperatur müsse ständig gewährleistet sein. Bei der dreiseitigen Abteilung des Rezepturarbeitsplatzes solle die kurze Seite offen sein, doch eine gesonderte Tür sei nicht erforderlich. Die Vorschrift, dass Wände, Böden und Oberflächen leicht zu reinigen sein sollen, wird als Forderung nach einem wischbaren, glatten Bodenbelag interpretiert. Es sollten keine Fliesen an Wänden oder Böden angebracht sein.

Als Gesperrt-Lager für nicht verkehrsfähige Arzneimittel (Fälschungen, Rückrufe, verfallene Ware) reiche ein gekennzeichnetes Regal oder eine Kiste aus.

Hygieneplan

Der Hygieneplan betrifft gemäß der Präsentation aus Darmstadt die ganze Apotheke und sollte damit auch Regelungen zur Bekleidung außerhalb des Herstellungsbereichs und zum Zutritt Dritter (z. B. Großhandelsfahrer, Wartungspersonal, Kunden) enthalten. Weitere Inhalte sollen Regelungen zur Häufigkeit und Art der Reinigung, zur Desinfektion der Herstellungsräume sowie zur Auswahl der Reinigungsmittel und -geräte sein.

Zum Hygieneplan sollten auch schriftliche Anweisungen zum hygienischen Verhalten am Arbeitsplatz (insbesondere im Herstellungsbereich) und die Meldepflicht für ansteckende Krankheiten gehören.

Herstellung und Prüfung

Die Unterlagen des Regierungspräsidiums Darmstadt enthalten Empfehlungen für eine notwendige Grundausstattung zur Herstellung und Prüfung (siehe Kasten), die gegenüber den verbindlichen Regelungen der alten ApBetrO erheblich reduziert sind. Die Veröffentlichung solcher Listen mag erstaunen, weil in der ApBetrO bewusst von den früher üblichen verbindlichen Listen abgerückt wurde. Daher können die Listen nur als eine erste Orientierung zu verstehen sein.

Grundausstattung


Grundausstattung für die Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln gemäß Empfehlung des Regierungspräsidiums Darmstadt


Geräte zur Herstellung:

Zäpfchen- und Ovulaformen, Siebe, Kapselfüllmaschine inkl. Kapseln, Wasserbad, Fantaschale und Pistill oder TopiTec® bzw. Unguator®, Dreiwalzenstuhl, Homogenisator, Autoklav, Augentropfen-Set


Geräte zur Prüfung:

Fein- und Präzisionswaage, Trockenschrank, Mikroskop, DC-Ausrüstung, Pyknometer, Refraktometer, Geräte zur Bestimmung des Schmelz- bzw. Erstarrungspunktes, UV-Lampe, Exsikkator, Wasserstrahlpumpe, Thermometer, Tüpfelplatte Messzylinder, Bechergläser, Reagenzgläser


Reagenzien zur Prüfung:

Anisaldehyd-Lösung, Ameisensäure, Ammoniak-Lösung, Ammoniumchlorid, Bariumchlorid-Lösung, Chloralhydrat, Dichlormethan, Essigsäure, Ethylacetat, Lackmuspapier, Magnesiastäbchen, Methanol, Kaliumhexacyanoferrat(II)-Lösung, Kieselgur, Natriumhydroxid-Lösung, Phenolphthalein-Lösung, Salpetersäure, Salzsäure, Schwefelsäure, Silbernitrat-Lösung, Titangelb-Lösung, Toluol, Weinsäure


Zudem machen die Unterlagen aus Hessen deutlich, dass (unabhängig von den Listen) alle Geräte und Reagenzien, die in einem Prüf- oder Herstellungsprotokoll vorkommen, auch in der Apotheke vorhanden sein müssen. Ausdrücklich wird auf die neue Vorschrift verwiesen, dass die Ausgangsstoffe in derjenigen Apotheke eines Filialverbundes zu prüfen sind, in der sie anschließend verwendet werden.

Als Inhalte einer Herstellungsanweisung für Rezepturen werden insbesondere folgende Aspekte genannt:

  • Anweisung zur Herstellung inklusive Angaben zu Technik und Geräten,
  • Plausibilitätsprüfung,
  • primäres Verpackungsmaterial,
  • Kennzeichnung,
  • Inprozesskontrollen und
  • Vorbereitung des Arbeitsplatzes.

