Ernährung aktuell

Gemüse und Obst in der Prävention

DGE-Stellungnahme bestätigt: Hoher Gemüse- und Obstverzehr senkt Erkrankungsrisiko

Gemüse und Obst gelten gemeinhin als Inbegriff einer "gesunden Ernährung", liefern sie doch reichlich Vitamine und Mineralstoffe, lösliche Ballaststoffe sowie sekundäre Pflanzenstoffe. Über diese Inhaltsstoffe modifizieren Gemüse und Obst eine Reihe physiologischer Abläufe, die mit der Entstehung von verschiedenen Krankheiten, u. a. Tumor- und Herz-Kreislauferkrankungen sowie Hypertonie in Zusammenhang stehen [5 – 7; 9; 1113]. Dennoch wird immer kontrovers diskutiert, welche Bedeutung Gemüse und Obst bei der Krankheitsvorbeugung zukommt. Wie es um die wissenschaftliche Datenbasis der bekannten Kampagne "5 Portionen Gemüse und Obst am Tag" bestellt ist, wurde jetzt von einer Arbeitsgruppe der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) systematisch evaluiert [2 – 3].

Seit der letzten DGE-Stellungnahme aus dem Jahr 2007, die den Zusammenhang von Gemüse- und Obstkonsum und Krankheitsrisiko systematisch bewertet hat [4], wurde eine Reihe neuer Studiendaten veröffentlicht. Eine Neubewertung der Daten war daher erforderlich. Leitfragen waren [3; 14]:

  • Bei welchen Erkrankungen modifiziert der Verzehr von Obst und Gemüse das Krankheitsrisiko?

  • Wie ausgeprägt sind die wissenschaftlichen Belege (Evidenz) für einen krankheitsmodifizierenden Effekt?

Methodisches Vorgehen

Methodisch basiert die aktuelle Stellungnahme auf einer umfassenden Auswertung der in der wissenschaftlichen Literatur verfügbaren epidemiologischen Studien, die den Zusammenhang zwischen Gemüse- und Obstverzehr und Erkrankungsrisiko untersucht hatten. In einem ersten Schritt wurden die Studien in Abhängigkeit ihres Studiendesigns verschiedenen Evidenzklassen zugewiesen. Dabei bildeten Meta-Analysen von randomisierten, kontrollierten Interventionsstudien (RCTs) die höchste Evidenzstufe (Klasse Ia); nicht-analytische Studien wie Querschnittsuntersuchungen wurden in die niedrigste Evidenzkategorie (Klasse IV) eingeordnet (siehe Tab. 1). Darauf aufbauend wurde – in Anlehnung an das Bewertungsschema der WHO [17] – eine Bewertung der Evidenz nach Härtegraden vorgenommen [2 – 3]:

  • Überzeugende Evidenz: Viele Studien der höchsten Evidenzklassen (Interventions- und Kohortenstudien oder darauf basierende Meta-Analysen) zeigen einheitlich einen biologisch plausiblen ursächlichen Zusammenhang.

  • Wahrscheinliche Evidenz: Die epidemiologischen Studien weisen auf einen weitgehend konsistenten Zusammenhang hin, es bestehen aber Schwächen beim Beweis eines ursächlichen Zusammenhangs (Fehlen von aussagekräftigen Interventionsstudien) oder auch Hinweise für eine gegenteilige Beziehung.

  • Mögliche Evidenz: Es liegen nur ungenügend gut durchgeführte Studien der höchsten Evidenzklassen vor (Interventions- und Kohortenstudien). Die Mehrzahl der Fall-Kontroll- und Querschnittsstudien stimmt im Ergebnis überein; es können weitere Studien ohne Risikobeziehung bzw. mit gegenteiliger Beziehung vorliegen.

  • Unzureichende Evidenz: Es existieren keine oder nur wenige Studienergebnisse zur untersuchten Beziehung, oder die Studienlage ist uneinheitlich.

Tab. 1: Evidenzklassen in Abhängigkeit vom Studientyp und Zuordnung der Evidenz-Härtegrade [3]

Evidenz-
klasse
Art der Studie / Veröffentlichung
Härtegrad
der Aussage
Ia
Meta-Analyse von randomisierten, kontrollierten Interventionsstudien
überzeugende*/
wahrscheinliche**/
mögliche*** Evidenz
Ib
Randomisierte, kontrollierte Interventionsstudien
Ic
Nicht randomisierte/nicht kontrollierte Interventionsstudien (wenn gut angelegt, sonst Grad IV)
IIa
IIb
Meta-Analysen von Kohortenstudien
Kohortenstudien
überzeugende*/
wahrscheinliche**/
mögliche***/
unzureichende ****
Evidenz
IIIa
IIIb
Meta-Analyse von Fall-Kontroll-Studien
Fall-Kontroll-Studien
wahrscheinliche**/
mögliche***/
unzureichende ****
Evidenz
IV
Nicht-analytische Studien

(Querschnittsstudien, Fallbeschreibungen etc.)
Berichte/Meinungen von Expertenkreisen bzw. Konsensus-Konferenzen, in denen keine Härtegrade ausgesprochen werden
und/oder Erfahrungen anerkannter Autoritäten
mögliche***/
unzureichende****
Evidenz
* Wird vergeben, wenn eine erhebliche Anzahl von Studien einschließlich prospektiver Beobachtungsstudien und, wo möglich, randomisierter kontrollierter Interventionsstudien mit genügender Größe, Dauer und Qualität mit konsistenten Ergebnissen vorliegen.

** Wird vergeben, wenn die epidemiologischen Studien einigermaßen konsistente Beziehungen zwischen Merkmal und Erkrankung zeigen, aber erkennbare Schwächen bei der verfügbaren Evidenz bestehen oder Evidenz für eine gegenteilige Beziehung besteht, die eine eindeutigere Bewertung ausschließen.

*** Wird vergeben, wenn hauptsächlich Ergebnisse über einen Zusammenhang zwischen Exposition und Zielerkrankung aus Fall-Kontroll-Studien und Querschnittsstudien vorliegen. Es sind nur ungenügend gut durchgeführte kontrollierte Interventionsstudien oder nichtkontrollierte klinische Studien vorhanden.

**** Wird vergeben, wenn wenige Studienergebnisse vorliegen, die eine Assoziation zwischen einem Merkmal und einer Erkrankung andeuten, aber zu deren Etablierung unzureichend sind. Es gibt nur eingeschränkte oder keine Hinweise von randomisierten Interventionsstudien.

Die Evidenzbewertung im Überblick

Bei der Auswertung der Daten zum Zusammenhang zwischen dem Konsum von Gemüse und Obst und dem Risiko für verschiedene Erkrankungen wurden alle Evidenz-Härtegrade vergeben [2 – 3] (siehe Tab. 2):

Als überzeugend gilt der Schutzeffekt von Gemüse und Obst für koronare Herzkrankheit (KHK), Hypertonie und Schlaganfall.

  • Mit wahrscheinlicher Evidenz senkt ein hoher Gemüse- und Obstverzehr das allgemeine Krebsrisiko, unabhängig von der Tumorlokalisation.

  • Als möglich wurde der risikosenkende Effekt von Gemüse und Obst für Demenz, rheumatoide Arthritis, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen (COPD) und Osteoporose sowie die Augenerkrankungen Makuladegeneration und Katarakt gewertet.

  • Für entzündliche Darmerkrankungen, Glaukom und diabetische Retinopathie gilt die Evidenz für einen Schutzeffekt von Gemüse und Obst als unzureichend.

Tab. 2: Zusammenfassende Bewertung der Evidenz zum Zusammenhang zwischen Gemüse- und
Obstverzehr und der Prävention ausgewählter Erkrankungen [3]

Evidenzbewertung (Härtegrade)
überzeugend
wahrscheinlich
möglich
unzureichend
Adipositas
o1
2
Diabetes mellitus Typ 2
o
Hypertonie
Koronare Herzkrankheiten (KHK)
Schlaganfall
Krebskrankheiten
Chronisch entzündliche Darmkrankheiten
~
Rheumatoide Arthritis (RA)
Chronisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD)
Asthma
Osteoporose
Augenkrankheiten
Makuladegeneration
Katarakt
Glaukom
~
Diabetische Retinopathie
~
Demenz
↓ Risikosenkung durch Erhöhung des Gemüse- und Obstverzehrs

o kein Zusammenhang

~ unzureichende Evidenz

1 Gewichtsverlust

² Gewichtszunahme

Praktische Empfehlungen: Mehr Gemüse und Obst!