In der Plausibilitätsprüfung sollten die Dosierung, die Applikationsart, die Art, Menge und Kompatibilität der Ausgangsstoffe sowie die Haltbarkeit berücksichtigt werden. Inhalte des Herstellungsprotokolls sind insbesondere Art, Menge und Prüfnummern der Ausgangsstoffe, Herstellungsparameter (z. B. Rührzeit, Drehzahl, Schmelztemperatur von Salben, Reihenfolge der Bestandteilzugabe bei Salben, Nutzung des Dreiwalzenstuhls) und die Ergebnisse der Inprozesskontrollen.

Bei der Kennzeichnung sind als neue Erfordernisse Angaben zum Verwendbarkeitsdatum (Tag/Monat/Jahr) und zur Haltbarkeit nach dem ersten Öffnen des Behältnisses (soweit erforderlich) vorgeschrieben. Für Defekturen gelten weitere Anforderungen.

Die Präsentation aus Darmstadt enthält zudem detaillierte Hinweise zu den Anforderungen an das Stellen, das Verblistern und die Herstellung von Parenteralia. Dabei werden auch Mindestinhalte für die Darlegung dieser Abläufe in einem Qualitätsmanagementsystem (QMS) genannt (Details in der Präsentation, siehe Surftipp).

QMS

Ein QMS für die pharmazeutischen Tätigkeiten muss in bestehenden Apotheken erst in zwei Jahren nachgewiesen werden. Auch dazu enthält die Präsentation aus Darmstadt einige Klärungen. Für die Standardarbeitsanweisungen als zentrales Instrument zur Darlegung von Arbeitsabläufen sollten demnach Festlegungen zur Form, Genehmigung (Freigabe), Verteilung und Rücknahme sowie zum Änderungsmanagement getroffen werden. In eine Standardarbeitsanweisung gehören der Titel, die Versionsnummer, die inhaltlichen Regelungen sowie Angaben zur Freigabe, zum Inkrafttreten und zum Revisionszeitpunkt. Alle Arbeitsanweisungen werden in einem QMS-Handbuch zusammengefasst. Die Regelungen sollten so eindeutig sein, dass sie leicht befolgt werden können. Unbestimmte Formulierungen wie „ordnungsgemäß“, „regelmäßig“, „ausreichend“ oder „sicher stellen“ sollten nicht verwendet werden.

Als inhaltliche Prioritäten für das QMS werden Regelungen zu den Themen Kühlschrank, Rückrufe, Verfalldatenkontrolle und Hygieneplan genannt. Damit rücken die Vorgaben aus Darmstadt einige besonders störanfällige Abläufe in den Vordergrund, während andere Empfehlungen zum QMS, insbesondere die Anlagen zur ABDA-Mustersatzung und die darauf beruhenden Regeln der Kammern, eher auf die Regelung von häufigen Kernprozessen fokussieren.

Offene Fragen

In der Präsentation aus Darmstadt wird hervorgehoben, dass jegliche Übergangsvorschriften der ApBetrO nur für bestehende Apotheken, aber nicht für Neueröffnungen oder bei einem Besitzerwechsel gelten. Doch betonte Ulrich Laut, Geschäftsführer der Apothekerkammer Hessen, gegenüber der DAZ, dass die Aufsichtsbehörden bei der Umsetzung der ApBetrO offenbar mit Augenmaß vorgehen, weil die Einführung der Neuerungen in den Apotheken eine gewisse Zeit erfordere. Bei den Informationsveranstaltungen zur neuen ApBetrO seien nach Einschätzung von Laut die meisten Fragen zur Rezepturherstellung, zur Vertretung in Filialverbünden und zum barrierefreien Zugang gestellt worden. Für Laut sei es entscheidend, dass Behinderte in die Apotheke hineingelangen. Wenn allerdings ordnungsrechtliche oder andere Vorschriften gegen die Einrichtung einer Rampe sprächen, müssten die jeweils zuständigen Behörden untereinander zu einem Ergebnis kommen. Aufgrund von EU-Regeln sei eine Klingel allein langfristig nicht ausreichend, so Laut. Dies widerspricht wiederum der lockereren Auslegung durch das Landesamt für soziale Dienste in Schleswig-Holstein (siehe DAZ Nr. 28, S. 71).

Zudem wies Laut auf die Forderung hin, in dem Ordner mit den Urkunden zur Qualifikation des Personals auch Kopien der Großhandelserlaubnisse aller Lieferanten bereitzuhalten. Dies wird auch in der Präsentation des Regierungspräsidiums Darmstadt erwähnt. Die konsequente Überprüfung dieser Regelung – auch bei der Belieferung durch etablierte Pharmagroßhändler – scheint eine Besonderheit in Hessen zu sein.

Zu der bundesweit viel diskutierten Frage über die Qualifikation von Boten wird in der Präsentation des Regierungspräsidiums Darmstadt eine Auslieferung durch pharmazeutisches Personal gefordert, wenn vorher keine Beratung in der Apotheke stattgefunden hat. Als Alternative wird dort aber auch die Erfragung einer Telefonnummer erwähnt. In diesem Zusammenhang erklärte Laut, die Vorschriften der ApBetrO dürften die Versorgung nicht unmöglich machen, zumal ein gesetzlicher Versorgungsauftrag besteht. Bei Rezeptsammelstellen sollten daher eine telefonische Beratung und die Belieferung durch einen nicht-pharmazeutischen Boten ausreichen. Laut verwies dazu auch auf den großen Stellenwert, den die Versorgung ländlicher Regionen in der Landespolitik hat.

Sichtweise in Sachsen

Nach Auskunft von Tobias Hückel, stellvertretender Geschäftsführer der Sächsischen Landesapothekerkammer, wird die Qualifikation der Boten bei Belieferungen von Rezeptsammelstellen-Kunden von der zuständigen Behörde in Sachsen als offene Frage verstanden. In solchen Fällen verfolge die dortige Behörde das Prinzip, auf eine möglichst bundeseinheitliche Klärung oder nötigenfalls auf ein Gerichtsurteil zu warten, bevor eine solche Frage zugespitzt wird. Auch in anderen Fragen ermuntere die zuständige Behörde in Sachsen zu Gesprächen über die neue ApBetrO. Insbesondere die Barrierefreiheit müsse vor Ort geprüft werden.

Ausblick

Neben den bundesweit diskutierten Kernfragen zur ApBetrO werden in verschiedenen Ländern immer wieder unterschiedliche Details angesprochen. Der Blick in jeweils andere Länder relativiert dann mitunter einige Diskussionen oder vermittelt neue Anregungen. So bestehen insbesondere in ostdeutschen Apotheken, in denen vielfach Pharmazieingenieure arbeiten, mitunter Sorgen, die Vertretungsregeln im Zusammenhang mit dem Stellen von Arzneimitteln könnten die Vertretung durch Nicht-Approbierte aushebeln. Solche Befürchtungen betrachtet Laut hingegen als unbegründet. Denn Apothekerassistenten und Pharmazieingenieure werden in der ApBetrO ausdrücklich als vertretungsberechtigtes Personal genannt.

Während in etlichen Bundesländern bereits Informationsveranstaltungen der Kammern zur neuen ApBetrO mit großer Beteiligung stattgefunden haben, sind in anderen Ländern solche Veranstaltungen erst geplant – insbesondere für die Zeit von Ende August bis Oktober. Das Konzept unterscheidet sich dabei zwischen den Bundesländern erheblich. In einigen Ländern finden Gemeinschaftsveranstaltungen von Kammern und Behörden statt. In anderen Ländern sind die Behörden offen für Fragen, arbeiten aber weniger eng mit den Kammern zusammen. Offenbar müssen die Behörden in etlichen Punkten selbst noch nach einer Position suchen bzw. sich auf Bundesebene abstimmen. Zudem steht die neue ApBetrO auf der Tagesordnung des Deutschen Apothekertages im Oktober in München. Daher ist im Laufe des Herbstes noch mit etlichen neuen Antworten auf Detailfragen über die neue ApBetrO zu rechnen.

Surftipp


Die Präsentation „Infoveranstaltung ApBetrO“ des Regierungspräsidiums Darmstadt finden Sie als Download auf der Internetseite www.rp-darmstadt.hessen.de

unter > Arbeit & Soziales > Arzneimittel & Apotheken > Apotheken > Apothekenbetriebsordnung



Quelle

Herkner R. Die neue Apothekenbetriebsordnung, Auswirkungen auf den Apothekenalltag; www.rp-darmstadt.hessen.de (siehe Surftipp).


Dr. Thomas Müller-Bohn



DAZ 2012, Nr. 31, S. 68

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