Seit den 1990er Jahren haben sich verschiedene Fachgesellschaften wiederholt dafür ausgesprochen, den Konsum von Gemüse und Obst zu steigern. Sowohl die American Heart Association (AHA), die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie der World Cancer Research Fund (WCRF) oder die vieldiskutierten Vorschläge der Harvard School of Public Health um Professor Walter Willett – sie alle betonen den Stellenwert einer an Gemüse und Obst reichen Ernährung [10; 17 – 18; 20]. Mit der nun vorliegenden wissenschaftlichen Stellungnahme der DGE [2012] wird die Bedeutung von Gemüse und Obst für die Gesunderhaltung unterstrichen. Wenngleich das präventive Potenzial eines hohen Gemüse- und Obstverzehrs bei Tumorerkrankungen schwächer eingeschätzt wird als in früheren Bewertungen [8; 19], untermauert die aktuelle Evidenz-Bewertung die wissenschaftliche Basis der "5 am Tag"-Kampagne. 5 Portionen Gemüse und Obst täglich (etwa 650 g) sind mehr denn je eine wichtige Investition für die langfristige Gesunderhaltung. Bemessen daran ist der Verzehr von Gemüse und Obst im Bevölkerungsdurchschnitt nach wie vor unbefriedigend niedrig. Nach Daten der Nationalen Verzehrsstudie II (NVS II) aus dem Jahr 2008 verzehren Frauen im Mittel 270 g Obst und 240 g Gemüse/Tag; Männer kommen auf etwa 220 g Obst und 220 g Gemüse täglich. 87% der NVS-II-Studienteilnehmer (89% der Männer; 86% der Frauen) liegen unter der zur Prävention empfohlenen Verzehrsmenge von 400 g Gemüse täglich [1]. Das Apothekenpersonal kann hier durch entsprechende Aufklärung der Bevölkerung einen Beitrag zur Verbesserung des Gemüse- und Obstverzehrs leisten. Insbesondere durch das Einbeziehen von Gemüse- und Obstsäften in die Ernährung lässt sich die Botschaft "5 am Tag" leicht in die Praxis umsetzen (siehe Tab. 3).

Tab. 3: Beispiel für die praktische Umsetzung der "5 am Tag"-Forderung [14]

Mahlzeit
Lebensmittel
1. und 2. Frühstück
Müsli oder Quarkspeise, dazu frisches Obst oder 1 Glas Obst- oder Gemüsesaft; zum belegten Brot Gemüse als Rohkost oder 1 Stück Obst
Mittagessen
1 Portion gedünstetes Gemüse oder 1 Portion gemischter Salat als Beilage
Zwischenmahlzeit
1 Stück Obst
Abendessen
1 Portion gemischter Salat oder Gemüse als Rohkost zum belegten Brot
Als 1 Portion zählt beispielsweise 1 Apfel, 1 Banane, 2 Hände voll Himbeeren, 1 kleiner Kohlrabi, 1 Paprikaschote, 1 Hand voll getrocknete Hülsenfrüchte wie Linsen oder Erbsen. Eine Portion Gemüse oder Obst kann gelegentlich durch 1 Glas Gemüse- oder Obstsaft oder 1 Portion Smoothie ersetzt werden. Trockenfrüchte und Nüsse (ungesalzen, ungeröstet) gehören ebenfalls zu "5 am Tag", die Größe für 1 Portion ist ein halbe Hand voll bzw. 25 Gramm.


Literatur

[1] Bechthold, A. Gemüse- und Obstverzehr. In: Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) (Hrsg.). Gemüse und Obst in der Prävention ausgewählter chronischer Krankheiten. Bonn (2012), S. 5 – 8. Online verfügbar unter www.dge.de/pdf/ws/DGE-Stellungnahme-Gemuese-Obst-2012.pdf (abgerufen am 03.06.2012)

[2] Boeing, H. et al.: Critical review: vegetables and fruit in the prevention of chronic diseases. Eur J Nutr. 2012 Jun 9. [Epub ahead of print] PubMed PMID: 22684631.

[3] Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) (Hrsg.). Gemüse und Obst in der Prävention ausgewählter chronischer Krankheiten. Bonn (2012). Online verfügbar unter www.dge.de/pdf/ws/DGE-Stellungnahme-Gemuese-Obst-2012.pdf (abgerufen am 03.06.2012)

[4] Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) (Hrsg.). Gemüse und Obst in der Prävention chronischer Krankheiten. Bonn (2007). Online verfügbar unter www.dge.de/pdf/ws/Stellungnahme-OuG-Praevention-chronischer-Krankheiten-2007-09-29.pdf (abgerufen am 03.06.2012)

[5] Erlund, I. et al.: Favorable effects of berry consumption on platelet function, blood pressure, and HDL cholesterol. Am J Clin Nutr. 2008; 87 (2): 323 – 31.

[6] Hubbard, G.P. et al.: Ingestion of onion soup high in quercetin inhibits platelet aggregation and essential components of the collagen-stimulated platelet activation pathway in man: a pilot study. Br J Nutr. 2006; 96 (3): 482 – 8.

[7] Hubbard, G.P. et al.: Ingestion of quercetin inhibits platelet aggregation and essential components of the collagen-stimulated platelet activation pathway in humans. J Thromb Haemost. 2004; 2 (12): 2138 – 45.

[8] IARC. Fruits and vegetables. IARC Handbook of Cancer Prevention, Vol. 8, IARC Press, Lyon 2003

[9] Kelley, D.S. et al.: Consumption of Bing sweet cherries lowers circulating concentrations of inflammation markers in healthy men and women. J Nutr. 2006; 136 (4): 981 – 6.

[10] Lichtenstein, A.H. et al.: Summary of American Heart Association Diet and Lifestyle Recommendations revision 2006. Arterioscler Thromb Vasc Biol. 2006; 26 (10): 2186 – 91.

[11] McCall, D.O. et al.: Dietary intake of fruits and vegetables improves microvascular function in hypertensive subjects in a dose-dependent manner. Circulation. 2009; 119 (16): 2153 – 60

[12] O‘Kennedy, N. et al.: Effects of antiplatelet components of tomato extract on platelet function in vitro and ex vivo: a time-course cannulation study in healthy humans. Am J Clin Nutr. 2006; 84 (3): 570 – 9.

[13] O‘Kennedy, N. et al.: Effects of tomato extract on platelet function: a double-blinded crossover study in healthy humans. Am J Clin Nutr. 2006; 84 (3): 561 – 9.

[14] Presseinformation der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE): Ein hoher Gemüse- und Obstverzehr fördert die Gesundheit. DGE stellt wissenschaftliche Datenlage vor. 01/2012 | 12. Juni. Online verfügbar unter http://www.dge.de/pdf/presse/2012/DGE-Pressemeldung-AdW-01-2012-Gemuese-Obst.pdf (abgerufen am 03.06.2012)

[15] Ströhle A. et al.: Vegetarian nutrition: Preventive poten tial and possible risks. Part 1: Plant foods. Wien Klin Wochenschr. 2006; 118 (19 – 20): 580 – 93.

[16] Watzl, B. et al.: A 4-wk intervention with high intake of carotenoid-rich vegetables and fruit reduces plasma C-reactive protein in healthy, non-smoking men. Am J Clin Nutr. 2005; 82 (5): 1052 – 8.

[17] WHO/FAO. Diet, Nutrition and the Prevention of Chronic Diseases. Report of a Joint WHO/FAO Expert Consultation. Technical Report Series No. 916, Geneva 2003;

[18] Willett WC, Skerrett P. Eat, Drink, and Be Healthy. Simon and Schuster, New York 2005

[19] World Cancer Research Fund (WCRF). Food, Nutrition, and the Prevention of Cancer: a Global Perspective. World Cancer Research Fund/American Institute for Cancer Research, Washington DC 1997

[20] World Cancer Research Fund. Food, Nutrition, Physical Activity and the Prevention of Cancer: a Global Perspective. World Cancer Research Fund/American Institute for Cancer Research, Washington DC 2007


Autor

Dr. Alexander Ströhle

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